Gesunde Kinderaugen - Risiken, Früherkennung, Behandlung

Dr. med. Karoline Vanselow
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  • Das Sehvermögen entwickelt sich in den ersten Lebensjahren
  • Das Sehverhalten kann bereits im Babyalter getestet werden
  • Eine fachärztliche und orthoptische Untersuchung deckt Risiken und Erkrankungen auf
  • Ein gezieltes Training mit Brille und /oder Abklebebehandlung ermöglicht ein gutes lebenslanges Sehen
  • Kinder aus Familien mit Augenerkrankungen (z.B. Schielen, stärkere Fehlsichtigkeit, angeborene Erkrankungen) sollten im 1. Lebensjahr dem Kinder- und /oder Augenarzt vorgestellt werden.

Entwicklung des Sehvermögens

Die Augen und der Sehnerv sind zum Zeitpunkt der Geburt vollständig angelegt. Die Reifung der angelegten Zellen und Bahnen erfolgt in den folgenden Monaten und Jahren. Die Nervenbahnen, die die Augen mit der Schaltzentrale Gehirn verbinden, sprossen noch aus und bilden in Abhängigkeit von ihrer Nutzung ein komplexes Netzwerk, das die Sehinformation zum Gehirn leitet, wo sie weiterverarbeitet wird. Diese Reifung findet in den ersten sieben Lebensjahren durch den ständigen Gebrauch der Augen beim normalen alltäglichen Sehen statt und führt zu einem vollwertigen Sehen beider Augen. Zu der Gesamtheit des Sehsinns gehört eine Reihe von Einzelleistungen, die zu unterschiedlichen Zeiten innerhalb der ersten 7 Jahre reifen.

Entwicklung des Sehens

 

Geburt

Sehhorizont reicht etwa 20 cm weit; die Augen können horizontal bewegt werden und die Pupillen reagieren bereits auf Licht

mit 3 Monaten

Personen und Gegenstände werden angeschaut und fixiert

mit 3 Monaten

Das Kontrastsehen entwickelt sich

mit 4 Monaten

Die Akkommodation entwickelt sich. Dinge in Ferne und Nähe werden zunehmend scharf gesehen

mit 6 Monaten

Das räumliche, dreidimensionale Sehen entwickelt sich

in den ersten Jahren

Das Farbensehen entwickelt sich

mit ca. 7 Jahren

Das Sehvermögen ist komplett ausgebildet

mit 8 – 9 Jahren

Das Gesichtsfeld ist so weit entwickelt, dass zunehmend Verkehrstauglichkeit besteht

Dieser Reifungsprozess verläuft in den ersten Lebensmonaten, der so genannten „ sensiblen Phase“ sehr rasant, in dieser Zeit werden die wichtigsten Nervenfasern sowohl für das einseitige als auch das beidäugige Sehen vom Auge zum Gehirn verschaltet. Die Reifung findet auch in den folgenden Lebensjahren statt, dann jedoch mit abnehmender Intensität und Geschwindigkeit.

Schwachsichtigkeit (Amblyopie):
Wird dieser Reifungsprozess gestört, kommt es zu einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Sehstörung eines oder beider Augen, der so genannten Schwachsichtigkeit (Amblyopie), die bis zur funktionellen Erblindung der Augen führen kann. Sie zeigt sich in einer geringeren Sehschärfe, die nicht ausreichend durch eine Erkrankung der Augen erklärt und nicht durch eine Brille oder Kontaktlinsen verbessert werden kann. Wir unterscheiden folgende Formen der Amblyopie:

Stimulus-Deprivations-Amblyopie:
Bei dieser Amblyopie fehlt der ausreichende Sehstimulus auf der Netzhaut. Das kann bedingt sein durch eine Trübung der optischen Medien (Hornhauttrübung, Katarakt (grauer Star)), oder eine Verlegung der optischen Achse durch ein herunterhängendes Lid (Ptosis) oder eine Schwellung (z.B. aufgrund eines Hämangioms) und kann eines oder beide Augen betreffen.

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Abbildung 1: Grauer Star (Katarakt) als Ursache einer Stimulus-Deprivationsamblyopie

Suppressions-Amblyopie:
Sie tritt beim einseitigen Schielen auf. Aufgrund des Schielens würde das kindliche Gehirn doppelt sehen, da es von zwei unterschiedlichen Netzhautarealen einen Bildeindruck erhält. Als Reaktion schaltet es das schielende Auge ab und unterdrückt dessen Seheindruck, reduziert dadurch aber dauerhaft die Verbindungen der Netzhaut zum Sehzentrum des Gehirns. Sieht ein Auge schlechter, wird es immer weniger am Sehvorgang beteiligt, das Gehirn bevorzugt das besser sehende Auge und das sehschwache Auge wird immer mehr unterdrückt. Diese ständige Unterdrückung führt dazu, dass das Sehvermögen des schwachen Auges immer schlechter wird und auch noch das beidäugige Sehen verloren geht.

Je früher im Leben diese Erkrankung auftritt, umso stärker wird die Sehentwicklung des oder der Augen beeinträchtigt. Eine Behandlung im Erwachsenenalter, sei es durch eine Brillenkorrektur oder eine sehverbessernde Operation (refraktive Chirurgie), wird keinen Erfolg für die Sehschärfe mehr bringen. Negative Konsequenzen kann das haben z.B. bei den Schulleistungen, Einschränkungen des Reaktionsvermögens im Sport, bei der Berufswahl oder der Zulassung zum Führerschein.

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Abbildung 2: Deutlich sichtbares Schielen des linken Auges

Einige Störungen sind so offensichtlich, dass Eltern, Verwandte und Freunde gleich sehen, dass die Augen nicht in Ordnung sind. Manche Störungen sind für den Betrachter des Kleinkindes nicht sichtbar, sind jedoch so schwerwiegend, dass sie zu schweren, nicht mehr heilbaren Sehstörungen führen. So kann das kaum oder nicht sichtbare Kleinwinkelschielen (Mikrostrabismus) zu einer sehr starken Amblyopie des schielenden Auges führen.

Refraktionsamblyopie:

Es gibt unterschiedliche Formen der Refraktionsamblyopie. Bei sehr starken Fehlsichtigkeiten (Hyperopie -Weitsichtigkeit, Myopie - Kurzsichtigkeit; Astigmatismus - Stabsichtigkeit) ist die unkorrigierte Abbildung auf der Netzhaut so verschwommen, dass das Gehirn sich dieses verwaschene Bild als reell einprägt und damit auf beiden Augen schwachsichtig wird.
Bei der hohen Anisometropie unterscheiden sich die Brechwerte der beiden Augen so stark, dass auf dem Auge mit der höheren Fehlsichtigkeit der Stimulus unterdrückt wird und dieses Auge schwachsichtig wird.

Mit einer ärztlichen und orthoptischen Untersuchung können solche Störungen schon sehr früh gefunden oder ausgeschlossen werden.
Auf die Vorsorgeuntersuchungen U1 bis U9 durch den Kinderarzt haben alle Kinder gesetzlichen Anspruch. Insbesondere bei der U7 im Alter von 34. bis 36. Lebensmonate wird geprüft, ob das Kind gut sieht und ob eine einseitige oder beidseitige Sehschwäche oder ein Schielen vorliegt. Da manche Störungen nur durch eine umfassende Untersuchung gefunden werden können, ist es zu empfehlen, nicht nur die angebotenen Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch zu nehmen, sondern die Kinder zusätzlich einer augenärztlich-orthoptischen Untersuchung zuzuführen.

Wann ist eine augenärztliche Untersuchung sinnvoll?

Um diesen ungünstigen Entwicklungsprozess zu verhindern, muss es das Anliegen der Eltern und des betreuenden Arztes sein, kindliche Sehfehler so früh wie möglich zu erkennen und zu behandeln, um dem Kind eine normale Sehentwicklung zu ermöglichen.

sofort

bei sichtbaren Auffälligkeiten:
z.B. Augenzittern, Fleck in der Pupille, Hängelid, große Augen, Lichtempfindlichkeit, Zukneifen eines Auges

6. – 12. Lebensmonat

bei Augenerkrankungen in der Familie, Entwicklungsverzögerung, Frühgeburt

18. – 24. Lebensmonat

alle Kinder

Die Orthoptistin und der Arzt/ die Ärztin können mittels kindgerechter, nicht schmerzhafter Untersuchungen schon in den ersten Lebensmonaten gezielt nach einer Sehstörung suchen. Mit entsprechenden Sehtests kann bereits das kindliche Sehvermögen spielerisch gemessen werden und eine Schielstellung oder sonstige Erkrankung der Augen nachgewiesen werden.
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Abb. 3: Kindgerechter genormter Sehtest für das Kleinkindalter

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Abb. 4: Spielerisch kann das Sehvermögen getestet werden

Mit einer Spaltlampe und einem Augenspiegel können Veränderungen und Erkrankungen der Augen nachgewiesen werden.
 
Zum Ausschluss einer Fehlsichtigkeit ist es sinnvoll, die Pupillen mit Augentropfen zu erweitern und die Brechkraft der Augen zu messen. Der Goldstandard der Brechkraftmessung ist die Skiaskopie. Bei der Skiaskopie, auch Schattenprobe genannt, wird die Pupille über den lichtdurchlässigen Spiegel des Skiaskops beleuchtet und durch Bewegen des Lichtstriches die Schattenwanderung in der Pupille beobachtet. Entsprechend der Flackerbewegung des Lichtreflexes kann der Arzt genau bestimmen, ob eine Brillenverordnung sinnvoll ist.
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Abb. 5: Genaue Brillenbestimmung mit der Skiaskopie


Orientierend werden auch automatische Brechkraftmesser eingesetzt, wobei beim Kind die Ergebnisse immer nur bei weitgetropfter Pupille am genauesten sind.

Behandlung:
Je nach Befund kann der Augenarzt dann eine Behandlung einleiten. In vielen Fällen hilft eine Brillenkorrektur. Es gibt eine Vielzahl von Kinderbrillen, die hübsch sind, bei entsprechender Anpassung an Nasenrücken und Ohren auch bei bewegungsfreudigen Kindern nicht stören und das Kind in seiner Entwicklung fördern. Besonders aktive Kinder sind mit Brillen aus strapazierfähigem und flexiblem Material gut versorgt. Für Ball- und Leistungssport gibt es spezielle Kindersportbrillen. Von der Arbeitsgemeinschaft „Sicherheit im Sport“ wurde im Expertenrat ein Anforderungskatalog „Schulsporttaugliche Brille“ sowie „schulsporttaugliche Brille plus Augenschutz“ erarbeitet (www.sicherheitimsport.de)

Okklusionsbehandlung:
Wenn ein Auge schlechter sieht als das andere, kann es trainiert werden, indem für eine bestimmte Zeit des Tages das bessere oder führende Auge mit einem Augenpflaster abgeklebt wird und das schlechtere Auge alleine sehen muss. Mit dieser einfachen Methode kann im günstigsten Fall das Sehvermögen auf 100% hoch trainiert werden. Im Handel gibt es Pflaster mit aktuellen bunten Motiven, die von den Kindern ausgewählt werden. Bei Hautempfindlichkeit gibt es spezielle Pflaster, die die Haut nicht reizen.
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Abb. 6: Okklusion des linken Auges mit einem neutralen Pflaster. Im Handel stehen des weiteren Pflaster mit aktuellen bunten Motiven zur Verfügung

Häufige und wichtige Erkrankungen des kindlichen Auges

Im Folgenden werden in einem kurzen Überblick einige wichtige Erkrankungen des kindlichen Auges vorgestellt.

Fehlsichtigkeit
Der Begriff Fehlsichtigkeit umfasst die Veränderungen Kurzsichtigkeit, Weitsichtigkeit und Hornhautverkrümmung. Hierbei handelt es sich um bauliche Veränderungen in der Größe und Form des Augapfels, die immerhin ca. 30% der bis zu 4-Jährigen betrifft. Geringfügige Veränderungen können als Normvarianten der Natur beurteilt werden und bedürfen in der Regel keiner Korrektur. Fehlsichtigkeiten, die sich negativ auf die Sehschärfe auswirken, können in der Regel gut durch eine Brille bzw. eine Kontaktlinse korrigiert werden. Bei rechtzeitigem Erkennen der Fehlsichtigkeit hat das Kind die Chance, ein volles Sehvermögen mit 100% und sehr gutes räumliches Sehen zu entwickeln. Wird solch eine Störung nicht rechtzeitig erkannt, wird das Kind während seines ganzen Lebens ein herabgesetztes Sehvermögen und evtl. ein herabgesetztes oder sogar fehlendes räumliches Sehen, auch mit Brille, haben.

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Abb. 7: Mit dieser schicken Brille erreicht das Mädchen volle Sehschärfe

Schielen
5% unserer Kinder schielen. Schielen ist nicht einfach ein Schönheitsfehler, sondern oft Vorbote ernst zu nehmender Sehschwächen. Ein zu spät oder nicht erkanntes Schielen im Kindesalter – insbesondere der Mikrostrabismus (Kleinwinkelschielen) und das einseitige Schielen – hat häufig weit reichende Folgen wie Schwachsichtigkeit eines Auges und vermindertes beidäugiges (räumliches oder dreidimensionales) Sehen. Ein Kleinwinkelschielen (Mikrostrabismus) ist vom Laien nicht festzustellen, meistens bemerken die Eltern zum Beispiel nur, dass das Kind nicht gerne Ball spielt, oder beim Fixieren eines Gegenstandes den Kopf dreht.

Wird bei einem Kind Schielen und/oder Schwachsichtigkeit festgestellt, wird eine Abklebetherapie (Okklusion) eingeleitet und ggf. eine Brille verordnet. Der Erfolg der Behandlung hängt im Wesentlichen vom elterlichen Engagement ab. Wenn wir ein schielendes Kind rechtzeitig behandeln, hat es die Chance, auf beiden Augen ein gutes Sehvermögen zu entwickeln. Nach entsprechender konservativer Vorbehandlung kann bei bestimmten Schielformen auch eine Operation sinnvoll sein, um die Augen gerade zu stellen.

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Abb. 8: Okklusion des linken Auges mit einem Pflaster

Grauer Star (Katarakt)
Auch Säuglinge können schon mit einem grauen Star geboren werden. Manche Katarakte sind so ausgeprägt, dass die Eltern und der Arzt die Trübung direkt sehen können. Andere Trübungen können jedoch nur durch spezielle, aber auch bei Neugeborenen durchführbare Untersuchungen nachgewiesen werden.
Liegt eine Linsentrübung vor, ist Handlungsbedarf innerhalb der ersten Lebenswochen gegeben. Bei entsprechender Ausprägung der Linsentrübung kann die Sehfähigkeit nur durch operative Entfernung der getrübten Linse erhalten werden. Wenn ein Kind aufgrund der aufmerksamen Beobachtung seiner Eltern schon kurz nach der Geburt vorgestellt und operiert wird, kann bei entsprechender Nachbehandlung im Alter von 7 Jahren mit einem befriedigenden bis guten Sehvermögen und der Fähigkeit zum räumlichen Sehen gerechnet werden. Wird der graue Star zu spät festgestellt, wird trotz guter Operation und Nachbetreuung das Sehvermögen nicht über 10% ansteigen, weil das Kind in den ersten Lebensjahren mit diesem Auge nicht sehen lernen konnte.
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Abb. 9: Beidseitige Linsentrübung (Cataracta congenita) bei der Geburt. Das Baby wird operiert und mit Kontaktlinsen versorgt

Fazit

Sehen kann schon im Babyalter untersucht werden

Werden Sehfehler rechtzeitig erkannt, kann gutes lebenslanges Sehvermögen erreicht werden.


Sprechen Sie mit Ihrem Kinder- oder Augenarzt, wenn Sie hinter einem auffälligen Verhalten Ihres Kindes eine Sehschwäche vermuten. Machen Sie Ihren Arzt darauf aufmerksam, wenn Sehfehler in Ihrer Familie bekannt sind. Mit Früherkennung hat Ihr Kind bessere Aussichten. Viele Augenerkrankungen können mit einer frühen Diagnose und Therapie behoben werden oder lassen sich erfolgreich verbessern. Die meisten Erkrankungen aber sind im Frühstadium nicht auffällig und deshalb nur vom Arzt zu erkennen.

Hilfe können Sie auch bei „Augenstern e.V. – Helfen zu Sehen“ erhalten. Der Verein hat es sich zum Ziel gemacht, vermeidbare Schwachsichtigkeit in Deutschland durch rechtzeitige Aufklärung der Bevölkerung und betroffener Familien zu verhindern.

Links

Autorin

Dr. med. Karoline Vanselow
Fachärztin für Augenheilkunde
Augenklinik St. Vincentius-Kliniken gAG
Steinhäuserstr.18
76135 Karlsruhe
St. Vincentius-Kliniken gAG

Seit Oktober 2005 Fachärztin an der Augenklinik der St. Vincentius-Kliniken Karlsruhe
Schwerpunkte:
Strabologie, Neuroophthalmologie, Kinderaugenheilkunde, Blepharospasmus

  • Fachärztin für Augenheilkunde
  • Fachkunde Augenmuskelchirurgie höheren Schwierigkeitsgrades
  • Fachkunde Laserchirurgie im Bereich Augenheilkunde
  • 2. Vorstand und Leiterin der Beratungsstelle bei Augenstern e.V.- helfen zu sehen

1992-2004 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum der Augenheilkunde der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt / Main (Schwerpunkt Kinderaugenheilkunde, Frühgeborenenretinopathie, Kindliche Katarakt, Elektrophysiologie, Neuroophthalmologie)

Kontakt

Augenstern e.V. – helfen zu sehen
Postfach 500951
60397 Frankfurt

E-Mail

Erstellt am 27. April 2005, zuletzt geändert am 08. Oktober 2015

 

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