Lebensmittelallergien

Dr. Angelika Paschke-Kratzin
Paschke Angelika
 

In diesem Beitrag wird eine Abgrenzung von Lebensmittelallergien und Lebensmittelunverträglichkeiten vorgenommen. Die Häufigkeit der Lebensmittelallergie wird vor dem Hintergrund des Lebensalters und der geographischen Herkunft betrachtet sowie ihre Abhängigkeit vom jeweiligen Lebensmittel. Welche Stoffe Auslöser einer Allergie sind, die Allergene, wird dargestellt.

Allgemeines

Die Häufigkeit allergischer Erkrankungen hat in den letzten Jahren zugenommen. Hierzu zählen die allergische Rhinokonjunktivitis (Heuschnupfen), allergisches Asthma und das atopische Ekzem (Neurodermitis). Es existieren verschiedene Hypothesen, die diese Zunahme zu erklären versuchen. Zum ersten wird ein genetischer Einfluss für die ansteigenden Zahlen verantwortlich gemacht, damit auch eine Vererbbarkeit der allergischen Erkrankung. Weiterhin wird eine fehlende Stimulanz des Immunsystems als Grund angesehen. Durch eine immer steriler werdende Umwelt, beim eigenen Haushalt angefangen bis hin zu gemeinschaftlich genutzten Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen usw., wird das Immunsystem nicht mehr in dem Maße gefordert wie noch vor wenigen Jahrzehnten. Als dritte Hypothese wird die zunehmende Verschmutzung der Umwelt als Ursache des Anstiegs der allergischen Erkrankungen diskutiert. Ob eine dieser Hypothesen allein, einige oder alle zusammen, oder noch andere eine Rolle spielen, ist nicht abschließend geklärt.

In Zusammenhang mit dem nachgewiesenen Anstieg der Erkrankungsfälle von Heuschnupfen, Asthma und Neurodermitis wird häufig auch von den Lebensmittelallergien behauptet, sie würden vermehrt auftreten. Dieses ist jedoch statistisch nicht erwiesen; es liegen zu wenig wissenschaftliche Untersuchungen dazu vor. Wenn man z.B. bedenkt, dass der heutige Warenkorb wesentlich umfangreicher ist als vor zwanzig, dreißig Jahren, so reagieren heute Menschen auf verschiedene Lebensmittel allergisch, worauf sie vor einigen Jahren nicht reagieren konnten, da die Lebensmittel auf dem europäischen Markt noch nicht erhältlich waren. Als Beispiele wären in diesem Zusammenhang die Kiwi oder das Sesam- bzw. Mohnbrötchen zu nennen.

Die Häufigkeit der Lebensmittelallergie wird, je nachdem aus welchem Land die Untersuchung stammt, mit 1 bis 10% der Gesamtbevölkerung angegeben. Dabei spielt das Ernährungsverhalten in den verschiedenen Ländern eine entscheidende Rolle. Weiterhin ist ein erheblicher Unterschied der Häufigkeit von Lebensmittelallergien bei Kindern und Erwachsenen zu verzeichnen. Erwachsene sind zu ca. 1-2% von einer Lebensmittelallergie betroffen, Kinder hingegen bis zu 10%. Bei bis zu 80% der Kinder verliert sich die Lebensmittelallergie in den ersten Lebensjahren wieder. Bei Säuglingen und Kleinkindern ist das Immunsystem noch nicht in dem Maße ausgebildet wie beim Erwachsenen. Auch eine höhere Darmdurchlässigkeit des Säuglings führt zu dem vermehrten Auftreten von Lebensmittelallergien.

Auf Grund dieser Tatsachen wird Müttern u.a. empfohlen, ihre Kinder nach Möglichkeit sechs Monate zu stillen. Da, wie bereits oben beschrieben, die Möglichkeit der Vererbbarkeit allergischer Erkrankungen und auch von Lebensmittelallergien vorhanden sein kann, wird den betroffenen Eltern ebenfalls angeraten, ihren Kindern hypoallergene Lebensmittel als Anfangsnahrung zu geben.

Lebensmittelallergie und Lebensmittelunverträglichkeit

Der Mensch kann vielfältige Unverträglichkeitsreaktionen auf Lebensmittel zeigen – aber nicht jede Unverträglichkeitsreaktion ist eine allergische Reaktion. Eine allergische Reaktion auf ein Lebensmittel liegt nur dann vor, wenn in dem Blut des Patienten Antikörper gegen das Lebensmittel nachzuweisen sind. Die Erkrankung an Lactoseintoleranz z.B., eine Unverträglichkeit von Milchzucker auf Grund des fehlenden Verdauungsenzyms Lactase, ist eine Unverträglichkeitsreaktion, keine Allergie. Der heftige Kopfschmerz nach dem Genuss eines aromatischen Käses, von Sardellen oder einigen Rotweinen wird durch eine im Lebensmittel während der Herstellung bzw. Reifung entstandene Verbindung, dem Histamin, hervorgerufen. Reaktionen auf derartige Verbindungen, die natürlicher Weise in einem Lebensmittel enthalten sein können bzw. bei der Herstellung oder Verarbeitung entstehen, lösen keine Lebensmittelallergien aus, sondern sind Unverträglichkeitsreaktionen.

Eine allergische Reaktion auf ein Lebensmittel wird durch die Reaktion der für das jeweilige Lebensmittel spezifischen Antikörper mit dem Eiweißanteil des Lebensmittels hervorgerufen. Es ist also das Protein bzw. Glykoprotein des Lebensmittels, das bei sensibilisierten Patienten eine allergische Reaktion hervorrufen kann.

Noch exakter ist es jedoch zu formulieren, dass nur ein gewisser Teil des Proteins, das sogenannte Epitop mit den Antikörpern reagiert. Das Protein eines Lebensmittels setzt sich aus einer für das jeweilige Lebensmittel charakteristischen Zusammensetzung von Aminosäuren zusammen. Es gibt 20 proteinogene Aminosäuren; ein Protein kann aus einer Aminosäurekette von wenigen bis zu ein- bis zweihundert Aminosäuren bestehen. Welche Aminosäuren in dem Protein enthalten sind und in welcher Reihenfolge, ist ein typisches Merkmal des Lebensmittels. Ein bzw. mehrere Teilabschnitte von ca. 8-10 Aminosäuren dieses spezifischen Lebensmittel-Proteins stellen die Epitope dar, die jeweiligen Angriffsstellen für die entsprechenden Antikörper und die Auslöser für die allergische Reaktion. Derartige Sequenzepitope sind in einem Lebensmittel sehr stabil und verändern sich auch nicht während üblicher lebensmitteltechnologischer und küchentechnischer Bearbeitungen bei der Herstellung und Zubereitung eines Lebensmittels.

Anders kann dieses jedoch bei Konformationsepitopen sein. Hier wird die Reihenfolge der Aminosäuren, die als Zusammenstellung mit dem Antikörper reagieren, nicht durch die Sequenz bestimmt, sondern durch die räumliche Anordnung des Aminosäurestranges. Es handelt sich meist um definiert knäuelartig aufgebaute Proteine, so dass nur bestimmte Aminosäure-Kettenabschnitte, die nach außen gerichtet sind und beieinanderliegen, ein Epitop darstellen können. Diese Konformationsepitope eines Lebensmittels können durch technologische Bearbeitung des Lebensmittels zerstört werden. So gibt es Lebensmittel, die z.B. nach einer teilweise nur kurzen Erhitzung ihre allergene Wirkung verlieren.

Eine Lebensmittelallergie kann sich durch Beschwerden verschiedener Organe äußern. Dazu zählen Haut und Schleimhäute mit Rötungen und Schwellungen – im Mundbereich auch orales Allergiesyndrom genannt -, Irritationen des Respirationstraktes wie z.B. Rhinokonjunktivitis oder Asthma bronchiale, Erbrechen und Diarrhoe als beispielhafte Äußerungen des Gastrointestinaltraktes und Kreislaufprobleme bis zum anaphylaktischen Schock als Beschwerden am kardiovaskulären System.

Durch eine intensive Anamnese, Befragung des Patienten zu den Krankheitssymptomen, welche Lebensmittel verdächtigt werden, welcher Zeitraum zwischen der Aufnahme des Lebensmittels und dem Auftreten der Symptome liegt, welche körperlichen Anstrengungen zusätzlich vorgelegen haben, und darauffolgende Hauttests sowie verschiedene Eliminations- und Provokationsdiäten mit den vermuteten Lebensmitteln, wie auch klinischen Labortestungen mit dem Blut des Patienten, kann eine Lebensmittelallergie eindeutig diagnostiziert werden.

Bei diesen Testungen kann sich aber auch herausstellen, dass die oben beschriebenen Reaktionen des Körpers nicht von einem Lebensmittel bzw. seinem Protein ausgelöst werden, sondern dass das Krankheitsbild durch die Aufnahme wesentlich kleinerer chemischer Verbindungen, als Proteine es sind, und die auch von ihrem chemischen Aufbau und ihrer chemischen Struktur mit Proteinen nichts gemeinsam haben, hervorgerufen wird. In diesen Fällen können keine Antikörper im Blut des Patienten nachgewiesen werden; es liegt keine immunvermittelte Reaktion des Körpers vor. Bei derartigen Erkrankungen spricht man auf Grund gleicher Krankheitssymptome wie bei der Allergie von einer Pseudoallergie, es ist keine Allergie.

Eine Therapie einer Lebensmittelallergie ist bisher nicht möglich. Dem Patienten bleibt im sichersten Fall nur die Möglichkeit, die Lebensmittel, auf die er allergisch reagiert, zu meiden.

Allergieauslösende Lebensmittel

Die beiden folgenden Tabellen beschreiben die Häufigkeit von Lebensmittelallergien bei Erwachsenen und Kindern und umfassen die wichtigsten Lebensmittel, gegen die allergene Reaktionen beobachtet werden. In beiden Fällen wurden als Grundgesamtheit eindeutig nachgewiesene Lebensmittelallergie-Patienten ausgewählt, die teilweise Mehrfachreaktionen auf verschiedene Lebensmittel zeigen. Zum einen ersieht man aus den Tabellen die regionale Abhängigkeit der Untersuchung und zum anderen die Verlagerung der Häufigkeit der allergischen Reaktion auf verschiedene Lebensmittelgruppen vom Kind zum Erwachsenen.

Häufigkeit von Lebensmittelallergien bei Erwachsenen: Klinische Studie von 402 Patienten mit gesicherter Lebensmittelallergie

Sellerie

42.8%

Bohne

3.5%

Milch/Milch-
produkte

16.4%

Kartoffel

2.7%

Karotte

13.2%

Weizen/
Roggen

2.5%

Hühnerei

11.9%

Haselnuss

2.5%

Fleisch

8.2%

Walnuss

2.0%

Fisch

7.2%

Mandel

1.7%

Paprika/
Chillies

5.7%

Zitrusfrüchte

1.7%

Schalentiere

5.2%

Apfel/Kiwi

1.5%

Curry

4.5%

Tomate

1.5%

Petersilie

4.5%

Erdnuss

1.5%

(B. Wüthrich: Zur Nahrungsmittelallergie – Häufigkeit der Symptome und der allergieauslösenden Nahrungsmittel bei 402 Patienten, Allergologie 1993, 16, S. 280-287)

Die regionale Abhängigkeit von Lebensmittelallergie-Häufigkeiten ist in der Studie von Wüthrich zu erkennen. In der Schweiz ist das Vorkommen von Sellerieallergien besonders erhöht, da es hier eine hohe Zahl von Pollenallergikern gibt, die auf Sellerie eine Kreuzreaktion zeigen.

Von einer Kreuzreaktion spricht man, wenn ein Allergie-Patient gegen verschiedene Lebensmittel, die botanisch verwandt sein können, aber nicht müssen, eine allergene Reaktion zeigt oder der Patient sowohl auf ein Lebensmittel allergisch reagiert als auch eine Pollenallergie besitzt. Die Kreuzreaktion entsteht durch identische Epitope, identische Aminosäuresequenzen in den Proteinen der Lebensmittel und Pollen. Derartige pollenassoziierte Lebensmittelallergien treten z.B. für Birkenpollen einerseits und Nüsse wie Haselnuss und Mandel, Kern- und Steinobst wie Apfel, Birne, Kirsche und Pflaume, Gemüse wie Karotte und Sellerie und exotische Früchte wie Kiwi andererseits auf. Weiterhin sind pollenassoziierte Lebensmittelallergien zu Gräser- und Beifußpollen bekannt.

Häufigkeit von Lebensmittelallergien bei Kindern: Klinische Studie von 355 Patienten mit gesicherter Lebensmittelallergie

Hühnerei

34%

Andere Gemüse

7.6%

Fisch

30%

Schalentiere

6.8%

Milch/Milch-
produkte

24%

Fleisch

3.4%

Früchte

21%

Getreide

1.1%

Hülsenfrüchte

19%

Kakao

0.3%

(J.F. Crespo, C. Pascual, A.W. Burks, R.M. Helm, M.M. Esteban: Frequency of an food allergy in a pediatric population from Spain. Pediatric Allergy Immunology 1995, 6, S. 39-43)

Bei Kindern zählen Kuhmilch, Eier, Fisch, Früchte und Leguminosen (Hülsenfrüchte wie Soja und Erdnuss) zu den wichtigsten Lebensmitteln, die Allergien auslösen. Beim Erwachsenen liegen die Zahlen für diese Lebensmittel niedriger, teilweise erheblich.

Bei den Zahlen, die die Häufigkeiten von Lebensmittelallergien angeben, sollte man auf keinen Fall außer Betracht lassen, dass für einige Lebensmittel die Häufigkeit der allergenen Wirkung eventuell sehr hoch liegt, die allergischen Reaktionen sich jedoch in einem relativ gemäßigtem Rahmen bewegen. Für andere Lebensmittel, die zwar selten eine allergische Reaktion auslösen, kann jedoch diese dann tödlich verlaufen. Dafür ist die Erdnuss das bekannteste Beispiel. Die Häufigkeit der Erdnussallergie ist zwar relativ gering, es kann aber beim Auftreten einer allergischen Reaktion sehr schnell zum anaphylaktischen Schock kommen und der Tod eintreten.

In der Diskussion um Lebensmittelallergien und auch der Kennzeichnung von Lebensmittelzutaten und Inhaltsstoffen ist es sehr wichtig, neben der Häufigkeit der allergischen Reaktion auf ein Lebensmittel auch den Schweregrad der allergischen Reaktion zu berücksichtigen.

Autorin

Dr. Angelika Paschke-Kratzin ist Lebensmittelchemikerin an der Universität Hamburg, Institut für Biochemie und Lebensmittelchemie, Abteilung Lebensmittelchemie.

Kontakt

Dr. Angelika Paschke-Kratzin
Universität Hamburg, Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften, Fachbereich Chemie
Institut für Lebensmittelchemie
Grindelallee 117
20146 Hamburg

Erstellt am 12. Juni 2001, zuletzt geändert am 16. Juli 2013

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