Hüftdysplasie und angeborene Hüftluxation

Dr. med. Jochen Jung und  Dr. med. Michael Dienst

Bei Ihrem Kind wurde von Ihrem Arzt eine Hüftdysplasie (= Hüftreifungsstörung) oder eine angeborene Hüftluxation (= Ausrenken des Hüftgelenks) festgestellt? Oft bleibt im Klinikstress den Ärzten nicht genügend Zeit, Ihnen das Krankheitsbild in allen Details zu erklären. Nicht selten ergeben sich auch erst später Fragen zum Krankheitsbild und zu den Behandlungsmöglichkeiten.

Die folgenden Ausführungen sollen Ihnen die Krankheitsbilder Hüftdysplasie und Hüftluxation näher bringen, Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten aufzeigen und folgende Fragen beantworten:

Was ist eine Hüftdysplasie?

Man unterteilt drei Schweregrade:

  1. Hüftreifungsverzögerung (Dysplasie)

  2. Inkomplette Hüftausrenkung (Subluxation)

  3. Komplette Hüftausrenkung (Luxation)
     

1. Hüftreifungsverzögerung (Hüftdysplasie)

Die Hüftdysplasie kommt bei etwa 3 von 100 Kindern vor und ist somit eine häufige Erkrankung des Neugeborenen. Durch das mangelnde Wachstum der Hüftpfanne ist das Hüftdach zu steil und/oder zu klein angelegt. Als Folge dieser Fehlbildung wird der Hüftkopf nicht richtig überdacht (sog. “Containment” ), und das Hüftgelenk droht auszurenken.

2. Inkomplette Hüftausrenkung (Subluxation)

Bei der inkompletten Hüftausrenkung ( “Subluxation” ) steht der Hüftkopf nicht mehr richtig im Gelenk; er ist jedoch noch nicht vollständig ausgerenkt. In diesem Zustand droht das Gelenk vollständig auszurenken oder zumindest in eine Fehlform zu wachsen. Dies führt in der Regel zu einem sehr frühzeitigen Verschleiß des Hüftgelenks.

3. komplette Hüftausrenkung (Luxation)

Bei der kompletten Ausrenkung des Hüftgelenks ( “Luxation” ) ist der Hüftkopf komplett aus der Hüftpfanne ausgerenkt. Diese Form stellt die schwerste Form dar, ist aber mit etwa 0,2% der Fälle relativ selten. Mädchen sind wesentlich häufiger betroffen als Jungen (ca. 6mal häufiger). In der Regel ist bei dieser Form die Hüftpfanne nur sehr ungenügend ausgebildet und kann den Hüftkopf nicht halten.

Wie erkennt man die Hüftdysplasie?

Seit 1996 ist die Untersuchung auf Hüftdysplasie und Hüftluxation fester Bestandteil der U3 Untersuchung (6 Wochen nach Geburt). Diese kostenlose Untersuchung sollten Sie unbedingt wahrnehmen, um sicherzustellen, dass Ihr Kind keine Hüftdysplasie hat. Eine Frühdiagnose ist entscheidend, da die Heilungschancen umso besser sind, je früher die Erkrankung erkannt wird. Insbesondere dann, wenn in Ihrer Familie Hüftleiden bekannt sind oder Ihr Kind durch einen Kaiserschnitt bei Beckenend- oder Steißlage zur Welt gebracht wurde, ist das Risiko für eine Hüftdysplasie bei Ihrem Kind erhöht. In solchen Fällen sollten Sie besonders auf das Ergebnis der Untersuchung achten.

Die Standarduntersuchung beinhaltet eine körperliche Untersuchung, während der Ihr Arzt die Beweglichkeit der Hüftgelenke (Abspreizhemmung), die Beinlänge (Faltenasymmetrie) und die Stabilität der Hüftgelenke (sog. Ortholani Zeichen) überprüft.

Es folgt eine Ultraschalluntersuchung der Hüfte, welche für Ihr Kind schmerzfrei und ohne gefährliche Strahlung ist. Die Ultraschalluntersuchung der Hüfte stellt die sicherste Methode zur Untersuchung der Hüftgelenke bei Säuglingen dar. Sie wurde von Prof. Graf (Stolzalpe, Österreich) in den 1980er Jahren entwickelt. Zur Ultraschalluntersuchung wird Ihr Kind in eine U-förmige Schale gelegt. Dann wird ein spezielles Gel auf die Hüfte aufgetragen. Anschließend untersucht der Arzt mit Hilfe des Ultraschallgerätes nacheinander beide Hüften. Dabei werden je Hüftgelenk zwei Ultraschallbilder erstellt. Diese Bilder werden anschließend vermessen; es werden zwei Winkel bestimmt (Alpha- und Beta-Winkel), nach denen jeder Hüfte ein Typ zugeordnet wird. Je nach Typ bzw. Ergebnis wird eine gezielte Behandlung eingeleitet:

Typ

Alpha-Winkel

Beta-Winkel

 Therapie

Ia  (reife Hüfte)

größer als 60°

kleiner als 55°

keine Therapie

Ib  (reife Hüfte)

größer als 60°

größer als 55°

 keine Therapie

IIa

Beginnende (physiologische) Verknöcherungsverzögerung

IIa (+) altersgemäß

50° – 59°

größer als 55°

keine Therapie, aber Kontrolle nötig

IIa (-) (bis 3. Lebensmonat) mit Reifungsdefizit

50° – 59°

größer als 55°

Kontrolle in Grenzfällen, gewöhnlich Abspreizbehandlung

IIb (nach 3. Lebensmonat) “echte” Verknöcherungsverzögerung

50° – 59°

größer als 55°

Abspreizbehandlung

IIc (jedes Lebensalter) kritische oder gefährdete Hüfte

43° – 49°

kleiner als 77°

sofort Therapie mit Spreizhose oder Spreizschiene (werden unbehandelt schlechter)

D (jedes Lebensalter) Hüfte am Dezentrieren

43° – 49°

größer als 77°

sofort Therapie, sichere Ruhigstellung nötig (z.B. Fettweis-Hüftgips)

Dezentrierte Gelenke

IIIa (ohne Strukturstörung am Knorpel)

kleiner als 43°

größer als 77°

sofort Therapie, Klinikeinweisung, Einrenkung

IIIb (mit Strukturstörung am Knorpel)

kleiner als 43°

größer als 77°

siehe unter IIIa, gute Kopf- und Tiefeinstellung notwendig

IV

kleiner als 43°

größer als 77°

sofort Therapie, Klinikeinweisung, Einrenkung (Reposition)

Die Röntgenuntersuchung der Hüften steht zunächst noch im Hintergrund: Kurz nach der Geburt besteht ein großer Teil des Hüftgelenks aus Knorpel, der im Röntgenbild nicht zur Darstellung kommt. Mit zunehmendem Alter verliert die Ultraschalluntersuchung an Sicherheit, und die Röntgenuntersuchung löst sie ab. So haben die Verknöcherungen nach etwa 9 Monaten so stark zugenommen, dass eine Ultraschalluntersuchung keine zuverlässigen Ergebnisse mehr liefert. Die Kernspintomographie (MRT) spielt bei der Hüftdysplasie nur bei Spezialfällen wie bei komplizierten Verläufen während der Behandlungskontrolle eine Rolle.

Wie wird die Hüftdysplasie behandelt?

Ziel der Behandlung ist die Entlastung des noch knorpelig angelegt Hüftdachs, um ein ungehindertes Nachreifen des Hüftdachs zu fördern. Als Grundsatz gilt, dass die Früherkennung entscheidend ist:

  • Die Heilungschance ist umso besser, je früher mit der Therapie begonnen wird!
  • Die Behandlungszeit ist umso kürzer, je früher mit der Therapie begonnen wird!

Je nach Hüfttyp (siehe Tabelle) ergibt sich eine unterschiedliche Behandlung, die umso länger dauert, je schlechter ausgeprägt die Dysplasie ist. Bei leichteren Formen reicht in der Regel eine Abspreizbehandlung aus, um ein Nachreifen des Pfannendaches zu ermöglichen ( “Breites Wickeln” , “Spreizhose” ). Der Hüftkopf wird dabei wieder in die “Pfanne” hineingedrückt ( “Zentrierung” ), wodurch diese nachreifen kann. Der Behandlungserfolg wird durch regelmäßige Ultraschalluntersuchungen kontrolliert, bei leichteren Formen in der Regel alle 4 bis 6 Wochen. Anhand des Verlaufs im Ultraschall legt der Arzt die weitere Behandlungsdauer fest.

Bei schwereren Formen ( “Subluxation” , “Luxation” , Typen D, III-IV) reicht eine solche Behandlung nicht aus. Hier muss das Gelenk “eingerenkt” ( “Reposition” ) und anschließend ruhig gestellt werden. Hierfür gibt es je nach Alter des Neugeborenen und Hüfttyp unterschiedliche Therapiealternativen, von denen individuell eine oder mehrere in Kombination erforderlich sind. Hierzu gehören eine “Zugbehandlung” über einige Tage bis wenige Wochen (“Overhead-Extension”), eine besondere Orthesenbehandlung wie die sog. “Pavlik-Bandage” oder “Tübinger Hüftschiene”. Nicht selten muss das Hüftgelenk in solchen Fällen, z.B. nach einer “Zugbehandlung” , in einem Gips (z.B. “Fettweis-Gips”) über einen mehrwöchigen Zeitraum stabilisiert werden.

Extension

Extension

 

Gesundheit Hueftdysplasie-tuebinger2

Tübinger Hüftschiene

Gesundheit Fettweisgips

Fettweis-Gips

Gelegentlich lässt sich die Hüfte auch mit diesen Maßnahmen nicht einrenken, sodass überprüft werden muss, ob es im Gelenk ein Hindernis für das Einrenken gibt. Hierzu wird eine Arthrographie durchgeführt, d.h. das Gelenk unter Narkose mit Kontrastmittel dargestellt. Man kann so überprüfen, ob im Gelenk z.B. entzündlich verdicktes Gewebe liegt, was das Einrenken des Hüftkopfes hindert. In solchen Fällen ist eine so genannte “offene Einstellung” notwendig: Im Rahmen einer Operation wird das Gelenk eröffnet, “störendes” Gewebe entfernt und der Hüftkopf wieder in die Pfanne eingerenkt.

Sollte bei der Arthrographie kein Hindernis für das Einrenken gefunden werden, kann der Arzt durch die Gelenkdarstellung mit Kontrastmittel besser beurteilen, in welcher Position die Hüfte eingerenkt und stabil ist. Das Gelenk wird dann, mit oder ohne Operation, in der eingerenkten Position für 4 – 8 Wochen eingegipst. In solchen Fällen wird anschließend eine Kernspintomographie durchgeführt, um die korrekte Position des Gelenks im Gips zu kontrollieren. Nach Entfernen des Gipses schließt sich nochmals eine Spreizhosen- oder Schienenbehandlung an.

Praktische Hinweise zur Gipsbehandlung: Einem Kind im Gips sollte man am zweckmäßigsten einen Body mit Knöpfen im Schritt und gegebenenfalls eine weite Hose anziehen. Die Füße sind mit entsprechend dickeren Söckchen in der Regel ausreichend geschützt. Die Beine sind durch den Gips in der Regel völlig ausreichend gewärmt. Nur bei extremer Kälte sollte noch ein Schlafsack darüber gezogen werden. Der Transport des Kindes im üblichen Kinderwagen ist ab einer bestimmten Größe meist nicht mehr möglich. Es gibt spezielle Kinderwagen, die sich in der Breite verstellen lassen. Eine Anfrage bei der Krankenkasse kann hier sehr lohnenswert sein. Alternativ kann auch ein Zwillingskinderwagen benutzt werden. Viel schwieriger gestaltet sich der Transport im Auto. Nur wenige Kindersitze sind geeignet. Einen speziellen Spreizkindersitz gibt es nur von einer Firma und der ist mit ca. 450 EUR recht teuer. Durch Unterlagerung eines Kissens oder eines Keils (z.B. aus Styropor) in Kombination mit einem niedrig ausgeformten Sitz lässt sich manchmal eine preisgünstige Alternative herstellen.
Autoren

Dr. med. Jochen Jung und Dr. med. Michael Dienst sind an der Orthopädischen Universitätsklinik Homburg/Saar tätig.

Kontakt

Dr. med. Jochen Jung / Dr. med. Michael Dienst
Kinderorthopädische Spezialsprechstunde
Orthopädische Universitätsklinik
66421 Homburg/Saar

Tel.: 06841/1624520
Fax: 06841/1624580

Website
 

Erstellt am 21. Oktober 2004, zuletzt geändert am 11. Oktober 2011

Staatsinstitut für Frühpädagogik und Medienkompetenz
Logo: Staatsinstitut für Frühpädagogik und Medienkompetenz