Digitale Medien in der frühen Bildung: „Ein Werkzeug im Bildungsprozess“

Interview mit Eva Reichert-Garschhammer
Bild Reichert Garschhammer
 

Lässt sich schon im Kindergartenalter Medienkompetenz erlernen? Eva Reichert-Garschhammer meint ja. Die stellvertretende Direktorin des Staatsinstituts für Frühpädagogik München begreift digitales Lernen als Chance für den Kita-Alltag.

Frau Reichert-Garschhammer, wann und wie macht der Einsatz digitaler Medien in der Kita Sinn?
Kinder wachsen heute bereits zuhause in eine digitalisierte Lebenswelt hinein. Die intuitiv bedienbare Oberfläche von Tablet und Smartphone macht es für sie leicht, die digitale Welt zu erobern. Ihre Medienerlebnisse und -themen bringen Kinder dann auch im Kita-Alltag aktiv in ihre Spiele, Erzählungen und künstlerischen Werke ein.

Diese Situation gilt es als pädagogische Chance zu verstehen, die das Kind mit seinen Bedürfnissen, Interessen und Kompetenzen ins Zentrum stellt. Beim sinnvollen Einsatz digitaler Medien in der Kita geht es keinesfalls um ein Mehr an Medienkonsum. Es geht darum, dass die Kinder digitale Medien als vielseitig verwendbare Informations-, Kommunikations-, Gestaltungs- und Lernmittel neben anderen kennen und kompetent nutzen lernen. Geräte wie Digitalkamera, Tonaufnahmegerät, Tablet und Beamer sowie Kindersuchmaschinen und Apps für Kinder können in der Kita sinnvoll genutzt werden. Bei einem pädagogisch durchdachten Einsatz erweitern digitale Medien, vor allem Tablets mit ihrer mobilen Multifunktionalität und einfachen Handhabung, die pädagogischen Gestaltungsmöglichkeiten, schaffen neue interaktive Spiel- und Lernformen, erleichtern es, mit Kindern eigene Medienprodukte herzustellen und Bildungsprozesse zu dokumentieren.

Wesentlich ist, dass die Eltern als wichtigster Bildungspartner aktiv einbezogen werden und die Mediennutzung von Fachkräften pädagogisch begleitet wird. Die direkte Interaktion mit den Kindern muss im Mittelpunkt stehen.

Sehen Sie auch Grenzen für den Umgang mit digitalen Medien in der Kita?
Die Nutzung digitaler Medien versteht sich als ein ergänzendes Angebot mit Mehrwert, das andere Elemente im Kita-Alltag nicht verdrängt. Die eigentlichen Grenzen bestehen derzeit darin, dass Medienbildung in der Kitapraxis trotz ihrer Verankerung in den Bildungsplänen bislang keinen hohen Stellenwert einnimmt.

Bei der digitalen Bildung in der Kita besteht ein sehr hoher Forschungs- und konzeptioneller Entwicklungsbedarf. Der pädagogisch verantwortete und kreative Einsatz von Tablets im Kitalltag ist für die meisten pädagogischen Fachkräfte Neuland, so dass nicht nur in die Ausstattung mit technischen Endgeräten, sondern vor allem auch die entsprechende Qualifizierung und Unterstützung des pädagogischen Personals eine weitere zu bewältigende bildungspolitische Herausforderung ist.

Ist Medienkompetenz inzwischen schon eine Art Bildungsziel der Kita?
Politisch ist das schon länger so gewollt: 2004 entschieden die Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK) und die Kultusministerkonferenz (KMK), dass nicht nur Medien-, sondern auch informationstechnische Bildung zu den Aufgaben früher Bildung in Kitas zählt. In den meisten Ländern wurde dieses Bildungsziel daher auch im Bildungsplan verankert. Digitale Bildung in der Kita entwickelt Medienbildung weiter. Sie zielt darauf ab, es Kindern entwicklungsangemessen zu ermöglichen, sich in der digitalen Welt zurechtzufinden – und allen Kindern diese Chance zu eröffnen. Der in der KMK-Strategie vom 08. Dezember 2016 enthaltene Rahmen „Kompetenzen in der digitalen Welt“ geht davon aus, dass der kompetente Umgang mit digitalen Medien neben Lesen, Schreiben und Rechnen eine vierte Kulturtechnik darstellt und für eine gleichberechtige gesellschaftliche Teilhabe unverzichtbar geworden ist. Der Kompetenzrahmen umfasst sechs ineinander greifende Kompetenzbereiche, die aus Sicht der Fachwelt auch für die frühkindliche Bildung bedeutsam sind: Suchen, Verarbeiten und Aufbewahren, Kommunizieren und Kooperieren, Produzieren und Präsentieren, Schützen und Sicher Agieren, Problemlösen und Handeln, Analysieren und Reflektieren. Kinder entwickeln diese digitalen Kompetenzen am besten über eigene Erfahrungen mit digitalen Medien. In der Kita sind sie ein Werkzeug im Bildungsprozess. Dort bieten sich viele Gelegenheiten, digitale Medien als nützliches Recherche-, Problemlöse- und Dokumentationsinstrument kreativ zu nutzen. Digitale Medien sind vor allem auch Werkzeuge, mit deren Hilfe man etwas gestalten, erstellen, erzeugen kann, so z.B. auch Bilderbücher, Hörspiele oder Kurzfilme, in denen Kinder ihre eigene Ideen und Geschichten zum Ausdruck bringen.

Wie sensibilisiert man Kinder auch für die Grenzen und Gefahren digitaler Medien?
Die bewusste und aktive Nutzung ermöglicht es, mit Kindern über digitale Medien, deren Bedeutung, Einsatzmöglichkeiten, Inhalte und Wirkungen ins Gespräch zu kommen. Aber auch die Wichtigkeit, diese Geräte wieder auszuschalten, um ausreichend Zeit für Bewegung und andere Spielmöglichkeiten zu haben, ist dabei anzusprechen. Beim gemeinsamen Spielen und Forschen mit Tablets findet ein reger inhaltlicher Austausch der Kinder untereinander und mit der Fachkraft statt. Kinder lernen Medieninhalte zu beurteilen, wenn sie beispielsweise an deren Auswahl beteiligt und Vergleiche angestellt werden oder in der Kita das Ritual eingeführt wird, mit den Kindern Bilderbuch-Apps zu bewerten und die Beste als „App des Monats“ allen Familien mittels Kitaaushang zu empfehlen. Bereits junge Kinder sind darin zu unterstützen, zu lernen, im Netz drohende Gefahren zu erkennen. Die österreichische Handreichung „Safer Internet im Kindergarten“ gibt erste Tipps: Die aktive Mediennutzung in der Kita bietet viele Anknüpfungspunkte, mit Kindern Gespräche über Sicherheitsthemen im Internet zu führen, wie sie Hilfe holen, mit Gefühlen umgehen, eigene Grenzen einschätzen, mit eigenen Passwörtern umgehen sowie das Recht am eigenen Bild oder das Urheberrecht kennenlernen. Sie ermöglicht auch, mit Kindern Regeln über die Mediennutzung aufzustellen und sie in ihrem Bewusstsein zu stärken, was gute und schlechte Medieninhalte sind.

Durch solche Herangehensweisen legt frühe Bildung den Grundstein für eine sichere und verantwortungsvolle Internetnutzung. Dann entwickeln bereits junge Kinder Kompetenzen, die für sie später in problematischen Situationen im Netz hilfreich sind. Bevor jedoch Tablets in Kinderhand gegeben werden, sind die von Fachleuten empfohlenen Sicherheitsvorkehrungen und eine Vorauswahl geeigneter Medieninhalte zu treffen.

Quelle

Das Interview wurde von Anika Wacker geführt und wird hier mit freundlicher Genehmigung übernommen.

Erstveröffentlichung am 16.01.2017 auf bildungsklick.de

eingestellt am 19. Januar 2017

Staatsinstitut für Frühpädagogik und Medienkompetenz
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