Gegen Prüfungsangst kann man viel machen - Interview mit Prof. Anne Frenzel

Woher kommt unsere Angst vor Prüfungen und was können Schüler, Studierende und Lehrer sowie Dozenten dagegen tun? Ein Interview mit LMU-Professorin Anne Frenzel vom Lehrstuhl Psychology in the Learning Sciences.

Wie erkennt man Prüfungsangst und wie unterscheide ich sie von normaler Nervosität vor Prüfungen?

Professorin Anne Frenzel: Das ist eine ganz subjektive Definition. Es gibt Studierende, die in Schweiß ausbrechen und trotzdem sagen: „Naja, so ist das eben bei Prüfungen.“ Andere haben nur leise Zweifel und sagen: „Das halte ich nicht aus.“ Prüfungsangst ist es immer dann, wenn es für die Betroffenen zur Belastung wird, sie sich selbst in ihrem Wohlbefinden und in ihrer Leistungsfähigkeit stark beeinträchtigt fühlen. Dann sollte man sich auch Hilfe bei einem Therapeuten suchen - etwa bei der psychosozialen Beratungsstelle des Studentenwerks München oder der psychotherapeutischen Ambulanz der AVM.

Wie verbreitet ist Prüfungsangst?

Sie tritt sehr häufig auf. Schon Einstein hatte schwere Prüfungsangst. In den USA gibt es Daten, die zeigen, dass die Prüfungsangst in den vergangenen Jahren zugenommen hat und zwar einfach dadurch, dass mehr geprüft wird. Das heißt aber nicht, dass Studierende mehr Angst vor der einzelnen Prüfung entwickelt hätten.

Woher kommt die Angst vor Prüfungen?

Man bekommt dann Angst, wenn man der Überzeugung ist, dass der Misserfolg und mögliche Folgen davon furchtbar bedeutsam sind und man keine Kontrolle darüber hat, diesen drohenden Misserfolg abzuwenden. Diese Angst entfaltet sich in der Regel schon während des Lernens. Das ist eine dumme Ausgeburt der menschlichen Psyche: Angst war im Laufe der Evolution eine gute Sache. Es war gut, dass man in der Savanne vor der Schlange davonlief. Und auch gut, sich daran zu erinnern und schon bei der Vorstellung an die Stelle, wo das passiert war, wieder Angst bekommen hat – so hat man diese Stelle klugerweise vermieden. Eigentlich eine tolle menschliche Leistung und etwas, das andere Lebewesen wie beispielweise Ameisen nicht können. Ameisen kehren immer in die Höhle des Ameisenbärs zurück. Sie können ihr Verhalten nicht präventiv anpassen, weil sie sich nicht erinnern – und haben keine Angst vor vorgestellten Ereignissen!

Bei Prüfungen passiert ähnliches wie in der Savanne. Doch weil Prüfungen gar keine echte physische Bedrohung sind, ist diese Angst nicht mehr funktional. Ursache von Prüfungsangst ist meist wiederholter Misserfolg. In der Forschung spricht man eigentlich gar nicht mehr pauschal von Prüfungsangst, sondern von konkreten sachspezifischen Misserfolgsängsten. In der Regel hat man in einem Fach wenig Selbstvertrauen und bereits viele Misserfolge erlebt. Das waren zum Beispiel die ersten 30 Fehler im Diktat eines Erstklässlers – eine Situation, die erst durch die Folgen schlimm wurde; etwa durch entsetzte Reaktionen der Eltern – was für viele Kinder sich oft wie ein Liebesentzug anfühlt. Die Prüfung ist nun als Gefahrensituation verbucht und es entfalten sich Angstkaskaden, sobald man sich diese bedrohliche Situation erneut bewusst macht. Noch einen zweiten Reflex haben wir mit unseren Vorfahren in der Savanne gemein: Wir flüchten vor dieser Situation oder versuchen sie zu vermeiden – in der Prüfungssituation bedeutet das oft, dass man das Lernen auf die entsprechende Prüfung auf die letzte Minute verschiebt, was natürlich ungünstig ist – Stichwort Prokrastination.

Das Lernen aufzuschieben ist sicher keine gute Lösung. Wie kann man der Prüfungsangst entgegentreten?

Gegen Prüfungsangst kann man ganz viel machen. Sie hat die beste Prognose aller psychischen Beeinträchtigungen. Als sehr wirksam haben sich sogenannte kognitive Ansätze erwiesen. Sie beruhen darauf, Gedanken, die um die möglichen, fürchterlichen Konsequenzen des Misserfolgs kreisen, umzustrukturieren: sich bewusst machen, dass die Konsequenzen vielleicht doch nicht so schlimm sind, wie man sich das immer ausmalt. Das hilft enorm. Ein weiterer Tipp: seine Gedanken umlenken. Anstatt daran zu denken, was ich nicht kann, sollte ich daran denken, was ich kann. Wenn man zum Beispiel versucht, nicht an kleine weiße Mäuse zu denken – schon sind die kleinen weißen Mäuse da. Denkt man stattdessen an einen großen, grauen Elefanten, ist der Elefant da – und die Maus ist weg. Genauso kann man der Prüfungsangst begegnen. Wenn man in einem Gefängnis der Angst sitzt, richten sich die Gendanken nur auf das, was nicht eintreten soll. Leider führt das verrückterweise oft dazu, dass genau das dann dummerweise doch eintritt – wenn man zum Beispiel dauernd denkt „Bestimmt kriege ich kein Wort heraus in der Prüfung“, kommt man tatsächlich ins Stottern. Wenn man seine Gedanken jedoch auf das richtet, was eintreten soll – „Erst mal werde ich den Prüfer grüßen und ihm die Hand geben“ – , gelingt es auch eher. Sehr hilfreich ist es auch, das Problem direkt anzugehen und Nachhilfe im entsprechenden Fach zu nehmen. So hat man im besten Falle wirklich keinen Grund mehr, Prüfungsangst zu haben.

Wie lernt man denn besser?

Zunächst würde ich gern ein paar Beispiele dazu bringen, welche Lernstrategien nicht sinnvoll sind, was viele aber gar nicht wissen: etwa wiederholtes Lesen oder das exzessive Unterstreichen und Markieren von Texten. Viel sinnvoller ist dagegen ein gutes Zeitmanagement. Doch das widerspricht natürlich unserem ersten Impuls, dieses blöde Fach einfach mal liegen zu lassen. Das sogenannte verteilte Lernen ist nachweislich super effektiv: Über drei Wochen jeden Tag eine Stunde zu lernen, bringt viel mehr, als drei Tage zehn Stunden am Stück zu lernen. Ein anderer Tipp ist, sich selbst zu prüfen: sich zum Beispiel selbst Fragen überlegen, mit Altklausuren arbeiten oder sich gegenseitig prüfen. Lernkarten, auf denen vorne eine Frage und hinten die Antwort steht, sind zum Beispiel sinnvoll. „Teaching to the test“ ist zwar gerade bei Lehrern verpönt, aber ich finde, es ist das gute Recht eines jeden Studenten, „studying to the test“ zu betreiben und sich möglichst passgenau genau auf die Prüfungen vorzubereiten. Bei all dem möchte ich trotzdem noch betonen: langfristig am wirksamsten ist natürlich trotzdem „verstehendes Lernen“ und spannende tiefergehende Diskussionen zu den Prüfungsthemen zu führen – das macht übrigens auch viel mehr Spaß als pures Auswendiglernen des Klausurstoffs.

Können Dozenten etwas dafür tun, dass die Prüfungssituation keine Ängste schürt?

Es ist ein Gerücht, dass Angst die Leistung steigern kann. An Schulen – aber auch an Universitäten – gibt es Kollegen, die glauben, man würde sich mit Angst mehr anstrengen. Gern wird dann behauptet, die Klausur werde besonders schwer, um die Lernenden zu „motivieren“. Stattdessen sollte ein Dozent dazu beitragen, dass die Prüfung als kontrollierbar und nicht überzogen wichtig erlebt wird. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn ganz präzise Aufgaben gestellt werden. Wenn es heißt „Definieren Sie A, diskutieren Sie B, fassen Sie C zusammen oder nennen Sie ein Beispiel“, dann wissen Studierende, was sie tun sollen – hingegen ist „Nehmen Sie Stellung A, B und C“ viel unpräziser. Zudem verstärken die Lehrenden häufig den negativen Wert eines Misserfolgs, indem sie sagen: Wenn ihr jetzt nicht lernt, fallt ihr durch, schafft den Abschluss nicht, werdet arbeitslos. Das erhöht die Prüfungsangst, jedoch nicht die Motivation und Leistungsfähigkeit von Schülern und Studenten. Dozenten können also sehr viel gegen Prüfungsangst tun. Und viele beschäftigen sich bereits mit dem Thema.

frenzelProfessorin Anne Frenzel ist Direktorin des Masterprogramms „Psychology in the Learning Sciences". Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf den Emotionen von Studierenden und Dozenten im Lernprozess.

 

Quelle

Ludwig-Maximilians-Universität München

eingestellt am 21. März 2017