„Blöde Kuh sagt man nicht“ – Schimpfwörter und ihre Wirkung auf Kinder und Eltern
Christina Zehetner
Schimpfwörter sind für Eltern oft ein heikles Thema, während Kindern die eigentliche Bedeutung dieser Wörter meist gar nicht bewusst ist. Es stellt sich schnell die Frage, warum Schimpfwörter überhaupt so faszinierend sind für Kinder? Der Artikel möchte dieser Frage nachgehen und zudem Möglichkeiten aufzeigen, wie Eltern in Bezug auf Schimpfwörter reagieren können.
Beispiele von Beschimpfungen und Abwertungen gibt es genug. Jeder von uns war vermutlich schon mehr als einmal in einer Situation, in der er entweder selbst Schimpfwörter benutzt hat oder mit Beschimpfungen konfrontiert worden ist. Dem Ausmaß und der Kraft der benutzten Wörter sind vom Vokabular her leider keine Grenzen gesetzt. Die oft gehörte „dumme Kuh“, die „doofe Ziege“ oder der „Blödmann“ gehören da leider fast schon zu den noch harmlosen Varianten von Schimpfwörtern. Wenn ältere Kinder dann ein Wort wie „Hurensohn“ gebrauchen, läuten bei Eltern und Lehrkräften zu Recht die Alarmglocken. Eine Auseinandersetzung über die Bedeutung des benutzten Wortes ist dann unumgänglich.
Allerdings sind Kinder in diesem Zusammenhang meist noch relativ unbedarft und verwenden Schimpfwörter aus reiner Neugierde, oder weil sie das Wort eben erst aufgeschnappt haben und sie dessen Wirkung gerne ausprobieren möchten. Sie hören Schimpfwörter von ihren Eltern, größeren Geschwistern, in Kindergarten und Schule oder auch in den Medien, im Fernseher oder bei Computerspielen. Kinder lernen dann oft erst im Laufe ihrer Entwicklung was diese Wörter eigentlich ausdrücken und welch abwertende oder auch diskriminierende Bedeutung mit manchen Wörtern verbunden ist.
Was macht Schimpfwörter für Kinder so faszinierend?
Für alle Eltern ist es mehr als süß mit anzuhören, wenn ihre Kinder die ersten Wörter sprechen. Eltern warten gespannt auf das erste „Mama“ und „Papa“. Eltern sind unglaublich stolz, wenn ihre kleine Lena oder der süße Julius neue Wörter ausprobieren oder entdecken. Ein paar Jahre später verfliegt der Reiz der neu entdeckten Wörter meist recht schnell. Spätestens dann, wenn die Kleinen aus dem Kindergarten kommen und ihrer Mutter zur Begrüßung frohgemut das Wort „Arschgeige“ entgegenschmettern. Jan-Uwe Rogge, ein bekannter Erziehungsexperte, schildert dieses Beispiel anschaulich und amüsant in einem seiner Vorträge. Er erklärt, dass es Kindern unter den Nägeln brennt, neue Ausdrücke auszuprobieren um zu sehen, wie Erwachsene und hier vor allem die Eltern darauf reagieren (1).
Kinder lernen einfach gerne Neues, Kinder naschen Schokolade aus verbotenen Schränken, Kinder finden vor allem die Schubladen toll, die sie auf keinen Fall öffnen dürfen und genau aus diesem Grund finden Kinder auch Schimpfwörter toll. Schimpfwörter sind umgeben von einer Aura des Verbotenen. Kinder spüren so etwas sehr schnell.
Zudem ruft die Benutzung eines „schlimmen Wortes“ immer eine Reaktion bei Erwachsenen hervor. Wenn ich als Kind ein Schimpfwort benutze und das möglichst laut und deutlich, habe ich mit Sicherheit sofort die vollste Aufmerksamkeit meiner Bezugspersonen. Das ist als Kind doch schon viel Wert oder? Dieser Ansicht ist auch Dr. Sylvia Schuster, Pressesprecherin des Bundesverbands der Kinder- und Jugendärzte Nordrhein. Sie geht davon aus, dass es Kinder sogar noch anstachelt, wenn Erwachsene auf die benutzten schlimmen Wörter geschockt reagieren. Kinder provozieren Erwachsene gerne mit Schimpfwörtern, auch oder gerade weil sie gar nicht wissen was diese Wörter bedeuten (2).
Manchmal sind Kinder aber auch müde, frustriert oder wütend und haben noch keine adäquate Möglichkeit ihre Wut zu kanalisieren. Dies kann passieren, wenn Eltern die spannende Kindersendung ausschalten oder ihre Kinder, welche meinen noch gar nicht müde zu sein, ins Bett bringen wollen. Kinder „schießen“ dann aus dem Affekt heraus. Ein „du blöde Kuh, Mama“ oder ein „Papa, ich finde dich scheiße“ ist dann leider schnell gesagt (3).
Egal aus welchen Gründen Kinder Schimpfwörter benutzen, die Reaktionen von Erwachsenen sind meist gleich: „Wo hast du diesen schlimmen Ausdruck her? „Blöde Kuh“ sagt man nicht! Das Wort „Scheiße“ will ich bei uns am Tisch nicht mehr hören“.
Diese zwar richtigen, aber eher vernunftgesteuerten Vorgaben von Erwachsenen stoßen bei Kindern meist auf taube Ohren oder stacheln sie sogar noch mehr an die Wörter zu benutzen. „Warum dürfen Erwachsene „Scheiße“ sagen und wir nicht?“ Malte im Kindergarten sagt das aber auch!“ „Papa schreit im Auto auch immer „Schwachkopf“ oder „du lahme Schnecke“ wenn einer zu langsam vor ihm fährt“.
Hier ist es wichtig, mit den Kindern ins Gespräch zu gehen und gemeinsam nach Alternativen und Ideen zu suchen, damit alle in der Familie auf den Gebrauch von Schimpfwörtern verzichten können.
Wie gehe ich in der Familie mit Schimpfwörtern um?
Wie so oft im Leben haben auch in Bezug auf Schimpfwörter die Eltern und andere enge Bezugspersonen eine wichtige Vorbildfunktion für Kinder inne. Das Motto „Wie ich in den Wald schreie hallt es auch zurück“ trifft hier vollends zu. Wenn Eltern zuhause, beim Autofahren oder im Umgang mit ihren Kindern selbst Schimpfwörter gebrauchen, dann dürfen sie sich nicht wundern, wenn ihre Kinder ihnen das gleich tun.
Daher ein erster und sehr wichtiger Tipp für Eltern:
Eigenes Verhalten überprüfen!
Überprüfen Sie sich selbst und beobachten Sie ihr Verhalten in Stresssituationen oder wenn Sie wütend sind einmal ganz genau. Kinder haben äußerst feine Antennen und Ohren, sie schnappen gerne alles von Erwachsenen auf. Seien Sie Ihren Kindern ein gutes Vorbild und vermeiden Sie selbst Schimpfwörter und unnötige Wutausbrüche.
Das ist schon ein großer Schritt in die richtige Richtung! Natürlich dürfen Sie emotional sein. Trotzdem ist es sinnvoll, die Grenzen, die Sie Ihren Kindern setzen, auch selbst zu beachten und einzuhalten.
Weitere Anregungen, die helfen, Schimpfwörter in der Familie zu vermeiden:
Notfallwörter erfinden!
Erfinden Sie zusammen mit ihren Kindern harmlose „Notfallwörter“. Gemeint sind lustige Wort-Alternativen, auf die man in der Familie zurückgreifen kann. Schon das gemeinsame Überlegen von Fantasiewörtern nimmt die Spannung und bringt Sie in Beziehung mit ihren Kindern. Das ist vor allem für kleinere Kinder eine gute Möglichkeit, auch einmal „Dampf abzulassen“. Viele lustige und harmlose Beispiele wie der „Fleckige Nachthemd-Quaker“, der „glupschäugige Couchkissen-Teufel“ oder der „langweilige Knalltüten-Lurch“ finden sich in dem Buch „Das verrückte Schimpfwörter-ABC“(4).
Kasse für Schimpfwörter einrichten!
Bei Schulkindern ist es eine gute Möglichkeit, eine Kasse für Schimpfwörter in der Familie einzurichten (5). Diese wird von den Kindern, aber auch von Eltern und Besuchern mit einem kleineren Geldbetrag gefüllt, sobald ein Schimpfwort fällt. Eine gute Motivation ist es hierbei, wenn Kinder dazu ihr Taschengeld opfern müssen. Der eigentliche Sinn hinter der Schimpfwörter-Kasse ist natürlich auch, sich die Benutzung von Schimpfwörtern überhaupt erst einmal bewusst zu machen.
Schimpf- und Wutzeit zulassen!
Sie könnten zusammen mit Ihren Kindern eine Art „Schimpf- bzw. Wutzeit“ einrichten. In diesen festgelegten 5 Minuten pro Tag darf einmal so richtig gewettert und Dampf abgelassen werden (6). Manchen Kindern tut das gut. Allerdings sollte sich die Wut dabei nicht auf Personen, sondern bestenfalls auf einen Sitz- oder Boxsack richten.
Fernsehschauen begleiten!
Eltern sollten ihre Kinder nicht alleine dem Fernsehprogramm überlassen. Kontrollieren Sie vor allem bei kleineren Kindern, welche Sendungen sie schauen. Setzen Sie sich auch ruhig mal mit ihrer oder ihrem Zehnjährigen aufs Sofa und überprüfen Sie bewusst, welcher Umgangston in Filmen oder Serien zwischen den jugendlichen Darstellern herrscht. Medien besitzen eine hohe Anziehungskraft auf Kinder und sie schauen sich davon doch so einiges ab. Meist leider mehr, als uns Erwachsenen lieb ist.
Keine große Aufmerksamkeit schenken!
Gerade bei Kindergartenkindern hilft es, den mitgebrachten Schimpfwörtern keine Beachtung zu schenken. Bleiben Sie ruhig, schimpfen oder lachen Sie nicht. Wenn Kinder keine Reaktion auf die von Ihnen benutzten Wörter erfahren, wird Ihnen zumindest zuhause der Gebrauch der Wörter schnell langweilig.
Über Diskriminierung und Abwertung auf jeden Fall sprechen!
Kinder schnappen immer wieder Wörter aus dem Bereich der Sexualität auf. Besonders häufig im Umlauf sind die sogenannten „F-Wörter“. Eltern machen sich oft große Sorgen, wenn ihre Kinder diese Wörter, meist ohne darüber nachzudenken, benutzen. Sprechen Sie mit Ihren Kindern darüber, dass diese Wörter besonders verletzend und abwertend sind. Falls Ihre Kinder älter sind, erklären Sie auch die Bedeutung dieser Wörter, auch wenn es Ihnen selbst und Ihren Kindern peinlich ist. Umso größer ist die Chance, dass Ihre Kinder diese Wörter dann nicht mehr benutzen. Machen Sie sich aber nicht allzu große Sorgen. Kinder, die in einem gesunden und stabilen Umfeld aufwachsen, verlieren meist schnell das Interesse an diesen Wörtern.
Bei jüngeren Kindern reicht es erst einmal zu besprechen, dass die Wörter wirklich schlimm sind und andere ganz schön verletzen können. Ihr Kind möchte sicher auch nicht, dass andere Kinder ihm gegenüber diese Wörter verwenden.
Auch diskriminierende Wörter wie „Behindi“ oder „Spasti“ zielen deutlich unter die „Gürtellinie“ und bringen Ihre Kinder bei Benutzung der Wörter langfristig selbst ins Abseits (7). Erklären Sie das Ihren Kindern und machen Sie ihnen deutlich, was diese Wörter eigentlich aussagen. Machen Sie Ihnen klar, wie Kinder sich fühlen, die wirklich gesundheitlich beeinträchtigt sind. Dulden Sie diese Wörter bei Ihnen zuhause auf keinen Fall. Hier hilft es nur durchgehend konsequent zu sein und darauf zu vertrauen, dass ihre Kinder im Laufe ihrer Entwicklung für diese Wörter sensibel werden. Gleiches gilt für Wörter aus dem Fäkalbereich.
Zum guten Schluss:
Denken Sie immer daran: sie müssen nicht perfekt sein und ihre Kinder auch nicht. Es geht vor allem um einen guten und wertschätzenden Umgang miteinander. Ein „Schimpfwort-Ausrutscher“ ist noch lange kein Beinbruch. Sprechen Sie mit Ihren Kindern, wenn Sie selbst wütend oder verletzt sind. Je besser Sie in Beziehung mit Ihren Kindern sind, umso mehr können Sie gemeinsam verändern.
Sollten die Schimpfwort-Ausbrüche Ihres Kindes allerdings mit nicht endend wollenden Wutanfällen einhergehen und Sie selbst immer wieder an Ihre erzieherischen Grenzen bringen, holen Sie sich in jedem Fall Hilfe von außen. Es ist keine Schande, sich zum Beispiel an eine Erziehungsberatungsstelle zu wenden und ein Beratungsgespräch zu vereinbaren. Oft ist es schon eine große Erleichterung, sich die Sorgen von der Seele zu sprechen. Gemeinsam mit den Fachkräften ist es oft leichter an Lösungen zu arbeiten und sie Schritt für Schritt im Familienalltag umzusetzen.
Literaturverweise
(1) Rogge, Jan-Uwe/Bartmann, Angelika: „Wie Sie reden, damit Ihr Kind zuhört & wie Sie zuhören, damit Ihr Kind redet“. Gräfe und Unzer Verlag München. 5. Auflage 2015 (S. 85 – 91)
(2) Schuster, Sylvia, Dr. zitiert in: „Wenn Kinder Schimpfworte gebrauchen“, unter http://www.kinderaerzte-im-netz.de/news-archiv/meldung/article/wenn-kinder-schimpfworte-gebrauchen/ vom 27.06.2005 (abgerufen am 04.03.2016)
(3) Levecke, Bettina: „Wenn Kinder Schimpfworte entdecken“, unter http://www.starke-eltern.de/htm/archiv/artikel/02_2006/beleidigungen.htm (abgerufen am 03.03.2016)
(4) Brehm, Michaela: „Scheiße! Kacka! Arsch! Wenn Kinder Schimpfwörter benutzen“ unter http://www.familie.de/kind/kinder-schimpfwoerter-538063.html
(abgerufen am 03.03.2016)
(5) Frantz, Anette: „Schimpfen ist menschlich“ unter http://www.mobile-elternmagazin.de/elvis/drucken?k_beitrag=2128487&k_onl_struktur=385569 (abgerufen am 04.03.2016)
(6) Levecke, Bettina: „Wenn Kinder Schimpfworte entdecken“, unter http://www.starke-eltern.de/htm/archiv/artikel/02_2006/beleidigungen.htm (abgerufen am 03.03.2016)
(7) Plagge, Silke R.: „Mist, das Kind flucht!“, unter http://www.liliput-lounge.de/themen/fluchende-kinder/ (abgerufen am 22.03.2016)
Weiterführende Literatur
- Rogge, Jan-Uwe/Bartmann, Angelika: „Wie Sie reden, damit Ihr Kind zuhört & wie Sie zuhören, damit Ihr Kind redet“. Gräfe und Unzer Verlag München. 5. Auflage 2015
- Nitsch, Cornelia/von Schelling, Cornelia: „ Kindern Grenzen setzen – wann und wie? Mit Liebe konsequent sein“. Wilhelm Goldmann Verlag München. 8. Auflage März 2014
- Schwarz, Regina/ Schober, Michael: „Das verrückte Schimpfwörter-ABC“. Esslinger Verlag Stuttgart. 2010
Autorin
Christina Zehetner (geb. Kursawe) ist Erzieherin und Sozialpädagogin. Sie hat langjährige praktische Erfahrungen in der ambulanten und stationären Kinder- und Jugendhilfe und arbeitete mehrere Jahre im Jugendamt. Die Autorin ist aktuell als Freie Mitarbeiterin am Staatsinstitut für Frühpädagogik in München tätig. Zudem hält sie als Beraterin humorvolle Seminare und Vorträge für Familien und Fachkräfte.
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eingestellt am 06. April 2016