Fördern und unterstützen: Neue Forschungsbefunde zu den Potenzialen der Ganztagsschule

Die Bedeutung der Ganztagsschule als verlässliches Betreuungsangebot für Familien ist weithin anerkannt. Doch wie können Ganztagsangebote Schülerinnen und Schüler auch in ihrer Entwicklung unterstützen? Die langfristig angelegte und von mehreren wissenschaftlichen Einrichtungen durchgeführte Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG) ist dieser Frage in den letzten Jahren in mehreren Teilprojekten nachgegangen. Die Ergebnisse belegen, dass die Ganztagsschule unter gewissen Voraussetzungen und mithilfe von gezielten unterstützenden Maßnahmen das Potenzial hat, Kinder und Jugendliche individuell zu fördern.

In den StEG-Teilprojekten haben die Forschenden gemeinsam mit Fachleuten aus der Schulpraxis zunächst Förderangebote und Schulentwicklungsmaßnahmen erarbeitet, die dann an Schulen umgesetzt und wissenschaftlich begleitet wurden. Dazu zählten eine AG zur Förderung des Leseverständnisses, ein Konzept für die Hausaufgabenbetreuung und die Lernzeit, bei dem ältere Schülerinnen und Schüler die jüngeren als Mentorinnen und Mentoren unterstützen, sowie eine Maßnahme, um die Zusammenarbeit aller am Ganztag beteiligten pädagogischen Professionen zu verbessern. So sollten sich die Voraussetzungen verbessern, um Kinder und Jugendliche adäquat fördern zu können. Eine weitere StEG-Teilstudie hat untersucht, welche Rolle die Ganztagsschule beim Übergang von der Grundschule in die weiterführende Schule spielt.

Zusammenfassung der vorliegenden Ergebnisse

„Schülerinnen und Schüler können vielfältig von Ganztagsangeboten profitieren, was aber unter anderem eine hohe pädagogische Qualität voraussetzt.“

Zum Beispiel wurden die von Mentorinnen und Mentoren begleiteten Hausaufgaben und Übungszeiten von den Schülerinnen und Schülern als positiv und hilfreich wahrgenommen. Generell konnte aber keine Verbesserung ihrer Motivation oder ihrer Lernergebnisse festgestellt werden. Solche Effekte fanden sich nur bei einer hohen pädagogischen Qualität der Angebote. Entscheidend ist auch, die älteren Schülerinnen und Schüler gut auf ihre Mentorenaufgabe vorzubereiten.

„Außerunterrichtliche Angebote haben auch das Potenzial, die fachlichen Fähigkeiten der Lernenden zu verbessern, wenn die Angebote gezielt mit dieser Intention entwickelt werden.“

So führte die nach dem aktuellen Stand der Forschung entwickelte AG zur Förderung des Leseverständnisses bei allen Kindern zu Kompetenzverbesserungen in diesem Bereich. Vor allem sozial benachteiligte Schülerinnen und Schüler und solche mit zu Anfang eher schwächeren Fähigkeiten holten durch das Förderangebot erheblich auf. Vorherige Forschungen hatten nur geringe Wirkungen von herkömmlichen Ganztagsangeboten auf fachliche Kompetenzen feststellen können.

„Der Ganztag unterstützt Familien beim Übergang in die weiterführende Schule.“

Bei der Wahl der weiterführenden Schule spielt es für Eltern, deren Kind kein Gymnasium besuchen wird, vergleichsweise häufig eine wichtige Rolle, dass es sich um eine Ganztagsschule handelt – vor allem, wenn sie sich eine individuelle Förderung für ihr Kind wünschen. Unabhängig von der Schulform der weiterführenden Schule bewerten Kinder, die an eine Ganztagsschule kommen, den Übergang im Nachhinein deutlich häufiger als leichter als erwartet – im Vergleich zu Schülerinnen und Schülern an Halbtagsschulen.

„Es braucht Zeit und Durchhaltevermögen, um Ganztagsschulen weiterzuentwickeln.“

Die Forschenden haben verschiedene schulische Bedingungen herausgearbeitet, die die Kooperation derer fördern, die pädagogisch an Ganztagsschulen tätig sind – zum Beispiel eine transparente Kommunikation und eine gemeinsame Vision. Es zeigte sich jedoch auch, dass sich ein „Wir-Gefühl“ und die Partizipation aller Beteiligten nur langsam einstellen. Auch die zuvor beschriebenen Förderangebote konnten nur im Zuge aufwändiger Schulentwicklungsarbeit in den Schulalltag eingeführt werden.

Fazit: Es braucht eine Richtungsentscheidung –
Verlässliches  Betreuungsangebot oder Beitrag zur Lernkultur

Die für die Gesamtstudie verantwortlichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ziehen ein Fazit: „Es stellt nach wie vor eine große Herausforderung dar, Schülerinnen und Schüler in Ganztagsangeboten individuell zu fördern, entsprechende Wirkungen lassen sich nur bedingt finden. Wertvolle Hinweise, wie es gehen könnte, gibt das wissenschaftlich fundierte und zusammen mit den Schulen entwickelte Angebot zur Leseförderung.“ Insgesamt sehen die Forschenden Bedarf für eine Richtungsentscheidung: „Es stellt sich die Frage, was Eltern, Schulen und Politik wollen: Genügt es, dass Ganztagsschulen ein verlässliches Betreuungsangebot darstellen und die psychosoziale Entwicklung unterstützen können? Oder möchte man im Ganztag einen Beitrag zur Lernkultur leisten?“ Dazu brauche es aber einen systematischeren Ansatz und verbindliche, nach aktuellem Forschungsstand entwickelte Lern- und Förderangebote, für die eine von allen pädagogischen Professionen gemeinsam getragene Ganztagsschule den Rahmen bildet, so die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Weitere Informationen

Die Befunde der einzelnen Studien im Detail und ihre Gesamtbewertung sind in der frei verfügbaren Broschüre
„Individuelle Förderung: Potenziale der Ganztagsschule“ (PDF 2,7 MB) aufbereitet. Die Ausführungen nehmen zudem Bezug auf die repräsentative Befragung von Schulleitungen zum Ganztagsschulausbau, deren Ergebnisse im April 2019 veröffentlicht worden sind.

Die bundesweite Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG) wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Zentrale Verantwortung für die Studie hat ein Konsortium, das sich aus leitenden Wissenschaftlern von vier Forschungseinrichtungen zusammensetzt: dem DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation (Koordination der Studie), dem Deutschen Jugendinstitut (DJI), dem Institut für Schulentwicklungsforschung der Technischen Universität Dortmund (IFS) und der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU). StEG wird in Kooperation mit der Universität Kassel, der Philipps-Universität Marburg sowie der Pädagogischen Hochschule Freiburg durchgeführt.

Quelle

DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Fachkräfteportal der Kinder- und Jugendhilfe