Wenn Kinder zu viel oder zu wenig wachsen - Wachstumsstörungen immer ärztlich abklären lassen
Wachstumsstörungen vom Baby bis zum Teenager zählen zu den häufigsten Gründen, einen Kinderarzt aufzusuchen. Tatsächlich sind jeweils etwa drei Prozent aller Kinder klein- oder hochwüchsig. Die Ursachen für Wachstumsstörungen sind vielfältig. Häufig handelt es sich um Abweichungen von der Norm, die nicht weiter einer medizinischen Behandlung bedürfen. Sie können aber auch ein erstes Anzeichen für eine ernste Erkrankung sein.
Deshalb sollten sie immer vom Kinderarzt und gegebenenfalls einem Kinderendokrinologen abgeklärt werden. Ein zu geringes, aber auch ein zu frühes oder starkes Längenwachstum kann für die Betroffenen und ihre Angehörigen sehr belastend sein. Eine Erwachsenengröße von unter 150 cm gilt in Deutschland als Behinderung. Tatsächlich suchen deutlich weniger Groß- als Kleinwüchsige eine medizinische Abklärung. „Dies mag damit zusammenhängen, dass Hochwuchs gesellschaftlich deutlich akzeptierter ist als Kleinwuchs“, sagt Professor Dr. med. Joachim Wölfle, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinderendokrinologie (DGKED) und Vorstand der Arbeitsgemeinschaft „Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie“ der DGE.
Das schnellste Wachstum erfolgt im Bauch der Mutter. Innerhalb von neun Monaten entwickelt sich die befruchtete Eizelle zu einem vollständigen kleinen Menschen von 46 bis 55 cm (3. bis 97. Perzentile) beim Mädchen und 47 bis 55,5 cm (3. bis 97. Perzentile) bei Jungen. „Nie wieder wächst ein Mensch so rasch wie in dieser Zeit“, erläutert der Kinderendokrinologe und Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum Erlangen der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Auch im 1. Lebensjahr ist das Wachstum noch schnell: So wachsen Mädchen im Durchschnitt 24,5 cm und Jungen 25,5 cm (1). In der Kindheit nimmt die Wachstumsgeschwindigkeit allmählich ab – bis zum letzten Wachstumsschub in der Pubertät. Unter dem Einfluss der Sexualhormone kommt es zu einem vermehrten Längenwachstum. Als Faustregel kann gelten, dass Mädchen nach der ersten Monatsblutung noch etwa 4 bis 5 cm wachsen. „Für Jungen gibt es leider keinen entsprechenden Anhaltswert“, so Professor Wölfle.
Eine Abweichung von der Norm bedeute nicht automatisch, dass das Kind krank ist, beruhigt Professor Wölfle. Dennoch gelte es, organische Erkrankungen auszuschließen, die zu einer Wachstumsstörung führen können. Oft handle es sich lediglich um Normvarianten von Größenwachstum, etwa als Folge von familiärer Veranlagung. Mehr Augenmerk bedürften in der Regel konstitutionsbedingte Verzögerungen von Wachstum und Entwicklung. „Zu Kleinwuchs können Mangel- oder Fehlernährung, aber auch zehrende Erkrankungen wie schweres Asthma, Mukoviszidose oder erworbene schwere Herzerkrankungen wie eine Herzinsuffizienz führen. Zu den hormonbedingten Ursachen von Kleinwuchs gehören etwa die Unterfunktion der Schilddrüse, das Cushing-Syndrom, eine Rachitis, ein schlecht eingestellter Diabetes mellitus oder ein Mangel an Wachstumshormon“, erläutert Professor Dr. med. Matthias M. Weber, Mediensprecher der DGE und Leiter des Schwerpunktes Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen der Universitätsmedizin Mainz. Kleinwuchs kann aber auch das Erstsymptom weiterer schwerer Erkrankungen sein. Hierzu zählen unter anderem eine chronische Niereninsuffizienz oder auch Achondroplasie – eine seltene Erbkrankheit, bei der vor allem Oberarm- und Oberschenkelknochen verkürzt sind. „Der rasante Fortschritt in der genetischen Diagnostik erlaubte in der jüngeren Vergangenheit eine Identifizierung von Krankheitsursachen und bietet so die Möglichkeit für die Entwicklung von mehr zielgerichteten Therapien“, berichtet Professor Wölfle.
Auch Hochwuchs kann für andere Begleiterkrankungen stehen, die nicht auf den ersten Blick sichtbar sind. So leiden Patienten mit dem sogenannten Marfan-Syndrom nicht nur an einem überdurchschnittlichen Längenwachstum. Sie gehen oft auch mit Fehlbildungen des Herz-/Blutgefäßsystems wie Aussackungen der Aorta (sogenanntes Aneurysma) und Einrissen und Spaltbildung zwischen den Gefäßwänden der Hauptschlagader (Dissektionen) einher. Unerkannt können sie zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen.
Quelle
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V.