Im Fokus: Ist die Ansteckungsgefahr in Schulen wirklich hoch?

Kinder- und Jugendärzte/Innen fordern eine sach- und datenorientierte rationelle Diskussion zur Einschätzung des Infektionsrisikos mit SARS-CoV-2 bei Schülerinnen und Schülern.

Kinder und Jugendliche erscheinen erneut im Mittelpunkt der Pandemie-Diskussion. Die Frage, inwieweit Schülerinnen und Schüler zum Infektionsgeschehen beitragen und ob diese sich im schulischen Umfeld infiziert haben, beschäftigt aktuell die Öffentlichkeit und Politik. Die Datenlage des RKI-Lageberichtes Schule zeigt, dass aktuell ca. 0,21% der Schülerinnen und Schüler positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden. Das heißt, dass bei ca. 99,79% der Schülerinnen und Schüler kein SARS-CoV-2 nachgewiesen oder diese nicht getestet wurden. Damit besteht keine eindeutige Evidenz für häufige Übertragungen im Schulbereich. Insbesondere scheinen auch Lehrerinnen und Lehrer keinem erhöhten Infektionsrisiko in den Schulklassen ausgesetzt. Darauf deuten auch internationale Daten aus Schweden und den Niederlanden hin.

Unsicherheiten bestehen bzgl. der Dunkelziffer, da Kinder und Jugendliche an dem Virus nicht oder nur selten erkranken. Aus diesem Grund besteht die Annahme, dass auch asymptomatische Schüler zum Infektionsgeschehen in den Schulen beitragen und es unbemerkt zu Übertragungen in den Schulen kommt, die in das familiäre Umfeld getragen werden könnten.

Bei Annahmen zu einer Dunkelziffer bestehen jedoch Fallstricke. So weist zum Beispiel der Lagebericht Schule des RKI vom 10.11.2020 alle Kinder und Jugendliche, die positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden, als erkrankte Personen aus. Auch in der öffentlichen Berichterstattung besteht die Annahme „Ohne Symptome kein Test“, so dass Kinder und Jugendliche durchs Raster fallen, weil bei ihnen angeblich nur Tests bei Erkrankung durchgeführt werden. Daraus wird eine zusätzliche hohe Dunkelziffer an SARS-CoV-2 positiven Kindern und Jugendlichen abgeleitet.

Ad Hoc- Analyse von Routinedaten von über 110.000 Kindern an über 100 Kinderkliniken in ganz Deutschland ergibt konkrete Hinweise auf geringe Dunkelziffer bei Kindern und Jugendlichen.

In einer bundesweiten Ad-hoc-Abfrage an deutschen Kinderkliniken von Routinedaten vom 18.-20.11.2020, durchgeführt von der Universitätskinderklinik Regensburg unter der fachlichen Leitung von Prof. Dr. Johannes Hübner, Prof. Dr.  Michael Kabesch, Prof. Dr. Matthias Keller und unterstützt durch den Verband der leitenden Kinderärzte und Kinderchirurgen Deutschlands, an der sich über 100 deutsche Kinder- und Jugendkliniken beteiligt haben, zeigt sich, dass bei über 110.000 bisher durchgeführten SARS-CoV-2 PCR-Tests zum Stichtag 18.11.2020 an den Kliniken im Mittel nur 0,53% der an Kindern und Jugendlichen durchgeführten Tests positiv waren.

Diese Stichprobe umfasst Kinder zwischen 0-18 Jahren mit möglichen Symptomen, Verdachtsfälle aufgrund von COVID-19 in der Familie, aber überwiegend asymptomatische Patienten (an ca. 80% der teilnehmenden Kinderkliniken), die aufgrund anderer Erkrankungen oder Operationen in die Kliniken gekommen sind (Routine-Eingangsscreening). Diese Daten kommen einer Zufallsstichprobe also am nächsten.

Die Positivrate pro Klinik reichte von 0 bis 0,2% in Kliniken, die ein Symptom-unabhängiges generelles Screening bei allen Patienten durchführten bis zu 3% bei Kliniken, die insbesondere symptomatische Patienten oder K1- Kontaktpersonen im Auftrag des öffentlichen Gesundheitsdienstes testeten.

Diese Erfassung zeigt damit erstmals, dass in Deutschland in einem hohen Anteil Kinder und Jugendliche ohne Symptome getestet werden und liefert konkrete Hinweise auf die Dunkelziffer unter allen Kinder und Jugendlichen von 0-18 Jahren.

Zusätzlich zu den oben genannten Routineuntersuchungen an Kinderkliniken wurden und werden durch den öffentlichen Gesundheitsdienst Reihenuntersuchungen an Schulen und Kindertagesstätten an gesunden Kindern und Jugendlichen durchgeführt. Insofern ist die Erfassung der Daten von Kindern und Jugendlichen in keiner Weise vergleichbar mit der ersten Phase der Pandemie und die Schlussfolgerung, dass es über die 0.53% positiv Getesteten hinaus eine hohe Dunkelziffer unter Kindern und Jugendlichen gibt, sehr unwahrscheinlich.

International als auch national existiert wenig Evidenz, dass es - auch bei den aktuell hohen Inzidenzzahlen - eine deutliche Übertragung innerhalb der Schulen bei Anwendung der Hygienemaßnahmen stattfindet, die zur allgemeinen Krankheitslast weder bei den Schülern, noch bei den Lehrern oder bei der Allgemeinbevölkerung beiträgt. Auch gezielte Studien an Schulen wie z.B. STACADO bei den Regensburger Domspatzen zeigen bei 500 Tests über mehrere Wochen bisher keine positiven PCR-Tests auf SARS-CoV-2. In einer gerade veröffentlichten Studie aus Österreich waren bei 10.000 Tests an Lehrern und Schülern lediglich 40 Tests (0,4%) positiv und liegt damit in einem ähnlichen Bereich wie in er aktuellen Abfrage (0,53%), die nicht nur Schüler, sondern auch Kleinkinder und Säuglinge umfasste.

Die öffentliche Diskussion und Darstellung, wie z.B. „brandgefährlicher Schulunterricht“, wird durch die oben dargestellten Daten an über 110.000 Kindern und Jugendlichen auch in dieser Phase der Pandemie nicht gestützt und untergräbt das Engagement von Lehrenden, Schülerinnen und Schülern und Eltern, die sich tagtäglich mit Erfolg für einen Schulbetrieb und damit für die Bildung und Zukunft unserer Zivilgesellschaft einsetzen. Darüber hinaus führt es zu Ängsten, Unsicherheiten und Polarisierung, lenkt von einer gezielten Lösungsfindung ab und sollte deshalb unterlassen werden.

Es steht außer Frage, dass Kinder und Jugendliche sich infizieren können und auch das Virus weitergeben können. Dies gilt insbesondere für Jugendliche. Es gibt jedoch deutlich Hinweise, dass die Infektionsquelle in der Mehrzahl außerhalb des schulischen Bereiches liegen, so dass neben den notwendigen Hygienemaßnahmen in den Schulen, es weitere außerschulische Ansätze zur Eindämmung der Pandemie und Reduktion der Inzidenzzahlen geben muss.

  • Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie, Prof. Dr. Johannes Hübner, Vorsitzender der Hauner´sches Kinderspital, Ludwig-Maximilians-Universität
  • Süddeutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin
  • Vorstand: Dr. Christoph von Buch, Prof. Dr. Matthias Keller, Dr. Markus Kratz
  • Dr. Michael Kabesch, Universitätskinderklinik (KUNO) St. Hedwig, Universität Regensburg
  • Verband der leitenden Kinderärzte und Kinderchirurgen Deutschlands, Präsident Prof. Dr. Andreas Trotter, Generalsekretär Prof. Dr. Wolfgang Kölfen
  • Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte Bayerns, Vorstand Dr. Dominik Ewald, Dr. Michael Hubmann
  • Verband der leitenden Kinderärzte und Kinderchirurgen Landesverband Bayern, Vorstand Prof. Dr. Thomas Lang, Prof. Dr. Christian Wieg

Hintergrund zur Ad-Hoc-Datensammlung und Analyse vom 20.11.2020

Im Zeitraum von 18.11.-20.11.2020 erfolgte eine Abfrage aller deutschen Kinderkliniken über die Durchführung der Sars-CoV-2 PCR Diagnostik. Innerhalb dieses Zeitraums erfolgte von 105 von 245 angefragten Kinderkliniken und Kinderabteilungen die Dateneingabe. Ca. 80% dieser Kliniken führen aktuell ein Routinescreening bei allen in die Klinik aufgenommen Patienten unabhängig von ihrer Erkrankung durch.

Die Erfassung und Auswertung der Daten erfolgt unter Federführung des Forscherteams der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin Regensburg um Prof. Dr. Michael Kabesch, sowie Prof. Dr. Matthias Keller, Chefarzt der Kinderklinik Passau und apl. Prof. an der technischen Universität München, Vorsitzender der Süddeutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin sowie Prof. Dr. Johannes Hübner, Infektiologie, Hauner´sches Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität München, Vorsitzender der Pädiatrischen Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie.

Unterstützt und ermöglicht wurde Abfrage durch den bundesweiten Verband der leitenden Kinderärzte und Kinderchirurgen Deutschlands (VLKKD) um dessen Präsidenten Herrn Prof. Dr. Andreas Trotter, den bayerischen VLKKD Landesverband, sowie der Süddeutschen Gesellschaft für Kinder-und Jugendmedizin e.V.
Die obige Zusammenfassung und Analyse der Daten ist eine Ad-hoc-Analyse und wird im Weiteren im Details ausgewertet. Die zukünftige Erfassung der Routinedaten der Kinderkliniken stellt eine Möglichkeit einer strukturierten Erfassung einer Stichprobe zur Erfassung und Schätzung der Dunkelziffer bei Kinder und Jugendlichen im weiteren Verlauf der Pandemie dar.

Quelle

Kinder- und Jugendärzte im Netz