Fleischlose Kost auch schon für Kinder?
Fleischlos glücklich – die Zahl der Menschen, die nach diesem Leitsatz leben, ist in den letzten zehn Jahren deutlich gestiegen. Ist eine Ernährung ohne Fleisch aber auch für Kinder gesund genug? Ja, bei einer ausgewogenen, pflanzenbetonten Ernährung ist das nachweislich der Fall, sagt die Stiftung Kindergesundheit. Mit einer Einschränkung: Viele Nährstoffe sind nur in Fleisch, Fisch oder Eiern in nennenswerter Menge enthalten. Ohne Fleisch müssen sie ergänzt werden, damit keine Mängel entstehen und eine normale Entwicklung gewährleistet ist.
Vegetarisch lebende Familien sollten sich deshalb sehr genau über den Nährstoffbedarf heranwachsender Kinder und Jugendlichen informieren und sich gut beraten lassen.
Der höchste Anteil an Vegetariern findet sich in der Gruppe der jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 29 Jahren: In dieser Altersgruppe verzichten in Deutschland neun Prozent der Frauen und fünf Prozent der Männer auf Fleisch, etwa ein Prozent meidet sogar alle tierische Lebensmittel. Im Rahmen der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland KiGGS wurde ermittelt, dass knapp 2 Prozent der über 3-jährigen Jungen und gut 3 Prozent der gleichaltrigen Mädchen kein Fleisch, Geflügel oder Wurst essen. Unter den 14- bis 17-Jährigen waren dies rund 2 Prozent der Jungen und 6 Prozent der Mädchen. Bei den 12- bis unter 18-Jahrigen hatte sich die Häufigkeit einer vegetarischen Ernährungsform im Vergleich zur ersten EsKiMo-Studie etwa ein Jahrzehnt früher mehr als verdreifacht.
Die meisten junge Vegetarierinnen und Vegetarier finden sich in Mittel- und Großstädten und unter Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Die am häufigsten praktizierte Form der vegetarischen Ernährung ist die lakto-ovo-vegetarische Kost, in der auf Fleisch und Fisch verzichtet wird, die aber Milch und Eier als wichtige Nährstofflieferanten enthält. Bei streng vegetarischer, „veganer“ Ernährung wird auf alle Lebensmittel tierischer Herkunft, also auch auf Milch und Eier verzichtet.
Weniger Kalorien, mehr Ballaststoffe
Ganz gleich ob sie aus ethischen oder aus gesundheitlichen Gründen auf Fleisch verzichten: Vegetarier profitieren meist von dieser Entscheidung, sagt die Stiftung Kindergesundheit. Die vegetarische Ernährung entspricht vielen Empfehlungen der modernen Ernährungswissenschaft: Sie ist in aller Regel weniger energiereich, bringt also weniger Kalorien auf die Waage. Sie enthält eine geringere Menge an den ungünstigen gesättigten Fettsäuren, an Cholesterin und tierischem Eiweiß, dafür mehr an Ballaststoffen und den gesundheitlich vorteilhaften Antioxidantien.
Bei Kindern müssen allerdings zwei wichtige Prinzipien für alle Ernährungsformen beachtet werden, betont Professor Dr. Berthold Koletzko, Stoffwechselspezialist der LMU München und Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit: „Erstens: Je mehr Lebensmittelgruppen aus der Ernährung ausgeschlossen werden, desto größer ist die Gefahr, dass die gewählte Kostform zu einer Fehlernährung und dadurch zu Mangelerscheinungen beim Kind führt. Und zweitens: Je jünger ein Kind bei der Einführung einer einschränkenden Ernährungsweise ist, desto wahrscheinlicher ist das Auftreten einer Mangelerscheinung, die dem sich noch entwickelnden Organismus des Kindes Schaden zufügt“.
Bei vegetarischen Familien, die ihre pflanzliche Kost mit Milch, Milchprodukten und Eiern ergänzen („Lakto-ovo-vegetarier“) besteht keine Gefahr eines Mangels, wenn die Kost insgesamt ausgewogen zusammengesetzt ist. Auch die „lakto-vegetarische“ Ernährung, bei der zusätzlich auf den Genuss von Eiern verzichtet wird, kann eine vollwertige Kost sein. Kinder, die nach diesen Prinzipien ernährt werden, haben hinsichtlich ihren Wachstums und Entwicklung keine Beeinträchtigungen zu befürchten, betont Professor Koletzko: „Eine derartige Ernährung im Kindesalter ist nicht nur möglich, sondern besitzt sogar schützende Effekte vor der späteren Entwicklung von Fettsucht, Herzinfarkt und Diabetes“.
Erfreuliche Ergebnisse einer neuen Studie
Eine vegetarische Lebensweise hat noch weitere Vorteile, ergaben die Ergebnisse der VeChi-Youth-Studie, die jetzt im 14. Ernährungsbericht der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) vorgestellt wurden. An dieser Studie haben sich 401 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen sechs und 18 Jahren beteiligt. 150 Jungen und Mädchen ernährten sich vegetarisch und 114 vegan. 137 waren „omnivor“, aßen also auch tierische Lebensmittel. Verglichen wurden Größe und Gewicht und das Ernährungsverhalten der Kinder sowie die Nährstoffzufuhr und -versorgung.
Die wichtigsten Erkenntnisse:
- In der Nährstoffversorgung der Kinder und Jugendlichen gibt es zwischen veganer, vegetarischer und omnivorer Ernährung nur geringe Unterschiede: Auch Kinder und Jugendliche, die sich vegan oder vegetarisch ernähren, sind heute mit den Hauptnährstoffen sowie den meisten Vitaminen und Mineralstoffen ausreichend versorgt. Allerdings trat bei veganer oder vegetarischer Ernährung etwas häufiger eine knappe Eisenversorgung auf.
- Veganer und vegetarische Kinder essen in vieler Hinsicht gesünder: Sie verzehren mehr Gemüse, Obst, Hülsenfrüchte und Nüsse. Insbesondere Veganer hatten den geringsten Verzehr von Süßwaren, Knabberartikeln und Fertiggerichten. Dafür hatten sie eine besonders hohe Ballaststoffzufuhr und aßen weniger zugesetzten Zucker sowie gesättigte Fettsäuren.
- Bei allen drei Ernährungsformen, also auch bei den Fleischessern erwiesen sich Vitamin B2, Vitamin D, Jod und Calcium als kritische Nährstoffe.
- Die Versorgung mit Vitamin B12 (Cobalamin) lag dagegen bei allen drei Ernährungsformen, also auch bei den Veganern, überwiegend im Normbereich. Dieser, bei Veganern auf den ersten Blick überraschende Ergebnis ist darauf zurückzuführen, dass 88 Prozent der vegan ernährten Kinder, wie empfohlen, von Nährstoff-Supplemente bzw. nährstoffangereichter Lebensmittel einnahmen und dadurch ausreichend versorgt waren.
Die Ergebnisse der VeChi-Youth-Studie sind allerdings nur eingeschränkt aussagekräftig, da die Studienteilnehmenden nicht repräsentativ für die deutsche Bevölkerung sind, betont die Stiftung Kindergesundheit. So gab es zum Beispiel unter den teilnehmenden Kindern insgesamt nur wenig übergewichtige (4 %) und adipöse (0,5 %) Kinder. Nach den Daten der aktuellen Kinder- und Jugendgesundheits-Untersuchung KiGGS (Welle 2) sind dagegen 15,4 Prozent der Kinder und Jugendlichen im Alter von drei bis 17 Jahren übergewichtig und 5,9 Prozent leiden regelrecht unter Fettsucht (Adipositas). Der Unterschied zwischen Studie und Wirklichkeit ist vermutlich durch den hohen sozioökonomischen Status der an der VeChi-Youth-Studie beteiligten Familien bedingt.
Vitamin B12 – oft ein Problem für Veganer
Für die Kinder besonders strenger Vegetarier („Veganer“) kann die Situation kritisch werden, berichtet die Stiftung Kindergesundheit. Ein Mangel an Vitamin B12 (Cobalamin), Eisen, Eiweiß und Spurenelementen kann das Gedeihen stark beeinträchtigen. Manche Kinder bleiben im Wachstum hinter dem Durchschnitt zurück und holen den entstandenen Längenunterschied auch später nicht mehr auf. Die Wachstumsverzögerung geht mit einer verspäteten Entwicklung der Motorik und der Sprache einher, es drohen schwere Entwicklungsstörungen. Je spartanischer die Lebensmittelauswahl, desto größer die Gefahr von Defiziten.
„Vitamin B12 ist lebensnotwendig für die DNA-Synthese und für die Zellteilung“, sagt Professor Berthold Koletzko: „Es kommt praktisch nur in Nahrungsmitteln tierischer Herkunft vor und wird damit zum kritischen Punkt für Veganer und ihre Kinder. Ein Mangel an diesem wichtigen Vitamin führt zu Störungen der Blutbildung und in schweren Fällen zur Degeneration von Nerven und zur Hirnatrophie“.
Eine vollwertige vegetarische Ernährung für Kinder sollte sehr ausgewogen sein und reichlich Vollkorngetreide, Hülsenfrüchte, Nüsse und Ölsaaten enthalten, empfiehlt die Stiftung Kindergesundheit. Auf diese Weise kann die ausreichende Versorgung mit den Vitamine B1, B6 und B12, sowie mit Eisen, Zink, Jod und Omega-3-Fettsäuren gesichert werden.
Professor Koletzko: „Besonders Familien, die sich vegan ernähren, sollten sich intensiv diätetisch und medizinisch beraten lassen, um Gefahren für ihr Kind vorzubeugen und eine ungestörte Entwicklung zu ermöglichen“.