Kinder sollen Schwimmen können, denn Ertrinken ist der zweithäufigste tödliche Unfall bei Kindern

Zunächst die gute Nachricht: Das Risiko für Kinder, durch einen Unfall ums Leben zu kommen, ist in Deutschland in den letzten 10 Jahren um mehr als ein Drittel gesunken. Nach Angaben der Stiftung Kindergesundheit gilt das für die Verkehrsunfälle ebenso wie für Unfälle zu Hause und in der Freizeit. Leider gibt es aber auch eine schlechte Nachricht: Die Zahl der kindlichen Todesfälle durch Ertrinken stagniert auf hohem Niveau.

Auch im letzten Jahr 2020 kamen 18 Vorschulkinder (2019: 17) und fünf Grundschulkinder (2019:  8) durch Ertrinken ums Leben. Ertrinken ist die zweithäufigste Unfallursache mit Todesfolge bei Kindern bis 15 Jahren, betont die Stiftung Kindergesundheit in einer aktuellen Stellungnahme.

„Einer der Gründe für diese alarmierende Tatsache ist die zunehmende Zahl von Nichtschwimmern unter den Kindern und Erwachsenen. Schwimmen können ist aber lebenswichtig!“, sagte Professor Dr. Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit. 

Der Münchner Kinder- und  Jugendarzt verweist auf die Erhebungen der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft DLRG. Nach deren Erkenntnissen war das Pandemiejahr 2020 nicht nur für den Schulunterricht, sondern auch für die  Schwimmausbildung der Kinder ein nahezu verlorenes Jahr. Schon vor der Pandemiekonnten fast 25 Prozent aller Grundschulen keinen Schwimmunterricht mehr anbieten, weil ihnen kein Schwimmbad zur Verfügung stand. Die ausbildenden Verbände, wie die DLRG, haben mittlerweile lange Wartelisten von ein bis zwei Jahren für einen Schwimmkurs. Mehr als jeder zweite Grundschulabsolvent ist kein sicherer Schwimmer mehr, beklagt die DLRG.

Bereits vor dem Lockdown war die Zahl der nicht schwimmenden Kinder durch die wirtschaftlich bedingte Schließung von Schwimmbädern und den immer häufigeren Ausfall des Schwimmunterrichts in den Schulen deutlich angestiegen, berichtet die Stiftung Kindergesundheit. Auf die Frage, warum kein Schwimmunterricht erteilt wird, lauteten die Antworten: Es steht kein Schwimmbad zu Verfügung, der Transport der Schüler dauert zu lange, es fehlen Lehrer, die Schwimmen unterrichten dürfen, außerdem sei der Transport der Schüler einfach zu teuer.

Durch die wegen der Pandemie längerfristig geschlossenen Bäder hat sich die Lage weiter verschlechtert: Im Corona-Jahr 2020 nahmendie Ausbilder lediglich 23.485 Schwimmprüfungen ab. Das sind 75 Prozent weniger im Vergleich zum Vorjahr. Ähnlich bedenklich ist die Situation bei den Schwimmabzeichen: Wurden 2019 noch 48.243 Seepferdchen vergeben, waren es im vergangenen Jahr gerade mal 14.566. Angesichts der bevorstehenden Badesaison könnte dieses Defizit ernste Folgen haben, befürchtet die Stiftung Kindergesundheit.

Gefahr im eigenen Garten

Das Risiko zu ertrinken, ist für Jungen deutlich größer als für Mädchen. Weltweit ist Ertrinken bei den Jungen zwischen fünf und 15 Jahren die häufigste unfallbedingte Todesursache. Auf einen tödlichen Unfall kommen weitere vier Unglücksfälle mit stationärer Behandlung und dem Risiko einer bleibenden schweren geistigen Behinderung.

Naturgemäß ereignen sich die meisten Wasserunfälle in der warmen Jahreszeit an den Stränden der Urlaubsorte und an den Ufern der Flüsse, Binnengewässer, Kanäle und Baggerseen. Doch sind das Ertrinken und die nicht tödlich verlaufenden Ertrinkungsunfälle (das so genannte Beinahe-Ertrinken), die in noch weit höherer Zahl auftreten, keineswegs auf den Sommer beschränkt, berichtet die Stiftung Kindergesundheit.

Mit der Zunahme von Swimmingpools und Gartenteichen im eigenen Zuhause ist die Gefahr für kleine Kinder auch während des ganzen Jahres größer geworden. Sie können nämlich in jeder Art von Wasser, selbst im Seichtesten ertrinken: In einer Regentonne genauso wie in einem flachen Zierteich, in der Toilette oder in der Badewanne genauso wie im Swimmingpool oder sogar in einer Regenpfütze.

„Die Hauptursache für dieses erhöhte Risiko kleiner Kinder liegt paradoxerweise in einem Schutzmechanismus, der bei diesen Kindern besonders stark ausgeprägt ist,“ erklärte Professor Berthold Koletzko: „Beim plötzlichen Eintauchen ins Wasser setzt bei ihnen ein schockartiger Atemreflex ein, der Kehlkopf und die Lunge schließt. Durch den sogenannten Stimmritzenkrampf wird die Atmung blockiert. Nicht selten erstickt das Kind, ohne dass auch nur ein einziger Tropfen Wasser in seine Lungen gelangt“.

Kinder bis zu zwei Jahren verunglücken am häufigsten in der Badewanne, gefolgt von Gartenteichen bei den Ein- bis Dreijährigen und offenen Gewässern bei den Zwei- bis Sechsjährigen. Unfälle in Swimmingpools ereignen sich vermehrt in den ersten sechs Monaten nach Anschaffung des Pools und sind bei frei zugänglichen Schwimmbecken dreimal häufiger als bei Eingezäunten. Bei Kindern über sechs Jahren passieren die meisten Unfälle in Schwimmbädern, bei über Achtjährigen sind das Meer oder die Seen die besonderen Gefahrenpunkte.

Bei der Wiederbelebung zählt jede Minute

Die früher empfohlene Maßnahme, bei den Ertrinkungsunfällen erst das Wasser aus der Lunge des Verunglückten fließen zu lassen, bedeutet eine nutzlose und gefährliche Zeitvergeudung, warnt die Stiftung Kindergesundheit. Stattdessen sollte man sofort, ohne jede Verzögerung mit der Wiederbelebung beginnen. Dazu wird zuerst die Mundhöhle frei gemacht, eventuelle Fremdkörper entfernt und der Kopf des Kindes im Nacken vorsichtig nach hinten gebeugt. Säuglinge werden über Nase und Mund mit vorsichtigen Atemstößen beatmet und bei älteren Kindern wird eine Mund-zu-Mund-Beatmung durchgeführt. Findet man das verunglückte Kind im Wasser, kann die Beatmung unter Umständen bereits im Wasser ausgeführt werden.

Besonders wichtig: Den Notruf wählen! Und Rettungsversuche nicht aufgeben! Durch die Unterkühlung des Körpers im Wasser erhöht sich nämlich die Chance des Kindes, dass die Wiederbelebungsmaßnahmen auch nach längerer Zeit noch zum Erfolg führen. Außer der Beatmung sollte man das verunglückte Kind vor weiterer Auskühlung schützen, indem man es von der nassen Kleidung befreit, abtrocknet und in eine Decke wickelt.

Auch mit Schwimmflügeln nie alleinlassen!

Zur Vorbeugung gegen Ertrinkungsunfälle rät die Stiftung Kindergesundheit folgende Verhaltensempfehlungen zu beachten:

  • Eltern können ihre Kinder schon von früh auf spielerisch beim Baden in der Badewanne oder im Planschbecken mit dem Element Wasser vertraut machen, um möglichen Ängsten der Kinder vorzubeugen. Bestimmte Verhaltensweisen können so in einem vergleichsweise kleinen und sicheren Setting eingeübt und später beim Badeausflug angewandt werden. (z.B. Üben des Auspustens bei gleichzeitigem fließen von Wasser über Kopf und Gesicht).
  • Babys sollten nur in speziellen Badewannen baden und dabei auf keinen Fall alleingelassen werden. Erwachsene sollten sich niemals, auch nicht für kurze Zeit z. B. wenn das Telefon klingelt, vom Kind wegbewegen.
  • Auch Kleinkinder sollten niemals allein, sondern nur unter ständiger Aufsicht eines Erwachsenen baden. Die Verantwortung dafür sollte nie auf ältere Geschwister übertragen werden.
  • Ist ein Kleinkind in der Familie, ist das Umgeben eines Swimmingpools oder Gartenteichs mit einem soliden, nicht zu erkletternden, mindestens einen Meter hohen Zaun unerlässlich.
  • Regentonnen brauchen einen festen Deckel, um einem Hineinklettern und Hineinfallen von Kindern vorzubeugen.
  • Das Mitnehmen und Anlegen von Schwimmwesten bei Kindern auf einen Boot muss unbedingt beachtet werden.
  • Auch bereits gute Schwimmer sollten nie aus den Augen gelassen werden und sich teilweise immer noch in Reichweite von Erwachsenen im Wasser aufhalten.

Die Stiftung Kindergesundheit empfiehlt, dass Kinder mit etwa vier Jahren das Schwimmen lernen. Vorher sollen sie nur mit Schwimmflügeln mit doppelten Luftkammern ans Ufer oder an den Strand gehen. Auch Kinder, die Schwimmärmel tragen, dürfen nie alleingelassen und sollten stets in Armreichweite beaufsichtigt werden.

Es gilt: Aufblasbare Teile wie Schwimmreifen, Matratzen oder Gummitiere sind lediglich Spielzeug, aber keine Schwimmhilfen! Sie können Kinder nicht sicher vor dem Ertrinken bewahren und ersetzen nicht die Aufsichtspflicht der Erwachsenen.

„Schwimmen ist nicht nur eine ideale Sportart für den ganzen Körper, sondern eine lebensnotwendige Fähigkeit, die lebenslang Spaß an der Bewegung im Wasser ermöglicht“, betonte Professor Berthold Koletzko. „Durch den frühzeitigen sicheren Umgang mit dem Element Wasser lernen Kinder überlebenswichtige Bewegungsabläufe, Geschicklichkeit und Ausdauer. Wir möchten, dass kein Kind mehr ertrinkt, erst recht nicht, weil es nicht schwimmen kann“.

Quelle

Stiftung Kindergesundheit