Zum Weltkindertag: „Die kindliche Entwicklung ist geprägt durch uns Erwachsene“

Interview mit Diplom-Ökotrophologin Sigrid Fellmeth anlässlich des Weltkindertages am 20. September: Die Ernährungsbildung in den Kindertagesstätten hat sich in Pandemie-Zeiten verändert. 

Der Weltkindertag am 20. September rückt das Recht auf Gesundheit und auf ein gutes Leben in den Fokus. Um diese Kinderrechte ist es aber auch in Deutschland nicht immer gut bestellt: Beeinflusst von Bewegungsmangel, Trostsuche in Süßigkeiten oder Zeitmangel der Eltern im Homeoffice sind 16 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland dicker geworden, wie eine forsa-Umfrage im April 2022 belegte. So ist Fehlernährung in Deutschland ein Thema, das schon in der Wurzel angegangen werden sollte.

Insbesondere Kindertagesstätten (Kitas) können bei der Ernährungsbildung entscheidend mitwirken, wie Diplom-Ökotrophologin Sigrid Fellmeth betont. Sie ist Schulungsleiterin und Mentorin des Projekts „Abenteuer Essen – frühkindliche Ernährungsbildung in der Metropolregion Rhein-Neckar“ an der SRH Hochschule Heidelberg und berichtet im Interview, wie die Pandemie das Ernährungsverhalten in den Kitas verändert hat. und welchen Einfluss das Projekt „Abenteuer Essen“ darauf haben kann.

Zwei Jahre Pandemie liegen hinter uns, in denen die Kitas vielfach geschlossen waren, das gemeinsame Essen nur eingeschränkt möglich war und die Angst vor Ansteckung unser Sozialverhalten beeinflusst hat. Wie sind die Kitas mit der Situation in den letzten zwei Jahren umgegangen?

Ich habe großen Respekt davor, was die Kitas in dieser Zeit geleistet haben. Selbst in dieser Ausnahmesituation, in der es an Fachkräften gefehlt hat, in der auch die Erwachsenen sich viele Sorgen gemacht haben, haben die Erzieher:innen Hervorragendes geleistet und waren um Normalität bemüht. Durch die hygienischen Vorgaben waren Selbstbestimmung und Selbstständigkeit der Kinder sehr eingeschränkt. Während sich in vielen Kitas die Kinder aus dem Frühstücksangebot und beim Mittagessen die Speisen und die Menge selbst auswählen durften, musste nun das Essen ausgegeben werden. Die Pädagog:innen fingen dies durch eine gute sprachliche Begleitung der Mahlzeiten ab und förderten gleichzeitig dadurch auch die Sprachkompetenz der Kinder: Die Kinder waren nun dazu aufgefordert zu verbalisieren, wie groß ihre Portion sein sollte. So haben sie gelernt, ihren Hunger besser einzuschätzen, und das mathematische Denken durch das Abschätzen von Mengen ein wenig geschult. Auch das Hygienebewusstsein hat sich natürlich verändert, bei den Kindern wie bei den Erwachsenen. Das Projekt „Abenteuer Essen“ ging weiter, auch wenn es über diese lange Zeit schwieriger war, die Kitas zu begleiten. Online haben wir aber manchmal sogar noch mehr Familien erreicht als zuvor.

Welche Vorbildrolle spielen die Eltern beim Thema gesunde Ernährung?

Die kindliche Entwicklung ist geprägt durch uns Erwachsene: Es liegt an uns, wie wir Situationen - auch schwierige Situationen - begleiten. Beim Projekt „Abenteuer Essen“ geht es mir um eine gute pädagogische Begleitung, um bestmöglich mit den Herausforderungen des kulinarischen Alltags umzugehen. Wir brauchen aber auch einen anderen Blick auf die Ernährung: Es ist ja nicht nur wichtig, was es zu essen gibt, sondern die sinnliche Erfahrung und Begeisterung für Lebensmittel, für eine gesunde und abwechslungsreiche Ernährung stehen im Vordergrund. So erreichen wir einen unkomplizierten Umgang mit der Ernährung. „Abenteuer Essen“ sensibilisiert alle Seiten für die Relevanz der Ernährung, ohne Zwang und Druck auszuüben. Die Selbstbestimmung steht hier stark im Vordergrund. In den Schulungen vermitteln wir daher, dass spielerische Selbsterfahrung wichtig ist, um Lebensmittel positiv abzuspeichern.

Welche Tipps haben Sie für Eltern, die ihre Kinder zu einem ausgewogenen Ernährungsbewusstsein erziehen möchten?

Viele Kinder zeigen schon früh Begeisterung für das Essen - deshalb müssen wir ihre Neugier und ihren sprichwörtlichen Hunger auf neue Erfahrungen als eine große Chance begreifen: Trauen Sie Ihren Kindern etwas zu, bereiten Sie gemeinsam kleine Speisen vor. Kochen oder backen Sie gemeinsam, auch wenn es nur Kleinigkeiten sind. Und: lassen Sie Ihre Kinder die Lebensmittel mit allen Sinnen erfahren. Wer Lust hat, auf dem Balkon oder Garten ein Kräuterbeet oder Gemüse anzupflanzen, kann das noch einmal verstärken. Wenn wir uns gemeinsam mit den Kindern um Mahlzeiten kümmern, vor allem aber gemeinsam essen, dann können sie viele schöne Erlebnisse fürs Leben mitnehmen, die sie nie wieder vergessen. Dafür ist es wichtig Zeit mitzubringen, die aber sehr gut angelegt ist. Kinder werden so nicht nur selbstständig, sondern auch unheimlich stolz und kompetent. Nicht zuletzt tun Sie auch sich selbst damit etwas Gutes. Aus dem Projekt „Abenteuer Essen“ kommt ein kleines einfaches Rezept - ganz ohne Zucker - für Haferkekse: Hier können auch schon Krippenkinder mitbacken.

Quelle

Hochschule Heidelberg