Wie wir digitalen Stress vermeiden können

Wie sieht eine gute Balance in der Mediennutzung aus? Wie schaffen wir es, digitalen Stress zu reduzieren und zu vermeiden und digitale Medien selbstbestimmt und achtsam zu nutzen? Und wie können Eltern und Erziehende Heranwachsende bei einem kompetenten und bewussten Umgang mit Medien unterstützen? Darüber sprach das Inititivbüro „Gutes Aufwachsen mit Medien“ mit der Medienpädagogin Franziska Seidel.

Wer kennt es nicht: Ein Signalton, der uns sagt, dass eine neue Nachricht auf unserem Smartphone eingetroffen ist und schon geht unser Blick aufs Gerät, schließlich wollen wir wissen, wer uns geschrieben hat. In unserem Alltag, sei es in der Arbeit, Schule oder in der Freizeit, begleiten uns digitale Geräte kontinuierlich. Wir nutzen sie, um mit anderen in Kontakt zu sein, zu kommunizieren, für die Organisation von Aufgaben oder auch zum Spielen. Doch wie sieht eine gute Balance in der Mediennutzung aus? Wie schaffen wir es, digitalen Stress zu vermeiden und digitale Medien selbstbestimmt und achtsam zu nutzen? Und wie können Eltern und Erziehende junge Menschen bei einem kompetenten und bewussten Umgang mit Medien unterstützen? Darüber sprach das Initiativbüro „Gutes Aufwachsen mit Medien“ mit Franziska Seidel, gelernte Medienpädagogin, die zusammen mit Heide Hüttner, Gesundheitswissenschaftlerin und Stresstrainerin, das Unternehmen „extrazwei“ gegründet hat.

Gesundheitswissenschaften und Medienpädagogik miteinander kombinieren

„Das, was extrazwei ausmacht, ist die Kombination von Methoden aus dem Stressmanagement mit bewährten Strategien aus der Medienpädagogik. So haben wir ein komplett neues, ganzheitliches Konzept entwickelt“, erläutert Franziska Seidel. Mit ihrem Konzept, welches sich vornehmlich an Erwachsene richtet, wollen die beiden Gründerinnen von extrazwei Menschen dabei unterstützen, digitalen Stress zu reduzieren und einen produktiven sowie selbstbestimmten Umgang mit Medien zu entwickeln. Die Hauptzielgruppe sind Erwachsene, weil sich Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung auch an ihnen orientieren und diese als Vorbilder fungieren: Verhalten sich Eltern und Erziehende konträr zu dem, was sie von ihren Kindern in puncto Umgang mit digitalen Medien erwarten, dann werden auch Heranwachsende nicht einsehen, warum sie bestimmte Erwartungen erfüllen sollten. „Ich sehe hier eine Bildungslücke, denn meistens geht es nur darum, wie digitale Medien funktionieren und wie digitale Geräte bedient werden können. Uns geht es darum, zu vermitteln, dass Erwachsene sich bewusst machen, wie sie digitale Medien als Hilfsmittel produktiv und kreativ nutzen können und zugleich einen stressfreien Umgang erlernen“, schildert Franziska Seidel.

Das eigene Medienverhalten reflektieren

In den Workshops und Schulungen, die extrazwei anbietet, geht es zu Beginn immer um die Reflexion des eigenen Medienverhaltens. Wie lange nutze ich Medien und welche Medien nutze ich? „Um das herauszufinden, ist es eine gute Möglichkeit, ein Medientagebuch zu schreiben und sich selbst zu vergegenwärtigen, wann ich welches Medium für wie lange und warum ich es nutze.“ Zudem geht es darum, zu erkennen, was digitaler Stress überhaupt bedeutet. „Häufig ist es so, dass wir Stress gar nicht in Verbindung mit digitalen Medien setzen. Ich muss also erstmal für mich selbst herausfinden, was mich an digitalen Medien stresst und was nicht. Da hilft es, sich die Frage zu stellen, welche Auslöser es gibt, die bei mir ein Unwohlsein hervorrufen“, sagt Franziska Seidel. Digitaler Stress kann zum Beispiel entstehen, wenn eine Person ständig von neuen Nachrichten abgelenkt wird, die im Posteingang des E-Mailprogramms eintreffen. Oder durch verschiedene Emotionen, die entstehen, wenn wir Soziale Medien nutzen. „Hier entsteht jedes Mal eine körperliche Reaktion, zum Beispiel, wenn wir auf einen Beitrag stoßen, der uns glücklich macht, wir über etwas lachen müssen oder nachdenklich werden. Diese Gefühlsachterbahn ist für den Körper anstrengend.“ Andere Beispiele für digitalen Stress können auch automatisierte Handlungen wie zum Beispiel der gewohnte Griff zum Smartphone an der Bushaltestelle oder im Restaurant sein.

Das A und O: Digitale Medien selbstbestimmt nutzen

Franziska Seidel stellt fest, dass viele Menschen digitale Medien eher fremdgesteuert nutzen, dies aber nicht merken, weil das ein unterbewusster Prozess ist. Zum Beispiel greifen viele Menschen sofort nach dem Smartphone, sobald es einen Signalton von sich gibt, schauen Serien im Autoplaymodus an oder lesen neu eingetroffene E-Mails sofort, weil das Mailprogramm permanent geöffnet ist. „Die zentrale Frage lautet daher: Nutzt du die Medien? Oder nutzen die Medien dich? Natürlich möchten wir alle nicht, dass wir fremdgesteuert werden. Entscheidend ist also eine selbstbestimmte Nutzung digitaler Medien. Dies gelingt, wenn ich selbst bestimme, welche Medien ich, wie, wann und wie lange nutze.“

Zu einer selbstbestimmten Mediennutzung zählt, sich die Mechanismen, die Social-Media-Plattformen nutzen, um die Verweildauer auf den Plattformen hoch zu halten und so möglichst viel Geld zu verdienen, zu vergegenwärtigen und zu reflektieren. „Das bedeutet, dass ich verstehe, dass uns der Algorithmus überwiegend solche Beiträge anzeigt, die ich mit großer Wahrscheinlichkeit mag oder die meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen und ich dann manchmal vielleicht länger auf einer App bin, als ich ursprünglich vorhatte.“

Zudem gehört zu einer bewussten Mediennutzung dazu, zu wissen, dass das Internet endlos ist und immer wieder neue interessante Inhalte auf Plattformen auftauchen können. Viele Menschen haben Angst, etwas zu verpassen oder nicht mitzubekommen, wenn sie nicht permanent online sind und auf Beiträge anderer reagieren. „Wir werden es aber niemals schaffen, alle Inhalte aufzunehmen. Wenn ich also nach Feierabend meine Mails checke, werden am nächsten Morgen neue da sein. Ob ich sie sofort bearbeite oder nicht. Auf Social Media sieht es ähnlich aus: Ich kann die aktuellen Beiträge lesen und nach ein paar Minuten wird es wieder Neue geben.“

Strategien für eine stressfreie Mediennutzung

Wichtig ist: Es gibt keine allgemeingültige Strategie für eine stressfreie Mediennutzung. Denn das Stresslevel ist von Person zu Person verschieden. Für manche sind zwei Stunden Social-Media-Zeit pro Tag zu viel und sie fühlen sich gestresst, anderen geht es damit gut. Für das digitale Wohlbefinden muss also jede Person individuell schauen, wie sie ihr Nutzungsverhalten gestalten und was sie gegebenenfalls ändern kann, um dies zu erreichen. Stellt eine Person beispielsweise fest, dass sie zu viel Zeit am Smartphone verbringt, kann sie sich im ersten Schritt fragen, womit – mit welchen Apps und Plattformen –sie diese ausfüllt. Im nächsten Schritt sollte das Bedürfnis dahinter erfragt werden. Ist es der Austausch mit anderen? Ist es Unterhaltung? Ist es Langeweile? Ist das Bedürfnis verortet, lässt sich zum einen schauen, ob es noch Alternativen gibt, mit denen dieses erfüllt werden kann. Zum anderen empfiehlt Franziska Seidel feste Zeiten für die Mediennutzung festzulegen. „Hier hilft es, einfach mal selbst auszuprobieren und so herausfinden, was einem selbst gut tut. Möglich sind auch Hilfsmittel wie Zeitbegrenzungsapps, mit denen individuelle Nutzungszeiten für einzelne Apps eingestellt werden können. Das Smartphone kann beispielsweise auch auf lautlos gestellt werden, damit wir nicht ständig abgelenkt werden, sondern selbst entscheiden, wann wir zum Handy greifen. Selbstbestimmt mit neu eintreffenden E-Mails im Posteingang umgehen kann zum Beispiel gelingen, indem wir feste Mailzeiten einrichten, zu denen wir die Mails lesen und bearbeiten“, erläutert Franziska Seidel.

Eine ausgewogene und gesunde Mediennutzung im Alltag

Für viele ist es nicht leicht, eine ausgewogene Mediennutzung im Alltag zu etablieren. Digital Detox, also der komplette Verzicht auf digitale Medien, ist aber nicht alltagstauglich, da Medien zu unserem Alltag dazu gehören und in vielen Situationen hilfreich sind. „Wir können uns aber bestimmte Gewohnheiten in unserer Mediennutzung auch wieder abtrainieren und neue Angewohnheiten etablieren, die einer ausgewogenen und gesunden Mediennutzung zuträglich sind“, sagt Franziska Seidel. Hat sich eine Person zum Beispiel angewöhnt, abends vor dem Schlafengehen noch Nachrichten zu beantworten und die neusten Beiträge auf Social Media anzuschauen, will diese Angewohnheit aber ändern, kann sie ausprobieren, diese durch eine andere Tätigkeit – auch eine analoge – zu ersetzen. „Das geht natürlich nicht sofort, sondern ist ein schrittweises Herantasten.“

Junge Menschen in einer bewussten und kompetenten Mediennutzung unterstützen

Damit Kinder und Jugendliche einen kompetenten und selbstbestimmten Umgang mit Medien lernen, ist es besonders wichtig, dass Eltern, Erziehende und pädagogische Fachkräfte sie dabei begleiten und unterstützen. Dazu gehört es, als erwachsene Begleitperson selbst eine bewusste Mediennutzung vorzuleben. Franziska Seidel stellt fest, dass es oft Eltern und Erziehende sind, die aufgestellte Medienregeln nicht einhalten und sich des Öfteren Ausnahmen erlauben. „Die Wahrnehmung der eigenen Vorbildrolle und die Reflexion zum eigenen Mediennutzungsverhalten sind also immens wichtig: Wie reagiere ich zum Beispiel, wenn eine neue Mitteilung auf meinem Smartphone eintrifft? Greife ich sofort zum Gerät? Oder lebe ich vor, dass Pausen auch in Ordnung sind?“

Außerdem spielt das Medienwissen eine maßgebliche Rolle in der Medienerziehung. Dieses können sich Eltern und Erziehende auch zusammen mit ihren Kindern aneignen. Hier gibt es mittlerweile ein breites und vielfältiges Angebot, durch das sich digitale Kompetenzen erwerben lassen. Auch können digitale und analoge Elemente miteinander verbunden werden, zum Beispiel können Familien sich einen Film gemeinsam anschauen und anschließend das Gesehene in einer Malaktion ausdrücken.

Zudem ist es wichtig, als Eltern und Erziehende mit Kindern und Jugendlichen in einen offenen Austausch zu gehen und mit ihnen über ihre Mediennutzung zu sprechen. Dazu gehört es, dabei immer wieder in die Reflexion zu gehen, zu hinterfragen und einzuordnen. Und zugleich als erziehende Person anzuerkennen, dass Soziale Medien vor allem in der Phase der Identitätsbildung eine besondere Rolle einnehmen und es vielen Jugendlichen schwer fällt, mal eine digitale Pause einzulegen, weil sie sich dann aus ihrer Peer-Gruppe (Englisch peer = Gleichaltrige:r) ausgeschlossen fühlen. „Hier können erwachsene Begleitpersonen Heranwachsende bestärken, dass es völlig in Ordnung ist, nicht sofort zu reagieren, sondern sich zu einem späteren Zeitpunkt zurückmelden. Viele junge Menschen erkennen darüber hinaus schon selbst, dass die Nutzung digitaler Medien auch zu Stress führen kann, wissen aber nicht genau, wie sie die Situation verändern können. Dann hilft es, gemeinsam herauszufinden, welches Bedürfnis hinter der Nutzung steht und ob es durch mögliche Alternativen gestillt werden kann. Des Weiteren ist es ratsam, zu erklären, dass eine permanente Nutzung digitaler Medien für den Körper anstrengend ist und Pausen daher wichtig sind“, schildert Franziska Seidel.

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Quelle

Fachkräfteportal der Kinder- und Jugendhilfe

Staatsinstitut für Frühpädagogik und Medienkompetenz
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