Recht auf Beteiligung als Voraussetzung für Kinderschutz

Auch wenn die Mehrheit der Weltbevölkerung unter 25 Jahre alt ist - Kinder und Jugendliche werden häufig nicht als eigenständige Persönlichkeiten mit eigenen Rechten wahrgenommen. Dabei ist das „Recht auf Beteiligung“ auch Voraussetzung für funktionierenden Kinderschutz, wie Sozialpädagogin Tanja Müller anlässlich des Jahrestages des Inkrafttretens der UN-Kinderrechtskonvention am 5. April. erklärt.

Tanja Müller ist Kinderschutz-Koordinatorin bei SOS-Kinderdorf in Worpswede/Niedersachsen. Ihr Appell: „Wir brauchen Erwachsene, die Zeit haben und die Kinder ernst nehmen.“ Weitere Fragen beantwortet sie im Interview mit dem SOS-Kinderdorf:

„Recht auf Beteiligung“ bedeutet, dass Kinder und Jugendliche ein Recht darauf haben, sich bei allen Fragen zu beteiligen, die sie betreffen. Warum ist das so wichtig?

„Beteiligte Kinder lernen, Verantwortung zu übernehmen, für sich zu sprechen. Sie lernen, Meinungen und Haltungen zu bilden. Und sie begreifen, wie sie ihre Rechte umsetzen können. Sie lernen, dass es sich lohnt, ihre Stimme zu erheben, dass sie mit ihren Sorgen und Anliegen gehört werden, was eine wichtige Voraussetzung für Kinderschutz ist.“

Ab welchem Alter können Kinder überhaupt beteiligt werden?

„Wir können schon in den Kindertagesstätten ein Bewusstsein schaffen. Ein Beispiel ist das Thema gesunde Ernährung, denn die Zahl adipöser junger Menschen ist nach Corona gestiegen. Sammeln Kinder Wissen über Nahrungsmittel, indem sie Obst und Gemüse selbst anbauen und ernten, lernen sie einen bewussten Umgang damit. Durch diese Art der Partizipation können sie zum Beispiel Speisepläne mitgestalten und eine eigene Haltung zur gesunden Lebensweise entwickeln. So können wir junge Menschen an die Themen der Erwachsenenwelt heranführen.“

Beteiligung funktioniert also nicht ohne beteiligende Erwachsene?

„So ist es. Erwachsene müssen diese Beteiligung zulassen und – noch wichtiger - fördern. Ich kann nur an etwas beteiligt werden, wenn ich inhaltlich weiß, worum es geht. Ansonsten besteht die Gefahr, in überfordernde Situationen zu geraten.“

Beteiligung als Voraussetzung für funktionierenden Kinderschutz

Welche Folgen kann es haben, wenn junge Menschen nicht beteiligt werden?

„Dann entsteht möglicherweise eine Hoffnungslosigkeit, wie wir sie manchmal in so genannten sozialen Brennpunkten beobachten können. Wut, Minderwertigkeitsgefühl und schließlich Antriebslosigkeit sind die Gefahren, wenn Kinder nicht beteiligt werden. Geringere Bildungschancen sind eine nicht seltene Konsequenz.“

Warum gilt Beteiligung als Voraussetzung für funktionierenden Kinderschutz?

„Ein Kind, das beteiligt ist, bringt die Dinge aufs Tablett. Wenn Kinder ihre Rechte kennen, das Recht auf gewaltfreie Erziehung, auf ein eigenes Zimmer, auf freie Meinungsäußerung, dann werden sie auch Dinge sehen und erkennen, die nicht in Ordnung sind. Wenn junge Menschen schon im Kindergarten vermittelt bekommen, dass ihnen niemand weh tun darf, sind das Samenpflanzen, die gesät werden. Wenn sie so früh wie möglich verstehen: Meine Meinung zählt, mein Wohlbefinden zählt – ich zähle! Und wenn sie merken: Ich werde mit meinen Anliegen ernst genommen, mir wird geglaubt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind dann irgendwann sagt, mir geschieht Unrecht, wird so erhöht. Das ist die Basis für gelebten Kinderschutz.“

Viele Fachkräfte würden gern genauer hinhören, schaffen dies jedoch aus Zeitgründen nicht.

„Ganz klar. In vielen Bereichen der Pädagogik sind Teams unterbesetzt. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass es eine politische Entscheidung war, dass jedes Kind ab einem Jahr ein Anrecht auf einen KiTa-Platz hat - die Voraussetzung dafür, sprich, wo die Fachkräfte herkommen sollen, wurde jedoch nicht geschaffen. Wir dürfen im Umkehrschluss nicht übersehen: Wenn sich Eltern nicht auf die Betreuungszeiten verlassen können, geraten sie ebenso schnell in Überforderung. Wenn das Gerüst nicht stabil ist, können wir die Kinder so stark beteiligen, wie wir wollen, im Endeffekt wird dann das Kindeswohl immer leiden. Das heißt, wir brauchen die Politik, die bessere Strukturen schafft - sonst geht es zu Lasten der Kinder.“

Sind Fachkräfte zum Thema Kinderschutz eigentlich ausgebildet?

„Viel zu wenig: Sie müssten über Kinderrechte, über Beteiligung und Schutzkonzepte wesentlich mehr wissen. Leider werden diese Themen in der Ausbildung und im Studium kaum behandelt, sehr viele Mitarbeitende haben also kein Handwerkszeug, um Kinderschutz adäquat zu befördern. Ich kann also nur an Führungskräfte appellieren: Wenn Ihnen das Thema Kinderschutz am Herzen liegt, schauen Sie genau hin, unterstützen Sie ihre Mitarbeitenden und sorgen Sie für Beteiligungsformate in allen Bereichen - und von Anfang an. Denn nur mit Beteiligung kann Kinderschutz funktionieren.“

Quelle

SOS-Kinderdorf e.V.

Staatsinstitut für Frühpädagogik und Medienkompetenz
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