Einnässen in der Nacht: Auch eine Frage der Entwicklung

Wenn Kinder etwa ab einem Alter von 5 Jahren mindestens einmal im Monat im Verlauf von 3 Monaten nachts ins Bett machen (urinieren) und organische Ursachen ausgeschlossen sind, bezeichnen Experten und Expertinnen dies als Enuresis nocturna.

Bei einer Einnässfrequenz von 4 oder mehr Tagen/Nächten pro Woche spricht man von einer häufigen (frequenten) Enuresis oder Harninkontinenz, bei einer Frequenz von unter 4-mal pro Woche (aber mehr als 1-mal pro Monat) von einer seltenen (infrequenten) Harninkontinenz. In Abgrenzung zur primären Enuresis (noch nie länger als 6 Monaten trocken) besteht eine sekundäre Enuresis dann, wenn das betroffene Kind schon einmal mindestens 6 Monate lang hintereinander trocken war und es dann einen Rückfall gab. Dieser hat dann überwiegend psychologische Ursachen (z.B. Trennung der Eltern, Probleme in der Schule, Wechsel vom Kindergarten in die Schule, Geburt eines Geschwisterkindes).

Das Vorhandensein der Enuresis nocturna im Alter von 7 Jahren liegt im Mittel noch bei 10%. Jungen sind etwa zweimal häufiger als Mädchen betroffen. Etwa 25% der Kinder zeigen in diesem Alter eine sekundäre Enuresis. Im Alter von 10 Jahren nässen noch etwa 5% der Kinder nachts ein, im Alter von 16-17 Jahren sinkt die Rate auf 0,5-1,7%. Der spontane Rückgang liegt bei etwa 15%/Jahr.

„Wann Kinder trocken werden, hängt vom individuellen Reifungsprozess ab. Deshalb können Eltern das Trockenwerden auch nicht erzwingen. Zeigt das Kind Interesse, können Eltern bei ihm etwa mit 18 Monaten spielerisch mit dem Sauberkeitstraining anfangen. Im 3. Lebensjahr erwerben bereits viele Kinder eine verlässliche Blasenkontrolle tagsüber, allerdings nicht unbedingt schon nachts. Die Bandbreite der normalen Kontinenzentwicklung ist insgesamt enorm groß “, erklärt Dr. Ulrich Fegeler, Kinder- und Jugendarzt sowie Mitglied des Expertengremiums des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Kinder, die jenseits des 5. Geburtstages nachts noch einnässen, sind in der Regel schwerer erweckbar und wachen nicht durch das Empfinden einer vollen Blase auf. Zudem ist die automatische Kontrolle über den Blasenentleerungsreflex nicht ausreichend bzw. verzögert entwickelt. In einigen Familien tritt nächtliches Einnässen gehäuft auf, was für eine genetische Festschreibung spricht. Frühgeborene, Kinder mit ADHS oder Autismus haben ebenfalls ein erhöhtes Risiko für eine verzögerte Reifung der nächtlichen Harnblasenkontrolle.

Wichtige Hilfsmittel: Fragebögen und Protokolle

Für die Diagnose sind ein Blasentagebuch und ein Protokoll über die Blasenentleerung wichtig. Das Blasentagebuch soll über mindestens 48 Stunden das Trinkverhalten (mit Trinkmenge) und die Urinabgabe („Pipiprotokoll“) erfassen. Empfohlen wird zusätzlich eine Registrierung der nassen und trockenen Nächte (z.B. „Sonnen-Kalender“). Ca. 15-20% aller Kinder werden bereits durch eine solche „Baseline“ mit Kalenderführung nachts trocken. Eine Dauer von 4 Wochen ist meistens ausreichend. Bei fast ausschließlich nassen Nächten sollte allerdings die Kalenderführung nach 2 Wochen beendet, bei deutlicher Verbesserung natürlich auch länger als 4 Wochen weitergeführt werden. „Damit und mit einer ausführlichen körperlichen Untersuchung mit Urinprobe, Befragung und einer Ultraschalluntersuchung der Nieren und Harnwege kann der Kinder- und Jugendarzt körperliche Ursachen ausschließen und einen Therapieplan erstellen“, erläutert Dr. Fegeler.

Therapie

Lob, Ermutigung

Vor dem Schlafen am Abend hilft es, die Trinkmenge zu verringern, aber das Trinken nicht zu verbieten. Das letzte Glas nimmt das Kind idealerweise etwa 2 Stunden vor dem Schlafengehen zu sich. Durch das Aufschreiben der nassen und trockenen Nächte in einem kindgerechten Kalender (“Sonnen-Kalender“, s.o.) sollen Kinder das Ziel bewusst und positiv wahrnehmen. Das Lob der Eltern kann trockene Nächte positiv verstärken. „Da Kinder selbst unter dem Einnässen leiden und sich dafür schämen, sollten Eltern unbedingt von Vorwürfen und Bestrafungen absehen. Sie belasten Kinder nur zusätzlich“, rät Dr. Fegeler. 

„Klingelhose“

Führen diese Maßnahmen nicht allein schon zum Erfolg, stehen als weitere Therapiemöglichkeiten die Behandlung mit der apparativen Verhaltenstherapie (AVT = nächtlicher Weckapparat) und oder die medikamentöse Gabe von Desmopressin zur Verfügung. Als Weckapparat kann eine „Klingelhose“ oder „Klingelmatte“ fungieren. Bei diesen Geräten wird über einen Feuchtigkeitsfühler ein Stromkreis geschlossen und erzeugt ein Klingeln oder Vibrieren bei Nässe. Aus der Erfahrung von Urinfluss und gleichzeitig auftretendem unangenehmem Ton und Wachwerden formt das Hirn den Impuls „Urinfluss stoppen“, sodass auf die Dauer der nächtliche Urinfluss mit einer belästigenden Erfahrung gekoppelt und reflektorisch eingehalten wird. Voraussetzung für eine AVT sind Motivation und Mitarbeit des Kindes und der Eltern. In der Regel funktioniert eine AVT erst ab dem Alter von 7 Jahren. Die Familie muss wissen, dass die AVT über einen Zeitraum von mindestens 2-3 Monaten durchgeführt werden muss und insbesondere bei Beginn nicht das Kind, sondern die Eltern wach werden und das Kind wecken müssen.

Medikament

Lehnen die Eltern eine AVT-Therapie ab oder wirkt diese nicht zufriedenstellend, kann die Therapie auch mit Desmopressin durchgeführt werden. Auch kritische Situationen wie Klassenfahrten oder Urlaubsreisen können mit einer Desmopressinbehandlung überbrückt werden. Die Therapie mit Desmopressin ist kurzfristig oft erfolgreicher als die Behandlung mit AVT, aber nicht unbedingt nachhaltig. Eine Behandlung mit Desmopressin sollte ausschließlich in enger Begleitung durch den Kinder- und Jugendarzt bzw. die Kinder- und Jugendärztin erfolgen.

Quelle:Interdisziplinäre S2k-Leitlinie: Enuresis und nicht-organische (funktionelle) Harninkontinenz bei Kindern und Jugendlichen

Quelle

Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e.V. (BVKJ)