Jugendliche aus finanziell schwachen Familien knüpfen weniger Freundschaften
Jugendliche aus einkommensschwachen Familien haben weniger Möglichkeiten, Freundschaften zu schliessen und sich in der Schule sozial zu integrieren. Dies ergab eine Studie von Forschern der Universitäten Zürich und Stockholm, die Daten von über 200 Schulklassen in Schweden untersuchte.
Freundschaften in der Schule sind wichtig für die Entwicklung während der Adoleszenz und prägen die soziale Kompetenz im späteren Leben. Fühlen sich Jugendliche in der Schulklasse gut integriert, fördert dies das psychische Wohlbefinden, die schulischen Leistungen – und damit auch das Vorankommen in der Arbeitswelt.
Eine Studie unter der Leitung der Universität Zürich ging der Frage nach, wie das Einkommen der Eltern das soziale Gefüge in einer Schulklasse beeinflusst. Dazu untersuchten die Forschenden Erhebungs- und Verwaltungsdaten von 4787 schwedischen Jugendlichen im Alter von 14 und 15 Jahren in 235 Schulklassen. Zusätzlich analysierten sie deren Freundschafts-Netzwerke. Sie kamen zum Schluss, dass Jugendliche aus einkommensschwachen Familien unabhängig vom Kontext der Schule weniger sozial integriert sind als ihre finanziell besser gestellten Altersgenossen.
Einkommen und Status beeinflussen Freundschaften
«Wir stellten fest, dass Schülerinnen und Schüler aus ärmeren Haushalten seltener als Freundin oder Freund ausgewählt werden und somit weniger freundschaftliche Beziehungen pflegen als solche aus einkommensstärkeren Haushalten», sagt Erstautorin Isabel Raabe vom Soziologischen Institut der Universität Zürich. Erstaunlicherweise sei dies auch in Klassen mit vielen Jugendlichen aus armen Haushalten der Fall. Als arm wurden gemäss den Forschenden Familien in den untersten 20 Prozent der Einkommensskala Schwedens gewertet.
«Uns hat überrascht, dass selbst innerhalb einkommensschwacher Gruppen das elterliche Einkommen eine Rolle spielt. Das könnte bedeuten, dass der soziale Status mit entsprechenden Attributen wie modischer Kleidung oder trendigen Freizeitbeschäftigungen beim Schliessen einer Freundschaft wichtig ist», so die Autorin. Eine weitere Erklärung könnte sein, dass arme Jugendliche weniger Geld für Sport oder Hobbies zur Verfügung und können so weniger zusätzliche Kontakte ausserhalb der Schule knüpfen. Oder sie leiden unter wirtschaftlichem und familienbezogenem psychosozialem Stress, der sich auf ihr Verhalten auswirkt und sie als Freunde weniger attraktiv macht.
Netzwerk von Freundinnen und Freunden
Würde sich das Freundschaftsgefälle verringern, wenn das elterliche Einkommen keine Rolle für das Enstehen von Freundschaften spielen würde? Auch dieser hypothetischen Frage ging die Studie nach. Postdoktorandin Isabel Raabe: «Wir konnten allerdings nur etwa ein Drittel dieses Freundschaftsgefälles tatsächlich durch Unterschiede im elterlichen Einkommen erklären.» Also muss es im sozialen Netzwerk noch weitere Mechanismen geben, welche die vorhandenen finanziellen Unterschiede noch verschärfen – zum Beispiel die Beliebtheit. Wer schon viele Freunde hat, findet leichter weitere.
Denn Menschen neigen dazu, sich mit den Freundinnen und Freunden ihrer Freunde anzufreunden – in diesem Sinne kann jede Freundschaft potenziell weitere generieren. Wenn Ärmere allerdings von vornherein weniger Kameradschaften pflegen, ist auch die Wahrscheinlichkeit geringer, neue Kontakte zu knüpfen. So können sich gemäss Raabe die einkommensbezogenen Unterschiede bei Freundschaften weiter verstärken und Kinder und Jugendliche aus finanzschwachen Haushalten am Anfang ihrer Bildungs- und Berufslaufbahn benachteiligen.
Sozioökonomische Durchmischung wichtig
Um diesen Tendenzen entgegenzuwirken, sollten die Schulen mehr Gelegenheiten zum Aufbau neuer Freundschaften schaffen. «Dies könnte geschehen, indem man die Sitzordnung in den Klassen sowie in Lern- oder Projektgruppen regelmässig in Bezug auf den sozioökonomischen Hintergrund durchmischt oder klassenübergreifende Nachmittagsaktivitäten oder Sportangebote bietet», sagt Raabe. Denn es liege in der öffentlichen Verantwortung, Chancengleichheit für Kinder aller Schichten zu gewährleisten.