Abenteuer Barfußgehen
Dr. Lorenz Kerscher
Schon die Kinder erleben heute einen gut organisierten Alltag, in dem man ganz selbstverständlich Schuhe trägt. Doch die Freiräume, die sie für ihre Entwicklung unbedingt brauchen, erobern sie viel lieber barfuß. Da dies ihrer Gesundheit und Entwicklung förderlich ist, bietet man ihnen gerne geeignete Aktivitäten „auf freiem Fuß“.
Für den Einstieg in das Abenteuer Barfußgehen bieten sich zahlreiche Barfußpfade als Ausflugsziele an, auf denen man über Naturboden, vielfältige Materialien, Balancierstrecken und auch durch Wasser und Schlamm geht. Man kann sich auch geführten Barfußwanderungen anschließen, entsprechenden Hinweisen in Familienwanderführern folgen oder selbst geeignete Pfade finden. Viel Spaß haben Kinder, wenn sie selbst einen kleinen Barfußpfad mit verschiedenartigen Naturmaterialien anlegen dürfen. Und ganz unabhängig von Wetter und Jahreszeit gibt es viele lustige Fußgymnastikspiele, die sich zu ganzen Barfußturnstunden in Schule und Verein kombinieren lassen.
Ein vernünftiger Kinderwunsch
Fast alle Kinder gehen gerne barfuß und suchen das kleine und harmlose Abenteuer, mit allen Sinnen den Untergrund zu spüren und in ihren Bewegungsabläufen viel freier und sensibler zu werden. Und sie haben recht: Die Füße fit und beweglich zu halten, sollte genauso zur Körperpflege gehören, wie Zähneputzen und Haarewaschen. Denn sie müssen uns im Laufe des Lebens über eine Strecke tragen, die sich zu einer mehrfachen Erdumrundung aufsummiert. Für uns aufrecht gehende Wesen ist das ein Balanceakt, der perfekt funktionieren muss, weil sonst Knie und Rücken Schaden nehmen würden. Vernachlässigung der Füße rächt sich auf Dauer und muss oftmals mit schmerzhaften Einschränkungen unserer Bewegungsmöglichkeiten bezahlt werden.
Die Motivation zu regelmäßigem Barfußtraining der Füße bringen die Kinder schon mit. Die Erwachsenen müssen ihnen nur noch die am besten geeigneten Übungsmöglichkeiten nahebringen. Dabei werden Eltern, Lehrer und Erzieher oftmals vom Barfußspaß der Kinder mitgezogen und entdecken selbst wieder die Freude am natürlichen Gehen und seinen gesundheitlichen Nutzen.
Barfußlaufen für die Gesundheit
Gesunde Entwicklung der Fußmuskulatur
Die Fußgewölbe werden alleine durch Muskelkraft in der richtigen Position gehalten. Bequemes Gehen in Schuhen genügt nicht, um die Fußmuskulatur ausreichend zu trainieren. Die stärkere Beanspruchung beim Barfußgehen, am besten auf unebenem Naturboden, kräftigt die Füße auf natürliche Weise und verhindert Senk- und Spreizfüße und die später aus ihnen entstehenden Fuß-, Knie- und Rückenschäden.
Grundlage für einen gesunden Rücken
Der aufrechte Gang ist ein sehr komplizierter Vorgang, bei dem die Wirbelgelenke sehr genau aufeinander ausbalanciert werden müssen. Das funktioniert selbst in unwegsamem Gelände, weil die Füße die Wahrnehmung der eigenen Bewegungen an die sensomotorischen Zentren im Gehirn melden. Damit liefern sie Information für sehr genaue Bewegungsabläufe und vor allem auch für die Steuerung der Haltemuskulatur der Wirbelsäule, die sich jedem Untergrund und jeder Unebenheit anpassen muss.
Das geht barfuß am besten, denn der Fuß schöpft dabei nicht nur seine volle Bewegungsfreiheit aus, sondern sendet auch ein Maximum an Sinnesinformation an die Bewegungszentren im Gehirn. Bei Kindern verbessert das ganz unmittelbar die Körperhaltung, im fortgeschrittenen Alter kann das auch helfen, schmerzhafte Wirbelblockaden zu lösen. So können Jung und Alt einen idealen Ausgleich für unsere rückenschädliche sitzende Lebensweise finden.
gegen Krampfadern und andere Venenleiden
Barfußlaufen verhindert Blutstau in den Beinen, der oftmals auch durch einengende Schuhe verursacht wird. Ohne Schuhe bewegt sich der Wadenmuskel viel stärker und kann seine Wirkung als Blutpumpe uneingeschränkt entfalten. Deshalb wird barfüßiges Bewegungstraining zusammen mit Kneipp‘schen Wasseranwendungen als Heilmethode gegen Venenleiden eingesetzt.
gegen Erkältungskrankheiten
Durch Muskelarbeit, Sohlenmassage und wechselnde Temperaturreize wird die Durchblutung gesteigert und die Wärmeproduktion im ganzen Körper angeregt. Oft genügt ein wenig Barfußlaufen im taufrischen Gras — oder eine Minute genüssliches Stapfen in frischem Schnee, um die ganze Nacht wunderbar warme Füße zu haben! Dieser „Kneipp-Effekt“ stärkt die Abwehrkräfte Erkältungskrankheiten.
gegen Pilzkrankheiten
Fuß- und Nagelpilz können sich nur im feuchtwarmen Klima geschlossener Schuhe einnisten. Im Gegenzug macht Austrocknung, wie sie sich beim Barfußlaufen von selbst ergibt, dem ungebetenen Gast das Leben unmöglich. Gerbstoffe des Bodens entwickeln darüber hinaus eine pilzhemmende Wirkung.
Das Familienabenteuer auf bloßen Sohlen
Wenn man auf einer Wanderung auf ein schönes Stück Wald- und Wiesenboden trifft, verhindert meist die Macht der Gewohnheit, dass man diese Gelegenheit für entspannendes Barfußgehen nutzt. Den Einstieg in das Barfußwandern finden Kinder und Leute in erster Linie durch Freizeitangebote, die eigens dafür geschaffen wurden.
Barfußpfade
Seitdem 1992 in Bad Sobernheim der erste Barfußpfad Deutschlands eingerichtet wurde, wählen viele Familien oder Wandergruppen die immer zahlreicher entstehenden Barfußparks als Ausflugsziele. Auf der Übersichtsseite sind (zum Stand Anfang 2013) über 100 Rundwanderwege von 0,5 bis 5 km Länge dargestellt, die eigens für das Barfußlaufen eingerichtet und mit phantasievollen Erlebnisstationen ausgestattet wurden.
Barfußpfade, manchmal auch als Barfußparks bezeichnet, bieten neben dem Gehen auf naturbelassenen Böden auch vielfältige Materialfühlstrecken und Balanciermöglichkeiten. Meist gibt es auch Möglichkeiten zum Wassertreten in verschiedenster Form, vom klassischen Kneippbecken bis hin zur Flussüberquerung. Oftmals sind Naturerlebnisspielplätze und liebevoll gestaltete Rastplätze einbezogen. Beliebt sind auch Kombinationen mit andersartigen Themenwegen z.B. Lehrpfade zur Geologie oder zu fortwirtschaftlichen Themen, auf denen man die typischen Materialien mit den bloßen Füßen fühlen kann.
Ein entscheidender Vorteil der Barfußpfade ist die regelmäßige Kontrolle und Instandhaltung durch die Betreiber, so dass man sich jederzeit gefahrlos und mit ungetrübtem Vergnügen auf das Abenteuer Barfußgehen einlassen kann.
Fühlpfade – die kleine, aber flexible Lösung
Kinder haben viel Spaß daran, selbst einen kleinen Barfußpfad mit verschiedenartigen Naturmaterialien zu bauen. Das kann irgendwo im Freien sein, wo die Familie oder Gruppe eine längere Rast macht. Auch zu Hause im Garten, im Außengelände von Schule und Kindergarten oder als Beitrag zu einer Veranstaltung kann ein solcher Sinnespfad gestaltet werden.
Will man das Gelände am Ende so verlassen, wie man es angetroffen hat, legt man die verschiedenen Materialien am besten auf Vliesbahnen aus. Ein paar Steinbrocken oder Holzstangen, die ausreichend stabil am Boden liegen müssen, können für eine Balancierstation genutzt werden. Das Materialsammeln und Bauen macht den Kindern genauso viel Spaß wie die Benutzung. Vor allem auf Spiel-, Schul- und Kleinkunstfesten bis hin zu Großereignissen wie dem Münchner Streetlife-Festival (siehe Bild) finden solche Pfade guten Anklang. Dazu gibt es auch eine Anleitung, ergänzen kann man das Angebot mit Fußgymnastikspielen.
Wenn in einem Schulhof oder auf einem Spielplatz, an einem Erlebnispfad oder einer Sportstätte dauerhafte Barfußpfade geschaffen werden sollen, steht ein ausführlicher Lösungskatalog zur Verfügung
Die ganze Welt ist Barfußpark
„Festes Schuhwerk erforderlich“ steht meist in der Zeitung, wenn eine Wanderführung angekündigt wird. Doch hin und wieder gibt es auch Gruppen, die diesen Hinweis bewusst weglassen und sich ohne Schuhe zum Wandern treffen. Wer das einmal kennengelernt hat, schließt sich gerne Leuten an, die geeignete Strecken kennen und eine Barfußwanderung abseits unangenehmer Schotter- und Asphaltwege führen können. So profitiert man von deren Ortskenntnis und geht angenehme Wege auf abwechslungsreichem Wald-, Wiesen- und Erdboden. In neuerer Zeit geben auch einige Wanderführer Hinweise auf barfuß begehbare Wegabschnitte, siehe hier.
Fußgymnastik
Auch wenn im Winter die Barfußparks geschlossen sind, soll der gesunde Zeitvertreib „auf freien Füßen“ nicht zu kurz kommen. Dafür gibt es viele lustige und einfache Spielideen.
Etwa hundert phantasievolle Fußgymnastikspiele beschreibt das unten zitierte Buch „Kinder machen Fußgymnastik“, das auch von vielen Physiotherapeuten als Standardwerk für die Arbeit mit Kindern geschätzt wird.
Eine praxiserprobte Serie von Fußspielen, die geringem Materialaufwand zu realisieren sind, beschreibt auch die Anleitung für Fußgymnastikturnstunden. Diese Seite gibt Anregungen für das Üben im Familienkreis ebenso wie für die Gestaltung ganzer Sportstunden mit Grundschulklassen.
Die Naturheilwirkung dieser Fußspiele beruht auf den folgenden Wirkungen:
- Die meisten Übungen erfordern Greifen mit den Zehen. Das stärkt die Haltemuskulatur des Fußgewölbes und macht die Zehen nach allen Richtungen beweglich. So entwickelt der Fuß gesunde Wölbungen und wird fähig, stoßgedämpft aufzutreten und jeden Schritt perfekt auszubalancieren.
- Balancegefühl und Koordination der Bewegungsabläufe werden geübt, indem man auf einem Fuß stehend mit dem anderen etwas Kniffliges macht. So wird das Bewegungsgefühl gefördert, das ansonsten durch unsere sitzende Lebensweise wenig Entwicklungsanreiz erfährt.
- Das Raumempfinden soll nicht nur im Arbeitsbereich der Hände, sondern im ganzen Aktionsradius unseres Körpers und darüber hinaus gefördert werden. Mit den Geschicklichkeitsübungen für die Füße wird das Zusammenspiel der Körpersinne mit dem räumlichen Sehen intensiv geübt und weiterentwickelt.
Bewegung soll Spaß machen!
Jedem ist bewusst, dass unsere Lebensweise zu wenig Anreiz und oft auch zu wenig Gelegenheit für das notwendige Bewegungspensum bietet. Deshalb ist körperliche Aktivität gefragt, die intensiv und umfassend auf Leib und Seele wirkt. Barfußgehen und Fußgymnastik sind Freizeitmöglichkeiten, die unsere Körperwahrnehmung herausfordern und Mobilität ganz ursprünglich und sinnlich erleben lassen. Oftmals erlebt man, dass dadurch der kindliche Tatendrang geradezu entfesselt wird. So entsteht von Kindheit an das Bewusstein, dass Bewegung Spaß macht und dass wir den Körper und insbesondere unsere Füße nicht vernachlässigen dürfen. Denn wir erwarten von ihnen nicht gerade wenig: sie sollen uns ohne Probleme, Pannen und Schmerzen durch das ganze Leben tragen!
Literatur
- Köhler, B. und Reber, H. (2006): Kinder machen Fußgymnastik, Stuttgart, Ferdinand Enke-Verlag, 5. Auflage.
- Soeffker, E. u. S. (2012): Barfußwandern – Münchner Berge und Alpenvorland, München, Rother-Verlag, 2. Auflage.
Autor
Dr. Lorenz Kerscher, Penzberg
Biochemiker
Seit 1983 in der Entwicklung bei Roche Diagnostics (vorher Boehringer Mannheim) tätig.
Die Beschäftigung mit dem Thema Barfußparks ergab sich aus der ehrenamtlichen Mitwirkung im Arbeitskreis Naherholung der Penzberger Lokalen Agenda. Im Rahmen dieser Initiative wurde in 2001 ein Barfuß-Erlebnispfad am Stadtrand eingerichtet und Information über andere Einrichtungen dieser Art gesammelt.
Durch Recherchen, Erfahrungsaustausch und Besichtigungen wurde eine Informationsbasis über die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten von Barfußpfaden aufgebaut und auf der Homepage www.barfusspark.info dargestellt. Dieses Webportal wie auch die Kontaktaufnahme mit verschiedenen Organisationen dient dem Anliegen, diese Möglichkeit naturnaher Freizeitgestaltung bekannt zu machen und in Naherholungs- und Tourismusprojekte einzubringen.
Bilder in diesem Artikel wurden vom Autor fotografiert und werden mit Einverständnis der abgebildeten Personen gezeigt.
Kontakt
Dr. Lorenz Kerscher
Paul-Loebe-Str.21
82377 Penzberg
Tel: 08826 – 8921
Erstellt am 9. Dezember 2003, zuletzt geändert am 9. Juli 2013