Bewegung für Eltern und Kind
Kinder können sich ohne Bewegung nicht gesund entwickeln. In unserer Gesellschaft ist es aber nicht uneingeschränkt möglich, dem Bewegungsdrang von Kindern ständig und überall freien Lauf zu lassen. Deswegen stellt sich die Frage, wie viel Bewegung für die kindliche Entwicklung wirklich erforderlich ist.
Der Verkehr auf unseren Straßen erschwert Kindern gefahrloses Spielen im Freien. In der Wohnung sind es wertvolle Einrichtungsstücke oder verständnislose Nachbarn, die dem Bewegungsdrang der Kinder enge Grenzen setzen. Dazu kommt, dass Kinder viel Zeit brauchen, um Bewegungserfahrungen zu machen. Eine eilige Mutter wird ihr zweijähriges Kind in den Buggy setzen, um schnell ans Ziel zu gelangen. Das Kind ist so zwar an der frischen Luft gewesen, aktive Bewegungserfahrungen konnte es aber nicht machen.
Kinder brauchen Zeit – auch für Bewegungserfahrungen
Uns Erwachsenen ist die Hektik des Lebens nach der Uhr selbstverständlich geworden. Eine Stunde, die nicht mit einer “sinnvollen” Betätigung ausgefüllt ist, halten wir für verschwendet. Als Eltern müssen wir mühsam lernen, dass diese Vorstellungen kleinen Kindern noch vollkommen fremd sind. Sie wollen uns nicht ärgern, wenn sie unterwegs plötzlich die Kette vor einer Toreinfahrt als phantastisches Spielgerät entdecken. Ob sich wohl darauf schaukeln lässt? Oder ob man besser unten durchkriecht? In einer solchen Situation sollten Sie als Eltern das Kind freundlich abzulenken versuchen, wenn Sie tatsächlich einen wichtigen Termin einhalten müssen. Aber nehmen Sie sich gleichzeitig fest vor, dem Kind bei nächster Gelegenheit mehr Zeit zum Erforschen der Kette zu lassen.
Kinder sind Bewegungsexperten
Dank ihrer Phantasie entdecken Kinder überall Möglichkeiten, sich zu bewegen. Zwischen Pfosten muss man sich hindurch winden, über Steine wird gehüpft, niedrige Mauern sind zum Balancieren da, Tauben in der Fußgängerzone müssen verjagt werden und Treppen sind natürlich zum Turnen und Springen erfunden worden. Für Kinder ist das klar. Wenn da nur nicht immer die Erwachsenen wären, die ihnen jeden Spaß verderben! Bitte überlegen Sie sich genau, welche selbst erfundenen Bewegungsspiele Sie Ihrem Kind zu seiner Sicherheit wirklich verbieten müssen. Neben dem Straßenverkehr spielen besonders im städtischen Raum auch hygienische Gründe eine Rolle. Ein großer Randstein, der von jedem Hund als Toilette benutzt wird, eignet sich leider wirklich nicht (mehr) zum Turnen.
Was Bewegung für die Entwicklung bedeutet
Noch immer glauben viele Erwachsene, ein Kind sei “brav” , wenn man es nicht hört. Nur wenige Erwachsene können sich über den fröhlichen Lärm freuen, den ein tobendes Kind macht. Diese Einstellung hat schlimme Folgen für unsere Kinder. Sie brauchen viele und vielfältige Bewegungserfahrungen,
- damit sich ihre motorischen Fähigkeiten entwickeln
- damit sich ihre sensorischen (also auf die Sinnesorgane bezogenen) und geistigen Fähigkeiten ausbilden
- um das soziale Miteinander mit anderen Menschen zu erproben.
Durch die Bewegung macht Ihr Kind außerdem Erfahrungen mit seinem Körper und über ihn. Diese Erfahrungen sind unerlässlich, damit es sein Selbstbewusstsein entwickelt. Bei kleinen Kindern ist das Bild, das sie von sich selbst haben, ganz eng mit ihren Körpererfahrungen verbunden.
Ein Kind, das im Kindergartenalter nicht so geschickt ist wie die anderen, nicht wie seine Altersgenossen klettern oder hüpfen kann, gerät leicht in eine Außenseiterrolle. Es kann durch mangelnde Bewegungserfahrungen sogar zu Verhaltensproblemen kommen.
Das Vorbild sind Sie
In den ersten Lebensjahren ist es vor allem Ihr Verhalten, das sich auf Ihr Kind überträgt. Wenn Sie lieber gemütlich im Auto zum Bäcker um die Ecke fahren, als das Fahrrad zu nehmen, oder, statt die Treppe zu steigen, stets den Aufzug benutzen, vermitteln Sie dem Kind, dass man jede überflüssige Bewegung besser vermeidet. Auch Ihr Umgang mit den Bewegungserlebnissen der Kinder ist prägend. Wenn Sie bei jedem Kletterversuch überängstlich reagieren, wird sich diese Angst auch auf das Kind übertragen.
Bewegungstipps
Babymassage und Babygymnastik
Bewegungserfahrung und Körpererfahrung hängen zusammen. Massage hilft schon Babys, ihren Körper zu erfahren. Babymassage ist natürlich noch viel mehr: Sie stärkt die Beziehung von Eltern und Kind. Das Baby reagiert von Anfang an auf die Berührung. Eltern, die ihr Kind einfühlsam massieren, lernen es besser kennen und können seine Bedürfnisse mit der Zeit “erspüren” . Massage reguliert außerdem wichtige Körperfunktionen wie die Durchblutung, die Verdauung oder die Atmung. Sie unterstützt die allmähliche Muskelkoordination.
Gute Vorbereitung ist wichtig. Wählen Sie zum Massieren eine ruhige Stunde, die nicht von Terminen begrenzt ist. Ideal aus Sicht des Kindes ist die Zeit zwischen den Mahlzeiten. Schaffen Sie für sich und Ihr Kind eine angenehme Atmosphäre. Während der gesamten Massagezeit sollte der Raum warm sein. Setzen Sie sich zunächst selbst entspannt hin, achten Sie dabei auf eine gute, bequeme Haltung. Beginnen Sie damit, Ihre eigenen Hände mit Massageöl warm und geschmeidig zu reiben.
Zeigen Sie dem Baby über die eigentliche Massage hinaus Ihre Zuneigung. Sprechen Sie sanft mit ihm, singen Sie und halten Sie offenen Blickkontakt. Bei Neugeborenen beschränkt sich die Massage auf sanftes Streicheln und Wiegen. Junge Babys haben sanfte Berührungen lieber. Allmählich können Sie dann mehr Druck ausüben. Der Bauch wird dem Lauf des Darmtraktes entsprechend immer im Uhrzeigersinn gestreichelt. Achten Sie bitte grundsätzlich darauf, wie sich Ihr Baby fühlt. Erzwingen Sie nichts, wenn es nicht gut aufgelegt ist und an der Massage offensichtlich kein Vergnügen findet. Gönnen Sie ihm Ruhe, und versuchen Sie es später noch einmal.
Übungen mit gesunden Babys ab 3 Monaten
Winkeln Sie Ihre Beine leicht an, stützen Sie den Rücken bequem ab. Legen Sie das Baby nun auf Ihre Schenkel, sein Kopf liegt dabei zwischen Ihren geschlossenen Knien, die Beine des Babys ruhen locker auf Ihrem Bauch. Nehmen Sie ein Händchen, und führen Sie es sanft über die Brust zur gegenüberliegenden Schulter. Dann kommt das andere Händchen an die Reihe.
Spreizen Sie die Beine Ihres Babys ab und winkeln Sie sie an. Halten Sie das Ärmchen nun am Ellbogen und führen Sie es zum Kopf hoch. Dabei soll die Handinnenfläche den Kopf berühren. Streichen Sie mit dem Händchen sanft über das Gesicht Ihres Kindes. Öffnet sich die Hand dabei? Wechseln Sie die Arme ab und versuchen Sie das gleiche Spiel auch mit beiden Händen, wenn Ihr Baby Spaß daran hat.
Mit eingeölten Händen legen Sie nun Ihre Hände zur Bauchmassage seitlich auf den unteren Brustkorb des Babys. Streichen Sie in sanftem Bogen über seinen Bauch und führen Sie Ihre Fingerspitzen kurz über dem Schambein wieder zusammen. Wenn Ihr Baby diese Massage genießt, dann wiederholen Sie die Übung.
Drehen Sie das Baby vorsichtig auf den Bauch. Seine Beine sind leicht gespreizt, die Füßchen nach innen gekehrt. Massieren Sie nun mit beiden Händen abwechselnd den ganzen Rücken vom Nacken bis zum Po.
Erste Bewegungsspiele
Viele Kinder bewegen sich ohne Kleidung und Windeln aktiver. Deswegen sollten Sie Ihr Kind von Anfang an nach dem Wickeln noch eine Weile lang nackt strampeln lassen (siehe auch das Kapitel zur Körperpflege).
Spiele mit dem Wasserball
Das nackte Baby liegt auf dem Rücken. Binden Sie einen großen, aufgeblasenen Wasserball an eine Schnur und halten Sie ihn über das Kind. Es wird mit großem Vergnügen danach greifen und schlagen und freut sich über die Bewegung des Balls, die es damit auslöst. Halten Sie den Ball auch über seine nackten Füße. Ihr Kind reagiert mit Strampeln und Treten oder streckt alle viere danach aus. Freuen Sie sich an den fröhlichen Lauten Ihres “turnenden” Babys.
Dann legen Sie Ihr Baby mit dem Bauch über den Ball. Ein Handtuch zwischen Haut und Ball verhindert, dass Ihr Kind “kleben” bleibt. Halten Sie das Baby dabei sicher am Rumpf fest. Die Arme und Beine sollen frei beweglich bleiben. Rollen Sie das Baby nun sanft mit dem Ball vor und zurück.
Lassen Sie Ihr Kind ab und zu als Flieger durch die Wohnung segeln. Gehen Sie dabei aber bitte behutsam vor, es gibt Kinder, die diese Art der Bewegung gar nicht schätzen. Sobald das Baby sicher sitzen kann, hat es großen Spaß an den sogenannten Kniereitern wie “Hoppe, hoppe Reiter” .
Bewegungsspiele für groß und klein
Im Freien
Nutzen Sie jede Gelegenheit, die sich im Alltag bietet, für kleine Bewegungsspiele. Wenn Ihr Kind schon sicher läuft, wird ein Spaziergang durch ein lustiges Spiel zu einem fröhlichen Erlebnis. Sie laufen je nach dem Entwicklungsstand des Kindes mehr oder weniger weit voraus, bleiben stehen, drehen sich zum Kind um, breiten die Arme weit aus und rufen: “Wer kommt in meine Arme?” Das Kind läuft strahlend auf Sie zu. Sie fangen es in Ihren Armen ein und drehen sich ein paar mal mit ihm im Kreis, bevor Sie es wieder absetzen und das Spiel von neuem beginnen kann.
Mit Kindern, die schon sicher rennen und hüpfen, wird ein Spaziergang auch für Sie selbst zum sportlichen Ereignis. Greifen Sie die Anregungen Ihres Kindes auf und machen Sie mit. Erfinden Sie Ihre eigenen Familienregeln: Über jeden Stock muß gehüpft werden, jeder Stein wird einmal umlaufen, geeignete Mauern sind zum Balancieren da, und wer eine weiße Blume entdeckt, darf 5 Schritte rückwärts gehen.
In der Wohnung
Werden Sie auch in der Wohnung aufmerksam für die kleinen Gelegenheiten zum gemeinsamen und spielerischen Bewegen. Es ist leicht, spontan mit einem Bierdeckel, einem alten Zeitungsblatt oder einer Wolldecke ein Spiel zu erfinden. Richten Sie sich aber bitte immer nach den Fähigkeiten des Kindes und verlangen Sie keine Leistungen, die es einfach (noch) nicht bringen kann. Sie möchten ja die Freude des Kindes an der Bewegung fördern und es nicht frustrieren.
Zum ersten Versteck- oder “Kuckuck” -Spiel eignet sich fast alles: eine Decke, ein Tisch, ein Baum. Nachahmungsspiele sind bei kleinen Kindern von einem Jahr an ebenfalls sehr beliebt. Krabbeln Sie als bellender Hund rund um den Wohnzimmertisch oder knattern Sie als Flugzeug mit ausgebreiteten Armen durch die ganze Wohnung. Ihr Kind wird bald begeistert mitmachen.
Bierdeckel können Kinder je nach Entwicklungsstand auf der ausgestreckten Hand, auf dem Kopf, auf dem Fuß, auf dem gekrümmten Rücken oder sogar auf einem Finger balancieren. Im Sitzen können Sie sich den Bierdeckel mit den Füßen überreichen oder auch mal abzujagen versuchen. Mit mehreren Bierdeckeln können Sie eine Slalomstrecke legen. Die müssen Sie vorwärts, rückwärts, auf allen vieren oder kriechend zurücklegen. Wer schafft es, aus einem, später aus zwei Meter Entfernung die meisten Bierdeckel auf einen Teppich (mit drei Jahren auch in eine Schüssel) zu werfen?
Ein Zeitungsblatt können Sie und Ihr Kind ebenfalls auf dem Kopf oder dem gekrümmten Rücken balancieren. Viele Zeitungsblätter in einer Reihe sind Inseln, die Sie springend erreichen müssen. Zeitungsblätter können geschickte Füße übrigens auch ohne Hände zerreißen und die Schnipsel anschließend weiterreichen.
Mit einer alten Wolldecke entstehen tolle Kriechtunnel oder “Bärenhöhlen” , indem Sie sie über Sessel oder niedrige Couchtische breiten. Die Decke verwandelt sich anschließend in eine Kutsche, auf der Sie Ihr sitzendes Kind durch die Wohnung ziehen können. Zum krönenden Abschluss schaukeln Mama und Papa Ihr Kind in der Wolldecke wie in einer Hängematte.
Quelle
Aus: Mehr Zeit für Kinder e.V und Barmer (Hrsg.): Eltern sein – Die ersten Jahre, Frankfurt 2002, 2. Auflage.
Literatur
Die Veröffentlichung “Eltern sein – Die ersten Jahre” kann bezogen werden bei:
Mehr Zeit für Kinder e.V., Fellnerstraße 12, 60322 Frankfurt/Main
Tel.: 069/1568960