Wie attraktiv ist sie doch! Fallen des Vaterstolzes

Prof. Dr. Astrid Kaiser
Kaisera

Väter sehen in ihren Töchtern oft die attraktive heranwachsende junge Frau, bei Söhnen werden eher Leistungsvermögen und Erfolg wahrgenommen. Dies unterstützt stereotype gesellschaftliche Muster. Väter sollten sich dieser Tendenzen bewusst werden, um sie weniger stark umzusetzen. Wichtig ist, die heranwachsenden Kinder zu respektieren und zu akzeptieren. Besonders produktiv ist es, wenn Väter darauf achten, bislang nicht wahrgenommene Potentiale und Möglichkeiten des eigenen Sohnes oder der eigenen Tochter zu sehen.

Eltern sind Menschen und haben menschliche Regungen. Dies scheint eine banale Aussage zu sein. Bei näherem Hinsehen erweist sich dieser Tatbestand aber als äußerst kompliziert. Denn dadurch können Eltern auch in Erziehungsfallen tappen. Die erste liegt im übermäßigen Bewundern der eigenen Kinder generell. Sicherlich, es ist normal, sich über die eigenen Kinder zu freuen. Und Kinder zu haben ist immer eine Freude – sieht man einmal von den schwierigen einzelnen Situationen ab. Zu Recht. Denn was kann es Kostbareres im Leben geben als einen kleinen Menschen beim Heranwachsen zu begleiten?

Umfragen zeigen es deutlich: Immer mehr Menschen sehen in eigenen Kindern den eigentlichen Lebenssinn. Und es ist ihnen nicht zu verdenken, denn überall gehen Sicherheiten verloren. Der gelernte Beruf bleibt selten der ausgeübte Beruf im Verlauf des Lebens, die Wohnorte werden gewechselt und die Familien lösen sich auf. Die Kinder bleiben aber viele Jahre für Eltern stabil. Das erhöht die Bedeutung. Kinder nehmen nicht nur, sie geben auch Eltern sichere Emotionen. Doch dies kann auch zu einer übertriebenen Vergötterung der Kinder führen, die ihnen nicht mehr den eigenen Raum lassen. Zwar wird das Kinderzimmer statistisch immer größer und voller, aber die Kinder geraten oft emotional in den Lassowurf elterlicher Wünsche, was ihnen den eigenen Bewegungsraum nimmt. Hier gilt es, nach Wegen zu suchen, eigene Befriedigung im Leben zu suchen und nicht die Kinder allein zu Erfüllungsgehilfen des eigenen Lebensglücks zu gebrauchen.

Noch riskanter wird es besonders für Väter, wenn die eigene Tochter oder der eigene Sohn heranwächst. Hier kann elterlicher Stolz leicht einen weiteren Beiklang bekommen. Denn die positive emotionale Beziehung zwischen Eltern und Kindern kann gerade bei heranwachsenden jungen Menschen etwas einäugig werden. Damit verschwindet die Perspektivsicht und nur ein Oberflächenbild wird gesehen.

Während bei Töchtern das Aussehen und die Körperlichkeit oft einen besonderen Reiz auf Väter ausübt, ist es bei Jungen eher das Leistungsvermögen und der Erfolg. Damit unterstützen Väter aber genau das überholte stereotype Bild in der Gesellschaft. Die Aufteilung in weiblich/schön und männlich/stark ist aber nicht nur rückschrittlich, sondern auch ausgesprochen schädlich. Wir wissen aus der Forschung, dass sexueller Missbrauch auf der Opfer- wie auf der Täterseite besonders häufig dort vorkommt, wo stereotype Muster herrschen.

Deshalb ist es auch zum Schutz der eigenen Kinder wichtig, dass die eigenen Eltern nicht noch unbewusst an der Falle überholter Normen mitbauen. Das ist aber nicht so einfach getan wie gesagt. Denn es ist nun mal so, dass Väter spontan auf die schlanke, zarte Figur ihrer Tochter oder andere körperliche Merkmale reagieren. Der Gedanke “Wie sieht meine Tochter doch toll aus!” ist schnell gefasst. Und der Gedanke selbst ist auch nicht verwerflich. Aber der folgende stolze Blick auf die Tochter ist für diese das unterbewusste Signal: “Schönsein kommt bei Männern an.” Selbst wenn der Blick nur flüchtig ist und nur einen Bruchteil einer Sekunde dauert: Die dahinter stehenden Gefühle gehen tief unter die Haut. Und das schadet Ihrer Tochter fürs Leben, weil sie sich nicht gestärkt fühlt, sich in den wichtigen Fragen von Ausbildung, erfolgreicher Lebensbewältigung und Karriereplanung Mühe zu geben. Väter sollten sich also bewusst klar machen und zugestehen, dass es ganz normal ist, dass sie gerade bei einer heranwachsenden Tochter den Körper besonders attraktiv finden. Wenn ein Mann dies mit sich selbst ausmacht, dann ist er eher in der Lage, mit diesen Impulsen umzugehen. Im zweiten Schritt sollte jeder Vater einer pubertierenden Tochter sich gezielt die folgende Frage vornehmen.

Wie kann ich einen erfolgreichen Lebensweg meiner Tochter fördern?
Dies gelingt nicht durch einen Kurs, sondern indem gerade der Vater jedes kleine Anzeichen von Können und Leistung der Tochter wahrnimmt und durch positives Lächeln oder andere Zeichen verstärkt. Hier sind nur einige Beispiele für Anzeichen von Lebenstüchtigkeit Ihrer Tochter angeführt:

  • Sie erzählt: “Ich habe mich in der Schule getraut, der Mathelehrerin zu sagen, dass sie das zu schnell erklärt hat und die meisten es nicht verstehen konnten.”
  • Sie will mit ihrer Freundin eine mehrtägige Radtour unternehmen.
  • Sie hat in Sozialkunde eine schlechte Note bekommen, weil sie im Test eine andere Meinung als der Lehrer vertreten hat und will mit dem Lehrer über diese ungerechte Behandlung sprechen.
  • Sie will das Regal im Kinderzimmer allein umbauen.
  • Sie möchte später Bankdirektorin/ Schlosserin/ Museumsdirektorin/ Tischlerin/ Missionarin/ Urwaldforscherin werden.
  • Sie hat in Omas Garten eine alte Baumwurzel ausgegraben.
  • Sie sagt: “Das kann ich selber.”

Achten Sie als Vater besonders darauf, wenn Ihre Tochter bei guten Noten sagt, das sei Glück gewesen. Lesen Sie sich die Arbeit genau durch und loben Sie die Leistung Ihrer Tochter. Ihre Tochter wird nur erfolgreich sein, wenn sie an die eigene Leistungsfähigkeit glaubt und nicht an Glück.

Aber auch direkt für einen Sohn bedeutet es eine große Hypothek für den Sohn, wenn sein Vater ihn nicht nimmt wie er ist. Wenn ein Sohn nur Anerkennung für Leistungen von seinem Vater bekommt, dann setzt es ihn erheblich unter Druck. Dann gibt es auch kein partnerschaftliches Verhältnis zwischen Vater und Sohn, sondern eher so etwas wie Unterdrückung. Bei Ihrem Sohn sollten Sie gerade in dieser Zeit zeigen, dass Männer mehr sein können als Arbeitstiere und Kämpfer. Bei Ihrem Sohn sollten Sie vor allem darauf achten:

Wie kann ich einen mitmenschlichen Lebensweg meines Sohnes fördern?
 

Hier sollten Sie also nicht den Sieg beim Fußballspiel oder die Bestnote in der Schule in den Mittelpunkt der Beachtung stellen – auch wenn Sie natürlich sehr stolz über jedes geschossene Tor Ihres Sohnes sind, sondern sich bemühen, das zu unterstützen, was sonst von Jungen nicht so erwartet wird. Dazu einige Beispiele:

  • Er sagt: “Ich finde, unsere Mathelehrerin ist immer so gemein zu Michael.”
  • Er beobachtet stundenlang den kranken Goldhamster und versucht ihn wieder “hochzupäppeln”
  • Er hat eine schlechte Note im Vokabeltest in Englisch bekommen und sagt: “Ja, ich habe auch nicht genug geübt.” Er steht also zu seinen Schwächen und schimpft nicht über die Lehrerin.
  • Er kauft freiwillig für eine gehbehinderte Nachbarin ein.
  • Er möchte später auf jeden Fall Vater werden.
  • Er bemüht sich, sein Zimmer schön auszugestalten.
  • Er sagt: “Dazu brauche ich Hilfe.”

Wichtig ist, dass Sie sich bemühen, nicht über die alten Fähigkeiten von Söhnen wie Leistung und Durchsetzungsvermögen stolz zu sein, sondern selber sehen lernen, was sonst noch so in Ihrem Sohn steckt. Sie werden überrascht sein zu sehen, was Ihr Sohn sonst noch alles kann.

Autorin

Dr. phil. Astrid Kaiser, Professorin für Didaktik des Sachunterrichts an der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg. Studium in Hannover und an der Universität Marburg, langjährig Lehrerin in Hessen und Bielefeld, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bielefeld; Vertretungsprofessorin für Grundschulpädagogik in Kassel; Leitung des niedersächsischen Schulversuchs “Soziale Integration in einer jungen- und mädchengerechten Grundschule” , Mitglied des niedersächsischen Bildungsrates 1999-2002, Leitung von Projekten zur ökologischen und naturwissenschaftlichen Bildung im Sachunterricht.

Kontakt

Prof. Dr. Astrid Kaiser, Universität Oldenburg

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Website Lernwerkstatt Sachunterricht

Erstellt am 15. September 2003, zuletzt geändert am 28. Juli 2014