Die Kinderstube der Demokratie - Partizipation von Kindern in Kindertageseinrichtungen

Rüdiger Hansen, Prof. Dr. Raingard Knauer, Prof. Dr. Benedikt Sturzenhecker
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Partizipation – die Beteiligung der Kinder an ihren eigenen Angelegenheiten – ist keine zusätzliche Aufgabe für Kindertageseinrichtungen, sondern Kern einer bildungs- und demokratieorientierten pädagogischen Arbeit. Mit der „Kinderstube der Demokratie“ haben zwei schleswig-holsteinische Modellprojekte gezeigt, dass und wie Partizipation von Kindern möglich und gestaltbar ist.

Die Modellprojekte „Die Kinderstube der Demokratie“ waren eingebunden in eine Tradition der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in Schleswig-Holstein, einem der ersten Bundesländer, in denen Beteiligungsrechte für Kinder und Jugendliche in der Landesverfassung festgeschrieben wurde (vgl. § 47f. der Gemeindeordnung1). Begleitet war die Kodifizierung von Kinderrechten in der Kommune von einer Demokratiekampagne (Ausbildungen von ModeratorInnen für Alltagspartizipation und kinderfreundliches Planen, Veröffentlichungen von good-practice-Beispielen und Methodenhandbüchern, Ko-Finanzierung beispielhafter Projekte etc.). Ziel war, Kindern und Jugendlichen schon früh Beteiligungsmöglichkeiten an sie betreffenden Angelegenheiten zu eröffnen – insbesondere in der Kommune (vgl. Knauer/Friedrich/Herrmann et al. 2004). Und doch gewährten die meisten dieser Projekte nur Jugendlichen, allenfalls älteren Kindern Beteiligungschancen. Mit dem Projekt „Die Kinderstube der Demokratie“ sollte erprobt werden, ob und wie schon Kinder in Kindertageseinrichtungen beteiligt werden und damit frühe Erfahrungen mit demokratischem Handeln machen können.

Die Kinderstube der Demokratie - Partizipation ist machbar

Partizipation von Kindern meint das Recht von Kindern, sich in ihre eigenen Angelegenheiten einzumischen. Wird Partizipation verstanden als Beteiligung an Entscheidungen, wird sie zentraler Bestandteil einer subjektorientierten und demokratieorientierten Pädagogik. Ob und wie Partizipation in Kindertageseinrichtungen möglich ist und was pädagogische Fachkräfte benötigen, um Kinder zu beteiligen, wurde im Modellprojekt „Die Kinderstube der Demokratie“ (2001–2003) weiterentwickelt. Ziele waren die Erweiterung von Beteiligungsthemen, die Verankerung von Partizipation im Alltag der Einrichtung und die Entwicklung eines (partizipativen) Fortbildungskonzepts für die Fachkräfte.

Das Modellprojekt hatte folgende Bausteine:
Themenfindung und Zielabsprache: Die Einrichtungen bewarben sich mit realen Partizipationsvorhaben für die Teilnahme an der Fortbildung.
Teamfortbildung und Projektvorbereitung: Die Kita-Teams beschäftigten sich mit Partizipationstheorien und -methoden und bereiteten das Partizipationsprojekt zu ihrem Thema vor.
Selbstständige Projektdurchführung und Coaching: Jedes Kita-Team führte ein Projekt durch und konnte sich bei Bedarf jederzeit Unterstützung bei den Fortbildnern holen.
Auswertung und Reflexion: Alle Schritte wurden gemeinsam mit den Fortbildnern reflektiert.
Die Kindertageseinrichtungen beteiligten Kinder an einem weiten Themenspektrum: Bei der Raumgestaltung und zu Fragen der Konzeptentwicklung, es wurden institutionalisierte Beteiligungsformen eingeführt (Kinderparlament, Kinderrat etc.) und die Rechte der Kinder in Verfassungen festgeschrieben sowie zwei Kinderortspläne erstellt (vgl. Hansen/Knauer/Friedrich 2004, Hansen 2005; Knauer 2006).

Die zentralen Erkenntnisse des Projekts waren:
▶ Partizipation beginnt in den Köpfen der Erwachsenen.
▶ Partizipation ist ein Schlüssel zu Bildung und Demokratie.
▶ Partizipation braucht methodische Kompetenzen.
▶ Partizipation entsteht durch Erfahrung und Reflexion.
▶ Partizipation führt zu Teamentwicklungsprozessen.
▶ Partizipation ist machbar.

Partizipation beginnt in den Köpfen der Erwachsenen

Damit Kinder sich beteiligen können, müssen sich zunächst die Erwachsenen damit auseinander setzen, was sie Kindern zutrauen und wobei sie bereit sind, Kinder zu beteiligen. Kinder können ihre Rechte noch nicht selbst einfordern – der Beginn von Partizipation liegt immer in der Verantwortung der Erwachsenen. Dieses bedarf der Reflexion des Machtgefälles zwischen Erwachsenen und Kindern. Zunächst galt es, das eigene Selbstverständnis zu reflektieren: Welches Bild vom Kind bestimmt mein pädagogisches Handeln? Welche (Entscheidungs-)Rechte gestehe ich Kindern zu? Welche Anforderungen stellt die Beteiligung der Kinder an mich? Partizipation muss von den Erwachsenen gewollt sein und beginnt in ihren Köpfen. Im Projekt gerieten wir nie an die Grenzen der Kinder, aber immer wieder an die Grenzen der Erwachsenen.

Erwachsene zögerten, Kinder zu beteiligen,

  • bei Entscheidungen, die sie selbst betrafen. So fiel Erzieherinnen die Beteiligung der Kinder bei der Außenraumplanung leichter als bei der Innenraumplanung – sind die Räume der Kindertageseinrichtung doch gleichzeitig immer auch Arbeitsräume für die Fachkräfte.2
  • bei Entscheidungen zu vermeintlich selbstverständlichen Themen. So führten folgende Standardfragen immer wieder zu heftigen Diskussionen: Müssen Kinder eine Jacke anziehen, wenn sie nach draußen gehen, oder dürfen sie das selbst entscheiden? Müssen Kinder beim Essen von allem zumindest probieren (Probierklecks), bevor sie ein Essen ablehnen, oder dürfen sie das selbst entscheiden? Müssen Kinder einen Mittagsschlaf halten oder dürfen sie das selbst entscheiden? Die emotionale Heftigkeit vieler Diskussionen zu solchen oder ähnlichen Fragen lassen vermuten, dass hier biografisch und (professions-) kulturell verankerte Selbstverständlichkeiten angerührt wurden.

In den Fortbildungen ging es nicht darum, pädagogische Fachkräfte zu „überreden“, möglichst viel Partizipation zuzulassen. Die Fortbildungen behandelten nämlich nicht nur das Thema Partizipation, sondern waren auch selbst partizipativ angelegt. Letztlich entschieden die Teams selbst, bei welchen Themen sie die Kinder wie beteiligen wollten und bei welchen Themen (noch) nicht. Durch diese Achtung der Entscheidungen der Fachkräfte entstand in den Teams eine große Bereitschaft, sich auf die Beteiligung der Kinder einzulassen – dort, wo man es sich und den Kindern zutraute.

Partizipation als Schlüssel zu Bildung und Demokratie

Bildung wird als aktive Tätigkeit des Subjekts begriffen (vgl. Hentig 1999, S. 37) und ist in Anknüpfung an Humboldt die Auseinandersetzung des Menschen mit sich und der Welt (Schäfer bezeichnet dies als „Selbstbildung“). Damit steht das Verstehen der Kinder am Anfang pädagogischer Bildungsunterstützung: Mit was beschäftigt sich das Kind? Mit welchen Fragen und Herausforderungen setzt es sich auseinander? Wie können wir das Kind in seinen individuellen Bildungsprozessen begleiten? Dieser Perspektivenwechsel, von einer Vermittlungs- zur Aneignungsorientierung benötigt Partizipation.

Erst die strukturelle Verankerung von Partizipationsrechten macht Kindertageseinrichtungen zu demokratische(re)n Orten, an denen Kinder – unabhängig von den „Launen der Erwachsenen“ (Korczak) – das Recht haben, sich in ihre eigenen Angelegenheiten einzumischen. Erst wenn ihre Beteiligungsrechte eindeutig festgelegt und Beteiligungsgremien und -verfahren selbstverständlicher Bestandteil des Alltags sind, können Kinder erfahren, dass sie das Recht haben, Rechte zu haben.3 Im Modellprojekt erlebten die Erwachsenen dann, dass Kinder ihnen entgegneten: „Das könnt ihr gar nicht allein entscheiden – das müssen wir erst mal im Kinderrat abstimmen.“ Die Kinder übertrugen die Erfahrung „Rechte zu haben“ auch auf andere Einrichtungen – z. B. die Schule. So mussten sich die Lehrkräfte einer 1. Klasse mit der Frage auseinandersetzen: „Wann tagt denn hier der Kinderrat?“ Die Kinder wussten um ihre Rechte in der Kindertageseinrichtung – und forderten diese jetzt auch an der Schule ein. Und auch die Partizipationserfahrungen in der Kommune erinnerte ein Kindergartenkind noch Jahre später, in dem es Mängel auf einem öffentlichen Spielplatz selbstständig der Verwaltung meldete. Wenn Partizipation nicht als Gnade gewährt wird, sondern im (geschützten) pädagogischen Raum Kindertageseinrichtung strukturell als Recht verankert ist, eröffnet sie Erfahrungen demokratischen Handelns und ermöglicht den Erwerb von Demokratie- Kompetenzen.

Partizipation braucht methodische Kompetenzen

Damit sich Kinder beteiligen können, müssen Erwachsene:
wissen, worum es geht: Diese scheinbar banale Herausforderung gestaltete sich in der Praxis immer wieder als schwierig. Häufig existierte eine allgemeine Vorstellung von dem Thema, zu dem die Kinder beteiligt werden sollten (z. B. Innenraumplanung). Damit sich die Kinder aber beteiligen können, muss das Thema genau eingegrenzt sein: Sollen alle Kinder über alle Räume mit entscheiden oder nur jeweils über den eigenen Gruppenraum? Und wie sieht es mit den Gemeinschaftsräumen (Flur, Toiletten, Mitarbeiterzimmer, Sportraum etc.) aus?
das Thema konkretisieren: Worum geht es genau? Was entscheiden oder planen wir jetzt? Kinder können sich nur an Entscheidungen beteiligen, wenn sie verstanden haben, um welche Entscheidungen es geht. Dafür gilt es, die Komplexität von Entscheidungs- und Planungsprozessen für die Kinder zu operationalisieren, sie müssen in klaren Strukturen und Verfahren bearbeitbar gemacht werden. Um alle Kinder mitzunehmen, muss die Planung also kleinschrittig erfolgen.
Partizipationsmethoden einsetzen können: Dazu gehören Kenntnisse über Planungsverfahren, Moderationskompetenzen, Mediationskompetenzen, Entscheidungsverfahren etc.
dialogfähig sein: Erwachsene müssen in der Lage sein, ihre eigenen Gedanken und Interessen so zu formulieren, dass das Kind sie versteht, und sie sollten den Kindern helfen, ihre Gedanken auszudrücken und zu klären.
eigene Positionen deutlich machen können: Kinder als Subjekte ernst zu nehmen, beinhaltet auch sich mit ihnen auseinanderzusetzen und die eigene Position fair in Aushandlungsprozesse einzubringen.
Konflikte als normal betrachten: Unterschiedliche Interessen führen immer wieder zu Konflikten, die von den Erwachsenen wahrgenommen und ausgehalten werden müssen. Demokratie basiert auf einer Konfliktkultur, in der zunächst jeder Mensch das Recht auf seinen Standpunkt, seine Interessen hat und in der Konflikte dann demokratisch ausgehandelt werden.

Partizipation entsteht durch Erfahrung und Reflexion

Partizipation ist keine „äußerliche Erscheinung“, sie ist kein Handlungskonzept, das man sich unabhängig von persönlichen Haltungen antrainieren kann. Partizipationsorientierung bezieht immer die ganze Person der Fachkraft ein. Eine Veränderung von Haltungen gelingt nur durch eine intensive Beschäftigung im Alltag, die durch den Wechsel zwischen begleiteter Erfahrung und Reflexion gekennzeichnet ist. Im Modellprojekt konnten die Fachkräfte nicht Zuschauer des Prozesses bleiben, sondern sie mussten das Beteiligungsprojekt mit den Kindern (mit Unterstützung externer Begleiter) selbst planen und durchführen. Dabei ging es immer wieder auch um Fragen, die die eigene Person betrafen: Wie verändert sich meine Rolle, wenn Kinder mitentscheiden? Bei welchen Fragen bin ich bereit, (Entscheidungs-)Macht abzugeben, bei welchen Fragen nicht? Was mache ich, wenn die Kinder Dinge entscheiden, die mich mit betreffen und die mit meinen Interessen kollidieren? Mit zunehmender Erfahrung, methodischer Sicherheit und in dem Bewusstsein, selbst die Subjekte von Entscheidungsprozessen zu sein, probierten die Teams selbstständig Methoden aus bzw. veränderten diese. Durch diesen steten Wechsel von Erfahrung und Reflexion veränderte sich die Wahrnehmung und die Haltung der Fachkräfte gegenüber der Beteiligung der Kinder.

Partizipation ist ein Teamentwicklungsprozess

Das Modellprojekt „Die Kinderstube der Demokratie“ war als Teamfortbildung konzipiert. Das Thema Partizipation blieb nicht abstrakt, sondern wurde in der Einrichtung mit allen Fachkräften real umgesetzt. Dabei entdeckten die Fachkräfte, dass innerhalb der Teams unterschiedliche Positionen zu Partizipation vorhanden waren. Die Ansichten darüber, worüber Kinder auf jeden Fall mitentscheiden können und worüber auf keinen Fall, differierten und waren immer auch durch persönliche Haltungen und biografische Erfahrungen geprägt. Durch die Reflexion dieser unterschiedlichen Haltungen und die gemeinsame Klärung der Grundlagen der pädagogischen Arbeit entwickelte sich das ganze Team fachlich weiter.

Partizipation ist machbar

Kinder sind nicht zu klein und unerfahren, um in demokratischen Strukturen mitentscheiden und mitplanen zu können – wenn ihnen Rechte zugestanden werden und die Fachkräfte über Partizipationskompetenzen verfügen, nehmen Kinder sehr kompetent ihre Rechte wahr. Wie die Fachkräfte werden auch Kinder mit zunehmender Erfahrung immer sicherer in ihrem demokratischen Handeln. Wenn sie erst begriffen haben, dass sie ein Recht darauf haben, Rechte zu haben, und wenn sie erlebt haben, wie demokratische Meinungsbildungsprozesse und Entscheidungen erfolgen (mit Punkte-Kleben, Verteilen von Muggelsteinen, Wäscheklammerwahlen etc.), dann übertragen sie diese Erfahrungen auch auf andere Lebensbereiche: sie diskutieren in ihren Familien, sie fordern ihre Rechte in der Schule ein oder mischen sich gar im Gemeinwesen ein und machen die Politik auf Missstände aus Kindersicht aufmerksam.

Die Kinderstube der Demokratie 2 – Qualifizierung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für Partizipation in Kindertageseinrichtungen

Wenn sie nicht einsame Leuchttürme bleiben wollen, stehen Modellprojekte immer vor der Herausforderung, die i. d. R. unter günstigeren Bedingungen gemachten Erfahrungen auf andere Einrichtungen zu übertragen. Daher wurden in einem zweiten Modellprojekt Multiplikatoren darin qualifiziert, Teams bei der Einführung von Partizipation zu begleiten. Die Qualifizierung beinhaltete fünf dreitägige Fortbildungsmodule sowie die Durchführung einer eigenen Teambegleitung. Die Projektteilnehmer führten das in der „Kinderstube der Demokratie 1“ erarbeitete Fortbildungskonzept zur Einführung von Partizipation zu zweit in insgesamt zehn Kooperationskitas durch. Inhalte der Module der Multiplikatorenausbildung waren:
Partizipation in Kindertageseinrichtungen
Methodentraining (Moderation und Konsensverfahren)
Didaktisch-methodisches Grundwissen für Fortbildner für Partizipation
▶ Vorbereitung der Praxisphase

Praxiserprobung: Begleitung einer Kindertageseinrichtung bei der Planung und Durchführung eines Partizipationsprojekts durch jeweils zwei Auszubildende (diese Phase wurde bei Bedarf begleitet durch Coachings)
Auswertung und Dokumentation
Die Maximen der Schulung waren ausgerichtet auf Team- und Alltagsorientierung, Bildungs- und Partizipationsorientierung und Reflexionsorientierung.

Team- und Alltagsorientierung

Die Multiplikatoren entwickelten im Rahmen der Qualifizierung ihre Fähigkeiten (weiter), mit Fachkräfteteams im Alltag der Einrichtungen partizipativ zu arbeiten und übten dies, indem sie jeweils zu zweit eine Kindertageseinrichtung bei der Einführung von Partizipation begleiteten. Das im ersten Modellprojekt entwickelte Prinzip „Üben von Partizipation in Ernstsituationen“ wurde auch in der MultiplikatorInnenqualifizierung beibehalten. Die Planung und Durchführung der Kita-Begleitungen erfolgte jeweils zu zweit – so konnten sich die Teilnehmenden gegenseitig beobachten und unterstützen. Zusätzlich gab es im Modellprojekt die Möglichkeit des Coachings.

Bildungs- und Partizipationsorientierung

Keine Fachkraft wird Partizipation von Kindern dort befördern, wo sie selbst diese nicht aushält oder sich überfordert fühlt. Auch in der Multiplikatorenqualifizierung wurden individuelle Aneignungsräume eröffnet – sowohl für die Multiplikatoren als auch für die von den Multiplikatoren begleiteten Kindertageseinrichtungen. So entwickelten sich die durch die Multiplikatoren durchgeführten Projekte mit den Kooperationseinrichtungen sehr unterschiedlich. Während die einen mit Teams arbeiteten, die schon Erfahrung mit Partizipation hatten und sich an neue Partizipationsthemen wagten, arbeiteten andere mit Teams, die sich dem Thema Partizipation gerade öffneten und erste Schritte wagten. Hier standen dann eher überschaubare und klassische Beteiligungsthemen im Vordergrund. Indem die Multiplikatoren die Gewissheit hatten, dass es in der Qualifizierung nicht darum ging, unbedingt neue Partizipationsthemen oder -wege zu entdecken, sondern dass die angemessene Begleitung konkreter Teams und die Realisierung deren eigener Themen und Verfahren im Vordergrund standen, konnten sie sich auf die jeweiligen Entscheidungen der Kindertageseinrichtungen einlassen.

Reflexionsorientierung – Wechsel zwischen Erfahrung und Reflexion

Viele der TeilnehmerInnen an der Ausbildung hatten schon vorher Erfahrungen in der Erwachsenenbildung. Und doch erhielten sie durch die Fortbildung grundlegend neue Impulse. „Wichtig war die Chance, über einen langen Zeitraum eine Fortbildung für andere zu planen und zu reflektieren“, sagte eine Teilnehmerin am Ende der Qualifikation: Das exemplarische Lernen, die Planung und Durchführung einer Fortbildung für Kita-Teams mit viel Zeit zum Nachdenken über das eigene Handeln war der Kern der MultiplikatorInnenqualifizierung. Das Ziel, Kita-Teams bei der Einführung von Partizipation begleiten zu können, wurde eben nicht (nur) durch theoretische Vermittlung erreicht, sondern durch konkrete Übung und Reflexion in eigenen Praxisprojekten. Dieses Konzept ging auf: Alle MultiplikatorInnen begleiteten Einrichtungen erfolgreich bei der Einführung von Partizipation.

Kindertageseinrichtungen und Demokratie

Auch wenn Kindertageseinrichtungen keine im direkten Sinn politischen Systeme sind, können Kinder hier unter bestimmten Bedingungen demokratische Rechte und Prozesse erleben und sich Kompetenzen für das Handeln als Subjekte in einer Demokratie aneignen.
Das erfordert:
▶ dass den Kindern in Kindertageseinrichtungen Partizipation als Recht gewährt wird,
▶ die Rechte für Kinder (und Erwachsene) verbindlich festgeschrieben sind (zum Beispiel in Verfassungen),
▶ die Entscheidungsrechte in Gremien und Verfahren strukturell verankert sind,
▶ und als Prinzip und Haltung in den alltäglichen (pädagogischen) Interaktionen gelebt werden.
Dabei ist es nicht notwendig, dass Kinder alles (mit-)bestimmen. Wichtig ist, dass sie überhaupt demokratische Rechte haben und sie tatsächlich nutzen können.

Zu welchen Themen Kinder beteiligt werden, entsteht aus der fachlichen Wahrnehmung und dem Verstehen der Erwachsenen sowie dem Dialog zwischen Erwachsenen und Kindern. Partizipation als demokratisches Recht von Kindern enthebt die Erwachsenen allerdings nie von ihrer Verantwortung für Kinder!

Weitere Infos im Internet
Literaturhinweise im Internet

Die Kinderstube der Demokratie - Wie Partizipation in Kindertageseinrichtungen gelingt
DVD von Lorenz Müller, Thomas Plöger (2008), (32 Min.). Eine Produktion des Instituts für Partizipation und Bildung e. V, Kiel. Zu bestellen für 10 € beim Deutschen Kinderhilfswerk e. V., Leipziger Straße 116–118, 10117 Berlin, Tel. 0 30 / 730 86 93-0, Fax 030727 95 634, www.dkhw.de

Der Film gibt einen Einblick, wie Partizipation in Kindertagesstätten realisiert werden kann. In vier Einrichtungen in Schleswig- Holstein wurde während der Beteiligung am Modellprojekt „Kinderstube der Demokratie“ gefilmt. Es wird gezeigt, wie Mädchen und Jungen schon früh mit den Spielregeln der Demokratie vertraut gemacht werden können.

Anmerkungen

1 Er lautet heute:
(1) Die Gemeinde muss bei Planungen und Vorhaben, die die Interessen von Kindern und Jugendlichen berühren, diese in angemessener Weise beteiligen. Hierzu muss die Gemeinde über die Beteiligung der Einwohnerinnen und Einwohner nach den §§ 16 a bis 16 f hinaus geeignete Verfahren entwickeln.
(2) Bei der Durchführung von Planungen und Vorhaben, die die Interessen der Kinder und Jugendlichen berühren, muss die Gemeinde in geeigneter Weise darlegen, wie sie diese Interessen berücksichtigt und die Beteiligung nach Absatz 1 durchgeführt hat.

2 Vgl. auch die Studie MitWirkung von Fatke, Reinhard/Schneider, Helmut 2007: Die Beteiligung junger Menschen in Familie, Schule und am Wohnort. In: Stiftung Bertelsmann (Hrsg.): Kinder- und Jugendbeteiligung in Deutschland. Entwicklungsstand und Handlungsansätze Gütersloh, S. 61.

3 Hannah Arendt hat diese Formulierung in ihrer Beschäftigung mit dem Schicksal Staatenloser verwendet. „Der Staatenlose verliert seine Menschenwürde, wenn man ihn aus der Menschheit und das heißt konkret, aus jeglicher politischen Gemeinschaft entfernt.“ (Arendt 1986, S 477). In diesem Zusammenhang plädiert sie für das grundsätzliche Recht jedes Menschen, Rechte zu haben (vgl. Sontheimer 2005, S. 263).

Autoren

Rüdiger Hansen ist Diplom-Sozialpädagoge und Moderator für kinderfreundliches Planen und Beteiligungsprozesse in Kindertageseinrichtungen im IPB Kiel – Institut für Partizipation und Bildung.

Prof. Dr. Raingard Knauer ist Diplom-Sozialpädagogin, Diplom-Pädagogin und lehrt an der FH Kiel im Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit, mit dem Schwerpunkt Erziehung und Bildung im Kindesalter. Sie publiziert und hält Fortbildungen und Vorträge zu Partizipation, Bildung in Kitas sowie Kooperation von Jugendhilfe und Schule.

Prof. Dr. Benedikt Sturzenhecker ist Diplom-Pädagoge und lehrt an der Universität Hamburg, Fakultät für Erziehungswissenschaft. Er leitet dort den Arbeitsbereich Sozialpädagogik/Kinder und Jugendbildung. Arbeitsschwerpunkte sind Demokratiebildung in der Kinder- und Jugendhilfe, Kinder- und Jugendarbeit, sozialpädagogische Konzeptentwicklung, Eltern-Kind-Zentren.

Kontakt

Institut für Partizipation und Bildung
Damaschkeweg 86
24113 Kiel

Website

Quelle

Dieser Beitrag ist erschienen in der Zeitschrift "tps - Theorie und Praxis der Sozialpädagogik", Nr. 2/2009 und wird hier mit freundlicher Genehmigung des Verlags übernommen.
 

eingestellt am 25. Februar 2016

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