Von nass über kalt bis heiß - Wie Kinder Wetterphänomene wahrnehmen, erkunden und verarbeiten

Prof. Dr. Marjan Alemzadeh
Alemzadeh

Warum regnet es? Wie entstehen Wolken? Warum gibt es einen Regenbogen? Fragen wie diese belegen: Viele Kinder interessieren sich für Wetterphänomene. Der Beitrag zeigt, wie Sie als pädagogische Fachkraft ein solches Interesse wahrnehmen und angemessen darauf reagieren können.

„Die Wolke ist wie eine Gießkanne“, sagt Marie (4 J.), als die Kinder der Kita Eulennest im Wald stehen und es zu regnen beginnt. Dabei schaut sie aufmerksam in den Himmel. Dass sie nass wird, scheint sie überhaupt nicht zu stören. Sie ist vielmehr damit beschäftigt, sich dem Phänomen des Regens zu nähern. Dabei nutzt sie Erfahrungen, die sie bereits gemacht hat und beschreibt den Regen mit dem sprachlichen Bild einer Gießkanne. Ihre Ausdrucksweise und Formulierung zeigen, wie intensiv sie ihre Welt wahrnimmt. Nicht nur Maries Aussage, die Wolke sei wie eine Gießkanne, deutet darauf hin, dass sie sich für den Regen interessiert. Ihr gesamter Körperausdruck spiegelt ihre Aufmerksamkeit: z. B. ihre staunende Mimik und ihr nach hinten gelegter Kopf, um den Regen im Gesicht zu spüren.

Wie lernen Kinder etwas über das Wetter?

Insbesondere junge Kinder wollen die Phänomene der Welt – und somit auch das Wetter – mit ihrem ganzen Körper und ihren Sinnen erkunden. Ihr Wissen ist reines Erfahrungswissen, d. h. ihre erste Auseinandersetzung mit dem Wetter findet auf einer körperlichen Ebene statt. In der Frühpädagogik – wie u. a. von dem Erziehungswissenschaftler Gerd Schäfer – wird dies auch als konkretes Denken bezeichnet, als Denken mit den Mitteln des Körpers.

Durch die Sinne, durch Bewegung und Handlung sammelt der Körper seine ersten Erfahrungen von der Materialität der Welt. Das Wetter, Wetterphänomene und Witterungsverhältnisse erfährt jedes Kind unmittelbar – nämlich dann, wenn es draußen ist. Sonnenschein, Wind Regen, Blitz und Donner bieten Kindern die Möglichkeit, tagtäglich Naturphänomene wahrzunehmen und zu beobachten.

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Foto: Alemzadeh

Welche Erfahrungen sammeln Kinder mit dem Wetter?

Das Wetter im Verlauf der Jahreszeiten bietet Kindern auf vielfältige Weise unterschiedliche Sinneserfahrungen. Diese sammeln sie – oft ohne dass es ihnen bewusst ist – bei ihren Alltagshandlungen. Ein paar Beispiele:

  • Sonne: Im Sommer erleben Kinder die wärmende Kraft der Sonne, sie spüren sie auf der Haut, sie schwitzen und sie kommen mit wenig Kleidung aus. Wenn es draußen heiß ist, können Kinder barfuß laufen. So spüren sie bspw., dass der Sand unter ihren Füßen verhältnismäßig kühl bleibt, während die Metallrutsche von der Sonne erhitzt wird und sie evtl. nur mit langer Hose rutschen können, da sie sich sonst die Haut verbrennen würden.
  • Regen: Die Kinder spüren Regen auf der Haut – er kann sich feucht oder richtig nass anfühlen, er kann kalt oder warm sein. Kinder können den Regen auch hören – er kann prasseln, tropfen, trommeln.
  • Wind: Auch ihn fühlen Kinder direkt auf der Haut und er zischt um die Ohren. Sichtbar wird er für Kinder, wenn sich die Blätter und Zweige von Bäumen bewegen oder wenn sich im Kita-Garten ein Windrad dreht. Wenn Kinder Drachen steigen lassen, spüren bzw. sehen sie auch unmittelbar, ob Wind weht oder ob es windstill ist und der Drachen nicht fliegen kann.
  • Schnee: Er fällt nur im Winter, wenn es sehr kalt ist. Kinder nehmen ihn in die Hand oder in den Mund, sie formen etwas aus Schnee, z. B. einen Schneeball oder einen Schneemann. Schnee bietet andere Erfahrungen als Regen: Die Kinder können sich in ihm wälzen, ihn pressen, ihn wegschieben und in ihm Spuren hinterlassen. Schnee kann beim Gehen knirschen, er kann aber auch sehr matschig oder rutschig sein.

Kinder lernen, dass sich das Wetter nach eigenen (Natur-)Gesetzen gestaltet und entwickelt. Der Mensch kann auf Naturerscheinungen wie das Wetter oder die Jahreszeiten so gut wie keinen Einfluss nehmen. Kinder sind sehr gut darin, die Natur so zu nehmen wie sie ist und sich ihr anzupassen: Wenn ihnen warm ist, ziehen sie sich aus, wenn es regnet, laufen sie durch die Pfützen, bei Schnee schlittern sie übers Eis.

Wie entwickeln Kinder aus ihrem Erleben ein Wissen über das Wetter?

Die beschriebenen alltäglichen Erfahrungen mit dem Wetter sind die Basis dafür, dass Kinder zu einem späteren Zeitpunkt ein naturwissenschaftliches Verständnis von Naturphänomenen entwickeln können. Es ist nicht ratsam, mit Kindern zunächst einen theoretischen Zugang zu Wetterphänomenen zu suchen, bevor sie selbst Fragen zu diesen stellen. Wenn das Wetter zum unmittelbaren Erfahrungsfeld der Kinder gehört – im Idealfall haben sie täglich die Möglichkeit, im Freien zu spielen – entstehen Fragen dieser Art von selbst: Warum regnet es? Wie entstehen Wolken? Warum gibt es einen Regenbogen? Es bietet sich dann an, das Wetter mit den Kindern intensiv zu beobachten, über ihre Beobachtungen zu sprechen, mit ihnen in einen echten Dialog zu treten, Wetterprotokolle anzufertigen und/oder Sachbücher heranzuziehen.

Welche Rolle nimmt die pädagogische Fachkraft ein?

Der erste und wichtigste Schritt der pädagogischen Fachkraft ist es, sensibel für Momente zu sein, in denen sich Kinder für das Wetter interessieren. Das Eingangs geschilderte Szenario beschreibt einen kurzen und intensiven Moment – sowohl für Marie als auch für die Pädagogin, die Marie aufmerksam beobachtet. Die intensive Wahrnehmung und das Interesse von Marie machen die Situation für die pädagogische Fachkraft bedeutsam: Sie nimmt das Anliegen des Kindes achtsam wahr, bleibt in der aufmerksamen Beobachterrolle und lässt Marie bewusst diese Erfahrung machen.

Zudem kann die Pädagogin einen Dialog initiieren: „Die Wolke ist wie eine Gießkanne – wie meinst du das?“ Das Kind führt nun seine Metapher weiter aus: „Es ist, wie wenn der liebe Gott Wasser auf die Erde schüttet.“ Wenn sich die pädagogische Fachkraft den Denkweisen der Kinder nähern möchte, ist es sinnvoll, ihre Aussagen als Fragen an sie zurückzugeben. Wenn das Kind bspw. fragt: „Wieso regnet es?“, ist es anstatt einer Erklärung sinnvoller, die Frage zurückzugeben: „Was glaubst du denn, weshalb es regnet?“ Je nach Situation kann die pädagogische Fachkraft daraufhin individuell entscheiden, ob sie die Aussage des Kindes so stehen lässt oder der Frage mit dem Kind weiter nachgeht.

Ist die Antwort eher auf einer philosophischen Ebene einzuordnen – so wie in Maries Fall – bietet es sich zu diesem Zeitpunkt nicht an, Maries eigene Gedanken durch eine naturwissenschaftliche Erklärung zu stören und somit ihren Bildungsprozess zu hemmen. Das Kind wird zu einem späteren Zeitpunkt auf Theorieebene klären, warum es regnet. Jetzt geht es Marie darum, über ihre Erfahrungen und Vorstellungen zu sprechen. Sie nutzt ihr bisher erworbenes Wissen und wendet dies auf die neue Situation an. Auf diese Weise entwickelt sie ihr Weltwissen weiter.

Welche (Natur-)Umgebungen ermöglichen Kindern das Erleben von Wetter?

Je vielseitiger und komplexer die Umgebung ist, desto differenzierter sind die sinnlichen Erfahrungen. Ein gutes Beispiel dafür ist der Wald. Er fühlt sich zu jeder Jahreszeit und je nach Wetter sehr unterschiedlich an:

  • Im Sommer ist die Erde trocken und das Laub der Bäume spendet an heißen Tagen wohltuenden Schatten.
  • Im Herbst ist der Waldboden mit Blättern bedeckt. Das Laub kann trocken sein und eignet sich dazu, um sich darin zu wälzen oder es in die Luft zu werfen. An anderen Tagen kann das Laub nass sein und die Kinder kochen daraus eine Suppe. Aus dem nassen Erdboden entsteht an einer abschüssigen Stelle eine Matschrutsche.
  • Im Winter kann es schneien und gefrieren, der Wald scheint dann zu schlafen. Eisplatten, z. B. von einem Bach oder einer großen Pfütze, bieten sich zum Schlittern an. Aus Schnee lassen sich Höhlen oder Skulpturen bauen. Der Boden ist hart und lässt sich nun nicht mehr mit Schaufeln bearbeiten. Draußen spüren die Kinder die Kälte.
  • Im Frühling erwacht der Wald zu neuem Leben. Die Temperaturen steigen langsam, Schnee und Eis tauen. Bäche sind wieder für Wasserspiele nutzbar und der nasse Waldboden für Matschspiele.

Das Spiel im Wald zeigt den Kindern, dass das Wetter Einfluss auf ihre Umgebung nimmt und sich diese dadurch verändert.

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Foto: Alemzadeh

Tipps, um mit Kindern zu jeder Jahreszeit und bei jeder Witterung das Wetter hautnah zu erleben.

  • Wettergerechte Kleidung: Sonnenhut, Sonnencreme, lange Baumwollkleidung im Sommer; Matsch-/Regenhose und -jacke, Outdoorschuhe und/oder Gummistiefel im Frühling und Herbst; warme, gefütterte Stiefel und wasserabweisende Kleidung im Winter (das „Zwiebelprinzip“ eignet sich in der kalten Jahreszeit besonders gut).
  • Ausreichend Wechselkleidung in der Einrichtung, diese neben warmem Tee zum Aufwärmen ggf. auch auf einen Ausflug mitnehmen.
  • Zum Trocknen und Aufwärmen in der Kita ggf. einen Fön und eine Wanne für warme Fußbäder parat haben.
  • Gesundheitlich angeschlagene Kinder sollten nicht nass werden. Gesunde Kinder können mit entsprechender Kleidung im Regen und Schnee spielen, wenn sie sich anschließend umziehen können.
  • In der kalten Jahreszeit darauf achten, dass die Kinder nur kurze Sitzphasen haben und sich ansonsten viel und ausreichend bewegen, um warm zu bleiben.

Autorin

Dr. Marjan Alemzadeh ist Professorin an der Hochschule Rhein-Waal im Aufgabengebiet Pädagogik mit dem Schwerpunkt frühkindliche Bildung. Sie forscht zu den Themen Beobachtung und Dokumentation, U3 – insbesondere Eingewöhnung–, frühkindliche Bildungsprozesse, Gleichaltrigen-Interaktionen, Pädagogen-Kind-Interaktionen und Didaktik in der frühen Kindheit.

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Der Artikel wurde zuerst veröffentlicht in: Entdeckungskiste - Zeitschrift für die Praxis in Kitas, Ausgabe 2/15 (Seite 10-12) und wird hier mit freundlicher Genehmigung des Verlags übernommen.

eingestellt am 24. April 2020

 

 

 

 

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