Tierschutz als frühkindlicher Bildungs- und Erziehungsauftrag

Gabriele Fiebich
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Immer wieder durchziehen Schreckensmeldungen über tierquälerische Handlungen die Medienlandschaft und die Täter scheinen immer jünger zu werden. Igel werden von Grundschülern angezündet, Katzen werden in Mülltonnen geworfen und Hunde werden von Jugendlichen erhängt. Und man fragt sich: Sind Mitgefühl und Achtsamkeit zu Fremdwörtern geworden? Hat die Wertevermittlung versagt? Oder geschehen diese Taten aus purer Unwissenheit?

Die Einstellung und das Verhalten anderen Lebewesen gegenüber werden maßgeblich von der Erziehung beeinflusst. Kinder reagieren in der Regel sehr positiv auf Tiere, so dass es dieses grundlegende Interesse zu fördern gilt, um Gewaltausübung an und unachtsamen Umgang mit diesen zu vermeiden.

Mittlerweile ist es wissenschaftlich erwiesen, dass Tiere ebenso wie Menschen Angst, Schmerz, Freude und Trauer empfinden können, und „weil wir Menschen uns selbst oder wechselseitig Leiden zufügen und dementsprechend sensibilisiert sind, scheint dieser ökoethische Begründungsansatz besonders überzeugend und wirksam, um zur Verbreitung des Tierschutzes beizutragen.“(1)

Jedoch greift diese Position nicht weit genug. Zwar lässt sich aus ihr eine moralische Notwendigkeit der Beachtung des Tierschutzrechtes ableiten, allerdings erhebt sich der Mensch zum alleinigen Maßstab, mit dem er alle anderen Lebensformen beurteilt. Auch wenn hinsichtlich der Leidensfähigkeit von Insekten in der wissenschaftlichen Debatte Uneinigkeit besteht, darf dies nicht dazu führen, dass weniger verantwortlich und achtsam mit ihnen umgegangen wird oder dass ihnen die Schutzwürdigkeit aberkannt und ein nicht vorhandenes Lebensinteresse unterstellt wird. Leid ist immer subjektiv und „die Frage, ob es überhaupt Tiere ohne ein solches Interesse gibt, und wenn ja, welche, kann wohl niemand zweifelsfrei beantworten.“ (2)

„Was Hänschen nicht lernt…

…lernt Hans nimmer mehr.“ – so lautet ein altes Sprichwort. Glücklicherweise lässt sich diese Botschaft nicht verallgemeinern. Manchmal ist es besser, ein spätes Einsehen zu haben, als gar keines. Bezüglich der Entwicklung von Empathie und Moral sind jedoch tatsächlich insbesondere die ersten Lebensjahre sehr prägend. Der jungen Generation sollte deshalb so früh wie möglich ein respektvoller Umgang mit Tier und Natur beigebracht werden, denn „je früher unsere Jugend von sich aus jede Rohheit gegen Tiere als verwerflich anzusehen lernt, je mehr sie darauf achtet, dass aus Spiel und Umgang mit Tieren nicht Quälerei wird, desto klarer wird auch später ihr Unterscheidungsvermögen werden, was in der Welt der Großen Recht und Unrecht ist.“ (Theodor Heuß, 1. Deutscher Bundespräsident)

Deshalb ist es für die soziale Entwicklung des Kindes enorm wichtig, dass man diesem Thema in den frühkindlichen Bildungseinrichtungen und in der familiären Elementarerziehung Beachtung schenkt. Da Kinder in der Mensch-Tier-Beziehung besonders gut für die Bedürfnisse anderer Lebewesen sensibilisiert werden können, kann die Erziehung zum Tierschutz gleichermaßen als Erziehung zum Menschenschutz und somit als allgemeine Gewaltprävention angesehen werden. Auf einen engen Zusammenhang zwischen Tierquälerei und Gewalt gegenüber Menschen weisen neben zahlreichen Tierschutzorganisationen auch wissenschaftliche Experten hin. Aber auch der griechische Philosoph Pythagoras hatte diese Vernetzung bereits erkannt: „Solange der Mensch weiterhin unbarmherzig niedrigere Lebewesen zerstört, wird er weder Gesundheit noch Frieden erfahren. Solange die Menschen die Tiere massakrieren, werden sie sich auch gegenseitig umbringen. Derjenige, der Tod und Schmerz säht, kann nicht Freude und Liebe ernten.”

Wie können der Tierschutz- und der Tierrechtsgedanke in die Bildung und Erziehung integriert werden?

Ob pädagogische Fachkräfte oder Eltern – alle können sich aktiv an der Verbreitung des Tierschutz- und Tierrechtsgedankens beteiligen und ihn in den erzieherischen Alltag integrieren.

Für pädagogische Fachkräfte besteht die Möglichkeit, an verschiedenen Fortbildungen teilzunehmen, durch die sie die Qualifikation „Tierschutzlehrer/ – in“ oder „Mitweltpädagogen/-pädagogin“ erhalten. Aber auch ohne diese spezielle Ausbildung können Tierschutzthemen im Rahmen von Projektarbeit (z.B. durch Rollenspiele mit dem Thema: “Wie fühlen sich wohl Insekten?”) aufgegriffen werden. Insbesondere Insekten, Würmer und Spinnentiere – die aufgrund ihrer Größe oft ins Hintertreffen geraten – laden durch ihre Präsenz in den Außenanlagen von Schule und Kindergarten zur Beobachtung und anschaulichen Wissensvermittlung ein.

Umfangreiches Begleitmaterial für den Schulunterricht bietet zudem beispielsweise der „Bund gegen Missbrauch der Tiere“.

Nicht nur für Fachkräfte, sondern auch für Eltern, eignen sich darüber hinaus Bilderbücher, die den richtigen Umgang mit Tieren thematisieren oder das Verhältnis von Mensch und Tier beleuchten. Hierbei können Kindern spielerisch Werte wie Achtsamkeit und Mitgefühl vermittelt werden (z.B. Alexander Bulk: „Schweinchen Hugo reißt aus“, Kirsten Boie: „Josef Schaf will auch einen Menschen“; Ruby Roth: „Warum wir keine Tiere essen“; Udo Taubitz: “Karl Klops, der coole Kuhheld“).

„Bilderbücher stellen (…) ein ideales Medium dar, Kinder bereits frühzeitig in ihren Empathiefähigkeiten zu stärken. Gerade durch das phantasievolle Eintauchen in unterschiedliche Situationen und durch die konkrete Unterstützung emotional anregender Bilder entsteht eine Offenheit, welche das Auftauchen empathischer Gefühle gezielt ermöglicht und verstärkt.“(3) Das Medium überlässt es den Kindern selbst, inwieweit sie sich mit dem Thema auseinandersetzen und identifizieren möchten. Bei Interesse kann es als Gesprächsanlass fungieren und mit aktiven Unternehmungen (z.B. dem Besuch eines Tierheims oder eines Tierhofes) verknüpft werden.

Auch lässt sich die Thematik auf einfache Weise in den Alltag integrieren. So kann man zum Beispiel den Einkauf im Supermarkt zum Anlass nehmen, um sich selbst und dem Nachwuchs einmal die Frage zu stellen, woher eigentlich das Essen kommt (z.B. das Fleisch, die Wurst, die Milch oder die Eier), welche Lebensmittel mit tierischen Produkten hergestellt werden und warum manche Menschen vegetarisch oder vegan leben und somit auf diese Waren verzichten.

Darüber hinaus ließe sich hieraus für die pädagogische Praxisarbeit ein Wettbewerb für Kindergarten- und Schulkinder konzipieren, der vielleicht auch für Erwachsene interessant wäre. Denn während das Haustier meist gehegt und gepflegt wird, ist man sich oft nicht bewusst, dass die sogenannten „Nutz“-Tiere, die der Lebensmittelproduktion dienen, häufig unter katastrophalen Bedingungen leben müssen. Auch bietet sich in diesem Zusammenhang der Besuch eines Bauernhofes an. Denn für ein ganzheitliches Lernen ist es von großer Bedeutung, „den Umgang mit der Mitwelt (…) direkt erfahrbar werden zu lassen, um so die Loslösung von rein kognitiven Unterrichtsstrukturen zu erleichtern und die Möglichkeit zu geben, Empathie zu erleben. (…) Es sollte bei einem Ansatz, der die Bildung zur Verantwortung gegenüber dem Leben zum Inhalt hat und Ehrfurcht und Mitgefühl als eigentliches Zentrum definiert, auch selbstverständlich sein, dass Themen berücksichtigt werden, die bisher in der traditionellen „Umwelterziehung“ keine Rolle oder eine untergeordnete gespielt haben.“ (4)

Da Kinder gerne und viel imitieren, kommt auch dem Lernen durch Nachahmung eine große Bedeutung zu. ErzieherInnen, LehrerInnen und Eltern haben eine Vorbildfunktion und somit die wichtige Aufgabe, den richtigen und achtsamen Umgang mit anderen Lebewesen vorzuleben.

  • Interessante Projekttipps, vegetarische und vegane Kochanregungen, die auch Kindern schmecken, sowie viele weitere Ideen für eine aktive, tierfreundliche Lebensweise für Groß und Klein, findet man auch unter PETAKids.

Die wahre moralische Prüfung der Menschlichkeit

In der heutigen Zeit wird oftmals der Werteverfall in der Gesellschaft beklagt. Die Kinder und Jugendlichen hätten kein Benehmen mehr, keinen Respekt, keine Achtung und wären nicht mehr hilfsbereit. Auch aus diesem Grund ist es wichtig, die nachfolgende Generation für die Bedürfnisse anderer Lebewesen zu sensibilisieren.

Da der Mensch eine Sonderstellung in der Welt hat und somit ein von Macht und Entscheidungsfreiheit geprägtes Dasein führt, sollte es ein zentrales Anliegen von Pädagogen und Eltern sein, ihn von frühester Kindheit an zu einem verantwortungsvoll handelnden, einfühlsamen Individuum zu erziehen, das alle Lebewesen gleichermaßen achtet. Denn „die wahre menschliche Güte kann sich in ihrer absoluten Reinheit und Freiheit nur denen gegenüber äußern, die keine Kraft darstellen. Die wahre moralische Prüfung der Menschlichkeit, die elementarste Prüfung äußert sich in der Beziehung der Menschen zu denen, die ihnen ausgeliefert sind: zu den Tieren.” (5)

Literaturangaben

(1) Hansmann, Otto / Tutschek, Reinhard (2010): Grundzüge ökologisch-ethischer Bildungsdiskurse, in: Ethik & Unterricht. Zeitschrift für die Fächergruppe Ethik/Werte und Normen/LER/Praktische Philosophie, Heft 3/10, Friedrich Verlag

(2) Teutsch, Gotthard M. (2002): Gerechtigkeit auch für Tiere. Beiträge zur Tierethik. 1. Aufl., Biblioviel Verlag, Bochum

(3) Kain, Winfried (2008): Die positive Kraft der Bilderbücher. Bilderbücher in Kindertageseinrichtungen pädagogisch einsetzen, Cornelsen Verlag Scriptor, Berlin, Düsseldorf, Mannheim

(4) Spahn-Skrotzki, Gudrun (2010): Bildung zur Verantwortung gegenüber dem Leben. Fächerübergreifender Unterricht als Weg zu verantwortlichem Handeln im ökologischen und bioethischen Kontext, Verlag Julius Klinkhardt, Bad Heilbrunn

(5) Kundera, Milan (1987): Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, Verlag Fischer, Frankfurt am Main

Autorin

Gabriele Fiebich, Erziehungswissenschaftlerin M.A.


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Erstellt am 21. Dezember 2012, zuletzt geändert am 14. Januar 2015