Falten und Spielen – Intelligent durch geschickte Finger

Susanne Stöcklin-Meier
Sstoecklin
 

Papier verwandelt sich durch Falten in Hüte, Schiffe, Flieger, Fangbecher, Frösche, Fische usw. Zwischen vier und neun Jahren ist das goldene Zeitalter des Faltens! Papierfalten fördert besonders die Feinmotorik. Die feinmotorische Geschicklichkeit ist Voraussetzung für Sprechen und Denken. Die neueste Hirnforschung bestätigt: geschickte Finger machen Kinder intelligent! Zudem baut Falten eine Brücke zwischen dem Spiel in der Familie und der Wissensvermittlung im Kindergarten und in der Schule. Papierfalten wirkt wie ein natürliches Frühförderprogramm, das genau dem altersgemäßen Bedürfnis der Kinder entspricht. Der Augenhandkontakt und die Feinmotorik der rechten und der linken Hand regen beide Hirnhälften an. Papier-Falten begünstigt bei den Vor- und Grundschulkindern die Entwicklung der Schlüsselkompetenzen wie: Mathematik, Sprache, Gestalten, Soziales, sowie Naturwissenschaft und Technik.

Die Kunst des Papierfaltens kommt ursprünglich aus Japan und heißt: Origami. Diese jahrhundertealte Japanische Papierfalttradition ist sehr kompliziert und für Anfänger und junge Kinder hier bei uns zu schwierig. Unabhängig von Asien hat sich auch in Europa eine einfachere, eigenständige Tradition entwickelt. Einer der ersten Anhänger war Friedrich Fröbel, der „Erfinder“ des Kindergartens. Er hatte um 1840 erkannt, dass Papierfalten die Koordination von Auge und Hand sowie das Gefühl für Geometrie und Genauigkeit fördert. In meiner Sammlung „Falten und Spielen – Intelligent durch geschickte Finger“ habe ich Faltformen zusammenzutragen, die unseren Kindern entsprechen. Ich habe sie unter dem Aspekt ausgewählt: Was können unsere Kinder falten? Was ist nicht zu schwer für sie? Der Grundstock zu dieser Faltsammlung stammt aus meiner Kindheit und der Ausbildungszeit am Kindergarten-Seminar Marzili, Bern. Im Laufe der Jahre sind immer mehr Faltformen dazugekommen. Hier sind zum ersten Mal in einem Faltbuch die Aspekte der Schlüsselkompetenzen, die sich Kinder in ihrer Entwicklung zwischen vier und acht Jahren aneignen, mit einbezogen. Dadurch werden die Faltanleitungen bereichernd und wertvoll.

Da Fingerfertigkeit auch durch Falten entwickelt und verfeinert wird, nutzen beispielsweise heute Ergotherapeuten das Falten bei Rheumapatienten oder nach handchirurgischen Eingriffen. Der Freiburger Handchirurg Klaus Lowka, sagt: “Origami ist eine Methode – neben anderen -, um die Feinmotorik wieder anzukurbeln und den Gebrauch der Hände zu optimieren. Außerdem macht es den Patienten Spaß.” Laut dem Freiburger Hirnforscher Josef Bischofberger bewirkt Falten: dass durch die Konzentration und die anregenden Reize, neue, lernfähigere Nervenzellen im Gehirn gebildet werden.

Die folgenden Abschnitte erzählen kurz, was Papierfalten bei Kindern nach meiner Erfahrung in der pädagogischen Praxis und den neusten Erkenntnissen der Hirnforschung alles bewirkt, welche Schlüsselkompetenzen besonders angesprochen und gefördert werden:

  • Mathematische Kompetenz: Kinder können Mathematik nicht abstrakt oder im luftleeren Raum erlernen. Die bewusste Auseinandersetzung mit Materialien und das Gespräch mit Erwachsenen ist eine wichtige Vorbereitung. Genau so verhält es sich beim Falten. Ein Kind kann von sich aus nie die Faltform eines Segelschiffchens erfinden. Das Kind braucht dazu einen Erwachsenen oder ein Buch, das ihm die Faltform zeigt. Beim “ersten Mal Falten” geht es darum, das Prinzip zu verstehen. Kinder entdecken die meisten geometrische Grundformen zuerst in ihrer Umgebung und erst dann im Papier: Was sieht aus wie ein Quadrat, ein Dreieck, ein Kreis oder ein Rechteck? Falten fördert eindeutig das mathematische Denken und das Erkennen von geometrischen Formen, Mustern, Zahlen und Mengen. Falten unterstützt das Verständnis von Regelmäßigkeiten und die dreidimensionale, räumliche Wahrnehmung. Wer die konkrete Umsetzung erlebt, kann später abstrakte Rechenvorgänge viel leichter nachvollziehen. Ein Stück Papier in die Hälfte zu falten heißt zum Beispiel, etwas durch zwei zu teilen!
  • Sprachliche Kompetenz: Falten fördert lustbetontes Sprechen, erweitert den Wortschatz und zeigt neue Begriffe. Faltpapier kann dick, dünn, groß oder klein sein. Kinder entdecken Zahlwörter und das Ab- und Auszählen von Objekten. Beim Falten testen sie Begriffe wie: oben, unten, Ecken, Kante, Spitze, Dreispitz, Papier wenden, hinten und vorne, reißen oder schneiden, in die Hälfte legen, ein Kreuz oder eine Diagonale falten. Lautes Denken ist hier gefragt, denn hörbar gesprochene Worte prägen sich besser ein! Faltfiguren animieren zum Sprechen, Geschichten erzählen, Verse aufsagen, Rollenspiel und Lieder singen. Die Sprachmotivation steigt durch Witz, Rhythmus und Reime.
  • Gestalterische Kompetenz: Beim Falten wird exaktes Arbeiten, Ausdauer und Geduld trainiert. Damit Faltformen gelingen, braucht es passendes Papier. Ist es zu dick oder zu klein, kommt Frust auf. Die ersten Figuren sehen zerknittert und ungenau aus. Doch Übung macht den Meister. Je geschickter die Finger werden, desto „schöner“ und exakter ist das Faltergebnis. Die Faltformen sind in diesem Buch nach Schwierigkeitsgrad sortiert. Die Kinder werden schrittweise in die Kunst des Faltens eingeführt, vom Einfachen zum Schwierigen. Kinder tun sich beim Falten leichter, wenn sie das Papier vom eigenen Körper weg- und nicht zum Körper hinfalten. Die Finger haben dann auch mehr Kraft. (Kinder mögen den Ausdruck: „vom eigenen Bauchnabel hin zur Tischmitte falten.“) Wer traditionelle Faltfiguren kennt, kann selber auch neue Varianten erfinden. Faltformen werden bemalt, verziert und geschmückt. Oft entstehen Gemeinschaftsbilder und ganze Papierlandschaften.
  • Soziale Kompetenz: Falten motiviert, weil man mit der fertigen Faltform allein oder in der Gruppe spielen kann. Faltabläufe müssen dem Kind gezeigt werden, bevor es diese selbstständig nachahmen kann. Erwachsene signalisieren: „Ich nehme mir Zeit für dich. Du bist mir wichtig.“ Durch gemeinsames Tun entsteht ein positiver zwischenmenschlicher Kontakt, der für eine gesunde Entwicklung wichtig ist. Können macht stark und selbstsicher. Kinder sind stolz, wenn sie den Ablauf einer Faltform verinnerlicht haben. Manchmal fallen sie dann in einen fröhlichen „Faltrausch“ und produzieren große Mengen. Da in diesem Faltbuch die Faltabläufe mit Fotos dargestellt sind, können Kinder mit etwas Falterfahrung diese sogar selber “ablesen“ und nachfalten. Kinder spielen gerne „Kindergarten“ oder “Schule“ und geben dabei ganz selbstverständlich Faltformen, die sie kennen, an andere Kinder weiter! Sie lieben es, kleine Geschenke zu machen, Faltformen eigenen sich ausgezeichnet dazu. Denken wir nur an Weihnachtssterne, Osterkörbchen, Stabpuppen, Hüte, Briefe oder Geldbeutel.
  • Naturwissenschaft/Technik: Faltformen geben Denkanstöße zum Experimentieren, Ausprobieren, Testen, Erfinden und Spielen. Die kleinen Wissenschaftler gehen Fragen auf den Grund wie: Welches Papier lässt sich am besten falten? Warum muss ein Faltpapier exakt sein, damit die Faltform gelingt? Welches Schiffchen schwimmt am längsten? Warum gleitet der Papierflieger durch die Luft? Was muss ich tun, damit er geradeaus oder um die Kurve fliegt? Warum lassen sich die Kugel und der Teufel aufblasen? Wie viel Gewicht erträgt das Einkaufsnetz aus Zeitungspapier bis es reißt?

Ich wünsche Eltern und ihren Kindern, Erziehenden im Kindergarten und in der Grundschule mit ihren Gruppen und allen „FaltschülerInnen“ viel Spaß an Spiel und Sprache, geschickte Finger beim Falten, nachhaltige Erkenntnisse in Mathematischer Kompetenz und bereichernde Einsichten durch genaues Beobachten, Experimentieren, Entdecken und Lernen! Möge „Falten und Spielen – Intelligent durch geschickte Finger“ als natürliches Früh-Förderprogramm viele Kinder bereichern und glücklich machen beim selber Tun.

Das Buch zum Thema: „Falten und Spielen – Intelligent durch geschickte Finger“ Kösel, Februar 2007

Weitere Beiträge der Autorin hier in unserem Familienhandbuch

Autorin

Die Kinder- und Spielbuchautorin Susanne Stöcklin-Meier absolvierte die Ausbildung zur Kindergärtnerin in Bern und arbeitete als Kindergärtnerin in einem Dorf im Kanton Baselland. Sie ist aktiv in der Kindergärtnerinnen-Fortbildung, Eltern- und Erwachsenenbildung. Sie lebt heute mit ihrem Mann in Diegten und ist Mutter von zwei erwachsenen Töchtern.

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Erstellt am 17. Januar 2007, zuletzt geändert am 5. März 2010

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