Musikschulen fördern die Musikalität der Kinder
Dr. Romald Fischer
Musikschulen bieten wesentliche Voraussetzungen für eine individuelle musikalische Förderung und ermöglichen somit eine zielgerichtete ganzheitliche Entwicklung von eng miteinander verknüpften emotionalen, kognitiven, motorischen und sozialen Fähigkeiten, die in jedem Menschen angelegt sind. So erfüllen die Musikschulen einen öffentlichen und dringend erforderlichen Bildungsauftrag.
Der Musikunterricht in den allgemeinbildenden Schulen findet nicht stetig und in ausreichender Stundenzahl statt, um die musikalischen Anlagen unserer Kinder entsprechend fördern zu können. Genauso wenig besteht vor allem an den Grundschulen die Möglichkeit, ein nach eigenen Interessen oder individueller Eignung gewähltes Musikinstrument zu erlernen. So stellt das Angebot der Musikschulen des Verbandes deutscher Musikschulen (VdM) eine wichtige Ergänzung der Unterrichtsfächer in den allgemeinbildenden Schulen dar. Als öffentliche Bildungseinrichtungen mit einer durchdachten und jahrzehntelang optimierten Struktur können sie teilweise auf eine lange Tradition zurückblicken, wie z.B. die Städt. Musikschulen in Aschaffenburg und München, die bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts gegründet wurden.
Schon zu dieser Zeit gab es eine beachtliche Nachfrage nach Instrumental- und Vokalunterricht, die bis in die Gegenwart stetig zunahm und zur Gründung zahlreicher weiterer Musikschulen führte. So gehören dem 1952 gegründeten, in 16 Landesverbänden organisierten VdM mittlerweile ca. 950 Musikschulen in Deutschland an, darunter 215 Musikschulen in Bayern. Weit über 1.000.000 Kinder, Jugendliche und Erwachsene werden bundesweit von 35.000 Fachlehrkräften an ca. 4.000 Unterrichtsorten unterrichtet. Nahezu 80.000 öffentliche Veranstaltungen werden von ca. 8.500.000 Zuhörer/innen jährlich besucht. Elternbeiräte sowie Landes- und eine Bundes-Eltern-Vertretung sorgen als Bindeglied zwischen Schüler/innen, Lehrer/innen und Schulleitung für einen regen Informationsfluss und Erfahrungsaustausch. (Vgl. www.musikschulen.de, www.musikschulen-bayern.de)
Qualität durch Strukturplan und Rahmenlehrpläne
Die individuelle musikalische Förderung und Ausbildung der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen an den im VdM organisierten Musikschulen orientiert sich an einem Strukturplan, der sich in
- Grund-/Elementarstufe (musikalische Früherziehung und Grundausbildung, Singklassen, Orientierungsangebote, Eltern-Kind-Gruppen) und
- Hauptstufe (Instrumental-, Vokal-, Ensemblefächer) gliedert.
Erweitert wird das Angebot – je nach Größe der Musikschule und Nachfrage – durch
- Ergänzungsfächer (z.B. Musiktheorie, Komposition, Musiktheater),
- Workshops und Projekte,
- Musik mit Behinderten,
- Exkursionen etc.,
- die Möglichkeit, sich mit Hilfe einer intensiven studienvorbereitenden Ausbildung (SVA) auf ein Berufsstudium vorzubereiten und
- Kooperationen mit Kindergärten und allgemeinbildenden Schulen.
Laufend aktualisierte Rahmenlehrpläne für die einzelnen Bereiche bzw. Instrumente sorgen dafür, dass neueste Erkenntnisse z.B. aus der Lern- oder Motivationspsychologie in den Unterrichtsmaterialien und in der Unterrichtsmethodik Aufnahme finden. Auf individuelle Bedürfnisse und Voraussetzungen der Schüler/innen kann so – ohne hohe bürokratische Hürden überwinden zu müssen – reagiert werden.
Musikschulen führen auf direktem Weg zur Musik hin
Der Zugang zur Musik kann auf recht unterschiedliche Art und Weise erfolgen. So stehen in den allgemeinbildenden Schulen aufgrund des Klassenunterrichts kognitive Bildungsinhalte wie Notenlesen, Musikgeschichte etc. im Vordergrund – also Unterrichtsinhalte, die einzelne Elemente der Musik darstellen oder Musik und deren Umfeld beschreiben, die jedoch selbst noch nicht den Gegenstand “Musik” direkt erfassen. Dies wirkt nicht selten auf die Schüler so, als sollten sie das Alphabet lernen, ohne es jedoch im Anschluss daran bei der Bildung von Wörtern und Sätzen anwenden zu können. Das Lernen von Notennamen und Notenschrift erhält vor allem dann einen Sinn, wenn diese Zeichen und Symbole auch in das umgesetzt werden, wofür sie eigentlich stehen, nämlich in Klang. Diese Erfahrung kann der/die Schüler/in jedoch nur dann machen, wenn regelmäßig an der motorischen (vokalen oder instrumentalen) Umsetzung der Noten und/oder der musikalischen Vorstellung geübt wird. Diesen direkten Zugang zum eigentlichen Wesen der Musik ermöglichen die Musikschulen mit ihrer direkten Zugangsweise.
Musikschulen finden für Sie und/oder Ihr Kind das richtige Instrument
Musik benötigt ein Medium, d.h. ein Instrument, das zum Klingen gebracht werden kann. Instrumente wie z.B. Gitarre, Klavier, Kontrabass, Violine, Flöte, Posaune etc. haben die unterschiedlichsten Größen und stellen sehr verschiedenartige Anforderungen an die Bewegungs-, Atmungs- oder Wahrnehmungsfähigkeit des Schülers. Ähnlich wie im Sportbereich, so gibt es auch beim Instrumentalspiel Schüler/innen, die von Natur aus ihre Finger leichter koordinieren können, deren Nervenimpulse schneller unterwegs sind oder deren Fingerlänge und -stärke den Erfordernissen eines bestimmten Instruments entgegenkommen, was auch wiederum vom Alter abhängig ist.
Sind dann bestimmte Voraussetzungen für ein Instrument weitgehend erfüllt, so heißt das noch längst nicht, dass das Erlernen des Instruments von selbst geht. Auch hier ist Übung notwendig, und auch weniger gute körperliche Voraussetzungen können durch “Training” ausgeglichen werden. Dies gilt vor allem dann, wenn mit der Wahl eines bestimmten Instruments durch den Schüler/ die Schülerin ein “Herzenswunsch” erfüllt wird.
Musikschulen des VdM stehen Ihnen hier mit ihrem großen Unterrichtsangebot und mit ihrer Erfahrung zur Seite. Stellen Sie fest, dass Ihre Instrumentenwahl oder die Ihres Kindes ungünstig war, so können Sie auf ein anderes wechseln, oder aber Sie oder Ihr Kind nehmen an einem “Instrumentenkarussell” teil, bei dem Sie verschiedene Instrumente über einen längeren Zeitraum ausprobieren können. Hier stehen Ihnen dann die Fachlehrer/innen mit Ratschlägen und Hinweisen zur Seite.
Musikschulen vermitteln durch einen professionellen Unterricht lebenslange Freude an der Musik
Ein professioneller Musik- bzw. Instrumentalunterricht setzt Lehrer/innen voraus, die ein Studium an einer Musikhochschule absolviert haben. Hierunter ist eine künstlerische Ausbildung zu verstehen, denn wie soll Musik vermittelt werden, ohne dass der Vermittler (= Lehrer/in) den Gegenstand Musik selbst erfahren hat bzw. darstellen kann?
Der Instrumentalunterricht hat nicht das Ziel, aus jedem Schüler einen professionellen Musiker zu machen. Es geht vielmehr darum, jeden Schüler im Rahmen seiner Möglichkeiten optimal zu fördern, d.h. seine Anlagen so zu entwickeln, dass er sich auf einer für ihn geeigneten Stufe musikalisch ausdrücken und verwirklichen kann. Dies kann schon in einfacher Form im Anfangsunterricht geschehen und nicht erst dann, wenn eine umfangreiche Technik (Fingerfertigkeit, Blastechnik…) oft nach Jahren der Übung zur Verfügung steht. Solche frühen musikalischen Erlebnisse sind ein Garant für Freude und Motivation am Musiklernen und bleiben in der Erinnerung bis ins Erwachsenenalter besonders stabil.
In diesem Zusammenhang ist es von großer Bedeutung, nicht nur das verstandesmäßige Denken, das in der Regelschule zweifellos im Vordergrund steht, zu fördern. Um gleich schon im Anfangsunterricht ein gesundes, ausgewogenes, musikalisch erlebnisreiches Fundament zu legen, ist “der/die beste Lehrer/in gerade gut genug” . Diese Gewissheit geben Ihnen die Musikschulen des VdM, die bei der Auswahl ihrer Lehrkräfte nicht nur Wert auf deren künstlerische, sondern auch auf deren pädagogische Kompetenz legen.
Musikschulen ermöglichen das gemeinsame Musizieren
Es gibt die kriminalistisch klingende Redewendung von der “Einzelhaft am Klavier”. Auch wenn sie übertrieben ist, so steckt auch ein wenig Wahrheit in ihr, die bei genauerer Erklärung jedoch schnell in einem anderen Licht erscheint. Natürlich erfordert das Erlernen eines Instruments vom Schüler, dass er regelmäßig alleine übt. Doch wird dieses Üben in den Dienst einer Gruppe gestellt – egal ob es sich hierbei um ein Jugendsymphonieorchester, Blasorchester, eine Bigband, Rockband etc. handelt – , so geschieht es auch unter einem musikalisch-sozialen Aspekt, nämlich als Teil dieser Gemeinschaft ein Musikstück zum Klingen zu bringen und Verantwortung zu übernehmen, um gemeinsam dieses Ziel zu erreichen.
Von “Einzelhaft” kann hier also keine Rede sein. Blicken wir nach einer gelungenen Aufführung und dem aufbrandenden Applaus in die Gesichter der jungen Musiker, so sehen wir leuchtende Augen und glückliche Gesichter. Wo können wir sonst noch diese Beobachtung machen? Musikschulen ermöglichen diese Erfahrung für Anfänger sowie Fortgeschrittene in den unterschiedlichsten Spielformen (solistisch, kammermusikalisch, im Ensemble/ Orchester etc.) und für alle Altersgruppen.
Musikschulen dienen der regionalen und grenzüberschreitenden Kulturpflege
Die Pflege des Kulturgutes Musik ist allgemein mit sehr viel Tradition verbunden. In Deutschland und über die Grenzen hinaus ist so eine musikalisch-kulturelle Identität herangewachsen, die ihre Wurzeln in der Vergangenheit, ihr Selbstverständnis in der Gegenwart und ihre Hoffnung in der Zukunft hat. Zur Wahrung dieses Kulturguts ist ein vielschichtiger, bedeutungsvoller und kontinuierlicher Bildungsprozess notwendig, dem sich die Musikschulen des VdM verpflichtet fühlen.
Das Verständnis für Musik entwickelt sich vielschichtig, d.h. einerseits funktional (= dient einem Zweck), andererseits intentional (= zielgerichtet durch Unterricht), meist eng gekoppelt an deren Erscheinungsform. Hierbei gibt es also Musik, die wir ohne Hintergrundwissen kaum verstehen können (vor allem die sog. “Klassische Musik” ) und für deren Wahrnehmung (Hören) und Aufführung wir eine (Aus-)Bildung benötigen. Genauso existiert auch eine “Unterhaltungsmusik” , die uns geläufig ist, die wir verstehen, die uns niemand erklären muss, die jedoch sehr stark vom Moment lebt und nicht “zeitlos” bleibt. Doch auch diese Musik will späteren Generationen beschrieben und erklärt werden, wollen wir sie als “Zeitgeist” , vielleicht mit dem einen oder anderen zeitlosen Musikstück, nicht ganz aus den “Ohren” verlieren.
Wir können also nicht auf musikalische Bildung verzichten, wollen wir es nicht riskieren, unsere eigene musikalisch-kulturelle Identität und den Brückenschlag zur Musik anderer Kulturkreise zu gefährden. Hierzu leisten die Musikschulen einen erheblichen Beitrag mit ihren über 1.000.000 Schüler/innen.
Musikschulen sorgen für eine positive Persönlichkeitsentwicklung
Musik als Mittel der Erziehung ist ein Thema, das eine lange Tradition hat und u.a. bis in die Antike zurückreicht – so bei Konfuzius in China, wo die Musikpraxis als ein beweiskräftiges Merkmal für den Stand der gesellschaftlichen Entwicklung im Land angesehen wurde, oder bei Platon und Aristoteles, die eine Ethoslehre der Musik vertraten und ihr eine erzieherische Wirkung auf den Menschen zusprachen.
Hier werden zwei unterschiedliche Auffassungen deutlich, nämlich dass
1. der Musik(-erziehung) ein Wert an sich zugesprochen wird und
2. der Musik(-erziehung) persönlichkeitsbildende Effekte zugeschrieben werden.
Aktuelle Untersuchungen scheinen dies zu belegen und so nehmen die Musikschulen auch allgemein-erzieherische Aufgaben wahr. Bemerkenswert ist insbesondere, dass sich durch verstärkten Musikunterricht bei den Schüler/innen
• das soziale und kreative Verhalten verbessert,
• eine konstruktivere Arbeitshaltung entsteht,
• emotionale Situationen besser erkannt und bewältigt werden.
Der Musikunterricht bietet die Möglichkeit, kognitives Denken zu schulen, emotionales und kreatives Erleben zu entwickeln und soziale Kompetenzen zu fördern. Hierbei ist „an der Verarbeitung von Musikinformationen ein verteiltes, viele Hirngebiete umfassendes, neuronales Netzwerk beteiligt“ (Jäncke 2008, S. 305), wodurch eine Ausbalancierung der Gehirnaktivität und somit eine “Harmonisierung der Persönlichkeit” erreicht wird (Spychiger 1992, S. 246). Die aktive Beschäftigung mit Musik sorgt also für die Aktivierung von vielen Hirnarealen, die sonst kaum (noch) genutzt werden. Die Nutzung beider Hirnhemisphären kann für das Lernen im Allgemeinen nur Vorteile haben: Mehrkanaliges Lernen (= Nutzung beider Hirnregionen) ist effektiver und erfolgreicher! Sogenannte Mnemotechniken (Gedächtnishilfen) nutzen genau dies aus.
Die hier angesprochenen Transfereffekte sollten jedoch nicht im Vordergrund stehen, um beispielsweise den Musikunterricht zu legitimieren. Vielmehr können sie als eine positive Nebenerscheinung wahrgenommen werden. So bemerkt Heiner Gembris (2001, S. 186) sehr treffend: “Musik ist aufgrund ihrer Bedeutung, die sie für das Individuum, für Kultur und Gesellschaft und für die gesamte Menschheit besitzt, ein Wert an sich, der für sich allein Musikunterricht nicht nur legitimiert, sondern notwendig macht. Deshalb braucht er eine zusätzliche Legitimation durch Transfereffekte auf Intelligenz oder Persönlichkeit letztlich nicht. Dennoch kann der Hinweis auf Transfereffekte … hilfreich sein, um auf die vielseitige Bedeutung des Musikunterrichts aufmerksam zu machen.”
Das Wesen der Musik ist eng verbunden mit individuellem Ausdruck, mit Emotion und kognitiven Anforderungen. Sie bietet uns und unseren Kindern in einer zunehmend technisierten Umwelt die Möglichkeit einer ganzheitlichen, ausbalancierten Entwicklung und liefert damit einen wesentlichen Baustein für ein sinnerfülltes Leben.
Kontakte
Verband deutscher Musikschulen e.V. (VdM), Plittersdorfer Str. 93, 53173 Bonn, Tel: 0228/95706–0,
Verband Bayerischer Sing- und Musikschulen e.V. (VBSM), Pöltnerstr. 25, 82362 Weilheim, Tel: 0881/2058,
Literatur
- Ernst, Anselm (2006): Die zukunftsfähige Musikschule. Aarau: Nepomuk Verlag.
- Gembris, Heiner (2001): Musik, Intelligenz und Persönlichkeitsentwicklung. In: Gembris et al. (Hg.): Macht Musik wirklich klüger? – Musikalisches Lernen und Transfereffekte. Musikpädagogische Forschungsberichte. Bd. 8. Augsburg: Wißner Verlag.
- Jäncke, Lutz (2008): Macht Musik schlau? Neue Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften und der kognitiven Psychologie. Bern: Huber Verlag.
- Spychiger, Maria (1992): Zwischen Mythos und Realität: Außermusikalische Wirkungen von Musikunterricht. In: Psychologie, Erziehung, Unterricht. 39. Jg., S. 243 – 252.
- Spychiger, M. (2003): Was bewirkt Musik? Probleme der Validität, der Präsentation und der Interpretation bei Studien über außermusikalische Wirkungen musikalischer Aktivitäten. In: Gembris et al. (Hg.): Macht Musik wirklich klüger? – Musikalisches Lernen und Transfereffekte. Musikpädagogische Forschungsberichte. Bd. 8. Augsburg: Wißner Verlag.
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Autor
Dr. Romald Fischer
Hochschule für Musik und Theater München
Arcisstraße 12
80333 München
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Erstellt am 8. Januar 2014, zuletzt geändert am 8. Januar 2014