Entwicklung von Basiskompetenzen – die entwicklungspsychologische Perspektive

Prof. Dr. Dr. Hartmut Kasten
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Die u.a. im Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan (BEP) vorgegebenen Basiskompetenzen umfassen eine Reihe von grundlegenden Fähigkeiten und Werthaltungen, die für ein erfolgreiches und glückliches Leben in unserer Gesellschaft notwendig sind. Dieser Beitrag zeigt am Beispiel dieser Kompetenzen verschiedene Möglichkeiten, wie sich Kinder diese aneignen. Anhand entwicklungspsychologischer Modelle werden einige Arten des Lernens erklärt, durch die eine Kompetenzentwicklung stattfindet.

Die Basiskompetenzen werden nicht von heute auf morgen vermittelt, sondern im Laufe eines lebenslangen Lernprozesses. Dieser beginnt schon in den ersten Lebensjahren im Elternhaus und setzt sich dann fort nicht nur in institutionellen Einrichtungen, wie Kindergarten und Schule, sondern findet auch statt in zahlreichen informellen und zufälligen Situationen, in denen wir, wie es so schön heißt, “für das Leben”lernen.

Die zu den Basiskompetenzen zählenden Fähigkeiten und Werthaltungen werden auf ganz unterschiedliche Weise erworben, – manchmal durch direkte Anleitung und Unterweisung, manchmal eher zufällig (z. B. dadurch, dass das Kind bei einem Vorbild die gewünschte Fertigkeit” abguckt “), manchmal durch schmerzhafte Erfahrungen oder zufrieden machende Erfolgserlebnisse, – um nur einige Möglichkeiten aufzuzählen.

Natürlich muss dabei auch im Auge behalten werden, um welche Fähigkeiten und Haltungen es konkret geht:” Personale Kompetenzen “, wie das Selbstwertgefühl oder ein positives Selbstkonzept, werden auf ganz andere Weise erworben als” kognitive Kompetenzen “(z. B. Gedächtnis- oder Problemlösefähigkeiten).

Schließlich gilt es auch das Lebensalter zu berücksichtigen: Ein Säugling erwirbt Wissen und seine ersten Erfahrungsmuster auf ganz andere Weise als Kinder im Vorschulalter oder Schulkinder.

Die Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie haben in den letzten Jahrzehnten zahllose Forschungsergebnisse veröffentlicht, in denen im Detail beschrieben wird, welche Lernvorgänge beteiligt sind (und welche nicht), wenn bestimmte Lerninhalte erworben werden. Basiskompetenzen sind nichts anderes als Lerninhalte, wenn zuweilen auch sehr komplexe und umfassende. Es lohnt sich daher, einen Blick auf übergreifende entwicklungspsychologische Einsichten zu werfen.

Auf verschiedenen Altersstufen werden von den Kindern ganz unterschiedliche Lernmuster, die jeweils spezifischen Prinzipien gehorchen, bevorzugt verwendet. Dies hängt vor allem mit ihrem Entwicklungsstand zusammen. Beispielsweise lernen Säuglinge und Kleinkinder vor allem durch Bekräftigung oder, wie man auch sagt, durch Lob und Strafe: Sie werden positiv bekräftigt, also gelobt, belohnt, bewundert usw., wenn sie sich so verhalten, wie es sich ihre Eltern und andere Bezugspersonen vorstellen – oder getadelt, kritisiert, bestraft, wenn sie in ihrem Verhalten abweichen von den elterlichen Vorstellungen und Erwartungen.

Sie lernen daneben aber auch – sozusagen von sich aus und jenseits von Lob und Strafe – durch Erfahrungen, die sie machen im Umgang mit den Dingen und Menschen ihrer Umwelt. Hier spricht man von “Lernen durch Versuch und Irrtum”. Kinder sind von Natur aus neugierig und interessiert an fast allem, was in ihrer Nähe vor sich geht (wenn sie wach, ausgeschlafen und entspannt sind) und erkunden, soweit es ihre körperlichen Möglichkeiten zulassen, sozusagen alles, was nicht niet- und nagelfest ist. In den ersten Lebensmonaten spielen die Finger und der Mund dabei eine wichtige Rolle. So lernen sie z.B. durch Versuch und Irrtum, dass ein Gegenstand zu groß ist, um ihn zu ergreifen, oder zu glitschig, um ihn festhalten zu können, oder dass manche Objekte sich im Mund weich und angenehm, andere dagegen hart, kalt und unangenehm anfühlen.

Im Laufe des zweiten und dritten Lebensjahres gewinnt dann das so genannte Modell- oder Beobachtungslernen zunehmend an Bedeutung, was aber nicht heißt, dass nicht weiterhin auch durch Lob und Strafe (Bekräftigungslernen) bzw. Versuch und Irrtum (Erfahrungslernen) Kenntnisse und neues Wissen erworben werden. Durch Beobachtung (und Nachahmung eines Modells) gelernt wird in erster Linie von Bezugspersonen im Elternhaus und außerhalb der Familie. Wenn folgende Voraussetzungen gegeben sind, ist die Wahrscheinlichkeit der Nachahmung eines Modellverhaltens und der Übernahme in das eigene Verhalten besonders groß:

  1. Das Modell wird gemocht, ist beliebt oder (und das gilt insbesondere für etwas ältere Kinder) genießt Anerkennung, wird bewundert und respektiert und hat einen hohen Status. (Zunächst sind das natürlich die Bezugspersonen des Kindes in seiner Familie, die Eltern, ältere Geschwister oder andere Angehörige.)
  2. Das beobachtete Verhalten führt zum Erfolg, wird belohnt und anerkannt oder bereitet dem Modell Vergnügen. (Nicht nachgeahmt wird dementsprechend in der Regel ein Verhalten, das auf Missbilligung stößt oder sogar bestraft bzw. mit Anzeichen von Unlust oder nur widerwillig vom Modell ausgeführt wird.)
  3. Das Kind nimmt zwischen sich und dem Vorbild Ähnlichkeiten wahr (auch wenn diese Ähnlichkeiten manchmal nur in der Phantasie des Kindes existieren.)
  4. Das Kind wird dafür belohnt, dass es dem Vorbild aufmerksam zuschaut bzw. durch direkte Bekräftigung zu erhöhter Aufmerksamkeit veranlasst.
  5. Das Kind verfügt über die Möglichkeiten, das Modellverhalten auch selbst auszuführen. (Ein Kind, das gerade Laufen gelernt hat, kann noch nicht Treppen steigen oder Hüpfen und Springen, auch wenn es noch so fasziniert zuschaut, wenn sein älteres Geschwister diese Tätigkeiten ausübt.)

Ein durch Beobachtung eines Modells erworbenes Verhalten wird dauerhaft beibehalten, wenn seine Ausführung (sei es nun regelmäßig oder nur hin und wieder) positive Rückmeldung (Bekräftigung, Anerkennung, Lob) erhält bzw. sich als erfolgreich (d. h. wirksam für die Erreichung eines Ziels) erweist. Es kann also durchaus auch wieder aus dem kindlichen Verhaltensspektrum verschwinden, wenn es negative Bekräftigung erfährt oder sich regelmäßig als wenig erfolgreich entpuppt.

Im Verlaufe der Kindergarten- und Vorschuljahre lernt das Kind dann auch immer häufiger durch Einsicht. Diese Lernart wird als höchste Stufe kognitiven, also geistig-verstandesmäßigen” inneren “Lernens betrachtet und auch “entdeckendes” oder “problemlösendes” Lernen genannt.

Wenn ein Kind beispielsweise selbständig eine neue Regel oder einen ihm bis dahin nicht bekannten Zusammenhang entdeckt, spricht man von Lernen durch Einsicht. Vorläuferformen dieser Lernart wurden übrigens schon bei Menschenaffen entdeckt. Bekannt geworden ist bereits in den 20erJahren des vergangenen Jahrhunderts der Schimpanse Konsul, mit dem der Psychologe W. Köhler demonstrierte, dass Lernen durch Einsicht schon bei Primaten beobachtet werden kann: Konsul holte sich eine hoch über ihm unerreichbar aufgehängte Banane, indem er einen Stuhl auf einen Tisch stellte, sich dann noch in den Besitz eines langen Stocks brachte, auf den Stuhl kletterte, sich aufrichtete und mit Hilfe des Stocks dann die begehrte Banane herunterangelte.

Kinder erwerben z. B. ein Verständnis für die Regeln eines neuen Spiels sozusagen intuitiv und ohne eine konkrete Anleitung zu erhalten bereits dadurch, dass sie anderen beim Spielen zuschauen und aus dem Spielverlauf die Regeln erschließen.

Von dieser Lernart ist es dann nur noch ein kleiner Schritt zum “Lernen, wie man lernt” , das als Basiskomponente” lernmethodische Kompetenz “bezeichnet wird. Lernmethodische Kompetenzen, also Wissen darüber, wie Lernen funktioniert und wie Lernvorgänge ablaufen, können frühestens vom 4.-5. Lebensjahr an aufgebaut werden, weil sie ein gewisses Maß an Reflexionsvermögen voraussetzen: Das Kind muss also in der Lage sein nachzudenken und sich innerlich klar werden, auf welche Weise es vorangehend etwas Neues erlernt hat, ob z. B. durch Nachahmung oder Verstehen eines Zusammenhangs.

Ein Verständnis dafür, wie wir lernen und wie dieses Wissen dann zielgerichtet auf neue Lernsituationen übertragen werden kann, brauchen auch wir als Erwachsene, als die wir uns unser Leben lang immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt sehen.

Autor

Prof. Dr. Dr. habil. Hartmut Kasten, Diplom-Psychologe, Staatsinstitut für Frühpädagogik, München, und Ludwig-Maximilians-Universität München, Fakultät für Psychologie und Pädagogik.

Er hat u. a. folgende Bücher für Eltern veröffentlicht:

Geschwister – Vorbilder, Rivalen, Vertraute. München: Reinhardt 2001
Einzelkinder – Aufwachsen ohne Geschwister. Berlin: Springer 1995
Weiblich – Männlich. Entwicklung der Geschlechtsrollen. Berlin: Springer 1996
Pubertät und Adoleszenz. Wie Kinder heute erwachsen werden. München: Reinhardt 1999
Wie die Zeit vergeht. Zeitbewusstsein in Alltag und Lebenslauf. Darmstadt: Primus 2001

Weitere Beiträge des Autors hier in unserem Familienhandbuch

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Prof. Dr. Hartmut Kasten
Fastlinger Ring 98
85716 Unterschleißheim

Tel.: 089/3171845

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Erstellt am 3. Juli 2008, zuletzt geändert am 13. September 2013