Kinder und Mut - „Schau, was ich schon alles kann“

Christina Zehetner
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Nachfolgender Artikel befasst sich mit der Entwicklung von Mut bei Kindern. Dabei werden die Begriffe Ermutigung und Entmutigung im pädagogischen Zusammenhang beleuchtet und vom Leichtsinn abgegrenzt. Die Frage, wie Eltern, pädagogische Fachkräfte und weitere enge Bezugspersonen Mut bei Kindern fördern können, wird mit Beispielen und Anregungen für den Alltag unterstützt. Mut definiert dabei nicht nur eine Fertigkeit, sondern auch eine pädagogische Haltung.

1. Definition: Was ist Mut?

Mut ist die Fähigkeit, sich trotz Angst oder eigener Unsicherheit einer schwierigen Situation oder Herausforderung zu stellen, die einem selbst wichtig und richtig erscheint. Mutig zu sein bedeutet, die eigene Komfortzone zu verlassen und etwas Neues zu wagen. Dabei kann der Begriff Mut als etwas sehr Individuelles angesehen werden, der für jeden einzelnen ganz anders definiert wird. Für einen ist es der Bungeesprung aus extremer Höhe, für jemand anderen vielleicht schon das Erklimmen eines Kirchturms trotz Höhenangst.

„Mut brüllt nicht immer.

Manchmal ist Mut die kleine Stimme am Ende des Tages, die sagt,

ich versuche es morgen noch einmal.“

(MARY ANNE RADMACHER)

Die amerikanischen Psychologen Christopher Peterson und Martin Seligman definieren Mut darüber hinaus als eine menschliche Tugend, die in allen religiösen und philosophischen Traditionen zu finden ist. Sie beschreiben, dass der Begriff des Mutes und was darunter verstanden wird, sich im Laufe der Zeit gewandelt hat und erst seit einigen Jahren genauer untersucht wird. Mit heutiger Sicht auf den Mut fallen darunter folgende Werte: Tapferkeit, Ausdauer, Ehrlichkeit, Tatendrang.

2. Mut in der kindlichen Entwicklung

Bei Kindern entwickelt sich Mut als ein Prozess der inneren Stärkung und des Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten.

Dies beginnt sehr früh in der kindlichen Entwicklung, mit der Möglichkeit sich fortzubewegen und dadurch neue Räume und Möglichkeiten zu entdecken und zu erobern. Wenn Kinder positiv dabei bestärkt werden, die erste Stufe einer Treppe zu schaffen, trauen sie sich nach und nach bis nach oben. Nicht nur, dass es Kinder stolz macht, es stärkt zudem ihre motorischen Fähigkeiten und erweitert den kindlichen Erfahrungsraum.

2.2 Mut etwas zu tun

Auf Kinder bezogen umfasst der Begriff Mut auch die Bereitschaft, neue Dinge auszuprobieren und sich unabhängig von äußeren Einflüssen zu entfalten. Kinder benötigen zur Entwicklung von Mut und Stärke positive Erfahrungen, die Unterstützung ihrer Bezugspersonen und die Ermutigung neue Dinge, in einem kindgerechten und geschützten Rahmen, ausprobieren zu dürfen.

Auch die Bewältigung von kleinen Schwierigkeiten und Hürden im kindlichen Alltag macht mutig und selbstbewusst. „Das umgeschüttete Glas wische ich selbst auf, den entlaufenen Hasen fange ich im Garten. Ich darf probieren, beim Bäcker ganz allein eine Breze zu kaufen und das Tablett mit den Gläsern balanciere ich mutig zum Tisch.“ Kinder entwickeln ihren Mut, wenn Erwachsene ihnen etwas zutrauen, dafür den Raum schaffen und ihnen erlauben, ihre eigenen Erfolge zu feiern, aber auch ihre eigenen Fehler zu begehen und ihre eigenen Grenzen zu erkunden.

2.3 Mut etwas nicht zu tun

Mut in der kindlichen Entwicklung bedeutet aber nicht nur, etwas zu tun, sondern auch, etwas nicht zu tun. Es erfordert Mut und eine innere Stärke, für sich selbst und die eigenen Interessen einzustehen und die eigenen Grenzen klar zu formulieren.

„Sina möchte das rote Kleid von Oma nicht anziehen, weil es kratzt. Finn traut sich zu sagen, dass er nicht allein mit dem Rad in den Kindergarten fahren möchte, weil die vielen Autos an der Straße ihm Angst machen. Lena fährt lieber von der zweiten Treppenstufe aus mit der Seilbahn los und nicht von ganz oben. Moritz möchte noch nicht bei seinem Freund übernachten, weil der in einer anderen Ortschaft wohnt.“

Auch hier ist es wichtig, Kinder zu unterstützen und sie zu ermutigen, klar und entschieden nein sagen zu dürfen. Hier geht es um den Schutz der kindlichen Grenzen, Werte und Sicherheiten. So wird es Kindern ermöglicht, eine gesunde Form von Mut zu erlernen. Kinder sollten im Laufe ihrer Entwicklung befähigt werden auf ihre Instinkte zu hören, wenn etwas gegen ihre Überzeugungen verstößt und darüber hinaus vielleicht auch noch ein ungutes Bauchgefühl auslöst.

3. Mut in Abgrenzung zu Entmutigung und Leichtsinn

Mut lebt von Ermutigung und dem Grundbedürfnis eines jeden Menschen, geliebt und (wert)geschätzt zu werden. Kinder, die viel Kritik und wenig Stärkung in ihrem Umfeld erfahren, fühlen sich langfristig innerlich entmutigt, was im schlimmsten Fall zur Mutlosigkeit führen kann. Mut ohne Grenzen und doppelten Boden führt besonders im Jugendalter zu Leichtsinn und gefährlichen Mutproben. Nachfolgend werden die Begrifflichkeiten genauer definiert und mit Beispielen unterlegt.

3.1. Die Ermutigung

Nach Rob Parsons, Gründer von „Care for the Family“, ist es maßgeblich für Kinder, sich angenommen zu fühlen. Wer sich nicht angenommen fühlt, dem fällt es schwer zu glauben, geliebt zu werden. Diese Annahme beginnt mit dem Akzeptieren der Schwächen und Stärken des anderen. Bei Kindern bedeutet es vor allem, die individuellen Fähigkeiten und Eigenschaften zu fördern, anstatt die Schwächen, die man ändern möchte, in den Vordergrund zu stellen.

„Wenn das Ohr nie ein Lob hört,

verliert das Herz den Mut, etwas zu versuchen.“

Das Beste aus einem Kind herauszulocken und auch kleinste Dinge zu sehen, sowie Kinder dabei zu ertappen, wenn sie etwas richtig machen, ist hier der bevorzugte Ansatz. Damit Kinder sich und ihre Fähigkeiten entfalten können und sich weiterhin trauen, ihre Umwelt mutig und neugierig zu erfahren, brauchen sie mehr positiven Zuspruch (loben) als negativen (schimpfen). Positive Bestätigung, in einem ehrlichen und realistischen Rahmen, sollte für Eltern und pädagogische Fachkräfte zu einer Grundhaltung werden.

Praktische Ermutigungsanregungen für den Alltag könnten zum Beispiel bedeuten:

  • Kindern ermutigende Notizen in die Schulbrotdose zu legen (zum Beispiel auch vor Klassenarbeiten oder Referaten)
  • Kinder dabei ertappen, wenn sie etwas richtig machen (z. B. sich selbst anziehen können, tierlieb sein, ein guter Freund sein, etwas ehrlich zugeben, bei etwas helfen, ohne darum gebeten zu werden usw.)
  • In den Familienkalender eine Belohnungsspalte einführen (für Kinder und Eltern)

Bauen Sie insgesamt eine vertrauensvolle Beziehung zu ihren, oder den von ihnen betreuten, Kindern auf, in der sie sich sicher fühlen, ihre Gedanken und Gefühle zu teilen. Zeigen Sie Verständnis und Respekt für Entscheidungen, auch wenn sie davon abweichen, was Sie selbst für richtig halten würden.

3.2. Die Entmutigung

Um zu erkennen ob einem Kind der Mut verlassen hat, ist es ganz wichtig genau hinzuschauen und vor allem gut zuzuhören. Wenn Kinder öfters Aussagen treffen wie, „das wird doch eh nichts,“ „damit brauche ich erst gar nicht anzufangen“ oder „dafür bin ich sowieso zu dumm“, dann sollten bei Ihnen die Alarmglocken läuten. Auch wenn Sorgen oder Selbstzweifel zu stark im Vordergrund stehen, brauchen Kinder dringend Unterstützung.

Aus durchgehender Entmutigung kann sich im schlimmsten Fall eine Mutlosigkeit in Bezug auf das Leben entwickeln, die mit Antriebslosigkeit, Ängsten und depressiven Verstimmungen einhergeht. Eltern und pädagogische Fachkräfte sollten sich in so einem Fall immer Rat holen und mit Kindern ärztlich vorstellig werden, damit sich aus einer beginnenden Mutlosigkeit keine Depression entwickelt.

3.3 Der Leichtsinn

Mutig sein ohne Grenzen und sicheren Halt kann bei Kindern, und vor allem bei Jugendlichen zu Leichtsinn führen. Aus Situationen, die falsch eingeschätzt bzw. unterschätzt werden kann sich eine unmittelbare Gefahr für alle Beteiligten ergeben.  Mutproben jeglicher Art sind gefährlich und führen vor allem in der Pubertät zu Verletzungen und im schlimmsten Fall zu tödlichen Folgen. Mut hat eine natürliche Grenze. Es ist wichtig, dass Eltern und pädagogische Fachkräfte hier ein gesundes Vorbild sind. Fahrlässig, leichtfertig und unvorsichtig zu sein und damit bewusst Risiken einzugehen, zeugt von einem nicht vorhandenen Verantwortungsbewusstsein sich selbst und anderen gegenüber.

Setzen Sie sich deshalb mit Kindern zusammen. Besprechen Sie gemeinsam, welche Regeln im Alltag aufgestellt und eingehalten werden können und müssen. Berücksichtigen Sie dabei die Vorstellungen Ihres Kindes, dann wird es sich schließlich auch leichter an Absprachen halten. Beziehen sie Kinder und Jugendliche altersgerecht in ihre Denkprozesse mit ein und seien sie ein vernünftiges Vorbild.

4. Mut bei Kindern stärken – in Kita und Familie

Eltern, enge Bezugspersonen und pädagogische Fachkräfte und Lehrende in Kita und Schule, haben einen großen Einfluss auf die Entwicklung bei Mut von Kindern. Sie können durch ihre eigene Haltung maßgeblich dazu beitragen, den Mut bei Kindern zu stärken und sie auf ihrem Weg zu selbstbewussten und mutigen Individuen zu unterstützen.

Nachfolgend werden einige Übungen, Spiele und Anregungen aufgezeigt, wie dies gelingen kann:

  • Vertrauensspiele: Vertrauensspiele, wie zum Beispiel das „Blind-führen-Spiel“ können den Mut der Kinder stärken, indem sie lernen, sich auf andere zu verlassen und sich selbst zu vertrauen. Einem Kind werden die Augen verbunden und es darf sich von einem anderen Kind langsam und vielleicht auch zuerst mit Unterstützung durch den Raum und um, bzw. über Hindernisse führen lassen. Beide Kinder sind hinterher meist sehr stolz über ihr Können.
  • Geschichtenrollenspiele: Die Kinder können Rollenspiele basierend auf mutigen Charakteren aus Büchern oder Geschichten spielen und diese mit der pädagogischen Fachkraft zusammen reflektieren
  • Selbstpräsentationsübungen: Kinder können dazu ermutigt werden, sich selbst vor der Gruppe (z. B. Morgenkreis, Kinderkonferenz usw.) zu zeigen, indem sie über ihre Haustiere oder Hobbies sprechen, sowie ihre Gedanken und Meinungen einbringen. Dies hilft dabei, Selbstbewusstsein aufzubauen und sich in der Gruppe langfristig sicher zu fühlen.
  • Angeleitete Kletteraktionen: Kinder können auf niedrigen Kletterparcours steigen, im angstfreien Raum ohne Höhe ihre Geschicklichkeit testen und über Balancierbalken gehen, während sie von Freunden an der Hand geführt werden.
  • Kindern sollte die Gelegenheit gegeben werden, im Haushalt mitzuhelfen, einzukaufen, zu backen und zu kochen. Auch kleinere Gartenarbeiten, das Auto zu reinigen oder handwerkliche Arbeiten zu verrichten, macht Kindern sehr viel Freude und stärkt ihren Mut und ihre Zuversicht in das eigene Tun.

5. Mutig das Leben meistern

„Angst beginnt im Kopf, Mut auch.“

Das Leben ist einem ständigen Wandel unterzogen. Um als Mensch mithalten zu können, muss der Mut aufgebracht werden, zu wachsen und sich immer wieder aus der eigenen Komfortzone zu wagen. Positiv formuliert kann uns Mut dazu verhelfen, unsere Ängste zu überwinden, um unsere Träume zu verwirklichen. Dabei sollten Eltern und pädagogische Fachkräfte Kinder und Jugendliche auf jeden Fall unterstützen.

Quellen

  • Haug-Schnabel, Gabriele / Bensel, Joachim: Grundlagen der Entwicklungspsychologie. Die ersten 10 Jahre. Herder Verlag Freiburg. 12. vollständig überarbeitete und deutlich erweiterte Auflage 2017 (S. 74 – 81)
  • Hoch, Katharina: Wie können Kinder Ängste überwinden und Mut entwickeln? In: Fritzi und Fränzi. Das Schweizer Elternmagazin: https://www.fritzundfraenzi.ch/erziehung/wie-koennen-kinder-aengste-ueberwinden-und-mut-entwickeln/ 09.06.2023
  • Hummel, Inke: Mein wunderbares schüchternes Kind. Mut machen, Selbstvertrauen stärken, liebevoll begleiten. Die besagten Strategien für alle typischen Situationen. Humboldt Verlag, Hannover 2021, 2022 (S. 156 – 182)
  • Parsons, Rob: Der kleine Familienratgeber. Sie müssen nicht viel wissen, nur das Richtige. Brunnen Verlag Gießen 2011 (S. 32 – 42)
  • Peterson, Christopher., & Seligman, Martin E. P: Character strengths and virtues: A handbook and classification. New York, NY: Oxford University Press 2004 (S. 381 – 384)

Pädagogisches Material zum Thema Mut

  • Molina Alexandra (mit Bildern von Stefanie Köster): „Ich bin ich!“ 40 Affirmationen und Rituale, die Kinder stark machen. Schirmer Verlag. Darmstadt. 7. Auflage Dezember 2023 (40 Karten mit Anleitung)
  • Bright Rachel / Field Jim: Der Löwe in dir. Maggelan Verlag Bamberg. 14. Auflage 2023 (Bilderbuch)
  • Lesemaus: Neue Kindergarten-Geschichten, die Mut machen. Sonderausgabe im Sammelband. Carlsen Verlag Hamburg. 2022 (Vorlesebuch/Lesebuch – empfohlen von der Stiftung Lesen)

Autorin

Christina Zehetner (geb. Kursawe) ist Erzieherin und Sozialpädagogin. Sie hat langjährige praktische Erfahrungen in der ambulanten und stationären Kinder- und Jugendhilfe und arbeitete mehrere Jahre im Jugendamt. Die Autorin ist aktuell als Freie Mitarbeiterin am Staatsinstitut für Frühpädagogik in München tätig. Zudem hält sie als Referentin Seminare und Vorträge für Familien und Fachkräfte.

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eingestellt am 27. März 2024