Kinder im Straßenverkehr

Dr. rer. nat. Susann Richter
Susann Richter
 

Verständlicher Wunsch aller Eltern ist es, sicherzustellen, dass ihren Kindern bei ihrer täglichen Verkehrsteilnahme (sei es zur Schule oder am Nachmittag zu Freunden, zum Spiel- oder Sportplatz) nichts passiert. Verkehrserziehung hat deshalb in jedem Lebensabschnitt des Kindes bzw. Jugendlichen seine besondere Bedeutung.

Je nach Entwicklung der psychischen Leistungsfähigkeit (u.a. Aufmerksamkeit, Wissen und Gedächtnis, Fähigkeit zum Perspektivenwechsel = sich in andere hinein versetzen können, Vorstellung von Ursache und Wirkung, Risikobewusstsein und Verantwortung) und der physischen Voraussetzungen (Körpergröße, Körperschwerpunkt, Entwicklung von Hören und Sehen, Schnelligkeit bzw. Reaktionsfähigkeit, Fähigkeit zum Beenden einer angefangenen Tätigkeit) werden unterschiedliche Themen wichtig sein und differenzierte Methoden in der Verkehrserziehung eingesetzt werden können. Dabei ist – in Abhängigkeit vom Alter des Kindes – auch die zunehmende Größe des Aktionskreises zu berücksichtigen, denn Anlässe und Entfernung der Wege im Straßenverkehr nehmen zu, die Verkehrsteilnahme wird komplexer. Neben diesen entwicklungspsychologischen Voraussetzungen für die Teilnahme am Straßenverkehr gibt es auch eine Reihe von Persönlichkeitsmerkmalen, welche die erfolgreiche Teilnahme am Straßenverkehr beeinflussen bzw. zu einer erhöhten Unfallgefährdung (nicht nur im Straßenverkehr) beitragen können.

Entwicklungspsychologische Voraussetzungen von Kindern für die Bewältigung des Straßenverkehrs

Zur Bewältigung der durch den Straßenverkehr gestellten Anforderungen benötigen wir eine Reihe von Fähigkeiten, die sich erst im Laufe der Zeit entwickeln. Deshalb stellt sich die Frage: In welchem Ausmaß sind Kinder und Jugendliche im Vergleich zu Erwachsenen aufgrund ihres Entwicklungsstandes für den Straßenverkehr befähigt? Beachtet werden sollte vor allem die

1. Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähigkeit

2. Wahrnehmung

  • visuelle Wahrnehmung
  • auditive Wahrnehmung

3. motorische Entwicklung.

1. Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähigkeit

Aufmerksamkeit ist die Fähigkeit, für eine bestimmte Dauer das Denken auf einen Punkt, einen Gedanken, eine Situation richten zu können und gleichzeitig auftretende Reize nicht zu beachten.

“Aufmerksam sein” und “Sich konzentrieren” sind wesentliche Voraussetzungen eines sicheren Verkehrsverhaltens. Wogegen “Abgelenkt sein” die wesentlichste Unfallursache im Kindesalter ist. Das Ausmaß der Konzentrationsfähigkeit hängt dabei sowohl von der Komplexität der Reize und der geforderten Reaktion, als auch vom Geübtheitsgrad des Kindes ab.

Bei Kindern im Straßenverkehr muss man von einer hohen Komplexität der Aufgaben und einem eher geringem Geübtheitsgrad ausgehen. Hier bietet sich der erste Ansatz für Eltern an: Zunächst sollten einfache, für die Kinder überschaubare “Verkehrs” -Aufgaben geübt werden, wie “Auf der richtigen, d.h. dem Verkehr abgewandten Seite gehen” , “Halt am Fahrbahnrand” , “Suchen der Sichtlinie (beim Überqueren der Straße)” .

Kinder entwickeln erst im Laufe der Zeit die Fertigkeit, sich auf wichtige, aufgabenrelevante Details zu konzentrieren, wesentliche bevorzugt zu erinnern, irrelevante zu ignorieren. Dabei verläuft die Entwicklung vom umfeldgesteuerten Aufnehmen von Eindrücken im frühen Kindesalter hin zu einem sehr aktiven, zielgesteuerten Analysieren des Wahrgenommenen. Die für eine selbständige, erfolgreiche Teilnahme am Straßenverkehr notwendige Aufmerksamkeit ist im Vorschulalter noch kaum, im Grundschulalter noch nicht vollständig ausgebildet und erst ab ca.14 Jahren dem Erwachsener vergleichbar.

2. Wahrnehmung

Gerade entwicklungspsychologische Besonderheiten der kindlichen Wahrnehmung stehen eng im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr. So sind die Sinnesfunktionen bis etwa 7 Jahre noch unvollständig differenziert, und die Wahrnehmung wird stark durch Vorstellungen und Gefühle geleitet. Kinder können noch kaum zwischen Innen- und Außenwelt unterscheiden und halten deshalb z.B. Träume und Vorstellungen für ebenso objektiv und existent wie ihre tatsächlichen Wahrnehmungen.

Dabei fällt es Kindern schwer, Wesentliches und Unwesentliches zu unterscheiden, wodurch vor allem Ablenkungssituationen konfliktreich sein können. Die egozentrische Erlebnis- und Denkweise der Kinder im Vorschulalter ist auch Ursache für die ungenügende Ausprägung z.B. der Entfernungswahrnehmung: Dadurch fehlt Kindern bis ca. 8 Jahre noch das sogenannte Positions- bzw. Perspektivbewusstsein, d.h., sie verstehen z.B. noch nicht, dass die Größe von Objekten von der Perspektive abhängt und sie für die exakte Interpretation der Wahrnehmung zwei Systeme (Größe und Entfernung) zu einer Wahrnehmung zusammenführen müssen. Erst wenn das Kind die egozentrische Denkweise überwindet, mentale Koordinationsfähigkeit gewinnt und lernt, perspektivisch wahrzunehmen, entwickelt es auch die Fähigkeit zu Wahrnehmungskonstanz, einer Voraussetzung für Entfernungswahrnehmung.

2.1 Visuelle Wahrnehmung

Helligkeit und Farbe: Unterscheidungsfähigkeit ist bis 5 Jahre gut entwickelt (auch, wenn Benennung der Farben noch Schwierigkeiten macht). Das heißt, das Erkennen der Ampel-Farben macht meist kein Problem.

Form: Die Entwicklung der Formwahrnehmung dauert im Allgemeinen länger. Die (grobe) Formwahrnehmung, wie sie im Straßenverkehr gebraucht wird, ist im zeitigen Grundschulalter erreicht.

Entfernungssehen, Tiefensehen, Raumwahrnehmung: Stereoskopisches Sehen ist ab dem 4. Lebensmonat gegeben. Auch die Fähigkeit, Tiefeninformationen in zweidimensionalen bildlichen Darstellungen zu verarbeiten, entwickelt sich zeitig (zwischen 5. und 7. Monat). Mit dem Krabbeln entwickelt sich eine erste Raumvorstellung, bei der jedoch als Ausgangspunkt für Lokalisationen immer der eigene Körper genommen wird.

Ein bekanntes Experiment von Piaget (1983): Kindern unterschiedlichen Alters wurde das Modell einer Bergelandschaft gegeben. Ihre Aufgabe war es, die Perspektive, die der Sicht einer an verschiedenen Orten stehenden Puppe entspricht und die auf einem Bild festgehalten war, herauszusuchen. Das Ergebnis war: Bis zum Alter von 7 Jahren haben Kinder immer ihre eigene Perspektive genommen; ein volles Verständnis der Perspektive ist nach Piaget erst mit 9-10 Jahren vorhanden.

Diese egozentrische Raumwahrnehmung stellt für Kinder im Straßenverkehr die größte Beeinträchtigung dar. Denn bis etwa 7-8 Jahre können sie sich nicht in andere Verkehrsteilnehmer hineinversetzen und nehmen an, dass wenn sie selbst das Auto sehen können, der Fahrer sie auch erkennt. Erst wenn dieser Schritt überwunden ist und Kinder den Perspektivenwechsel vollziehen können, werden sie etwas sicherer im Straßenverkehr.

Auch die Tiefen-Wahrnehmung (die u.a. ein kompliziertes Zusammenspiel der Wahrnehmung von Größe der Objekte und Raumanordnung bedeutet) ist erst im 9. Lebensjahr vollständig ausgebildet. Dies hat wiederum Einfluss auf die Entfernungsschätzung.

Geschwindigkeitswahrnehmung: Die Fähigkeit, Geschwindigkeiten wahrzunehmen und richtig einzuschätzen, entwickelt sich später als die Entfernungsschätzung, denn

  • die Fähigkeit, Geschwindigkeiten wahrzunehmen, ist eng verbunden mit der Entwicklung des Zeitbegriffs, und
  • vollzieht sich später als Raumwahrnehmung.
  • Das Kind ist erst mit 8 Jahren fähig, eine Beziehung zwischen zurückgelegter Strecke und dafür benötigter Zeit herzustellen und so Geschwindigkeiten sinnvoll abzuschätzen. Das Phänomen “Geschwindigkeit” ist eine Funktion aus den Variablen “Entfernung” , “Größe” und “Form” des sich bewegenden Reizes. Eine objektive Geschwindigkeitsschätzung (in km/h) gelingt noch nicht einmal Erwachsenen. Erwachsene taxieren auch aufgrund der Entfernung und des Wissens über den Fahrzeugtyp (kleineren Kindern fehlt aber dieses Verkehrswissen).
  • Jüngere Kinder zwischen 3 und 4 Jahren können noch nicht einmal ein stehendes von einem fahrenden Fahrzeug unterscheiden.
  • Ab 7 Jahren sind Kinder in der Lage, anhand von Fahrzeugmodellen (LKW, Sportwagen, Traktor…) unterschiedliche Geschwindigkeiten zu schätzen.
  • Untersuchungen zeigten jedoch:
    • Jüngere Kinder schätzen fast alle Autos als schneller ein als z.B. Motorräder.
    • Jungen urteilen besser als Mädchen.
    • Schätzurteile werden mit steigender Entfernung schlechter.
    • Laute Autos werden als schneller eingeschätzt als leise.

Links-Rechts-Wahrnehmung: Eine zuverlässige L-R-Wahrnehmung kann auch vom 8-Jährigen nicht verlangt werden. Zwar wissen fast alle Kinder, dass sie vor dem Betreten der Straße nach links und rechts schauen müssen, aber nur 59% der Erstklässler und 86% der Drittklässler sind in der Lage, bei Aufforderung nach “links” zu schauen. Vorschulkinder sehen die Bezeichnung links/ rechts noch als Merkmal der Umgebung an und nicht als relative Beziehungen zur eigenen Person.

Peripheriewahrnehmung: Und nicht zuletzt ist zu beachten, dass Kinder aufgrund der Einschränkung des so genannten “nutzbares Sehfeld” (es ist bei Kindern ca. 1/3 kleiner als das der Erwachsenen) und der geringeren Körperhöhe von der Seite kommende Fahrzeuge viel später sehen als Erwachsene.

2.2 Auditive Wahrnehmung

Erst ab ca. dem 6. Lebensjahr ist das Hörvermögen voll ausgebildet. Schwierigkeiten haben Kinder danach aber noch mit der Lokalisation des Gehörten. Kinder können Geräusche von vorn oder hinten nur etwa in einem Winkel von 30 Grad gut hören, und häufig gibt es “Rechts-links-Verwechslungen” . Obwohl das Hörvermögen von Grundschulkindern gut ausgebildet ist, überhören Kinder doch oft Geräusche im Straßenverkehr. Der Grund liegt in der überstarken Konzentration der Kinder auf andere Dinge (z.B. ihr Spiel, andere Freunde oder niedliche Tiere). Erst im Alter von 8 Jahren wird das Gehör im Straßenverkehr regelmäßig mitbenutzt.

2.3 Integration der Sinnesmodalitäten

Wichtig für Teilnahme im Straßenverkehr ist die Integration aller Sinnesmodalitäten, denn nur selten ist konkrete Wahrnehmung auf nur eine Sinnesmodalität (visuell, auditiv, haptisch) begrenzt. Jedoch dominiert in allen Alterstufen die visuelle Wahrnehmung – vor allem, wenn sich die Informationen der Sinne in Konfliktsituationen widersprechen, wird zuerst die Information des visuellen Systems genutzt.

3. Motorische Entwicklung

Motorische Entwicklung im Vorschulalter:

  • Nach dem Erwerb grundlegender Fertigkeiten des Laufens erfolgt nun die Vervollkommnung und die Ausbildung neuer Fertigkeiten, wie Hüpfen, Springen, Rennen usw.
  • Die Fähigkeiten als Fußgänger sind eigentlich gut ausgebildet; Probleme bereitet aber noch die Bewegungskoordination, besonders bei schwierigen Umgebungsbedingungen (hohe Bordsteinkante, breite Fahrbahn).
  • Fähigkeiten als Radfahrer sind jedoch noch ungenügend ausgebildet, denn
  • Mehrfachhandlungen fallen Kinder noch schwer;
  • die wichtige Fähigkeit, eine begonnene Bewegungen zu unterbrechen, gelingt noch schwer und
  • die Sprache entwickelt sich erst schrittweise zur Kontrollfunktion für das Kind.
  • Insgesamt muss man die höhere motorische Unruhe bei Kindern beachten. Dieser Bewegungsdrang ist entwicklungspsychologisch bedingt und nur schwer zu unterdrücken. Und: Nach dem Unterdrücken des natürlichen Bewegungsdranges (z.B. “Stillsitzen” im Kindergarten oder in der Schule) muss dieser abreagiert werden. Deshalb besteht eine erhöhte Gefahr für Kinder, wenn sie aus dem Kindergarten oder der Schule kommen.

Motorische Entwicklung zwischen 6 und 14 Jahren:

  • Es kommt zu einer starken Zunahme der motorischen Lernfähigkeit (qualitative und quantitative Veränderungen).
  • Die Fähigkeit zum Radfahren macht zwischen dem 7. und 8. Lebensjahr einen deutlichen Sprung. Ein zweiter Sprung folgt zwischen 13 und 14 Jahren (jedoch: Kinder haben noch eine längere Reaktionszeit als Erwachsene!).
  • Da Kinder im Alter zwischen 10 und 14 besonders schnell und risikofreudig fahren, besteht hierin eine weitere Gefahr.

Motorische Entwicklung im Jugendalter:

  • Die motorische Entwicklung wird in dieser Zeit vor allem durch die stattfindenden psychischen Veränderungen beeinflusst. Dabei werden die motorischen Fähigkeiten häufig im Hinblick auf eine höhere Risikobereitschaft (bei Jungen deutlicher ausgeprägt als bei Mädchen) ausgenutzt.

Persönlichkeitspsychologische Einflussfaktoren auf Unfallhäufigkeit

Aus dem Alltag kennt man Folgendes: Es gibt Kinder, die häufiger als andere Kinder kleinere und größere Unfälle erleiden (im Haushalt, Straßenverkehr, Sport). Diese haben eine höhere Unfallneigung. Welche anderen Faktoren neben alters- und geschlechtsspezifischen Bedingungen gibt es, die die Unfallgefährdung begünstigen können? Hierzu einige Ergebnisse aus einer Studie zum Unfallgeschehen in Kindes- und Jugendalter (Schlag/ Richter im Druck).

Unaufmerksamkeit, Defizite in Konzentrationsfähigkeit:

  • Ablenkungssituationen spielen eine große Rolle in der Entstehung von Kinderunfällen.
  • Kinder, die “leicht ablenkbar” sind, verhalten sich häufiger risikoreich.
  • Auch bei Kindern, die durch Stress oder Probleme belastet sind, kommt es zu verminderter Aufmerksamkeit, denn diese absorbieren Aufmerksamkeit und beeinträchtigen die Wahrnehmung, sodass Gefahrensituationen nicht rechtzeitig erkannt werden können.

Extraversion:

  • Extravertierte Kinder sind in ihrer Wahrnehmung stark durch Umweltreize gesteuert. Verbunden mit einem starken Taten-, Erkundungs- und Forschungsdrang sind sie sehr kontaktbedürftig, interessieren sich für ihre soziale Umwelt. Spielkameraden und Freunde sind ihnen besonders wichtig.
  • Extravertierte Kinder sind wegen ihrer stark fluktuierenden Aufmerksamkeit unfallgefährdeter als introvertierte (ruhige, nach innen gerichtete) Kinder.
  • Ferner gehen sie häufiger und größere Risiken ein als eher introvertierte.

Intraversion:

  • Auch besonders introvertierte Kinder haben ein höheres Unfallrisiko.
  • Sie gehen von sich auch jedoch eher weniger häufig Risiken ein.
  • Ihnen kann es vielmehr an den in der unfallträchtigen Situation notwendigen Handlungsmustern fehlen.

Hyperaktivität und kognitive Impulsivität:

  • Stark erhöhte motorische Aktivität und gestörte psychomotorische Koordination;
  • Störung der Aufmerksamkeit und der kognitiven Erfassung;
  • die Zeitspanne, in der die Kinder aufmerksam sein können, ist deutlich verkürzt;
  • diese Kinder sind impulsiver, haben eine niedrige Frustrationstoleranz;
  • sie sind unfähig, eigene Impulse so weit zu kontrollieren, dass sie mit Situationen fertig werden, die besondere Aufmerksamkeit oder geordnetes Planen erfordern;
  • sie neigen dazu, vorschnell die erste Idee umzusetzen, die ihnen in den Kopf kommt.

Linkshändigkeit: Nicht zuletzt wurde die Linkshändigkeit als Ursache für häufigere Unfälle angesehen. Sicher ist, dass häufiger Linkshänder verunfallen. Jedoch ist die Ursache-Wirkung-Beziehung noch nicht geklärt. Vielmehr muss man von dem umgekehrten Wirkprinzip ausgehen und feststellen, dass die Verkehrsumwelt für Rechtshänder gemacht ist, und von Linkshändern eine größere Anpassungsleistung erbracht werden muss.

Gefahrenwahrnehmung: Die Entwicklung der vorausschauenden Gefahrenerkennung ist eine ganz wesentliche Fähigkeit zur Vermeidung von Unfällen. Untersuchungen zeigten, dass verunfallte Kinder zwar genau so gut wie nicht verunfallte Kinder offensichtliche Gefahren als solche erkannten. Sie hatten jedoch Probleme, Gefahren, die sich aus einer Situation entwickeln können, zu erkennen. Hier scheint ein weiterer wichtiger Ansatz zu liegen: Es mangelt am Erkennen von Signalen, die eine normale (Verkehrs-) Situation zu einer Gefahrensituation werden lassen kann.

Was Eltern tun können

Eltern können eine ganze Menge für eine sichere Verkehrsteilnahme ihrer Kinder tun. Je nach Alter des Kindes natürlich auf ganz verschiedenen Ebenen.

Je kleiner die Kinder sind, umso stärker geht es zunächst um die Ausbildung der Grundfähigkeiten: Benutzen des Gehweges und Überqueren der Straße (mit oder ohne Ampel, am Fußgängerüberweg, mit oder ohne parkende Autos usw.). Dabei kommt es anfangs darauf an, dass Sie als Eltern einfach das richtige Verhalten vormachen und auch kommentieren, so dass die Kinder merken, wann und aus welchem Grund Sie sich wie verhalten. Im Laufe der Zeit kann dann das Kind die “Führungsrolle” übernehmen und bei der gemeinsamen Verkehrsteilnahme deutlich selbst das richtige Verhalten zeigen und ggf. dazu sprechen. Sie können dann sehen, ob der vollständige Ablauf einer “sicheren Straßenüberquerung” mit “Halt an der Bordsteinkante” – “Suchen der Sichtlinie (Achtung: losfahrende Autos?)” – “Orientierung über Straßenverkehr (links – rechts – links)” – “Zügiges Überqueren der Straße (ggf. unter weiterer Beobachtung)” eingehalten wird. Lob (kurz und seltener werdend) für richtiges Verhalten sowie Zurückhalten und Erklärung bei falschem Verhalten begünstigt des Lerneffekt.

Der erste große Weg des Kindes allein wird der Schulweg sein. Gemeinsam mit Ihrem Kind werden Sie den künftigen Schulweg abgehen und sichere wie gefährliche Wege/ Stellen finden. Der Schulwegplan, der für jede Grundschule existiert, kann dabei eine Hilfe sein. Sicher werden Sie mit Ihrem Kind darüber sprechen, dass es sicherer ist, vorhandene Querungshilfen beim Straßeüberqueren zu nutzen. Kontrollieren Sie jedoch, wenn möglich, in den ersten Schulwochen den tatsächlich genutzten Weg. Sie können nicht sicher sein, dass Ihr Kind den vereinbarten Weg auch geht. Aufschlussreich kann auch die Beobachtung von Klassenkameraden oder älteren Schulkindern sein. Denn zu leicht lässt sich ein Kind von einer Gruppe zu einem vermeintlich einfacheren weil kürzeren Weg verleiten. Überprüfen Sie dann nochmals die Wege, und gehen Sie eventuell Kompromisse ein oder bleiben Sie bei Ihrer Forderung. Sprechen Sie dann nicht nur mit Ihrem Kind, sondern auch mit den anderen Kindern und ggf. den Eltern, warum es besser ist den Umweg zu nehmen. Dieses kann auch eines der Themen im Sachunterricht (Themenbereich Verkehrserziehung) sein. Sprechen Sie eventuell mit der Lehrerin. Im Unterricht geht es in den ersten beiden Grundschuljahren unter anderem um das richtige “Verhalten als Fußgänger” und um “Sehen und gesehen werden” .

Inhalte der Verkehrserziehung in den unterschiedlichen Alterstufen

Alter/ Einrichtung

Aktivität/ Programm der Verkehrserziehung

Kindergarten/ Vorschule Übung von Grundfertigkeiten

Schulanfang

Schulwegplanung/ -sicherheit

Grundschule

Schulische Verkehrserziehung im Sachunterricht

Ende Grundschule

Fahrradausbildung

Sekundarstufe I/ II

fakultative fächerübergreifende Verkehrserziehung

Sekundarstufe II

motorisierte Zweiradausbildung

(junges) Erwachsenenalter

Fahrschulausbildung, Verkehrsaufklärung, Sicherheitstraining

Auch das Fahrrad fahren wird im Grundschulalter immer beliebter. Jedoch sollten Sie Ihre Kinder kritisch beobachten. Häufig können die Kinder zwar recht gut die Balance halten, sind aber mit der Koordination aller notwendigen Handlungen noch überfordert. Deshalb dürfen Kinder bis zum 10. Lebensjahr auch noch auf dem Fußweg Rad fahren. Eine selbstständige Verkehrsteilnahme sollten Sie in diesem Alter noch nicht zulassen. Radfahren ist in der 3. und 4. Klasse das Hauptthema der Verkehrserziehung. Die Teilnahme und erfolgreiche Absolvierung der Fahrradausbildung gibt ein wenig mehr Sicherheit.

Mit dem Übergang zur weiterführenden Schule vergrößert sich noch einmal deutlich der Aktionskreis der Kinder. Für den Weg zur Schule, zu Freunden oder zum Sportverein wird das Fahrrad genommen oder der öffentliche Personennahverkehr genutzt. Kinder übernehmen zunehmend mehr Verantwortung für sich und andere. Auch in diesem Alter achten die Kinder sehr genau darauf, wie Sie sich als Eltern verhalten. Sie sprechen vielleicht weniger darüber, entwickeln jedoch schon jetzt entsprechende Verkehrsgewohnheiten: Eine variable, d.h. dem Anlass entsprechende Auswahl der Verkehrsmittel (Muss es immer das Auto sein?), das bewusste Nutzen von Sicherheitssystemen (Fahrradhelm, Sicherheitsgurt) und die Einstellung zum Thema “Alkohol und Autofahren” entwickeln sich im Jugendalter. Die Meinung der Eltern wird jetzt häufig kritisch hinterfragt, die der Gleichaltrigen immer wichtiger.

Mit dem Übergang zur motorisierten Verkehrsteilnahme (Motorrad, Auto) beschäftigen sich die Jugendlichen noch einmal sehr intensiv mit ihrer Rolle im Straßenverkehr. Diese Chance kann man nutzen, sie in ihrer Person, mit ihren Fähigkeiten und Ansichten zu stärken und von Gruppeneinflüssen unabhängiger zu machen. Dann brauchen sie nicht den “Geschwindigkeitsrausch auf der nächtlichen Landstraße” und werden eher übermäßigen Alkoholkonsum und Drogen meiden.

Literatur

  • Piaget, J. (1983). Meine Theorie der geistigen Entwicklung. Frankfurt: Fischer-Verlag.
  • Schlag, B./ Richter, S. (in Druck). Psychologische Bedingungen der Unfallentstehung bei Kindern und Jugendlichen. report psychologie.

Autorin

Dr. Susann Richter (geb. 1964), Psychologiestudium an der TU Dresden, 2001 Promotion. Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Verkehrspsychologie der TU Dresden; Lehre Verkehrspsychologie/ Verkehrspädagogik; Forschung u.a. zur Verkehrserziehung in der Schule sowie über Unfälle von Kindern und Jugendlichen.

Kontakt

Dr. Susann Richter
Technische Universität Dresden
Professur für Verkehrspsychologie
01062 Dresden

Tel.: 0351/463-36514

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Erstellt am 12. Juni 2002, zuletzt geändert am 11. Februar 2010