Wenn Kinder homosexuell sind
Maximilian Geißler und Andrea Przyklenk
Homosexualität ist längst ein öffentliches Thema, besonders wenn es sich um homosexuelle Männer handelt. Viele Prominente und Künstler wie der ehemalige Berliner Oberbürgermeister Klaus Wowereit oder der Schauspieler Dirk Bach stehen öffentlich zu ihrer Homosexualität. Auch Lesben bekennen sich inzwischen öffentlich wie zum Beispiel die Schauspielerinnen Ulrike Folkerts und Maren Kroymann, die Sängerin Marla Glen oder die Schriftstellerin Anne Holt. Es gibt schwule Filme, die großen Erfolg haben. Der Comiczeichner Ralf König mit seinen schwulen Figuren ist inzwischen auch bei Heterosexuellen beliebt. Es gibt sogar inzwischen die “Homo-Ehe”.
Doch oft geht die Toleranz nicht weit. Die Aussage “ich habe nichts gegen Homosexuelle” wird bei vielen Leuten spätestens dann zu Makulatur, wenn das eigene Kind bekennt, schwul oder lesbisch zu sein. Alte Vorurteile kommen hoch, die Angst vor der Reaktion von Familie, Freunden und Bekannten bricht sich Bahn. Die eigene und die Zukunft des Kindes sieht plötzlich nicht mehr so rosig aus. Die Eltern machen sich Sorgen um die berufliche Laufbahn des Kindes und sie sehen, wie sich die eigenen Vorstellungen über eine Zukunft mit Enkelkindern und Schwiegertochter oder Schwiegersohn in Luft auflösen. Alles was sie sich einst für ihr Kind erträumten und erhofften, scheint davon zu schwimmen. Aids, bisher kaum mehr als ein Wort, wird zu einer schrecklichen Bedrohung.
Der Großteil dieser Ängste rührt aus Unwissen. Sind wir doch einmal ehrlich: Was wissen wir wirklich über das Leben von Homosexuellen, über ihre Schwierigkeiten in einer heterosexuellen Welt? Was wissen wir wirklich über Aids? Nicht viel, denn viele von uns kennen (zumindest bewusst) keine Homosexuellen. Immerhin stellen die Homosexuellen lediglich zwischen fünf (offiziell) und zehn (inoffiziell) Prozent der Bevölkerung. Das klingt nach wenig, ist aber doch viel. In Deutschland sind das hochgerechnet auf die Bevölkerung jedoch immerhin vier bis acht Millionen Homosexuelle.
Machen Sie sich als Anfang einmal einige Fakten über Homosexualität klar, die es Ihnen einfacher machen werden, damit umzugehen, wenn Ihr Kind Ihnen eröffnet homosexuell zu sein:
- Homosexualität ist keine Krankheit, sondern eine Veranlagung, mit der man geboren wird. Es gibt zwar immer wieder einige “Psychologen” oder sonstige Heilsbringer, die behaupten, Homosexualität sei “heilbar” oder Homosexuelle könnten “umgedreht” werden, doch das ist nichts als Scharlatanerie, mit der einige Leute versuchen, besorgten oder auch verbohrten Eltern das Geld aus der Tasche zu ziehen. Man ist schwul oder lesbisch wie man blond oder braunhaarig ist.
- Die meisten Jungs zum Beispiel erkennen relativ früh, dass sie anders sind als die anderen, wissen aber oft nicht genau, was nun anders ist. Selbst wenn sie es wissen, dauert es in der Regel noch eine Weile bis sie es tatsächlich aussprechen und bei vielen noch länger bis sie es anderen, vor allem den Eltern, mitteilen. Sie haben Angst davor, die Eltern zu verletzen und sind unsicher über deren Reaktion.
- Die Erziehung kann nichts daran ändern, ob jemand homosexuell ist oder nicht. Homosexualität wird nicht anerzogen. Sie ist einfach da. Insofern ist auch keine übermächtige Mutter oder ein nicht vorhandener Vater daran schuld. Man kann niemand zum Homosexuellen erziehen.
- Homosexuelle sind im privaten und beruflichen Leben in der Regel genau so erfolgreich wie Heterosexuelle. Mitunter haben sie es etwas schwieriger, weil sie mit Vorurteilen zu kämpfen haben, aber daraus gehen viele gestärkt hervor.
- Homosexuelle unterscheiden sich grundsätzlich von Heterosexuellen nur durch ihre sexuelle Orientierung. Im Prinzip ist das jedoch eine private Angelegenheit oder fragen Sie als Eltern ihre heterosexuellen Kinder über ihre Sexualpraktiken aus? Kümmern Sie sich darum, ob Ihr heterosexueller Sohn besondere sexuelle Vorlieben hat? Mit Sicherheit nicht. Also sollte Sie eigentlich auch nicht kümmern, was Ihr homosexuelles Kind im Bett tut.
- Von der Immunschwächekrankheit Aids sind Hetero- und Homosexuelle gleichermaßen betroffen. Man kann sich durch die Benutzung von Kondomen dagegen schützen. Es ist Aufgabe der Eltern allen ihren Kindern die Wichtigkeit eines Schutzes klar zu machen.
Allgemeine Anzeichen dafür, dass ein Kind homosexuell ist, gibt es nicht. Es gibt jedoch einige Dinge, die man oft beobachten kann. Dazu gehört vor allem das Verhalten im Freundeskreis und gegenüber den Eltern. Wer entdeckt, dass er homosexuell ist, oder es vermutet, ist zunächst verunsichert, und zwar gleichermaßen gegenüber Schulkameraden, Freunden und Eltern. Bei niemandem kann sich der Jugendliche über die Reaktion sicher sein. Also zieht er sich zurück, wartet ab oder sucht sich einen neuen Bekanntenkreis, sofern er schon Kontakte zu anderen Homosexuellen hat. Andererseits ziehen sich viele Jugendliche während der Pubertät sowieso von den Eltern zurück. Sie beginnen sich abzunabeln und ihr eigenes Leben zu leben.
Tipp
Wenn Sie annehmen, dass Ihr Sohn oder Ihre Tochter homosexuell ist, aber keine Gewissheit haben und auch davor zurück scheuen, direkt zu fragen, ist es am Besten, zu signalisieren, dass Homosexualität für Sie nichts Unnormales ist. Das können Sie zum Beispiel tun, indem Sie das Gespräch auf einen schwulen Kollegen oder eine lesbische Schauspielerin bringen. Wichtig ist, dass Sie positiv über Homosexualität sprechen. Bringen Sie zum Ausdruck, dass die Lebensform und die sexuelle Neigung eines Menschen für Sie nichts mit dessen Charakter zu tun haben.
Wenn Sie Ihr Kind fragen, stellen Sie Ihre Frage so, dass er oder sie ausweichen kann ohne lügen zu müssen, falls sich das Kind Ihnen noch nicht offenbaren möchte. Also nicht “Bist du schwul/lesbisch?”, sondern “Ich habe in letzter Zeit bemerkt, dass du keinen Besuch mehr bekommst und oft alleine ausgehst. Ich habe mir überlegt, was die Gründe dafür sein könnten und wollte jetzt einfach mal mit dir darüber sprechen.” An der Reaktion werden Sie merken, ob Sie tiefer ins Gespräch einsteigen können. Fühlt sich Ihr Kind bedrängt, können Sie anbieten, das Gespräch zu verschieben.
“Mama, Papa, ich bin schwul/lesbisch”
Wie sollten sich Eltern verhalten, wenn sie diesen Satz von ihrem Sohn bzw. ihrer Tochter hören? Am Allerwichtigsten ist es, Ihrem Kind zu versichern, dass Sie es lieben, egal ob schwul, lesbisch oder nicht. Das Kind muss wissen, dass es Ihr Kind ist und bleibt. Ansonsten sollten Sie Ruhe bewahren. Niemand erwartet von Ihnen bei einer solchen Eröffnung, dass Sie vor Freude jubeln, auch Ihr Kind nicht. Im Gegenteil: Es wird vermutlich sehr unsicher sein und unter Umständen lange mit sich gerungen haben, bevor es Ihnen dieses Geständnis gemacht hat. Vielleicht hadert es auch selbst noch mit seinem Schicksal. Es wird verstehen, wenn Sie zum Beispiel sagen: “Das kommt für mich sehr überraschend. Ich muss erst einmal darüber nachdenken. Lass uns morgen ausführlicher darüber sprechen. Aber ob du homosexuell bist oder nicht, ändert nichts daran, dass du mein Kind bist und ich hinter dir stehe.”
Damit gewinnen Sie Zeit, sich selbst über Ihre Reaktion klar zu werden, sich gegebenenfalls zu informieren oder mit einem vertrauten Menschen darüber zu sprechen. Das Schlimmste, was Eltern tun können, ist, das Kind zu verstoßen. Sie werden es vielleicht nicht glauben, aber es gibt auch heute noch Eltern, deren Reaktion so weit geht, den Sohn oder die Tochter aus dem Haus zu weisen. Diese Kinder landen zwangsläufig auf der Straße, und besonders schwule Jungs, sofern sie nicht anderweitig Hilfe finden, auf dem Straßenstrich. Manche sehen Selbstmord als den einzigen Ausweg, wenn sie von der Familie verstoßen werden.
So können Eltern helfen
- Sparen Sie bei der Aufklärung ihrer Kinder das Thema Homosexualität nicht aus. Ihre Kinder müssen wissen, dass Sie Homosexualität als normal betrachten und sie mit Ihnen darüber reden können.
- Verbergen Sie es nicht, wenn Sie überrascht sind, aber versichern Sie Ihrem Kind unbedingt, dass Sie es nach wie vor lieben, egal wo seine sexuellen Präferenzen liegen.
- Seien Sie geduldig und stellen Sie in Gesprächen nicht Ihre eigenen Fragen in den Vordergrund, sondern die Fragen und Schwierigkeiten Ihres Kindes.
- Mädchen bzw. junge Frauen reagieren sensibler auf das Thema Kinder als Männer. Gehen Sie vorsichtig damit um, wenn das Gespräch darauf kommt.
- Die Hochzeit in Weiß und Kinder sind nicht das erste Thema, das Sie erörtern sollten – warten Sie bis es angesprochen wird.
- Verkneifen Sie sich Weisheiten wie “da muss nur der/die Richtige kommen” oder “du bist ja noch so jung, das wird schon noch”. Viele denken zwar, eine lesbische Frau sei nur so lange lesbisch, bis der richtige Mann kommt, aber das ist nur Wunschdenken schlecht informierter Eltern.
Selbst wenn Sie sich nicht in der Lage sehen, mit der Situation fertig zu werden, können Sie das Ihrem Kind klar machen, ohne es zu verstoßen. Seien Sie ehrlich und geben Sie es zu und suchen Sie professionelle Hilfe, zum Beispiel bei einer Familienberatung oder bei einer Elterngruppe. Es gibt inzwischen Gruppen für die Eltern homosexueller Kinder.
Am Ende dieses Beitrags finden Sie entsprechende Adressen wo Sie sich weitergehend informieren können.
Und noch ein Tipp
Falls Sie diesen Text lesen, und Ihr homosexuelles Kind bereits vor die Tür gesetzt haben, geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß und holen Sie es zurück oder versuchen Sie zumindest, das Verhältnis zu reparieren. Dabei hilft allerdings nur Offenheit. Geben Sie zu, dass Sie sich unüberlegt verhalten haben und Opfer Ihrer eigenen Vorurteile wurden. Ihr Kind wird es vermutlich akzeptieren, wenn Sie auch Ihr Verhalten entsprechend ändern.
Was tun bei Klatsch?
Wenn sich herum spricht, dass jemand in Familie, Nachbarschaft oder Freundeskreis homosexuell ist, wird unweigerlich geklatscht. Klatsch begegnet man am Besten mit Offenheit und Wahrheit. Wenn Sie mitbekommen, dass in der Familie oder bei Freunden, Bekannten und Nachbarn geklatscht wird, schweigen Sie nicht, sondern gehen Sie in die Offensive. Fragen Sie, worum genau es geht, woher die Informationen stammen, die die Klatschtanten/Klatschonkel besitzen, und versuchen Sie, das Thema sachlich anzugehen. Machen Sie den Klatschtanten/Klatschonkel auch unmissverständlich klar, dass sich an dem Verhältnis zwischen Ihnen und Ihrem Sohn oder Ihrer Tochter durch deren Homosexualität nichts geändert hat.
Sicherlich kann es passieren, dass der eine oder andere Nachbar, Freund, Onkel Otto oder Tante Emma trotz aller Aufklärungsversuche nicht zu überzeugen sind. In diesem Fall sollten Sie, so schwer es fällt, Prioritäten setzen.
Wichtig: Es ist sinnvoll, gegen Klatsch anzugehen. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Eltern diejenigen sein sollten, die aller Welt mitteilen, dass das Kind homosexuell ist. Es ist allein Sache des Betroffenen, wen er ins Vertrauen ziehen will und wen nicht. Wenn Sie sich nicht sicher sind, wem er oder sie es gesagt hat, fragen Sie nach.
Nützliche Seiten im Internet
www.befah.de
Die Seite des Bundesverbands der Eltern, Freunde und Angehörigen von Homosexuellen e.V. Hier findet man Informationen zu allem, was einen bewegt, wenn man zum erstenmal direkt mit Homosexualität konfrontiert wird und die Adressen lokaler Elterngruppen.
www.bzga.de
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Beratung und Broschüren
www.aidshilfe.de
Hier finden Sie auch die Anschriften lokaler Aidshilfe-Vereine, Beratung und Broschüren
www.homosexualitaet.de
Unter dieser Seite haben sich Schwulen- und Lesbenverbände zusammengeschlossen und informieren ausführlich über das Thema Homosexualität.
www.lesarion.de
Eine Seite speziell für Lesben. Hier gibt es Buchempfehlungen, Chaträume etc. – einfach alles rund um lesbisches Leben
Weiter Beiträge der Co-Autorin hier in unserem Familienhandbuch
Autoren
Maximilian Geißler, geboren 1963, ist Buchautor im Nebenberuf, und selbst homosexuell.
Andrea Przyklenk, geboren 1957, ist freie Journalistin und Autorin. Sie lebt bei Stuttgart.