Ausprobieren, konsumieren, abhängig werden? - Suchtentwicklung bei Jugendlichen
Jugendliche gelten als experimentierfreudig, was den Konsum von Alkohol und Drogen angeht. Im Interview spricht Dr. Moritz Noack, Oberarzt der Abteilung für Suchttherapie an der LWL-Universitätsklinik Hamm über die Suchtrisiken im Jugendalter, ihre Ursachen und mögliche Vorsorgemaßnahmen und Therapien.
Insbesondere das Rauschtrinken bei Schülern bleibt ein Problem, wie die aktuellen Zahlen des Statistischen Landesamtes zeigen: Die Zahl alkoholbedingter Klinikaufenthalte ist im vergangenen Jahr in Nordrhein-Westfalen (NRW) zum zweiten Mal in Folge gestiegen. Insgesamt wurden 5.191 im Alter von zehn bis 19 Jahren mit einer Allkoholvergiftung im Krankenhaus behandelt. Dies ist ein Anstieg um 0,5% (2016: 5.167 Fälle).
Junge Menschen lernen in diesem Alter, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen und ihr weiteres Leben selbständig zu planen. Es stehen wichtige Entscheidungen für sie an, die zu großen Veränderungen führen: Die Suche nach einem passenden Beruf und einer Ausbildungsmöglichkeit sowie die Ablösung vom Elternhaus. Das kann junge Menschen teilweise überfordern.
Welche Risiken bestehen für Jugendliche in dieser Zeit der persönlichen Veränderungen? Wann kann der Übergang vom Ausprobieren zum regelmäßigen Konsumieren von Drogen in die Abhängigkeit von Suchtmitteln führen?
Dr. Moritz Noack, Oberarzt der Abteilung für Suchttherapie an der LWL-Universitätsklinik Hamm, liefert zu einigen Fragen einen kurzen Überblick.
Welche Drogen konsumieren die Jugendlichen heute und warum?
Dr. Moritz Noack: Wenn man Alkohol und Nikotin als Drogen mitzählt, sind diese beiden Suchtmittel am leichtesten verfügbar und werden deshalb am häufigsten konsumiert. Unter den illegalen Drogen spielt Cannabis weiterhin eine wichtige Rolle, erst mit größerem Abstand folgen dann Amphetamine, Ecstasy, LSD oder halluzinogene Pilze. Diese und synthetische Drogen wie die „Neuen psychoaktiven Substanzen“ (synthetisches Cannabis, synthetische Amphetamine) werden weitaus seltener verwendet. Generell werden Suchtmittel konsumiert, um einen positiven Rausch zu erleben, abzuschalten oder - zunehmend heutzutage von Bedeutung – auch leistungsfähig und „online“ zu sein.
Wie entsteht bei Jugendlichen ein missbräuchlicher Konsum und als Folge davon eine Abhängigkeit von Suchtmitteln?
Dr. Moritz Noack: Da gibt es keine pauschale Antwort. Als missbräuchlich wird im suchtmedizinischen Sinne ein Konsum bezeichnet, der die psychische oder körperliche Gesundheit zunehmend gefährdet, zu Einschränkungen im sozialen Leben führt und auch von außen kritisiert wird. Die Entstehung einer Abhängigkeit erfolgt dann erst im Laufe der Zeit und ist nicht nur von der Art der Droge, sondern auch von der Persönlichkeit, von der Umgebung und der jeweiligen Situation des Betroffenen abhängig.
Was sind die Ursachen oder auslösenden Faktoren für eine Suchtmittelabhängigkeit?
Dr. Moritz Noack: Zum einen haben die Suchtmittel selbst ein ganz unterschiedliches Abhängigkeitspotential. Nicht zwangsläufig folgt aus einem regelmäßigen Konsum eine Suchterkrankung. Wenn Suchtmittel jedoch zunehmend zur Konfliktlösung, Problemverdrängung oder als Ersatz für andere Tätigkeiten eingesetzt werden, erhöht sich das Risiko. Es wird dann mehr und häufiger, oft auch zunehmend alleine konsumiert – hier liegen die Gefahren, für den kurzfristigen positiven Rausch langfristig wichtige Dinge im Leben zu vernachlässigen. Schulbesuch, Ausbildungsfähigkeit und persönliche Beziehungen zu drogenfreien Freunden und der Familie leiden oft darunter – was die Isolation oder Integration in eine drogenkonsumierende Umgebung nochmal verstärken kann. In diesem negativen Kreislauf braucht es viel Kraft, inneren Willen oder Unterstützung, wieder andere Wege zu gehen.
Welche psychiatrischen Störungen können im Verlauf der Suchtentwicklung auftreten?
Dr. Moritz Noack: Im Rahmen einer Suchterkrankung wirken die Drogen im Konsum auf das Gehirn und dessen Entwicklung dauerhaft ein. Es kann dann zu anhaltenden Veränderungen des Gehirnstoffwechsels kommen. Das hat unterschiedliche Auswirkungen, je nach Veranlagung. Als Folge können Depressionen, Antriebsstörungen oder psychotische Störungen entstehen. Oft ist es jedoch schwer zu sagen, ob die Störungen nicht auch schon vor der Suchtentwicklung vorhanden waren und der Drogenkonsum die Symptome oft lange verschleiert beziehungsweise die Droge eine Art Selbstmedikation dargestellt hat.
Gibt es Vorsorgemaßnahmen und Therapien, die hilfreich sind?
Dr. Moritz Noack: Wenn man Suchtmittel konsumiert, sollte man sich klar sein warum. Das gilt auch für Nikotin und Alkohol. Alle Substanzen haben angenehme Effekte, darum werden Risiken oft unterschätzt. Es ist wichtig für die Betroffenen, zuverlässige Quellen für Informationen zu Suchtmitteln zu haben. Wichtig kann auch sein, seinen Konsum mit dem von anderen in der Umgebung zu vergleichen. Wenn man selbst, oder jemand anderes Probleme mit Drogen erlebt – sollte man sich schnell Hilfe holen. Hier sind ambulante Ansprechpartner wie Suchtberatungen, Ärzte, Therapeuten aber auch die deutschlandweite Sucht- und Drogenhotline (Telefon 01805 313031) oder Beratungsangebote im Internet erste wichtige Adressen. Mit der Entscheidung, eine Suchtberatung oder Therapie anzutreten, beginnt schon die Veränderung. Die Erfolgsaussichten hängen dann oft von der Motivation der Betroffenen, aber auch deren sozialer Unterstützung ab.
Quelle
Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), LWL-Universitätsklinik Hamm
eingestellt am 30.November 2017