Kinder schützen vor möglichen Konflikt- und Gefahrensituationen

Steffen Claus
Kinderpolizist _1_

Berichte in den Medien über versuchte Kindesentführungen verunsichern Eltern und Fachkräfte in Einrichtungen zunehmend. Wie kann man Kinder schützen und vor diesen Gefahrensituationen bewahren? Wie viel Freiraum und Eigenverantwortung kann man Kindern zugestehen? Dieser Beitrag gibt praxisnahe Antworten, um Kinder nachhaltig zu schützen.

Die Kriminalität unserer Tage gibt Rätsel über Rätsel auf. Sie steigt, wie es scheint, unaufhaltsam - so unser subjektives Empfinden -, man fühlt sich ihr schutzlos ausgesetzt. Kinder bis ca. 6 Jahre, so die Statistik der letzten Jahre scheinen besonders gefährdet zu sein, da sie sich selbst kaum wehren können (Kriminalstatistik 2014 und 2015).

Kinder sollten jedoch nicht in Angst leben, sondern sich in ihrem Lebensumfeld frei entfalten können. Eltern sind verständlicherweise oft unsicher, wie viel Freiraum sie ihren Kindern geben und wie sie gleichzeitig für ihre Sicherheit sorgen können. Nachfolgende Hinweise und Beispiele helfen Eltern dabei.

1. Eltern im Gespräch mit ihren Kindern

Eltern sollten möglichst offen mit Kindern über mögliche Gefahren sprechen. Von Berichten in Medien sollten Kinder nicht vollständig abgeschirmt werden. Eine heile Welt gibt es leider nicht. Wie so oft im Leben kommt es allerdings auch hier auf die richtige Dosierung und das Alter der Kinder an. Eltern sollten auf keinen Fall Ängste schüren oder Kindern die Welt als bedrohlich erklären. Kinder sollen sich sicher und geborgen fühlen dürfen und trotzdem erkennen, dass man in manchen Situationen vorsichtig und aufmerksam sein muss.

Wenn Eltern ihrem Kind eine Gefahr erklären, müssen sie als Erwachsene und Wissende selbst begreifen und nachvollziehen können, was für ihre Kinder konkret wichtig und richtig ist. Sie können dabei eine wichtige Lebenshilfe leisten.

2. Empfehlungen im Umgang mit Gefahrensituationen

Als „Kinderpolizist“ bin ich seit 10 Jahren tätig und empfehle Eltern und Fachkräften daher:

  • Vermitteln Sie Grundregeln für richtiges Verhalten in Gefahr. Anhand bekannter Märchen der Brüder Grimm ist das sehr gut möglich, denn Märchenhelden lösen permanent Konflikte. Nachzulesen in meinem Sachbuch "Tatort Märchenwald“ (Bestellung beim Autor möglich).
  • Schüren Sie auf keinen Fall vorhandene Ängste, helfen Sie dem Kind lieber beim Überwinden seiner Ängste.  Hierbei ist es vor allem wichtig, gemeinsam über vorhandene Ängste zu sprechen, sie möglichst zu entkräften und das Selbstvertrauen des Kindes in die eigenen Fähigkeiten zu bestärken.
  • „Nein!“ heißt das Schlüsselwort für mögliche Gefahrensituationen, wenn das Kind zu unerlaubten Handlungen aufgefordert wird. Dem Kind sollte veranschaulicht werden, dass es über seinen Körper selbst bestimmen darf.
  • Stärkt man das Selbstbewusstsein des Kindes, stärkt man gleichzeitig seinen Selbstschutz! Eltern könnten Erlebnisse aus dem aktuellen Tagesgeschehen auswerten und hervorheben, wenn Kinder in Gefahrensituationen das Richtige tun. Wenn sich Kinder also zum Beispiel im Straßenverkehr richtig verhalten, pünktlich nach Hause kommen wie es abgemacht war oder in Abwesenheit der Eltern keinen Fremden die Türe aufmachen, sollten Eltern ihre Kinder auch loben. Kinder müssen verstehen, wie wichtig es ist, dass man sich auf sie verlassen kann. Medien schüren oft unnötige Ängste. Solche Meldungen sollten Eltern ihren Kindern gegenüber relativieren und dem Kind lieber aufzeigen, welche Verhaltensweisen in bestimmten Situationen richtig und wichtig sind.
  • Das „Feindbild“ vom bösen fremden Mann ist fehl am Platz, denn lediglich 5 Prozent der Täter verkörpern den bösen Fremden. Bei dieser Aussage handelt es sich um Erfahrungswerte, die in unterschiedlichen Statistiken aufgezeigt werden. Deshalb sollte man dem Kind verständlich machen, dass sein Aufenthaltsort den Eltern stets bekannt sein muss und sie die Erlaubnis der Eltern benötigen, wenn sie sich woanders hinbegeben wollen. Das Kind sollte nach folgenden Merksätzen handeln: Ich gehe nie mit! Ich fahre nie mit! Ich gehe zu keinem mit in die Wohnung! Ich darf das nur mit Erlaubnis der Eltern tun!
  • Eltern müssen immer wissen, wo sich ihr Kind befindet. Mit dem Inhalt des Liedes vom „Hänschen klein“ kann das dem Kind sehr gut vermittelt werden und man braucht nicht zu betonen, dass Fremde Gefahr bedeuten können.
  • Kinder sollten nie zu nah an Autos herangehen, denn der Täter benutzt sehr häufig ein Auto als Tatwerkzeug und das ohne Gewaltanwendung. Er benutzt die kindliche Neugier und hat viele Tricks auf Lager. Ein respektabler Sicherheitsabstand verhindert, dass ein Kind ins Auto gezerrt werden kann. Autos sind gefährlich, man hält sich davon fern!
  • Da Kinder in der Regel kaum selbst eine Gefahr rechtzeitig wahrnehmen können, sollten sie sofort weglaufen, wenn eine Situation nicht richtig eingeschätzt werden kann. Rechtzeitiges Weglaufen verhindert falsches Verhalten in Konflikt- und Gefahrensituationen.
  • Körperlich haben Kinder gegen einen Erwachsenen keine Chance. Ihre spezielle Waffe ist der Mund. Sind sie in Not, sollen sie laut schreien und dadurch auf ihre Situation aufmerksam machen. Täter sind Feiglinge und wollen nicht erkannt werden. Rufe wie: „Lassen Sie mich los!“ – „Hilfe!“- „Feuer!“  erregen Aufmerksamkeit. Wenn das Kind jemanden mit „Sie“ anspricht, wissen Augenzeugen, dass es sich nicht um ein Elternteil handelt.
  • Für den Fall der Fälle, wenn jemand das Kind auffordert, mit ihm zu kommen, beispielsweise mit der Lüge, dass die Mutter einen Verkehrsunfall hatte und ins Krankenhaus gebracht wurde, sollte man ein geheimes Wort vereinbaren, welches nur Berechtigte kennen. Geeignet ist hier zum Beispiel der Name der Oma oder des Haustieres.
  • Sind Kinder allein in der Wohnung sollten sie nicht ans Telefon gehen und nur dann die Tür öffnen, wenn es ihnen ihre Eltern ausdrücklich erlaubt haben. Sobald Kinder das Display des Telefons lesen können, dürfen sie natürlich die Anrufe von Oma und Opa oder anderen nahen Verwandten in Absprache mit ihren Eltern annehmen. Eltern sollten aber genau festlegen, mit wem die Kinder in ihrer Abwesenheit telefonieren dürfen. Falls jemand berechtigt etwas abgeben möchte oder Besuch angemeldet ist, kündigen Sie das Ihrem Kind an. Auch die Kinder sollen ihre Besucher anmelden und die Erlaubnis der Eltern einholen, sie bei deren Abwesenheit einzulassen.

3. Märchen als mögliche Arbeitsgrundlage im Kinderschutz

Märchen faszinieren Kinder und Eltern gleichermaßen. Bekannte Märchen, für Kinder in die Gegenwart übertragen, schaffen eine sinnvolle Gesprächsgrundlage, um mit Kindern über ihr Verhalten in möglichen Gefahrensituationen zu sprechen. Nachfolgend ein Beispiel am Märchen von Rotkäppchen der Gebrüder Grimm:

„Was Rotkäppchen noch lernen sollte“ - ein bekanntes Märchen in die Gegenwart gestellt

„Die Eltern hatten Vertrauen und schickten Rotkäppchen zur Oma. Das kleine Mädchen ließ sich mit dem bösen Wolf auf ein Gespräch ein und er fragte sie aus. Bereitwillig erklärte sie ihm den Weg zur Großmutter.“

Übertragung auf die Kinder: Wird man von jemandem angesprochen, sollte man nicht auf jede Frage antworten. Eine einfache Wegauskunft ist okay, aber alles was die eigene Person oder Familie betrifft ist tabu. Nur im Notfall gibt man solche Informationen preis.

„Auf Anraten des Wolfes ging Rotkäppchen entgegen der klaren Anweisung „Geh nicht vom Weg ab!“ in den Wald um Blumen zu pflücken“.

Übertragung auf die Kinder: Das war nicht okay. Man nimmt den Weg, den die Eltern zeigen oder erklären und weicht nicht davon ab. Der Großmutter muss vorgehalten werden, dass sie ihre Tür nicht abgeschlossen hatte, obwohl sie krank im Bett lag. Sind Kinder allein in der Wohnung, sollten die Eltern klare Anweisungen geben, ob man ans Telefon gehen darf und wem man die Tür öffnen darf. Sie sollten auch sagen, wann sie wieder da sind. Täter benutzen das Telefon gern für Schockanrufe und verängstigen dabei Kinder, um sich an deren Ängsten zu erfreuen. Und wenn voreilig die Tür geöffnet wird wie bei den 7 Geißlein, kann es durchaus gefährlich werden, weil Gelegenheit nicht nur Diebe macht.

„Als der Wolf sein Ziel erreicht hatte und mit der Großmutter im Bauch Plan B verwirklichen wollte, wurde Rotkäppchen angesichts des Wolfes mit der Kleidung der Großmutter und deren Brille im Gesicht schon stutzig. Anstatt sofort wegzulaufen und den Jäger zu informieren stellte Rotkäppchen viele überflüssige Fragen. Was dann geschah ist bekannt“.

Übertragung auf die Kinder: Wenn Gefahr droht ist keine Zeit, um Fragen zu stellen, da muss blitzschnell gehandelt werden. Diese Chance hat Rotkäppchen vertan. Zwar musste der Wolf später wie gewohnt zur Bauchoperation, weil Märchen immer gut ausgehen. Im richtigen Leben hätte Rotkäppchen das wohl nicht überlebt. Man sollte die elterlichen Ratschläge immer ernst nehmen und sich nicht davon abbringen lassen, das zu tun, was einem aufgetragen wurde.

Tipp: Wenn man mit Kindern auf diese Weise Märchen bespricht, dann mit dem Blick aus dem Märchenwald in die Gegenwart und im Dialog mit den Kindern. Sie lernen aus den ihnen bekannten Märchen angstfrei ihr eigenes Verhalten zu steuern.

4. Weiterführende Hinweise für Eltern und Fachkräfte

Der beste Schutz besteht nicht darin, die Kinder zu „bewachen“ und ihren Bodyguard zu spielen, Verbote auszusprechen und Ängste zu schüren, sondern in einer sachbezogenen Aufklärung über tatsächliche Gefahren. Den Kindern eine heile Welt vorzugaukeln ist auch nicht ratsam. Gemeinsam über Probleme sprechen, Konflikte friedlich lösen, richtiges Verhalten nicht befehlend vermitteln, sondern durch kindgerechte Aufklärung (mit Spiel und Spaß lassen sich sensible Themen besonders gut vermitteln), das alles erfordert viel Zeit. Zeit, die man sich einfach nehmen muss, um die Sprösslinge auf das Leben mit seinen vielfältigen Situationen vorzubereiten.

Meine Erfahrungen mit einem speziellen Verhaltenstraining durch ein kindgerechtes Puppen- und Rollenspiel für Kinder von 4-10 Jahren vermittle ich gerne weiter. Auch Elternseminare oder Weiterbildungen für Lehr- und Erziehungspersonal bzw. Auszubildende in solchen Berufen können realisiert werden.

Literatur

Autor

Polizeihauptkommissar a.D. Steffen Claus, bekannt als „Kinderpolizist“, bereist seit einigen Jahren die KITA´s und Grundschulen Sachsen-Anhalts, um mit Kindern, Eltern und Erziehern über Bösewichte zu sprechen und das Verhalten in Gefahr zu schulen.     

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eingestellt am 18. Juli 2017