Komasaufen – Alkoholkonsum bis zum Umfallen

Marianne Holthaus
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Freitagabend irgendwo in Deutschland: Jugendliche treffen sich. In den Rucksäcken und Taschen befinden sich Schnapsflaschen und Wodka, einige haben Sixpacks unterm Arm. Vorglühen ist angesagt… Viele Eltern beobachten mehr oder weniger hilflos, was in der Clique ihres Sohnes oder ihrer Tochter abgeht.
Alkoholkonsum bei Jugendlichen ist an sich kein neuartiges Phänomen. Auch in vorangegangenen Generationen gehörte Alkohol auf dem Weg zum Erwachsenwerden – inklusive Vollrausch – oftmals dazu. Dennoch häufen sich in den letzten Jahren die Berichte der Medien, in denen von „komasaufenden Jugendlichen“ die Rede ist, die sich bis zur Besinnungslosigkeit betrinken..

Die Lebensspanne zwischen 12 und 20

Junge Menschen befinden sich in diesem Alter in einer Phase voller Übergänge, Verunsicherungen und mitunter überschießender Gefühle. In Schule und Beruf finden wesentliche Weichenstellungen für die Zukunft statt. Freunde und vor allem das andere Geschlecht werden wichtiger, die Jugendlichen entwickeln eine größere Unabhängigkeit von ihren Eltern und verbringen weniger Zeit zu Hause. Die Geduld der Mütter und Väter wird häufig durch wechselnde Verhaltensweisen, Interessen oder aber auch Unzuverlässigkeiten der Kinder auf die Probe gestellt.

Das Lebensgefühl junger Menschen in dieser Lebensspanne schwankt oft zwischen Selbstzweifeln und Selbstüberschätzung. Zur Findung der eigenen Identität und zur Abnabelung gehört es, dass Jugendliche ihre Grenzen ausloten: zu Hause, in der Schule, in der Ausbildung.
Bis zu einem gewissen Rahmen kann auch Suchtmittelkonsum dazugehören.

Fragt man Jugendliche nach den Beweggründen für ihren Alkoholkonsum, stehen häufig soziale Motive im Vordergrund: die Erwartung aufregender Erlebnisse und Spaß, eine gewisse „Lässigkeit“ im Kontakt zu anderen, Anerkennung in der Gruppe usw. Aber auch andere Motive sind entscheidend: Alkohol „hilft“ vorübergehend bei der Regulierung von unangenehmen Gefühlen wie Stress, Ängsten, Aggressionen und wirkt wie ein „Weichzeichner“ für Sorgen und Nöte.

Alkoholkonsum und Gewalt sind eng miteinander verbunden. Das Risiko, sowohl Gewalttäter als auch Gewaltopfer zu werden, steigt durch riskanten Alkoholkonsum. Drei von zehn aufgeklärten Gewaltdelikten wie schwere Körperverletzung, Totschlag oder Vergewaltigung werden unter Alkoholeinfluss verübt. 2009 waren das annähernde 51.887 Fälle. Opfer sind vor allem Frauen und Kinder im familiären Bereich. Jugendliche Gewalt sowie Gewalt in der Öffentlichkeit unter Alkoholeinfluss ist häufig.
Die Polizeiliche Kriminalstatistik 2009 offenbart, dass 36,2 Prozent der schweren und gefährlichen Körperverletzungsdelikte unter Alkoholeinfluss geschehen.

Wenn aus Gebrauch Missbrauch wird

Regelmäßiger Alkoholkonsum im Jugendalter kann zu Schulproblemen, Schwierigkeiten im sozialen Miteinander sowie zu einer erhöhten Risikobereitschaft führen. Ebenso können Stimmungsschwankungen, Angstzustände und Depressionen die Folge dauerhaften Trinkens sein.

Aber auch um diese Gefühlszustände in den Griff zu bekommen, quasi als Selbstmedikation, entwickelt sich nicht selten ein fortgesetzter Suchtmittelmissbrauch.
Dies führt nicht zwingend in eine Suchtmittelabhängigkeit. Nur eine Minderheit setzt im späteren Alter einen exzessiven Alkoholkonsum fort. Dennoch gilt es aufmerksam zu sein, denn manche Jugendliche neigen dazu, den Grad ihrer Trunkenheit falsch einzuschätzen.

  • Steigt die Menge und Häufigkeit des Konsums an?
  • Gehört Alkohol im Freundeskreis der Kinder und Jugendlichen wie selbstverständlich dazu?
  • Werden die Vorteile des Alkoholkonsums höher bewertet als die Risiken?
  • Trinkt das Kind bzw. der Jugendliche Hochprozentiges und mischt Alkohol mit anderen Suchtmitteln?
  • Beobachten Eltern, dass ihr Kind nicht mehr ohne Alkohol Spaß zu haben scheint oder setzt es Alkohol gezielt zum Entspannen oder als „Fluchtinsel“ ein?

Alkoholmissbrauch liegt vor, wenn wiederholter Konsum dazu führt, dass

  • Anforderungen in Schule, Ausbildung und Familie vernachlässigt werden.
  • Kinder und Jugendliche öfter in risikoreiche Situationen geraten (Konflikte mit dem Gesetz, im Straßenverkehr, Prügeleien, Selbstverletzungen u.a.),
  • Kinder und Jugendliche „Filmrisse“ haben und sich an den Konsum und die Zeitspanne danach nicht mehr erinnern können oder
  • der Heranwachsende trotz fortgesetzter Probleme an seinem Alkoholkonsum festhält.

Es gibt kein Patentrezept gegen missbräuchlichen Konsum von Alkohol. Aber Eltern können manches beachten, um ihr heranwachsendes Kind zu schützen.

Sich informieren – weitervermitteln

Bei einem Konsum von mehr als einem Standardglas Alkohol bei einer Frau und zwei Standardgläsern Alkohol bei einem Mann an mehr als fünf Tagen in der Woche befindet sich ein Erwachsener bereits im riskanten Bereich des Alkoholkonsums. (Ein Standardglas entspricht etwa einem Glas Bier oder einem Glas Wein.) Für Heranwachsende bis 20 Jahre sollte der Alkoholkonsum aufgrund nicht abgeschlossener körperlicher Entwicklungsprozesse deutlich unter diesen Grenzwerten liegen.
Kinder unter 14 Jahren sollten generell keinen Alkohol trinken.

Eltern sollten sich über die Risiken des übermäßigen Alkoholkonsums informieren. In einer entspannten Gesprächsatmosphäre mit dem Kind werden gelassen und offen die Risiken besprochen.

Begriffserklärung: Binge-Drinking
Der Begriff Binge-Drinking stammt aus dem angelsächsischen Sprachgebrauch. Er lässt sich mit „Rauschtrinken“, „Besäufnis“ oder – einem etwas veralteten Sprachausdruck – „Trinkgelage“ übersetzen.

Handeln statt wegsehen

Je später Kinder Alkohol trinken, desto geringer ist die Gefahr, dass sie später eine Alkoholproblematik entwickeln. Daher sollten Eltern
ihrem Kind keinen Alkohol anbieten, auch nicht zu besonderen Anlässen.
Übrigens: Eltern und andere Sorgeberechtigte sollten auch darauf achten, dass auf die Einhaltung der Jugendschutzbestimmungen Wert gelegt wird. Sie sollten mit den Verantwortlichen, mit dem Jugendamt oder dem Ordnungsamt sprechen, wenn Verstöße im öffentlichen Raum bemerkt werden.

Jugendschutz: Wer darf Alkohol trinken? (§9 JuSchG)
Alkohol darf in der Öffentlichkeit grundsätzlich nicht an unter 16-Jährige abgegeben werden. Dort ist auch der Konsum von Alkohol für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren verboten. Einzige Ausnahme: Bier, Wein, Sekt u.a. (ohne Branntwein bzw. branntweinhaltige Getränke, siehe unten) darf an 14- bis 16-Jährige abgegeben und ihnen der Konsum erlaubt werden, wenn sie von den Eltern begleitet werden.

Bei Disco- und Gaststättenbesuchen muss z.B. der von den Eltern beauftragte volljährige Freund der minderjährigen Tochter dafür sorgen, dass diese keinen für sie verbotenen Alkohol erhält und konsumiert.

Vorbild sein

Erwachsene sollten für sich selbst, für ein aktives Leben, für gute und belastbare Beziehungen innerhalb der Familie und im Freundeskreis sorgen. Sie sollten auch darauf achten, dass Konflikte in der Familie mit grundsätzlichem Respekt voreinander ausgetragen werden. Gespräche innerhalb der Familie können das Thema aufgreifen, was wichtige Werte im Umgang miteinander und im Leben sind. Erwachsene Bezugspersonen sollten sich nicht scheuen, ihr eigenes Konsumverhalten hinsichtlich Zigaretten, Alkohol aber auch hinsichtlich des Umgangs mit Medien und Konsumartikeln zu überprüfen. Erwachsene zeigen bzw. machen vor, dass man auch ohne Suchtmittelkonsum Spaß und Lebensfreude haben kann.

Alkohol in der Familie: Kinder von Eltern, die keinen Alkohol konsumieren, lehnen selbst Alkohol häufiger ab. Je häufiger die Eltern Alkohol trinken, desto mehr verfüge auch die Kinder über Alkoholerfahrungen. Und je früher Kinder Alkohol trinken, desto gefährdeter sind sie, abhängig zu werden.

Grenzen ziehen – im Gespräch bleiben

Wenn Kinder älter werden, verlieren Eltern (zugunsten der Beziehung zu Gleichaltrigen) zunehmend an Einfluss. Gleichwohl haben Eltern eine wichtige Rolle, um die pubertäre Umbruchphase zu begleiten.
Gemeinsame Regeln sollten vereinbart werden und Absprachen sowie Grenzen im Alltag sind klar und konsequent einzuhalten. Eltern, Lehrer und andere Fachleute sollten sich besprechen, wenn Schwierigkeiten und Unsicherheiten auftreten, beispielsweise wenn es um die Höhe des Taschengeldes, über altersgemäße Ausgangsregeln oder über Regeln im Umgang mit Alkohol (Häufigkeit, Menge, Anlass) geht.
Besonders in turbulenten Zeiten ist es wichtig, mit Kindern im Gespräch zu bleiben. Eltern sollten ruhig ihre Gedanken, Empfindungen und auch ihre Sorgen aussprechen, und dies nicht nur, wenn das Kind über die Stränge schlägt. So können die Heranwachsenden die Wirkung ihres Verhaltens besser einschätzen. Feste Familienzeiten und klare Tagesstrukturen geben Kindern das Gefühl, dass das Leben einschätzbar ist und vermitteln Halt.

Fördern und Fordern – Freiräume gestalten

Die Lebenswirklichkeit vieler Heranwachsender ist stark organisiert und begrenzt. Freiräume sind jedoch wichtig, um in Ruhe eigene Erfahrungen sammeln zu können und Eigenverantwortlichkeit zu entwickeln. Eltern sollten ihr Kind ermutigen, eigene Interessen zu entwickeln und zu pflegen und Neues auszuprobieren. Freiräume für selbstständiges Forschen, für Sport oder Musik, aber auch die Übernahme von selbstständigen häuslichen Verantwortlichkeiten sind wichtig, um Erfolgserlebnisse zu haben, sich selbst als tatkräftig zu erleben und ggf. den Umgang mit Enttäuschungen zu üben.

Netzwerke nutzen

Es ist oft nicht leicht für Eltern unter Berücksichtigung ihrer familiären Bedingungen (Arbeit, Wohnverhältnisse, Finanzen…) altersent-sprechende Freiräume und Grenzen mit den Heranwachsenden auszuloten. Wie gut, dass es heute selbstverständlich geworden ist, sich dabei Rat zu erbitten! Eltern müssen mit ihren Fragen und Sorgen nicht alleine bleiben. Sie können das Gespräch mit Menschen aus ihrem Umfeld suchen (Familienkreise, Elternabende, Freunde).
Eltern und andere Sorgeberechtigte sollten sich nicht scheuen, eine Beratungsstelle aufzusuchen, wenn ihr Kind keine oder suchtmittelkonsumierende Freunde hat, mit altersgemäßen Anforderungen nicht zurecht kommt oder eine nachhaltig pessimistische Grundhaltung zum Leben zeigt und Veränderungsversuche erfolglos bleiben.
Bei dauerhaften Problemen mit Alkohol oder anderen Suchtmitteln gilt es, sich zügig an eine (Sucht)Beratungsstelle zu wenden.

Absturz – und nun?

Kommt ein Kind mit einem handfesten Rausch nach Hause? Haben andere es betrunken und randalierend auf der Straße gesehen?
Bei starkem Rausch ist zu überprüfen, inwieweit das Kind noch auf Ansprache reagiert.
Wichtig: dieses Kind oder diesen Jugendlichen nicht alleine lassen. Sein Zustand kann sich verschlechtern. – Erbrochenes kann lebensgefährlich werden! Auf keinen Fall Bedenken haben, das Kind in eine Krankenhausambulanz zu fahren. Eine Alkoholvergiftung ist ein Notfall und muss ärztlich versorgt werden – übrigens auch, wenn andere Menschen im Rausch am Straßenrand liegen. Hilfe ist geboten!

Am nächsten Tag sollte auf jeden Fall mit dem Kind gesprochen werden. Zu klären ist, welche Hintergründe dieser Vorfall hatte und welche Bedeutung Alkohol speziell für das Kind hat. (Rausch als Ausrutscher oder Fluchtinsel?)

Auch die Gefühle der Eltern haben Platz! Vorhaltungen und Ärger helfen vielleicht über den ersten Schrecken hinweg, verbauen jedoch den Zugang zum Kind. Zu thematisieren ist vor allem, wie sehr der Schreck wirkt und Sorgen bestehen. Wichtig ist, im Kontakt zu bleiben.
Erwachsene suchen gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen nach Lösungswegen.
Häufen sich Vorfälle übermäßigen Trinkens, so sollten sich Eltern auf jeden Fall an eine Jugend-, Erziehungs- oder Suchtberatungsstelle wenden.

Hilfe für Jugendliche

Ein Angebot für die Schüler und Schülerinnen: www.beratung-caritas.de
Manchmal haben Jugendliche Fragen oder brauchen Informationen – und wissen nicht, an wen man sich wenden soll. Ein Online-Beratungsangebot soll helfen.

Dort heißt es:
„Wir beraten online per Mail und/oder Chat:

  • Schwangerschaftsberatung
  • Eltern- und Jugendberatung
  • Kurberatung für Mütter
  • Suchtberatung
  • Generationsübergreifende Freiwilligendienste

Für die Online-Beratung gilt:

  • Unser Angebot steht allen Ratsuchenden und Interessierten kostenlos zur Verfügung.
  • Alle Berater/innen unterliegen der Schweigepflicht.
  • Die Beratung kann anonym erfolgen.
  • Die Beantwortung der Anfragen erfolgt innerhalb von 48 Stunden an Werktagen.
  • Datensicherheit durch SSL-Verschlüsselung.
  • Keine Weitergabe der Daten an Dritte.
  • Weitgehende Barrierefreiheit.
  • Auf Wunsch nennen wir Anlaufstellen vor Ort.“

Weitere Informationen

Kampagnen, Projekte, Internetangebote

Sehr zu empfehlen!

Folgendes Buch kann im Buchhandel bezogenwerden:
Thomasius, R., Häßler, F. & Nesseler, T. (2009). Wenn Jugendliche trinken. Auswege aus Flatrate-Trinken und Koma-Saufen: Jugendliche, Experten und Eltern berichten. 160 Seiten, gut gestaltet, mit vielen Fotos, ISBN 978-8304-3521-1, Stuttgart: Trias.

Quellen und Literatur

  • DHS: Binge-Drinking und Alkoholvergiftungen. Factsheet. Hamm 2010.
  • ginko. Landeskoordinierungsstelle Suchtvorbeugung NRW: Komasaufen. Alkoholmissbrauch der lebensgefährlichen Art. Mülheim 2007.
  • Stolle/Sack/Thomasius: Rauschtrinken im Kindes- und Jugendalter. Epidemiologie, Auswirkung und Intervention. Deutsches Ärzteblatt. Jg. 106/2009.
  • Thomasius/Häßler/Nesseler: Wenn Jugendliche trinken. Auswege aus Flatrate-Trinken und Koma-Saufen. Jugendliche und Experten berichten. Stuttgart 2009.

Autorin

Marianne Holthaus, Sozialpädagogin, Heilpraktikerin (Psychotherapie), Suchtreferentin, ist tätig beim Kreuzbund e.V. – Bundesgeschäftsstelle.
E-Mail

Redaktion
Georg Bienemann, Geschäftsführer der Katholischen Landesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz NW e.V., Münster.

Quelle

Dieser Beitrag erschien als “Elternwissen Nr. 14 Komasaufen” (2010), herausgegeben von:

Katholische Landesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz Nordrhein-Westfalen e.V.
Salzstraße 8
48143 Münster
Tel.: 0251 540 27
Website

Die Übernahme hier erfolgt mit freundlicher Genehmigung.

Erstellt und zuletzt geändert am 4. August 2015