Rechtsextremismus
Jochen Schmidt
Mit dieser Elterninformation wollen wir gezielt all diejenigen ansprechen, deren Kinder in die rechtsextreme Szene geraten sind oder davor stehen, in diese zu geraten. Politische Bewegungen wie pro NRW oder pro Köln versuchen, mit ihren Jugendorganisationen auch Kinder und Jugendliche für ihre Sache zugewinnen. Die Broschüre will Eltern und Angehörige im Umgang mit ihren Kindern unterstützen und sie über Merkmale und Hintergründe rechtsextremer und rechtspopulistischer Orientierungen informieren.
Diese Broschüre richtet sich auch an Eltern jüngerer Kinder, die sich informieren möchten. Auch wenn Sie nicht betroffen sind, sollten Sie über Rechtsextremismus Bescheid wissen. Sie können schon früh damit beginnen, Ihre Kinderin politische Gespräche einzubeziehen. DistanzierenSie sich dabei deutlich von rechten Positionen. Ermöglichen Sie Ihrem Kind Aktivitäten im Sportverein oder in Jugendgruppen, so dass es stabile und vertrauensvolle Beziehungen zu anderen Mädchen und Jungen aufbauen kann. Machen Sie Ihrem Kind deutlich, dass Ihre Beziehung zueinander nicht von den Leistungen des Kindes abhängig ist.
Eltern, deren Kinder in die rechtsextreme Szene geraten, leiden häufig unter Rat- und Hilflosigkeit sowie Angst, manchmal sogar der Angst vor dem eigenen Kind. Viele sind unsicher, wie sie mit der neuen Situation umgehen sollen und fürchten, ihren Sohn oder ihre Tochter zu verlieren.
In den meisten Fällen werden alle Beteiligten von der Entwicklung der Kinder völlig überrascht. Aber auch wenn sich Kinder von zu Hause abwenden sollten oder sich von den Eltern entfremdet zu haben scheinen: Das Elternhaus bleibt ihre wichtigste Anlaufstelle, die ihnen das Zurückkommen ermöglicht. Ein Abbruch der Eltern-Kind-Beziehung hätte daher fatale Folgen.
Kinder und Jugendliche wenden sich weniger aus politischen Gründen rechtsextremen Gruppen zu, sondern vielmehr, weil sie nach Gemeinschaft, Halt und Orientierung suchen.
Haben sich Jugendliche einer rechtsextremen Gruppe angeschlossen, erleben sie in der Regel sehr schnell gesellschaftliche Ablehnung und Ausgrenzung. Damit werden sie noch abhängiger von der Anerkennung und dem Halt dieser Gruppe. Sie tun dann fast alles, um sich deren Freundschaft und Unterstützung zu sichern. Damit fällt der Weg zurück immer schwerer. Wer einer rechtsextremen Gruppe den Rücken kehren will, bekommt häufig den Druck der Gruppe zu spüren und wird nicht selten an Leib und Leben bedroht.
Rechtsextremismus
Rechtsextremismus bedeutet Nationalismus, Demokratie- und Fremdenfeindlichkeit.
Weitere Elemente sind ein klares Freund-Feind-Schema und ein Führer-Gefolgschafts-Prinzip.
Rechtsextremismus ist vielschichtig: Er wendet sich gegen die Gleichheit aller Menschen und gesellschaftliche Vielfalt. Er bevorzugt den autoritären Führerstaat anstelle der Demokratie und plädiert für eine einheitliche Volksgemeinschaft anstatt des Wettbewerbs verschiedener Parteien. Rechtsextremisten befürworten Gewalt zur Durchsetzung dieser Ziele.
Der Begriff wird oft gemeinsam mit Begriffen wie Rassismus oder (Neo-)Nazismus genannt.
Im Allgemeinen bedeutet eine rechtsextreme Haltung zu haben, sich höherwertiger als andere Menschen zu betrachten. Verachtung, Hass und Gewalt richten sich dabei vor allem gegen Menschen anderer Herkunft, Sprache, Hautfarbe, Kultur und Religion.
Ursachen und Erklärungen
Die Ursachen und Erklärungen für Rechtsextremismus unter Jugendlichen sind vielfältig. Zum Teil sind sie im Jugendalter selbst, zum Teil in sozialen und gesellschaftlichen Gegebenheiten begründet, die das Erwachsenwerden erschweren. Wenn Jugendliche erwachsen werden, testen sie ihre Grenzen aus und versuchen, oft in Abgrenzung zu den Eltern, eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Dabei kommt es häufig zu Konflikten in der Familie.
Heranwachsende rebellieren, provozieren, kleiden sich auffällig und geraten manchmal in Konflikt mit dem Gesetz. Das ist auch ein Grund dafür, warum Anzeichen, wie etwa das Tragen rechtsextremer Symbole oder aggressive Verhaltensweisen von vielen Eltern und Angehörigen zunächst nicht besonders ernst genommen und als pubertäres Verhalten gewertet werden.
Im Jugendalter müssen Jugendliche eine eigene Identität entwickeln und für sich eine Orientierung finden. Infolge hoher Verunsicherung kann sich Jugendlichen rechtsextremes Gedankengut als scheinbar entlastender Ausweg anbieten bzw. es kann ein Bedürfnis nach einfachen Antworten entstehen, welches Rechtsextreme bedienen.
Warum sich ein Jugendlicher einer rechtsextremen Gruppe anschließt, kann unterschiedliche Gründe haben:
- Vorurteile im Bekannten- oder Verwandtenkreis gegenüber Fremden und Andersdenkenden
- Abwesenheit und Verlust von Bezugspersonen
- Leistungsdruck und Zukunftsangst
- fehlende Perspektiven
- geringes Selbstwertgefühl
- fehlende Anerkennung
Verunsicherung und Ängste werden auf „Fremde“ verlagert und diese dann für die eigene Situation verantwortlich gemacht. Die Ablehnung von „Fremden“ hat häufig mit der Angst zu tun, den an sich gestellten Ansprüchen und Erwartungen nicht gerecht werden zu können. Nation, Hautfarbe oder Geschlecht erhalten als Identifikationsmerkmale dann Gewicht, weil sie einem niemand nehmen kann und man sie sich nicht erarbeiten muss.
Familie im Wandel
Immer mehr Kinder wachsen bei einem Elternteil, meist der Mutter auf. Väter fallen als Begleiter und Bezugspersonen häufig aus. Oft werden Jungen durch die von Film und Fernsehen vermittelten Männlichkeitsideale, welche durch Stärke und Kampfkraft gekennzeichnet sind, beeinflusst.
Von berufstätigen Eltern wird zudem ein hohes Maß an Flexibilität und Mobilität erwartet, welches oft auf Kosten der gemeinsamen Zeit mit den Kindern geht.
Wettbewerbsgesellschaft
Die moderne Wettbewerbsgesellschaft erfordert, sich immer stärker gegen Mitbewerber durchzusetzen und die eigene Leistung in den Mittelpunkt allen Handelns zu stellen. Dies wird insbesondere von Leistungsschwächeren als ungerecht erlebt. Die aus dieser Situation erwachsenden Zukunftsängste können zu rechtsextremen Einstellungen führen, insbesondere dann, wenn Jugendlichen Anerkennung, Halt und Unterstützung fehlen und Gewalterfahrungen hinzutreten.
Schule und Ausbildung
Für einen Ausbildungsplatz wird oft ein guter Realschulabschluss oder aber das Abitur vorausgesetzt. Hauptschüler sind häufig chancenlos. Fehlende Ausbildungsmöglichkeiten oder geringe materielle Ressourcen führen dazu, dass Jugendliche vorerst bei den Eltern wohnen bleiben und damit später den Schritt ins Erwachsenenalter und die Unabhängigkeit vollziehen können. Zwar entwickeln Kinder und Jugendliche heute u.a. durch die Medien schon früh einen eigenen, elternunabhängigen Lebensstil, ihre Lebenssituation bleibt aber weitaus länger als früher von den finanziellen Möglichkeiten der Eltern abhängig.
Cliquen
Für ältere Kinder und Jugendliche wird die Clique zur immer wichtigeren Sozialisationsinstanz. Die Clique bedient ihr wachsendes Bedürfnis nach Kommunikation und Orientierung. In Cliquen finden Jugendliche Bestätigung, Anerkennung, Halt und das Gefühl der Dazugehörigkeit. Vor allem Jugendlichen mit niedrigem Selbstwertgefühl vermittelt die Clique Rückhalt. Trotzdem bleiben die Eltern für die meisten Jugendlichen der wichtigste Ansprechpartner. Allerdings nimmt die Mitgliedschaft des Kindes in einer gewaltbereiten und rechtsextremistisch orientierten Clique Eltern und Angehörigen ihre Einflussmöglichkeit.
Internet
In den letzten Jahren hat sich ein beachtlicher Teil der Kommunikation von Jugendlichen ins Internet verlagert. Auf der eigenen Profilseite in sozialen Netzwerken präsentieren sich Heranwachsende oft auch über Zugehörigkeiten zu bestimmten Gruppen. Rechtsextreme Gruppierungen sind sehr aktiv im Internet sowohl durch eigene Internetauftritte als auch über das Einstellen von (Musik-)Videos mit rechtsextremen Inhalten auf Portalen wie z.B. youtube oder myvideo.
Jungen und Mädchen
Rechtsextreme Straftaten werden zum größten Teil von männlichen Jugendlichen verübt. Experten sehen dabei einen Zusammenhang zwischen dem gewalttätigen Verhalten von Jungen und ihren traditionellen Vorstellungen von Männlichkeit. Jungen sind aber nicht nur häufiger Täter, sie sind auch häufiger Opfer rechtsextremer Gewalt. Mädchen geraten häufig über ihre männlichen Freunde in die Szene.
Rechtsextreme Verführer
Rechtsextremisten versuchen, Jugendliche durch erlebnisintensive Aktionen wie Konzerte, Partys oder paramilitärische Übungen zu begeistern. Dafür suchen sie Orte und Treffpunkte der Jugendlichen auf und verteilen z.B. an Schulen rechtsextreme Musik. Während Jugendliche in der Gesellschaft zunehmend den Eindruck haben, dass lediglich ihre Leistung zählt, machen sie in rechtsextremen Kreisen die Erfahrung, dass sich jemand scheinbar unabhängig davon für sie interessiert.
Mode, Musik, Symbole und Codes
Mode
Während vor einigen Jahren das Bild des Rechtsextremen durch Glatze, Bomberjacke und Springerstiefeln bestimmt war, ist es mittlerweile selbst für Experten schwer geworden, allein aufgrund der Kleidung rechtsextreme Gruppen zu identifizieren. Eine einheitliche rechtsextreme Jugendkultur gibt es nicht. Bestimmte Bekleidungsmarken sind aber in der rechtsextremen Szene sehr beliebt:
Thor Steinar:
Thor Steinar ist eine bekannte Marke in der rechtsextremen Szene. Thor Steinar bezieht sich z.B. auf die germanische Gottheit „Thor“, bedient sich des Tarnmusters (Zürchtarn) der deutschen Wehrmacht oder stellt mit seinem Label „Südwestafrika“ einen positiven Bezug zur Kolonialpolitik des Deutschen Reiches her.
Consdaple/Lonsdale:
Im Gegensatz zum Modehersteller Lonsdale, dem es weiterhin schwer fällt, sich von rechtsextremen Kunden zu distanzieren, beliefert die Marke Consdaple ganz gezielt die Szene. Die Attraktivität der Marke besteht darin, dass beim Tragen unter geöffneter Jacke die Buchstaben NSDAP zu erkennen sind.
Weitere Modemarken sind:
- Pitbull wird der Rocker- und Hooligan Szene zugerechnet.
- Masterrace Europe übersetzt „Herrenrasse Europa“. Der Hersteller vertreibt neben Kleidung auch Accessoires, Musik und Literatur für die gesamte rechtsextreme Szene.
- Troublemarker ist bei Hooligans und Skinheadswie auch in der Rocker-Szene beliebt.
- Dr. Martens, häufig auch Doc Martens-Schuhe genannt, werden in der gesamten Skinhead-Szene getragen.
- Doberman ist ebenfalls bei Skinheads sehr beliebt.
- Rizist wird besonders in der rechten Hip-Hopper- und Skater-Szene getragen.
Musik
Musik ist ein entscheidender Faktor beim Einstieg Jugendlicher in die rechtsextreme Szene. Inzwischen gibt es eine Reihe von Bands, die in ihren Liedtexten unverhohlen rechtsextremes Gedankengut zum Ausdruck bringen. In fast allen Musikrichtungen wie Rock, Pop, Techno, Dark Wave, Metal, Hip Hop und Schlager werden rechtsextreme Lieder produziert. Rechtsextreme Konzerte finden in ganz Europa statt. Sind Textzeilen oder Refrains verboten, animieren die Bands ihr Publikum, die gesetzeswidrigen Passagen selbst zu singen. So vermeiden die Gruppen oft geschickt, sich strafbar zu machen. Rechtsextreme Musik wird zum großen Teil über das Internet verbreitet oder in Szeneläden illegal unter dem Ladentisch gehandelt.
Symbole
Rechtsextreme Symbole sind in der Regel durch Strafgesetze verboten.
Eindeutig strafbar nach § 86a StGB sind: Das Hakenkreuz in verschiedenen Ausführungen (Hakenkreuz-Negativ, Hakenkreuz seitenverkehrt, Hakenkreuz geschwungen),
die einfache Sigrune (Symbol der nationalsozialistischen Jugendbewegung) und die Doppel-Sigrune (Abzeichen der SS).
Nicht strafbar sind:
Das zerschlagene Hakenkreuz, das Hakenkreuz im Mülleimer und das durchgestrichene Hakenkreuz. Laut Urteil des Bundesgerichtshofsvom 15. März 2007 lässt die Verwendung dieser Symbole die Gegnerschaft zum Nationalsozialismus eindeutig erkennen.
Die Doppel-Sigrune wird oft durch die Schwarze Sonne ersetzt, welche der SS als Sinnbild für nordische Überlegenheit und uraltes Geheimwissen diente. Das Zeigen des Symbols ist nicht strafbar.
Beliebt unter Rechtsextremen ist auch die Zurschaustellung der Reichskriegsflagge, die allerdings nur in Verbindung mit dem Hakenkreuz nach § 86a StGB strafbar ist.
Die Triskele, keltisches Symbol und Organisationssymbol der verbotenen rechtsextremen Organisation Blood & Honour. Das Zeigen des Symbols ist in diesem Zusammenhang verboten.
Das Keltenkreuz dient der rechtsextremen Szene weltweit als Symbol für eine Vormachtstellung der weißen Rasse und als White-Power-Zeichen. Das Zeigen des Symbols ist verboten.
Die Wolfsangel wurde von der SS-Organisation Werwolf, die hinter den feindlichen Linien einen Untergrundkampf gegen die Alliierten des 2. Weltkriegs führte, getragen. Dementsprechend dient das Zeichen Rechtsextremen als Symbol für den unbedingten Kampfeswillen zur Vernichtung des politischen Gegners. Das Symbol ist verboten.
Die Odal-Rune galt im Nationalsozialismus als Symbol für Blut und Boden. Sie war Symbol der Hitler-Jugend und der Reichsbauernschaft. Das Zeigen ist zum Beispiel in Verbindung mit dem Bund Nationaler Studenten (BNS) verboten.
Alle Symbole sind zum Zweck ihrer wissenschaftlichen Darstellung oder zur Darstellung im Schulunterricht erlaubt.
Codes
Rechtsextreme versuchen heute weniger demonstrativ und eher unauffällig in der Öffentlichkeit aufzutreten. Beispielsweise verwenden sie Codes, die sich an der Reihenfolge der Buchstaben im Alphabet orientieren:
- Die „18“ steht für Adolf Hitler.
- Die „88“ für „Heil Hitler“.
- Die „28“ (auch „2+8“) steht für die verbotene rechtsextreme Organisation Blood & Honour (Blut & Ehre).
- Die „14“ oder „14 words“ stehen für die Paroledes US-amerikanischen Neonazis DavidLane. Sie lautet: „We must secure the existence of our people and a future for white children.” Zu Deutsch: „Wir haben die Existenz unseres Volkes und eine Zukunft für weiße Kinder zu sichern.“
- „168:1“ steht für einen antisemitischen Sprengstoffanschlag von 1995 in Oklahoma/USA bei dem 168 Menschen ums Leben kamen. Der Attentäter wurde 2001 zum Todeverurteilt.
- „C18“ ist die Abkürzung für die militante englische Neonaziorganisation Combat 18.
Rechtliche Fragen im Umgang zwischen Eltern und Kind
1. Dürfen Eltern ihrem Kind den Kontakt zurechtsextremen Freunden verbieten?
Die elterliche Fürsorgepflicht (§ 1626 BGB) umfasst zwar das Recht, einen das Kindeswohl beeinträchtigenden Umgang zu unterbinden, in der Regel ist jedoch ein Kontaktverbot schwer zu realisieren. Wichtig: Interessieren Sie sich für den Umgang Ihres Kindes und sprechen Sie mit ihm darüber.
2. Dürfen Eltern rechtsextremen Freunden den Zugang in ihr Haus verwehren?
Neben der elterlichen Fürsorgepflicht haben Eltern auch das Recht, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen. Sie haben die Möglichkeit zu bestimmen, wer Ihre Wohnung betreten darf und wer nicht.
3. Dürfen Eltern rechtsextreme Musik einziehen?
Aufgrund Ihres Sorgerechts und Ihrer Sorgepflicht müssen Sie handeln.
Das Einziehen der Musik sollte aber nicht ohne Begründungoder in Abwesenheit Ihres Kindes geschehen. Die öffentliche Präsentation indizierter Musik erfüllt den Straftatbestand gemäß § 86StGB.
4. Dürfen Eltern rechtsextreme Symbole imJugendzimmer untersagen?
Als Eltern sind Sie berechtigt, das Anbringen rechter Symbolik zu verbieten. Die öffentliche Zurschaustellung verfassungsfeindlicher Symbole, zum Beispiel im Fenster zur Straße, erfüllt ebenfalls den Straftatbestand gemäß §§ 86, 86a StGB.
5, Dürfen Eltern ihrem Kind den Besuch rechtsextremer Aufmärsche oder Konzerte verbieten?
Sie dürfen den Besuch verbieten, wenn das Wohl Ihres Kindes gefährdet ist. Thematisieren Sie das Bedürfnis Ihres Kindes und begründen Sie Ihre Entscheidung.
6. Dürfen Eltern die Post ihrer Kinder an sich nehmen, wenn Verdacht auf rechtsextremen Inhalt besteht?
Die Post der Kinder unterliegt wie bei Erwachsenen dem Briefgeheimnis (Art. 10 GG). Als Eltern eines nicht erwachsenen Kindes haben Sie jedoch das Recht, die Post zu öffnen, wenn Sie einen begründeten Verdacht haben, dass Ihr Kind durch den Inhalt gefährdet wird. Strafrechtlich relevante Inhalte sollten der Polizei zur Strafverfolgung übergeben werden.
7. Dürfen Eltern ihrem Kind das Tragen rechtsextremer Kleidung oder Accessoires untersagen?
Wenn die Mode verfassungsfeindliche Symbole aufweist, können Sie sich u. U. wegen eines Verstoßes gegen Ihre Fürsorge- und Erziehungspflicht (§ 171 StGB) strafbar machen, wenn Sie das Tragen nicht unterbinden. Sind die Symbole strafrechtlich nicht verboten, können Sie das Outfit dennoch als erzieherische Maßnahme einziehen. Treten Sie darüber in Dialog mit Ihrem Kind.
8. Müssen Eltern Anzeige erstatten, wenn ihr Kind eine rechtsextreme Straftat plant oder bereitsbegangen hat?
§ 138 StGB regelt die Pflicht zur Anzeige geplanter schwerer Straftaten (zum Beispiel Brandanschlag, Sprengstoffanschlag). Sie müssen Anzeige erstatten, wenn eine schwere Straftat zu erwarten ist. Eltern gehen straffrei aus, wenn sie keine Strafanzeige gegen ihr Kind erstatten, sich aber ernsthaft bemühen, dass die Straftat verhindert wird.
9. Dürfen Eltern Ihr Kind aus der elterlichen Wohnung verweisen?
Minderjährige Kinder dürfen nicht ohne Rücksprache mit dem Jugendamt aus der elterlichen Wohnung gewiesen werden.
10. Darf bei getrennt lebenden Elternpaaren die oder der Sorgeberechtigte den Kontakt zum rechtsextrem orientierten Elternteil unterbinden?
Ihr Kind hat das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil (§1684 Abs. 1 BGB).
Wenn das Wohl des Kindes durch den Kontakt gefährdet ist, kann eine Umgangsregelung durch das Familiengericht erlassen werden.
Verhaltenstipps
1. Suchen Sie nicht nach Schuldigen!
Viele Eltern schämen sich und glauben, dass sie etwas falsch gemacht haben. Versuchen Sie niemanden die Schuld für die Situation zu geben. Wenn Jugendliche erwachsen werden, treffen sie ihre eigenen Enscheidungem, d.h. Eltern und Angehörige sind nicht für alles, was passsiert, verantwortlich.
2. Bleiben Sie dran!
Bringen Sie Ihre Ablehnung gegenüber der Gesinnung Ihres Kindes zum Ausdruck, ohne Ihre Liebe und Ihr Vertrauen zu ihrem Kind aufzugeben.
Versuchen Sie den Draht zu Ihrem Kind nicht zu verlieren. Halten Sie Kontakt! Ihre Entschiedenheit und Ausdauer hilft Ihrem Kind, die Szene früher oder später verlassen zu können. Beobachten Sie die Entwicklung Ihres Kindes aufmerksam. Achten Sie auf Veränderungen im Verhalten, Freundeskreis, Musik- und Kleidungsstil. Zeigen Sie Interesse an den Meinungen, Erlebnissen und Freunden Ihres Kindes. Gestehen Sie Ihrem Kind die Möglichkeit zu, sich verändern zu können und halten Sie ihm alle Rückkehrmöglichkeiten offen.
3. Bieten Sie sich als Gesprächspartner an!
Reden Sie mit Ihrem Kind! - Signalisieren Sie immer wieder Ihre Gesprächsbereitschaft. Ist Ihr Kind dazu zunächst nicht bereit, geben Sie nicht auf, bleiben Sie Anlaufstelle und Ansprechpartner. Sprechen Sie mit Ihrem Kind über Ihre Beobachtungen und setzen Sie sich mit seinen Aussagen auseinander. Suchen Sie früh und offen das Gespräch. Thematisieren Sie rechte Mode und Musik und versuchen Sie herauszufinden, was Ihr Kind daran fasziniert. Diskutieren Sie in gegenseitigem Respekt voreinander, fair und auf das Thema bezogen. Beziehen Sie dabei einen klaren Standpunkt, der sich an demokratischen Grundwerten orientiert.
Beachten Sie, dass politische Auseinandersetzungen zu einer verstärkten Antihaltung Ihres Kindes führen können, wenn es merkt, dass seine eigenen Kenntnisse schwach oder gar nicht vorhanden sind.
Erwarten Sie von den ersten Gesprächen keine allzu große Veränderungen.
4. Nehmen Sie Ihr Kind ernst!
Ihr Kind wird erwachsen und entwickelt eigene Ansichten. Nehmen Sie diese ernst und wenn Sie diese nicht teilen oder ertragen können, klären Sie dies in einem persönlichen Gespäch. Setzen Sie sich mit den Aussagen Ihres Kindes auseinander. Tun SIe die Aussagen nicht als dumm oder unreif ab. Vermeiden Sie Belehrungen und Besserwisserei!
Ein Erziehungsstil, der Ihrem Kind Selbstwertgefühl vermittelt, ist das beste Mittel gegen Gewaltbereitschaft und der Mitgliedschaft Ihres Kindes in einer rechtsextremen Organisation.
5. Setzen Sie Grenzen!
Regeln und Absprachen gehören zum Zusammenleben. Sprechen Sie die Regeln Ihres Zusammenlebens in der Familie ab. Informieren Sie sich über rechtliche Folgen und setzen Sie klare Grenzen, wenn Ihr Kind sich strafbar macht. Machen Sie deutlich, dass sich Ihre Ablehnung nur auf die rechtsexreme Einstellung bezieht, nicht auf Ihr Kind als Person!
Setzen Sie Grenzen und begründen Sie diese persönlich. Wenn Sie deutlich machen, warum Sie ein bestimmmtes Verhalten und bestimmmte Äußerungen nicht ertragen können, werden die von Ihnen gesetzte Grenzen leichter akzeptiert.
Bloße Verbote dagegen schrecken eher ab und verhärten die Fronten. Ist die Beziehung von Eltern und KInd durch Verbote bestimmt, wird das Festhalten an der Clique und Ihren Aktivitäten intensiver.
6. Stellen Sie Öffentlichkeit her!
Gehen Sie offen und ehrlich mit der Situation um. Versuchen Sie nichts zu verharmlosen oder zu verschweigen!
Setzen Sie sich mit Nachbarn, Freunden und Verwandten darüber auseinander, dass Ihr Kind rechtsextreme Einstellungen vertritt. In der Regel wissen diese aufgrund der äußerlichen Veränderungen Ihres Kindes bereits Bescheid.
Die Angst um das Ansehen der Familie darf nicht Ihr Handeln bestimmen.
7. Holen Sie sich rechtzeitig Hilfe!
Die Annahme von Hilfe ist kein Zeichen von Versagen, sondern ein Zeichen für Verantwortungsbewusstsein und dafür, dass Sie Ihre Erziehung ernst nehmen! Rechtsextremismus ist keine Randerscheinung, er kommt in den „besten Familien“ vor. Scheuen Sie sich nicht, Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Beratungsstellen können Ihnen weiterhelfen. Daneben können Ihnen Gespräche mit anderen betroffenen Eltern helfen. Die Freunde in der Clique Ihres Kindes haben Eltern, die wahrscheinlich die gleichen Sorgen wie Sie haben.
Trauen Sie sich, diese Eltern anzusprechen. Gemeinsam lassen sich die Probleme wesentlich besser bewältigen.
8. Nehmen Sie sich Zeit!
Nehmen Sie sich Zeit für Ihr Kind - schauen Sie nicht weg! Zeigen Sie Ihre Bereitschaft, bei jedem Problem helfend zur Seite zu stehen. Fragen Sie nach Zielen, Wünschen und Träumen Ihres Kindes und entwickeln Sie mit ihm gemeinsame Ideen und Perspektiven. Bieten Sie immer wieder Ihre Hilfe an, auch wenn sie zunächst abgelehnt werden sollte.
9. Informieren Sie sich!
Setzen Sie sich mit den Inhalten und Zielen des Rechtsextremismus auseinander. Beobachten Sie Veränderungen im Kleidungsstil Ihres Kindes und achten Sie auf ungewohnte oder schwer zu deutende Zeichen. Wenn Sie sich nicht sicher sind, was bestimmte Zeichen und Symbole bedeuten, fragen Sie Ihr Kind oder holen Sie sich Rat von Experten. Je besser Sie informiert sind, desto besser sind Sie in der Lage, gefährliche Entwicklungen zu erkennen und Gegenargumente zu liefern.
10. Seien Sie Vorbild!
Gehen Sie mit gutem Beispiel voran. Beziehen Sie Stellung und distanzieren Sie sich eindeutig von rechtsextremer Propaganda. Jugendliche suchen Orientierung. Wo eine solche nicht vorhanden ist, werden andere Wege gesucht. Rechtsextreme Gruppen bieten scheinbar einfache Lösungen für komplizierte Fragen unserer Gesellschaft.
Literaturhinweise
- Christoph Butterwege/ Georg Lohmann (Hg.):
Jugend, Rechtsextremismus und Gewalt-Analysen und Argumente
Opladen 2001. - Wilhelm Heitmeyer:
Deutsche Zustände: Folge 1-10
Frankfurt am Main, 2002 - 2011. - Claudia Hempel:
Wenn Kinder rechtsextrem werden
Mütter erzählen
Springe 2008. - Birgit Rommelspacher:
Der Hass hat uns geeint
Junge Rechtsextreme und ihr Ausstieg aus der Szene.
Frankfurt am Main 2006. - Richard Stöss:
Rechtsextremismus im Wandel
Berlin 2007.
Zum Nachlesen
Heft 4/2007 „Widerstehen“ und Heft 1/2001 „Mit und ohne Stiefel“ der Zeitschrift THEMA JUGEND beinhalten wichtige Informationen zum Thema „Rechtsextremismus“.
Einzelexemplare kostenfrei!
Bestellanschrift:
Katholische Landesarbeitsgemeinschaft
Kinder-und Jugendschutz NW e.V.
Salzstr. 8, 48143 Münster
Telefon: (0251) 54027
Elternratgeber
- Rechtsextremismus und Gewalt im Jugendalter– Eine Elterninformation.
Rat für Kriminalitätsverhütung Schleswig-Holstein/ Aktion Kinder-und Jugendschutz Schleswig-Holstein e. V. /Jugendamt der Landeshauptstadt Kiel; o.O.2010. - „Mein Kind ist doch kein Nazi!?“ – Ein Ratgeberfür Eltern und Angehörige von Kindern und Jugendlichen aus der rechten Szene. Mobile Beratung in Thüringen für Demokratie und gegen Rechtsextremismus; Gotha 2005.
- „Mein Kind – (k)ein Nazi?!“ – Tipps für mehr Mut, Verständnis und Vertrauen. Beratungs-Netzwerk hessen/Universitätsstadt Gießen/Landkreis Gießen (Hg.); o.O. 2008.
- „Mein Kind – ein Neonazi? – Ein Ratgeber fürEltern und Angehörige von RechtsextremistInnen.EXIT-Elterninitiative; Berlin 2002.
Ansprechpartner in NRW
IDA NRW
Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit in Nordrhein-WestfalenVolmerswerther Straße 20
40221 Düsseldorf
Telefon: (0211) 159255-5
E-Mail
Netzwerk „Beratung von Eltern und Bezugspersonen rechtsextrem orientierter Jugendlicherin NRW“
BeraterInnen aus Jugendämtern, Erziehungs und Familienberatungseinrichtungen, SchulpsychologInnen und LehrerInnen,
Kontakt über das IDA-NRW.
Zum Thema Rechtsextremismus im Internet
jugendschutz.net
Wallstraße 11
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Telefon: (06131) 328520
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Der Abdruck dieser Ausgabe von Elternwissen erfolgt mit freundlicher Genehmigung von:
Aktion Kinder- und Jugendschutz – Fachstelle für Prävention Schleswig-Holstein e. V.
Rat für Kriminalitätsverhütung in Schleswig-Holstein im Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein
Autor
Jochen Schmidt
Soziologe und Sozialpädagoge, tätig als Berater im Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus Schleswig-Holstein.
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Quelle
Dieser Beitrag erschien als "Elternwissen Nr. 16 Rechtsextremismus", herausgegeben von:
Katholische Landesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz Nordrhein-Westfalen e.V.
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