Warum sind Sekten gefährlich?
Bayerisches Landesjugendamt
Die Medien berichten seit Jahren immer wieder über zweifelhafte religiöse oder weltanschauliche Gruppen und Organisationen. Diese werden meist einfach als „Sekten“ bezeichnet. Tatsache ist, dass Kinder, Jugendliche oder Familien durch solche „Sekten“ auf verschiedene Art negativ beeinflusst werden können.
Die folgenden Hinweise sollen Ihnen als Eltern helfen, sich unter den vielen Angeboten zu orientieren bzw. sich und Ihre Kinder vor negativen Erfahrungen zu schützen.
In extremen Einzelfällen kam es sogar schon zu Massenselbstmorden oder Terrorakten, die durch religiösen oder ideologischen Fanatismus bedingt waren. Neben solchen Aufsehen erregenden fanatischen Sektierern gibt es viele weniger auffällige Gruppierungen und einen großen Grau-Bereich von spirituellen, esoterischen und mehr oder weniger seriösen therapeutischen Angeboten „auf dem Markt“. Hier können zumindest für einzelne Menschen durchaus Gefahren lauern. Oft handelt es sich dabei um kleine oder gerade neu entstehende Bewegungen und Anbieter. Deshalb ist die Öffentlichkeit hierbei auch noch nicht so gut informiert wie beispielsweise über die Scientology-Organisation, die sogar vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Eine Liste über eindeutig gute bzw. schlechte Religionsgemeinschaften oder andere „geheimnisvolle“ Angebote gibt es nicht. Genauso wenig kann es Patentrezepte geben, wie man sich vor den psychologischen Tricks verschiedener Gruppierungen schützen kann, oder wie man einen Angehörigen aus einer problematischen „Sekte“ wieder „herausholen“ kann.
Zunächst sollten Sie sich über die jeweilige Gruppierung informieren. Dies können Sie zum Beispiel im Internet tun. Hier finden Sie inzwischen zu vielen Gemeinschaften, Organisationen, Firmen und Einzelanbietern umfangreiche Selbstdarstellungen, aber zunehmend auch kritische Darstellungen und Einschätzungen von Fachstellen, ehemaligen Anhängern, Initiativen von Mitbetroffenen und ähnlichen. Sie können sich aber auch an spezielle kirchliche Beauftragte für den Bereich der so genannten „Sekten und Psychogruppen“ wenden. Ihre Kirchengemeinde kann Ihnen sicher eine entsprechende Telefonnummer nennen. Aber auch die Jugendämter, Erziehungsberatungsstellen usw. können weiterhelfen.
Falls bereits Probleme mit Ihrem Kind aufgetreten sind, können sie sich bei diesen Fachstellen auch persönlich beraten lassen.
Woran erkenne ich problematische „Sekten“-Angebote?
Verdächtige Merkmale einer problematischen Gruppierung oder von Einzelanbietern:
1. Sollen Eltern ihre eigene Meinung aufgeben und gibt die „Sekte“ vor, wie Kinder zu erziehen sind? Werden die Kinder den Eltern gar weitgehend entzogen und von anderen „Sekten“-Mitgliedern betreut?
2. Werden die Kinder und Jugendlichen von der Außenwelt abgeschirmt und können sich dadurch kaum auf eine selbstständige Lebensweise vorbereiten? Drohen sie zu Außenseitern zu werden?
3. Werden bei Kindern oder Jugendlichen nicht altersgerechte Methoden und Techniken angewandt (harte Meditation, Bußübungen, überfordernde Trainings)?
4. Werden individuelle kindliche Bedürfnisse unterdrückt, um marionettenhafte „kleine Erwachsene“ für die Gruppierung zu gewinnen?
5. Werden Kinder und Jugendliche zugunsten der „Sekte“ gefühlsmäßig, ideologisch und materiell ausgebeutet? Oder werden sie vernachlässigt, vielleicht weil sie angeblich der „spirituellen Weiterentwicklung“ der Erwachsenen im Wege sind?
6. Ist die Erziehung besonders streng oder fallen ungewöhnliche Strafen auf?
7. Wird in der Erziehung das Einflößen von Angst und Schuldgefühlen eingesetzt (wenn den Kindern Sündhaftigkeit oder Karma-Schuld unterstellt werden, oder wenn böse Mächte, Endgericht, Verdammnis und Ähnliches angedroht werden)?
8. Werden bereits Kinder gezielt dahin gehend beeinflusst, sich selbst und ihre Umgebung in einer weltfremden oder gespaltenen Sichtweise wahrzunehmen (besondere Feindbilder, Endzeitvorstellungen, Verschwörungstheorien, angeblich unzweifelhafte Visionen oder Offenbarungen usw.)?
9. Herrscht in der „Sekte“ und damit in der einzelnen Familie eine totalitäre Führungsstruktur, die das Selbstbestimmungsrecht des Kindes außer Kraft setzt?
10. Wird die psychosexuelle Entwicklung von Kindern und Jugendlichen durch sexualfeindliche oder umgekehrt durch besonders freizügige Haltungen und Praktiken gestört?
11. Widerspricht die Rolle der Frau in der „Sekte“ dem heute allgemein anerkannten Status der Frau in unserer Gesellschaft in krasser Weise? Fehlt Heranwachsenden damit ein positives Vorbild ?
12. Welchen Stellenwert haben Schulbildung und berufliche Perspektive? Werden diese aus bestimmten Gründen seitens der Gruppierung vernachlässigt oder gar behindert?
13. Sind gesundheitliche Vorsorge und medizinische Versorgung eingeschränkt (Ernährungsvorschriften, Arzt- bzw. Medikamentenverbot, besonderes Krankheitsverständnis, Glaubensheilung, Exorzismus)?
Wie kommt es zu einer „Sekten“-Abhängigkeit?
Wie funktioniert diese Gefährdung?
Viele Menschen glauben, nur besonders labile oder unreife Personen seien für „Sekten“ anfällig. Dass es auch völlig unauffällige Menschen „erwischt“, kann mit unterschiedlichen persönlichen Gründen zu tun haben.
Die äußerlich kaum erkennbaren Motive, die “für Sekten anfällig“ machen können, sind vor allem die Suche nach Einbindung und Zugehörigkeit, die Suche nach Halt und Klarheit, der Wunsch nach persönlicher Aufwertung, Selbsterweiterung oder Einzigartigkeit sowie die Suche nach dem Neuem.
In plötzlichen Krisensituationen können diese persönlichen Gründe verstärkt zur Geltung kommen oder überhaupt erstmals in Erscheinung treten.
Wissenschaftliche Untersuchungen haben in den letzten Jahren herausgefunden, dass es im Falle eines Beitritts oder einer Mitgliedschaft bei einer so genannten „Sekte oder Psychogruppe“ darum geht, dass die genannten Bedürfnisse, Probleme und Ängste dieser Menschen (vielleicht auch nur vermeintlich) mit dem Angebot einer bestimmten Gemeinschaft „zusammenpassen“. Sie glauben, dass sie dort ihren Meister oder Lehrer gefunden haben, oder dass sie dort – vielleicht zum ersten Mal – eine Art wirkliche Familie erleben, oder dass dort alle ihre Fragen und Hoffnungen beantwortet und erfüllt werden. In vielen Fällen kommt es offensichtlich auch zu einem für die Beteiligten befriedigenden Zusammenspiel, ob das nun von Außenstehenden als „vernünftig“ angesehen wird oder nicht.
Eine Hauptgefahr bei wirklich problematischen „Sekten“,„Psychogruppen“ und ähnlichen Anbietern besteht darin, dass die besonderen Bedürfnisse und Ängste von Menschen zu Anwerbe- und Ausbeutungszwecken missbraucht werden.
Hier sind vor allem die Vorgehensweisen der verschiedenen „Verführer“ zu kritisieren, wie auf die Seele Einzelner oder auf die zwischenmenschlichen Beziehungen der Anhänger Einfluss genommen wird, ohne dass diese selbst das mitbekommen. Um die Selbstbestimmung der Menschen zu umgehen, werden durch solche psychisch manipulierenden, wirksamen Überzeugungstechniken und durch Strategien der Bewusstseinskontrolle das Selbstbewusstsein, der „Durchblick“ und der eigene Willen weitgehend außer Kraft gesetzt.
Es gibt sehr vielschichtige Vorgehensweisen, wie der Einzelne gewonnen, abhängig gemacht und fanatisiert werden kann. Wie dies im einzelnen persönlichen Fall und hinsichtlich der jeweiligen Gruppierung „funktioniert“, ist nur aufgrund genauer Informationen über die jeweilige Gruppe und im Zusammenhang mit der Vorgeschichte und Situation beim (neuen) Mitglied zu klären.
Wie kann ich dem späteren Beitritt meines Kindes zu einer problematischen Gemeinschaft vorbeugen?
Wie bewahre ich mein Kind vor dem Einfluss fragwürdiger Scharlatane?
Einerseits sollten Sie Ihr Kind darauf vorbereiten, dass es im Leben den unterschiedlichsten religiösen, weltanschaulichen, ideologischen, therapeutischen und ähnlichen Angeboten begegnen wird. Der spätere Umgang damit wird von den bis dahin gemachten einschlägigen Erfahrungen Ihres Kindes abhängen. Das heißt: Davon, ob Ihr Kind zwischen Schein und Wirklichkeit zu unterscheiden gelernt hat, ob es ein sicheres Urteil hinsichtlich vager Behauptungen und schön klingender Versprechungen fällen kann.
Andererseits handelt es sich bei „Bekehrungen“ und Bindungen an ungewöhnliche Gruppen und Lehren um zutiefst gefühlsmäßige Vorgänge. Ein vielleicht vorhandenes theoretisches Wissen über mögliche Gefahren bleibt im entscheidenden Moment unter Umständen unwirksam.
Deshalb ist es der beste Schutz gegen zweifelhafte „Sekten“-Angebote, wenn Ihr Kind eine gefestigte Persönlichkeit entwickeln konnte. Dazu können Sie beitragen, wenn Sie Ihrem Kind eine familiäre Umgebung bieten, in der es verlässliche Bezugspersonen erlebt, die ihm Selbstvertrauen und Vertrauen in seine Möglichkeiten vermitteln. Die ihm zeigen, wie es sein Leben selbst in die Hand nehmen und die eigene Zukunft mitgestalten kann. Wenn Ihr Kind gelernt hat, selbstbestimmt zu leben und die Verantwortung dafür zu übernehmen, wird es Versuchen widerstehen können, es zu vereinnahmen und ihm sein Selbstbestimmungsrecht zu nehmen.
Nehmen Sie sich Zeit für Gespräche mit Ihrem Kind, setzen Sie sich mit ihm über Weltbilder, religiöse Vorstellungen, gesellschaftliche Werte und Normen auseinander. Geben Sie Ihrem Kind Orientierungen, die seinem Leben Sinn geben.
Wenn Ihr Kind dadurch klare eigene Vorstellungen und Ziele für sich und sein Leben festlegen kann, eine positive Einstellung zu sich und seinem sozialen Umfeld gewinnt und es zu einer selbstsicheren Persönlichkeit reifen kann, ist die Gefahr, dass es anderweitig Halt sucht oder sich gar zugunsten einer dubiosen Erlösergestalt selbst aufgibt, viel geringer.
Quelle
Bayerisches Landesjugendamt, Eltern im Netz
Erstellt am 25. August 2008, zuletzt geändert am 12. September 2013