Teenager – Umbruch, Krisen und Suche nach Sinn

Wilhelm Faix
Wfaix

Die Pubertät ist eine Herausforderung für Eltern und Kind. Aus dem „lieben“ Kind wird ein „rebellisches Wesen“, das Eltern oft zur Verzweiflung bringt. Wie soll man damit umgehen?

In diesem Beitrag erhalten Sie Grundinformationen über die Entwicklung Ihres erwachsenwerdenden Kindes. Die fachlichen Erkenntnisse sollen Ihnen helfen, Ihr Kind zu verstehen und die praktischen Hinweise wie Sie das Miteinander gestalten können.

Das Teenageralter ist eine Zeit des Umbruchs auf allen Gebieten des Lebens: körperlich, seelisch, geistig, sozial und religiös. Es ist darum nicht verwunderlich, wenn es zu Krisen kommt. Liebe und Festigkeit der Eltern sind in dieser Zeit besonders gefragt. Ihr Gesamtverhalten und ihre gelebte Werteeinstellung bieten dem “rebellierenden” Kind weiterhin Orientierung, Halt und Geborgenheit. Es ist darum weiterhin von großer Bedeutung auf das gemeinsame Familienleben zu achten und sich um offene und ehrliche Gespräche zu bemühen in denen Probleme besprochen und nach gemeinsamen Lösungen gesucht werden kann. Gerade für Eltern ist es enorm wichtig ihrem Kind zuzuhören ohne gleich das Gesagt zu bewerten oder gar auszurasten, wenn sie Wiederspruch erfahren. Eine vernünftige Streitkultur ist für das Miteinander in dieser Phase von besonderer Bedeutung. Wo gestritten wird, gibt es Verletzungen, darum gehört Vergeben (Bitte entschuldige!) und Versöhnen (Es ist wieder alles in Ordnung!) zum festen Bestandteil des Familienlebens.

Was kennzeichnet das Teenageralter?

Im Teenageralter kommen Mädchen und Jungen in entwicklungsbedingte Veränderungen, die es zu bewältigen gilt. Viele Chancen und Möglichkeiten werden eröffnet, aber auch Belastungen und Überforderungen bringt diese Zeit mit sich. Darum ist diese Phase häufig auch mit psychischen Auffälligkeiten und Störungen verbunden. (Lohaus; Vielhaus, 22013)

Es handelt sich dabei um eine gewaltige Umbruchphase im Leben des jungen Menschen. Wie dieser Umbruch bewältigt wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab: der Persönlichkeitsstruktur des Teenagers, dem Erziehungsstil der Eltern und den Umweltbedingungen. Eltern fällt es in der Regel schwer, die Veränderungen ihres Kindes zu verstehen. Das gleiche gilt für das heranwachsende Kind. Es hat das Gefühl: Meine Eltern verstehen mich nicht. So schreibt die 14-jährige Hannah: “Man (Eltern) beschäftigt sich nicht mehr mit den wahren Problemen der Kinder, sondern schiebt fadenscheinige Gründe vor: ´Du hockst zu viel vorm Computer!´, ’Du hast bloß Liebeskummer!’, ’Wenn du nichts zu tun hast, dann hilf mir!’. In den elterlichen Gehirnwindungen scheint die Tatsache, dass Nichtstun, Einsamkeit und Rumhängen fester Bestandteil besonders des jugendlichen Alltags sind, einfach keinen Platz zu finden. In Wahrheit brauchen wir nur jemanden, der zuhört” (family, 2004). Neurologen haben inzwischen herausgefunden, dass in der Pubertät eine tiefgreifende Umgestaltung des Gehirns sattfindet. Hirnforscher sprechen von einem „pubertierenden Gehirn“. Sie wollen damit sagen, dass das Gehirn sich in einem Umbau befindet. Das Gehirn wird neu organisiert. Ungenutzte Synapsen (Kontaktzellen zwischen den Nervenzellen) werden ausgeschieden, genutzte bilden sich aus. Es ist also nicht gleichgültig, was die Jugendlichen machen und welche Erfahrungen sie sammeln. In der Pubertät geraten die Hirnregionen (z.B. Planung, Denken, Fühlen, Verstehen etc.) aus dem Gleichgewicht. Die Folge ist, dass Planlosigkeit und Gefühlsaubrüche von den Teenies nicht kontrollierbar sind (Crone, 2011). Die Vernetzung der Hirnregionen muss sich erst bilden. Je nachdem wie das Gehirn benutzt wird, bilden sich die neuronalen Muster. Weder eine Kuschelpädagogik (alles wird zugelassen und entschuldigt) noch eine Belehrungspädagogik (ständige Ermahnungen) sind hilfreich, sondern das Fördern der eignen Aktivität und Begeisterung des jungen Menschen, damit sich ein positives emotionales, soziales und kognitives Netzwerk bilden kann. (Hüther, 2011) Die Geschlechtsreife bringt auch eine hormonelle (Östrogen, Testosteron, Hypophyse) Veränderung des Körpers mit sich, die sich auf den psychisch-emotionalen Bereich auswirkt.

Damit wird vieles verständlicher, aber auch normaler, was das Verhalten von Teenagern angeht.

Chancen: Sehen Sie die Veränderungen Ihres erwachsenwerdenden Kindes positiv. Nehmen Sie die damit verbunden Herausforderungen als Chance wahr. Stellen Sie sich darauf ein, dass es Konflikte geben wird. Suchen Sie nach Möglichkeiten und Wegen diese Zeit möglichst kreativ zu gestalten. Versuchen Sie ihr Kind für etwas zu begeistern und fördern Sie diese Begeisterung.

Was sind die Kennzeichen des Teenageralters und worauf sollten Eltern achten, um den Umbruch- und Reifeprozess besser verstehen zu können?

Veränderungen im körperlich-seelischen Bereich

Mit dem Beginn der Pubertät kommt es zu einer gesteigerten Selbstwahrnehmung. Das körperliche Aussehen wird penibel beobachtet und jeder Pickel und jede Pustel wird registriert. Bad, Spiegel und Dusche werden stundenlang beschlagnahmt, zum Ärger der anderen Familienmitglieder. Eine besonders wichtige Rolle spielt die Figur. Werbung und Umwelt üben einen nicht zu unterschätzenden Druck auf die heranwachsenden Kinder aus, was das körperliche Aussehen angeht. Die körperlichen Maße berühmter Models bestimmen weithin das Idealbild der heranwachsenden Mädchen. Dazu kommen oft unbedachte Bemerkungen von Eltern: “Iss nicht so viel, sonst wirst du zu dick. ”Dadurch kann die Weiche für falsches Essverhalten mit späteren Essstörungen gelegt werden, die wiederum der Grundstein für seelische Erkrankungen im Erwachsenenalter sind. Wie eine EU-Studie an “rund 4400 Schülerinnen in Westeuropa zeigt, haben fast 50 Prozent der befragten Mädchen zwischen 11 und 13 Jahren bereits eine Diät gemacht.” (Krumpholz-Reichel, 2004, S. 62) Ferner zeigte diese Studie, dass 40 Prozent der befragten Schülerinnen mit ihrer Figur unzufrieden waren und 28,5 Prozent waren in ihrem Essverhalten gestört. (Zu ähnlichen Ergebnissen kommt der Kinder- und Jugendgesundheitssurvey 2007). Das muss Eltern hellhörig machen. Eltern sollten ihrem Kind ein gesundes Selbstwertgefühl vermitteln, das sich nicht am schönen attraktiven Körper der Medien- und Werbewelt misst, sondern an der Person des Kindes selbst.

Beim Jungen zeigt sich die körperliche Veränderung vor allem im Kräftezuwachs. Diese aufbrechenden körperlichen Kräfte suchen nach Betätigung. Wohnverhältnisse, Freizeitgestaltung und Schulalltag bieten dafür kaum genügend Raum. Die Folgen sind oft aggressives und rohes Verhalten. Diese aufbrechenden Energien beim Jungen brauchen Kanäle in die sie hineinfließen und geformt werden können. Neben Sport bieten vor allem Jugendgruppen (z. B. in Kirchgemeinden) ein Betätigungsfeld, das dem jungen “Mann” hilft, mit seinen Kräften umzugehen. Der Vater ist in diesem Alter besonders gefragt. (siehe W. Faix 2003) Kräftemessen ist angesagt oder Unternehmungen wie Bergsteigen, Kanu fahren u. ä. Bewährt haben sich auch Vater-Sohn-Wochenenden (Bäuerle, 2013).

Da die körperliche Reife immer früher einsetzt (bei Mädchen mit 11,5 Jahren, bei Jungen mit 12,5 Jahre, vgl. Hurrelmann; Quenzel, 2012), kommt es zum Auseinanderklaffen von körperlicher und seelischer Entwicklung, die den jungen Menschen in erhebliche Probleme bringen kann. Eltern und Erwachsene gehen von der körperlichen Erscheinung aus und überfordern den Heranwachsenden. Sie erwarten Verhaltensweisen denen er noch nicht gewachsen ist.

Hinzu kommt die aufbrechende Sexualität, die ein kompliziertes Zusammenspiel zwischen der körperlich-biologischen (vor allem hormonellen) Entwicklung, emotionaler und kognitiver Voraussetzungen und verschiedener psychosozialer Bedingungen ist. Die Sexualisierung des gesellschaftlichen Lebens macht es dem jungen Menschen nicht leicht, im Spannungsfeld der unterschiedlichen Einstellungen seine eigene sexuelle Orientierung zu finden. Dabei spielt die ethische Einstellung der Eltern eine entscheidende Rolle wie Sie mit Sexualität umgehen und bewerten. Das Eingehen von frühen Freundschaften und sexuellen Beziehungen hängt weithin mit fehlender Liebe, Geborgenheit und Nähe in der Eltern-Kind-Beziehung zusammen. Der junge Mensch versucht über die Freundschaft sein Selbstwertgefühl zu verbessern. Doch Studien haben ergeben, dass Jugendliche, die keine Freundschaften eingehen, den höchsten Gewinn an Selbstwertgefühl verzeichnen. Das Durchstehen von Liebeskummer lohnt sich, weil damit ein psychischer Reifungsprozess verbunden ist.

In dieser Zeit kommt es auch häufig zur Schulkrise verbunden mit Ängsten (Versagensängste, Leistungsängste, Prüfungsängste etc.). Es kommt zum Absinken der schulischen Leistungen. Das Notentief ist darum eine durchaus normale Situation in diesem Alter (etwa zwischen 12 und 15 Jahren). Die Ursachen dafür sind vielschichtig. Die häufigste aber ist, dass der betreffende Teenie nicht mit der Spannung Eltern – Geschwister – Schule zurechtkommt. Die familiäre Situation (wie z. B. Desinteresse der Eltern, Eheprobleme der Eltern, Disziplinprobleme der Eltern, fehlender Vater, Trennung und Scheidung), die Geschwisterkonstellation und die schulische Belastung (die in dieser Zeit am höchsten ist, Flammer/Alsaker, 2002) spielen dabei eine wesentliche Rolle.

Da ist Timm, sein Vater ist beruflich viel unterwegs, seine beiden älteren Geschwister lernen leicht und brauchen deshalb für die Schule wenig zu tun. Timm macht kaum noch Schularbeiten und verweigert in der Schule seine Mitarbeit. Die Mutter versucht den Rückzug von Timm dadurch auszugleichen, dass sie sich um alles kümmert, was Timm vernachlässigt, aber die Situation verschlechtert sich. Erst als eine Schulpsychologin hinzugezogen wird und die Mutter den Sohn nicht mehr “bemuttert”, sondern in die eigene Verantwortung stellt, verändert sich langsam Timms Verhalten. Wir haben es hier mit typischen Verhaltensweisen in einer Krisensituation zu tun. Timm reagiert mit Passivität und Rückzug, eine andere häufige Reaktion ist Aggressivität und Ausbruch.

Chancen: Teenager brauchen viel Lob und Bestätigung, darum ist es wichtig, das Sie sich Zeit für sie nehmen, sich für ihre Interessen und Hobbys interessieren, ihnen zuhören, nach Gemeinsamkeiten (z. B. Mahlzeit, Unternehmungen) suchen, mit ihnen über Alltagsprobleme sprechen (auch eigene und familiäre), ihre Gefühlsschwankungen ernst nehmen, ihre Fähigkeiten fördern und in Anspruch nehmen (z. B. PC-Kenntnisse) etc.

Veränderungen im sozialen Bereich

Der Umbruch im sozialen Bereich ist durch zwei Merkmale gekennzeichnet: die Suche nach Selbständigkeit und die Gleichaltrigengruppe (Peers). Dabei gerät der junge Mensch in eine Spannung, die nicht leicht zu lösen ist: Die Suche eines Weges zwischen Individuation und Gemeinschaft. In der Individuation geht es vornehmlich um die Reifung zum Ich und das Wahrnehmen von Verantwortung. Da das Ich nur über das Du reifen kann, braucht der junge Mensch die Gemeinschaft als Gegenüber mit Vorgaben und Regeln, an denen er wachsen und sich reiben kann. Damit stehen Teenies vor einer schwierigen Aufgabe. Eine pluralistische Gesellschaft bietet keine einheitlichen Vorgaben, es muss aus der Vielfalt des Angebots ausgewählt werden. Dazu braucht der junge Mensch ein Umfeld, das ihm dabei hilft. Dieses Umfeld sucht er sich in der Regel in der Gleichaltrigengruppe (Peers). Der Anschluss an eine solche Gruppe oder Clique ist darum für die soziale Entwicklung von größter Bedeutung. Dabei ist es nicht gleichgültig, zu welcher Gruppe er sich hält. Einen negativen Einfluss üben solche Gruppen aus, die ein starkes Eigenleben entwickeln und weltanschaulich gebunden sind (z. B. Rechtsradikale) oder ein eigenes Normengefüge aufbauen und Werteverständnis entwickeln (z. B. Drogenszene, Rockergruppen) oder einen starken Konformitätsdruck ausüben (Gruppendruck bis Gruppenzwang).

Die Aufgabe der Eltern und Erwachsenen besteht darin, eine Balance zwischen Familie und Gleichaltrigen herzustellen, das Miteinander in zumutbarer Eingrenzung zu halten und Raum für eigenständiges Handeln abzustecken. Dabei nehmen die Eltern eine unterstützende, fördernde und gleichzeitig korrigierende Haltung (bei Fehlentwicklungen) ein. (Hamann, 2000)

Der Wert der Gleichaltrigengruppe:

  1. Sie kann zur Orientierung und Stabilisierung der Persönlichkeitsentwicklung beitragen und emotionale Geborgenheit gewähren, die der junge Mensch in dieser Zeit so nötig braucht.
  2. Sie bietet sozialen Freiraum für die Erprobung neuer Möglichkeiten im Sozialverhalten und lässt Formen von Aktivitäten zu, die außerhalb der Gruppe nicht möglich sind oder nicht wahrgenommen werden.
  3. Sie hat eine wichtige Funktion in der Ablösung von den Eltern. Sie bietet durch die Gruppe der Gleichgesinnten Unterstützung in diesem Ablösungsprozess bei allem Auf und Ab im Leben. Gleichzeitig relativiert die Gruppe den eigenen Standpunkt in der Beurteilung der Auseinandersetzung mit den Eltern.
  4. Sie trägt entscheidend mit zur Identitätsfindung bei, in dem sie über die Gruppe Identifikationsmöglichkeiten anbietet, einen authentischen Lebensstil mit aufbauen hilft und Bestätigung für die Gestaltung des Glaubens bietet.

“In der Zeit der Pubertät als einer Übergangszeit bedarf es nicht nur der Gleichaltrigengruppe, sondern auch der älteren Freunde und ´Neben-‚ oder Wahleltern´.” (Klosinski, 2004, S. 72) Dies können verschiedene Personen sein: die Großmutter, der Großvater, ein/e LehrerIn, ein Onkel, eine Tante, der/die JugendgruppenleiterIn, Trainer u. a. Teenies brauchen einen “Mentor”, da gesellschaftlich verankerte Traditionen kaum noch vorhanden sind. “Eine Mentoringbeziehung kann unbewusst ablaufen, aber sie kann auch ganz bewusst eingegangen werden, um sich in verschiedenen Punkten weiterzuentwickeln.” (Faix, 2008, S. 14)

Chancen: Halten Sie Ausschau nach einer Sport- oder Jugendgruppe in die Ihr Kind gehen kann und in der es sich „wohl fühlt“ und gefördert wird sowie nach einer Mentorin oder einem Mentor. (Gibt es über Schulprojekte wie zum Beispiel)

Lernen Sie die Freunde ihres Kindes kennen, zeigen Sie Interesse an ihnen ohne sie einzuengen oder zu kontrollieren. Geben Sie der „Clique“ (Gruppe), wenn möglich einen Raum, in dem sie sich aufhalten kann: chillen, abhängen etc. Auf diese Weise haben Sie mehr Überblick was die jungen Leute beschäftigt und sie brauchen sich nicht in „unkontrollierte“ Außenräume zurückziehen.

 

Veränderungen im geistig-religiösen Bereich

Die geistige (kognitive) Entwicklung verläuft wie die körperliche, psychische und soziale in Prozessen ab. Die Kapazität des Kurzzeit- wie des Langzeitgedächtnisses vergrößert sich und die erfassten Inhalte werden anders verarbeitet als im Kindesalter. Der Schweizer Psychologe Piaget nannte diese Phase der kognitiven Entwicklung formal-operatorisch (strukturgenetisches Modell), was soviel heißt wie: Der junge Mensch fängt jetzt an, formale Denkoperationen durchzuführen und wendet diese zu Lösungen bei Einzelproblemen wie bei komplexen Sachverhalten an. Dieser Fortschritt im Denkvermögen beinhaltet die Fähigkeit zum systematischen und logischen Denken, zu abstrahieren, zu kombinieren und alternative Lösungen für ein Problem zu überlegen sowie hypothetisch zu denken, d. h. theoretische Möglichkeiten anzunehmen und zu behaupten, die nicht an die Realität gebunden sind. (Fend, 2000)

Dieser Umbruch im Denken, verbunden mit der Ablösung von den Eltern, hat zur Folge, dass die bisherigen Normen, Werte und Regeln in Frage gestellt werden. Aber nicht nur das bisherige wird in Frage gestellt, sondern der junge Mensch stellt sich auch selbst in Frage. Die häufigsten Fragen, die sich Teenies stellen, lauten:

  • Wer bin ich?
  • Wie möchte ich sein?
  • Für wen halten mich die andern?

Es ist die Frage nach der eigenen Identität. Die Identitätsfindung in einer offenen Gesellschaft ist schwieriger geworden als in früherer Zeit (geschlossene Gesellschaft). Mit der Deinstitutionalisierung der Lebensläufe und Enttraditionalisierung des gesellschaftlichen Lebens wird der junge Mensch immer mehr auf sich selbst geworfen. Bleibt der junge Mensch auf sich selbst gestellt, besteht die Gefahr, dass er ein negatives Selbstwertgefühl entwickelt mit unterschiedlichen Verhaltensproblemen (z.B. depressives oder aggressives Verhalten, anhaltende Schulprobleme, Alkohol- und Drogenmissbrauch). Definieren wir Identität mit E. H. Erikson als Übereinstimmung von Selbstbild (wie ich mich sehe) und Fremdbild (wie andere mich sehen), dann wird verständlich, warum sich der junge Mensch in der gegenwärtigen Gesellschaft schwer tut, eine eigene Identität zu finden. Die Diskrepanz zwischen Selbstbild und Fremdbild vergrößert sich zunehmend. Da Identitätskrise und Sinnsuche unmittelbar zusammenhängen, ist die Beantwortung der Sinnfrage von weit reichender Bedeutung. Die Sinnfrage aber wird weltanschaulich oder religiös beantwortet. Das Angebot ist vielfältig, besonders auf dem religiösen Gebiet. Die Beantwortung der Sinnfrage ist darum in diesem Alter nicht unwichtig. Es ist “vor allem die religiöse Überzeugung der Eltern”, die den Glauben der Teenies prägt. (Fend 2000, S. 386; W. Faix 2000). Teenies suchen einen persönlichen Glauben und keine kirchliche Institution, in der Glaube verwaltet wird. “Der Wunsch, eine persönliche Beziehung zu Gott zu erfahren, Gott zu erleben, ihn zu spüren, ist bei Jugendlichen häufig vorhanden.” (Klosinski, 2004, S. 109; Shell Jugendstudie 2010, S. 204 – 207; Busemann; Faix; Gütlich (Hg.), 2013) Spiritualität und Religion sind Ressourcen, die dem jungen Menschen helfen einen positiven Entwicklungsverlauf zu nehmen. (Silbereisen; Weichold, 2012, S. 256f.)

Chancen: Sprechen Sie offen mit Ihrem Teenie über weltanschauliche und religiöse Fragen und diskutieren Sie mi ihm darüber. Unterstützen Sie ihn, in der Sinnfrage des Lebens eigene Antworten zu finden. Väter sind hier besonders gefragt, weil sie eine andere Art haben, solche Fragen zu diskutieren. Was die Glaubensfrage angeht, sind Jugendgruppen der verschiedenen Konfessionen eine bewährte Hilfe.

Veränderungen in der Eltern-Kind-Beziehung

Im Teenageralter verändert sich auch das Miteinander in der Eltern-Kind-Beziehung. Der junge Mensch löst sich immer mehr aus den familiären Bindungen und sucht eigene und selbständige Kontakte außerhalb der Familie. Für manche Eltern ist das ein schmerzhafter Prozess, der zu Konflikten führt, weil der junge Mensch nicht mehr am gewohnten Familienleben teilnimmt. Eltern reagieren unterschiedlich auf diesen Ablösungsprozess. Die einen versuchen das Kind festzuhalten, die andern geben das Kind frei und kümmern sich nicht mehr darum, was es macht und wohin es geht. Beide Haltungen haben negative Auswirkungen auf den Entwicklungsprozess. Besser ist es, wenn Eltern weiterhin Bezugsperson und Autorität bleiben (was die Teenies auch wollen), auch wenn sie nicht mehr die einzigen Ansprechpartner sind, wenn es um Lebensorientierung, Berufswahl, Freundeswahl, Freizeitgestaltung, Kleidung, Frisur, Musikgeschmack, Bücherwahl, Freundeswahl, Zimmergestaltung u. a. m. geht.

Das Erziehungsverhalten der Eltern muss sich ändern, weil das heranwachsende Kind nach mehr Autonomie strebt. Eltern sollten diese Streben unterstützen ohne die „elterliche Kontrolle“ zu verlieren. (Lohaus; Vierhaus, 2012, S. 205) Eltern, denen es gelingt eine unterstützend-kontrollierende Haltung einzunehmen, können damit rechnen, dass sich ihr positives Eltern-Kind-Verhältnis fortsetzt und der Heranwachsende diese Beziehung als Hilfe und Orientierung erlebt. Diese Teenies brauchen darum auch nicht den “riskanten” Weg einer Durchsetzungsstrategie zu wählen, um sich von den Eltern abzulösen. Bei einem positiv verlaufenden Eltern-Kind-Verhältnis bleiben die Eltern in vielen Lebensfragen noch lange Zeit die wichtigsten Bezugspersonen wie z.B. in ethischen Entscheidungen und religiöser Einstellung. (Flammer, A./Alsaker, F. D., 2002) Die Qualität des Familienklimas ist entscheidend für einen positiven Verlauf der Ablösung von den Eltern.

Der junge Mensch sucht und braucht stabile Bindungen, die verlässlich sind. Die Kunst der Eltern besteht darin, ihm das Gefühl zu vermitteln, dann verfügbar zu sein, wenn er die Eltern braucht. Das bedeutet, dass die Eltern eine hohe Sensibilität entwickeln müssen, um zu erkennen, wann das Kind ein Gespräch wünscht, emotionale Zuwendung sucht und Körperkontakt braucht. Eltern und Erwachsenen fällt es oft schwer, diesen „kratzbürstigen Wesen“ emotionale Zuwendung zu geben. Fehlt emotionale Unterstützung, kommt es leicht zu emotionalen Störungen (z.B. Ängstlichkeit, Schüchternheit, Minderwertigkeitsgefühlen, Depression) oder antisozialem Verhalten (z.B. Aggression, Lügen, Stehlen, Ungehorsam, Gewalt). Eine feste, starke und vertrauensvolle Beziehung zu den Eltern bietet die beste Voraussetzung, dass der junge Mensch die Krisenzeit der Pubertät und Adoleszenz gut durchsteht.

Ehekrisen, Scheidungen und Ein-Eltern-Familie sind für Teenies eine besondere Herausforderung, da die primären Bezugspersonen verloren gehen. “Gerade bei Trennungs- und Scheidungsfamilien besteht bei den verbleibenden Mitgliedern jedoch ein übergroßes Bedürfnis nach Harmonie, sodass Ablösungsprobleme, die sich nicht unterdrücken lassen, unterschwellig bleiben müssen, keiner offenen Bearbeitung zugänglich sind und auf anderen ‚Kriegsschauplätzen’, d.h. extrafamilial, ausagiert werden, z.B. in der Schule.” (Klosinski, 2004, S. 78) In solchen Situationen gewinnen die oben erwähnten Mentoringbeziehungen (Großeltern, JugendleiterInnen, Mentor als ‚Neben-Eltern’) an Bedeutung.
Chancen:Lassen Sie Reibungspunkte und Interessenskonflikte im Familienleben zu und nutzen Sie diese um ins Gespräch zu kommen (z. B. Familienkonferenz) und nach Lösungen zu suchen.
Suchen Sie mit anderen Eltern den Austausch, die in ähnlicher Lage sind. Wenn Sie den Eindruck haben, dass Sie fachliche Rat brauchen, dann könne Sie sich diesen in Beratungsstellen oder ähnlichen Einrichtungen Rat holen.

Veränderungen in der Persönlichkeitsentwicklung

Die Persönlichkeitsentwicklung in dieser Zeit vollzieht sich zwischen Bindung und Trennung. Dieser Prozess führt notwendiger Weise zu Konflikten, die sich in besonderer Weise im Inneren des jungen Menschen abspielen und von den Eltern oder Erwachsenen oft gar nicht so wahrgenommen werden. Äußerlich vollzieht sich der Konflikt im Autonomieprozess mit den Eltern. Die Teenies widersetzen sich vehement den von den Eltern gesetzten Grenzen, fühlen sich aber vernachlässigt, wenn keine Grenzen mehr vorhanden sind. Dieser Konflikt mit den Eltern ist ein notwendiger Prozess in der Persönlichkeitsentwicklung. Eltern, die das nicht erkennen oder um jeden Preis die Harmonie suchen, tun dem Kind keinen guten Dienst. Im Gegenteil: dem Kind fehlt das Gegenüber, an dem es sich reiben und bilden kann. Der junge Mensch entwickelt sich mit Hilfe der innerfamiliären Konflikte zur Persönlichkeit. Konfliktbewältigung setzt ein offenes kommunikatives Verhalten der Eltern voraus, die mit ihren Kindern das Gespräch suchen und ihre Meinung artikulieren, begründen und belegen können, ohne dass sie die Meinung des Kindes verwerfen Nur so gewinnt der junge Mensch neben seiner “physischen Autonomie” auch die “soziale Autonomie” .

Mit der Ablösung von den Eltern gehen die Teenager in der Regel auch auf Gegenposition zu den Normen, Werten und moralischen Vorstellungen der Eltern. Das bedeutet aber nicht, dass sie sich grundsätzlich von den Wertvorstellungen der Eltern lösen. Werte und Moralvorstellungen, die von Kindheit an in der Familie gelebt wurden, werden verinnerlicht und tragen auch durch die Krisenzeit der Pubertät. Der Widerspruch zu den Eltern ist ein Zeichen der Ablösung. Nach innen richten sich die Teenager weiterhin an den Werten der Eltern aus, nach außen hingegen an der Peergroup. „Die Umgangsregeln dafür sollten eindeutig sein. Das eigene Vorbild, das soziale Modell des persönlichen Verhaltens (…), wirkt Wunder. Stimmt die Beziehung, dann ist die Chance hoch, eine gute Beziehung auch zu den schwächeren und unsicheren, im Kern aber durchaus leistungsbereiten Jugendlichen aufzubauen.“ (Hurrelmann, 2/2013, S. 47)

Einen starken Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung haben neben den Peers die Medien. Viele Jugendliche verfügen mittlerweile über eine technische Ausstattung von der die Eltern weit entfernt sind. Da die Medienlandschaft im stetigem Wandel ist, fällt es Eltern schwer zu wissen welche Medien ihr Kind wie beeinflusst. Viele Eltern haben es aufgegeben sich um den Mediengebrauch ihres Kindes zu kümmern oder ihn zu „kontrollieren“, was aber nicht zu empfehlen ist. Gerade in diesem Bereich müssen Eltern Verantwortung übernehmen und zeigen. (JIM-Studie 2012) Denn Medien bieten nicht nur Vorteile für Schule, Bildung, Kommunikation etc., sondern bergen auch Risiken (z.B. Computer-, Konsolen- und Onlinespiel mit Suchtgefahr). Medien gewinnen immer mehr Einfluss auf den Alltag von Jugendlichen und nehmen Einfluss auf die soziale, kulturelle und ökonomische Lebensgestaltung. Öffentlichkeit und Privatheit werden immer mehr verwischt (z.B. durch die Online-Communities). Wer nicht im medialen Netz eingebunden ist, kann auch nicht an der Kommunikation teilnehmen und wird leicht ausgegrenzt. (14. Kinder- und Jugendbericht 2013, S. 176ff.) Junge Menschen bewegen sich im virtuellen Netzwerk ganz selbstverständlich. Sie nutzen die Chancen, die damit verbunden sind, können aber die Risiken und Gefahren kaum abschätzen. Darum bedarf es der „Kontrolle“ der Eltern sowie das offen Gespräch über Vorteile und Nachteile der Mediennutzung.
Chancen:Bemühen Sie sich um Medienkompetenz, wenden Sie sich an Fachleute oder nehmen Sie Tipps von Freunden, Bekannten und Beratungsstellen an. Scheuen Sie sich nicht davor medienpädagogische Hilfen in Anspruch zu nehmen, damit sie befähigt werden im Dschungel der Medienwelt einen vernünftigen Weg im Miteinander mit ihrem heranwachsenden Kind zu finden. Konflikte werden dabei kaum zu vermeiden sein. Hilfen finden Sie z.B. bei hier.


Einige praktische Tipps

  1. Haben Sie Geduld mit Ihrem pubertierenden Kind. Nehmen Sie sein Gehabe nicht persönlich und reagieren Sie nicht verletzt und beleidigt. Versuchen Sie die Situation zu verstehen. Sagen Sie Ihrem Kind wo Sie sich persönlich angegriffen und missverstanden fühlen, aber schlagen Sie nicht mit verletzenden Worten zurück.
  2. Liebe ist die einzige Sprache die auch Teenager verstehen. Liebe zeigt sich im Zuhören, Zeit nehmen und Zuwendung. Das ist nicht immer einfach und für Eltern eine ziemliche Herausforderung, aber Ihr Kind wird diese Sprache verstehen und zu schätzen wissen. Liebe, Zeit und Zuwendung geben Ihrem Kind das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit.
  3. Absprachen (Regeln) und Konsequenzen gehören durchaus noch zum Miteinander im Teenageralter. Dabei gilt es darauf zu achten, dass die Regeln nicht starr und uneinsichtig gehandhabt werden. Mit zunehmendem Alter verändern sich auch die Regeln und das Aushandeln gehört mit dazu ohne das die Eltern die Verantwortung aus der Hand geben. Bei Interessenkonflikten gilt es einen Kompromiss zu finden, der für alle Beteiligten annehmbar ist. Als Eltern (oder Eineltern) sollten Sie darauf bedacht sein, die Eigenverantwortung des Kindes zu fördern, dabei aber ein kontrollierend-stützendes Verhalten einnehmen.
  4. In Konflikten und Streitereien fallen oftmals böse Worte, die verletzen und das Klima verderben. Ist der Ärger verraucht, sollten Sie als Mutter und Vater wieder das Gespräch suchen und Vergebung und Versöhnung anstreben. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass nicht jeder Teenager gleich bereit zur Versöhnung ist. Das hängt vom Persönlichkeitstyp ab. Geben Sie sich gegenseitig Zeit den Groll zu überwinden und dann wieder aufeinander zuzugehen und die Luft zu bereinigen.
  5. Vertrauen ist die beste Voraussetzung um Krisenzeiten durchzustehen. Vertrauen hat mit zutrauen zu tun. Wenn Sie etwas miteinander abgesprochen haben, dann vertrauen Sie Ihrem Kind, dass es sich auch daran hält. Das gibt Ihrem Teenager Sicherheit und Geborgenheit. Dadurch erfährt es Wertschätzung und Anerkennung. Ist das Vertrauensverhältnis gestört, kehrt Misstrauen ins Miteinander ein, was zu vermehrten Konflikten und Auseinandersetzungen führt. Versuchen Sie das Vertrauensverhältnis wieder herzustellen.

Literatur

  • Bäuerle, Siegfried (2013). Söhne brauchen Väter, Karlsbad: LaHoe.
  • Busemann, Udo/Faix, Tobias/Gütlich, Silke (Hg.) (2013). Wenn Jugendliche über glauben reden, Neukirchen: Aussaat.
  • BMFSFJ (2013). 14. Kinder- und Jugendbericht.
  • Crone, Eveline (2011). Das pubertierende Gehirn, München: Droemer.
  • Faix, Wilhelm (22006). Baustelle Pubertät. Holzgerlingen: Hänssler.
  • Faix, Wilhelm (2003). Wie viel Vater braucht ein Kind? Holzgerlingen: Hänssler.
  • Faix, Wilhelm (2000). Die christliche Familie heute. Ergebnisse einer Umfrage. Bonn: Kultur und Wissenschaft.
  • Faix, Wilhelm;/Rühle, Angelika (Hg.) (2006). Baustelle Patchworkfamilie, Holzgerlingen: Hänssler.
  • Faix, Wilhelm/Palmer, Ulrike (Hg.) (2008). Erziehung von Abenteuer bis Zuwendung, Holzgerlingen: Hänssler.
  • Faix, Tobias (42008). Mentoring, Neukirchen-Vluyn: Aussaat.
  • family (2004). Eltern können ihre Kinder nicht verstehen, Heft 4
  • Fend, Helmut (32003). Entwicklungspsychologie des Jugendalters. Opladen: Leske+Budrich.
  • Flammer, A./Alsaker, F. D. (2002). Entwicklungspsychologie der Adoleszenz. Göttingen: Huber.
  • Hurrelmann, Klaus; Quenzel, Gudrun (112012). Lebensphase Jugend, Weinheim: Beltz Juventa.
  • Hurrelmann, Klaus (2/2013), Jugend und Werte, Pädagogik, 65. Jg.
  • Hüther, Gerald (2011). Vortragsmanuskript 04. 12. 2011, SWR2.
  • Hamann, Bruno (2000), Familie und Familienerziehung in Deutschland, Donauwörth: Auer.
  • Krumpholz-Reichel, Anja (2004): “Du hungerst dich noch zu Tode, Kind!”, Psychologie Heute, 31. Jg., Heft 7, S. 62-69.
  • JIM-Studie 2012
  • Lohaus; Vierhaus (22013). Entwicklungspsychologie des Kindes- und Jugendalters, Weinheim: Beltz.
  • Silbereisen, Rainer K.; Weichold, Karin (72012). Jugend (12–19 Jahre), in: Schneider/Lindenberger, Entwicklungspsychologie, Weinheim: Beltz.

Autor

Wilhelm Faix ist Dozent für Pädagogik und Psychologie am Theologischen Seminar Adelshofen. Verschiedenste Veröffentlichungen und umfangreiche Vortragstätigkeit.

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Erstellt am 17. September 2004, zuletzt geändert am 15. Juli 2013