Bettnässen

Gabriele Grünebaum
Gr _nebaum

Wir alle waren Bettnässer. Bei Neugeborenen, Säuglingen und kleinen Kindern ist es völlig normal, dass sie nachts ins Bett machen. Was aber ist passiert, wenn ein Kind mit sechs, sieben oder acht Jahren oder gar noch in der Pubertät nachts regelmäßig das Bett einnässt?

Ab wann wird das Bettnässen zum Problem und was können Eltern tun, wenn ihr Kind nachts nicht trocken wird?

Bettnässen – die Definition

Bis zum Alter von fünf Jahren gilt es als normal, wenn Kinder nachts hin und wieder das Bett einnässen. Die WHO, die Weltgesundheitsorganisation, definiert allerdings das Bettnässen als behandlungsbedüftige Erkrankung, wenn das Kind den fünften Geburtstag hinter sich hat und regelmäßig mindestens zweimal im Monat nachts unwillkürlich das Bett einnässt und organische Grunderkrankungen ausgeschlossen sind.

Der medizinische Fachbegriff hierfür lautet „Enuresis“ und beschreibt die nächtliche Inkontinenz, also das unwillkürliche Wasserlassen während des Schlafes.

Man unterscheidet zwischen der primären und der sekundären Enuresis. Nässt das Kind immer schon ein und war noch nie länger als sechs Monate trocken, so bezeichnet man das als primäre Enuresis.Als sekundäre Enuresis bezeichnet man es, wenn das Kind nach einer mindestens sechsmonatigen trockenen Phase wieder
einnässt. Die Ursachen der primären und der sekundären Enuresis sind meist verschieden.

Ursachen

Die Ursachen der Enuresis sind vielfältig und sie können sehr unterschiedlich sein.

Kein Erziehungsfehler!

Während man früher glaubte, dass Bettnässen das Resultat einer problematischen Familiensituation oder schlechten Erziehung sei, weiß man heute, dass das bei den allermeisten Kindern nicht zutrifft. Die primäre Enuresis, die häufigste Blasenentleerungsstörung beim Kind, hat in den allerseltensten Fällen psychische Ursachen – hingegen können seelische Störungen eher die Folge einer lang andauernden Nichtbehandlung sein.

Zu den möglichen Ursachen der primären Enuresis gehören:

  • Familiäre Veranlagung
    Die familiäre Komponente spielt bei der Enuresis eindeutig eine wichtige Rolle. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind von Enuresis betroffen ist, liegt bei 45%, wenn ein Elternteil betroffen war, und bei 77%, wenn beide Eltern selbst spät trocken geworden sind.
  • Reifeverzögerung
    Häufige Ursache ist eine Reifeverzögerung von Nervenstrukturen, die für die Blasententleerung wichtig sind. Dies geht einher mit einer Aufwachstörung des Kindes. Eltern haben dann häufig den Eindruck, ihr Kind schlafe extrem tief, und das Kind ist schlecht erweckbar.
  • Falsche Trinkgewohnheiten
    Wenn Kinder tagsüber zuwenig oder zuviel oder nicht über den Tag gleichmässig verteilt trinken, kann das zu Problemen mit der Blase und nächtlichem Einnässen führen.
  • Mangel eines für den Wasserhaushalt wichtigen Hormons (ADH)
    Nässt das Kind nachts größere Mengen ein, so kann das auf einen Mangel des Antidiuretischen Hormons hinweisen, welches die Aufgabe hat, die nächtliche Urinmenge zu reduzieren.
  • Geringe Blasenkapazität
    Auch eine zu geringe Blasenkapazität kann die Ursache für das nächtliche Einnässen sein.

Zu den möglichen Ursachen der sekundären Enuresis gehören:

  • Harnwegsinfekte, Diabetes o.ä.
  • Psychosoziale Faktoren wie z.B. familiäre oder schulische Belastungen und in sehr seltenen Fällen andere Erkrankungen.

Zahlen und Infos

Allein in Deutschland gibt es mehr als 640.000 Kinder über fünf Jahre, die nachts noch regelmäßig ihr Bett einnässen. Bettnässen ist nach Asthma die zweithäufigste chronische Erkrankung im Kindesalter.

Etwa 15% aller bettnässenden Kinder zwischen 5 und 15 Jahren werden jedes Jahr von allein trocken – das bedeutet aber auch, dass 85% dieser Kinder noch mindestens ein weiteres Jahr ihr Bett einnässen. Nur etwa 32% aller betroffenen Kinder werden überhaupt dem Arzt vorgestellt und erhalten eine angemessene Behandlung. Untersuchungen zeigen, dass 1-3% aller Jugendlicher und Erwachsener das Problem nie loswerden.

Viele Eltern berichten, dass ihre einnässenden Kinder besonders tief schlafen. Untersuchungen haben aber gezeigt, dass diese Kinder gar nicht tief schlafen, sondern eher eine Aufwachstörung haben.

Die Probleme steigen mit zunehmendem Alter

Je älter die betroffenen Kinder bzw. die Jugendlichen sind, die noch einnässen, umso schwerwiegender ist das Problem.

Zum einen weiß man heute, dass die Kinder, je älter sie sind, umso häufiger nachts einnässen: von den 5-jährigen nässen etwa 14% jeden Tag in der Woche ein, und 56% haben weniger als drei nasse Nächte in der Woche. Von den 19-jährigen sind es 49%, die täglich einnässen, und nur 10% von ihnen haben weniger als drei nasse Nächte pro Woche.

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Zum anderen weiß man auch, dass eine Behandlung der Kinder umso schwieriger wird, je älter sie sind.

Diagnostik

Die Weltgesundheitsorganisation definiert die Enuresis als behandlungsbedürftige Erkrankung bei Kindern ab dem vollendeten fünften Lebensjahr.

Wir wissen, dass die Therapie der Enuresis umso schwieriger wird, je länger die Erkrankung andauert, und wir wissen, dass es zahlreiche sinnvolle und erfolgreiche Therapien gibt. Daher ist es sinnvoll, dass Kinder, die mit fünf Jahren nachts noch regelmäßig einnässen, beim Kinderarzt vorstellig werden, damit frühzeitig über eine geeignete Therapie nachgedacht werden kann.

Der Arzt sollte bei diesen Kindern Infektionen, Fehlbildungen und andere organische Grunderkrankungen ausschließen und dann ggf. mit dem Kind und den Eltern besprechen, ob und welche Therapie und ab wann diese sinnvoll ist.

Wie sieht die Basisdiagnostik aus?

Eben weil die Ursachen und damit auch die Therapie der Enuresis so verschieden sein können, ist es notwendig, dass der Arzt eine sorgfältige Diagnostik durchführt. Dazu gehört:

  1. ein Anamnesegepräch, in dem u.a. abgefragt wird, seit wann das Kind einnässt, ob auch Tagesprobleme vorliegen, ob in der Familie jemand dasselbe Problem hat oder hatte;
  2. eine körperliche Untersuchung, um eine Fehlbildung oder neurologische Störung auszuschliessen;
  3. eine Ultraschalluntersuchung der vollen und der leeren Blase;
  4. eine Urinuntersuchung, um eine Infektion auszuschließen;
  5. die Auswertung eines Blasentagebuches, um den Ursachen der Enuresis näher zu kommen und ggf. ein Trinkfehlverhalten aufzuspüren.

Blasentagebuch

Das Blasentagebuch ist ein Protokoll, das für 3 bis 4 Tage (das können auch zwei Wochenenden sein) und für 14 (aufeinanderfolgende) Nächte geführt wird.

Hier wird vermerkt:

  • Wann steht das Kind morgens auf?
  • Wann geht das Kind zu Bett?
  • Wann geht das Kind zur Toilette?
  • Wann nässt das Kind ein?
  • Wieviel Urin lässt es?
  • Optimal ist es, relativ genau die Urinmengen zu ermitteln.
  • Wann, wieviel und was trinkt das Kind?
  • Besonderheiten wie Drangsymptome, Haltemanöver, Pressen oder stotternder Harnstrahl
  • Alle Informationen über die Darmentleerung
  • Wann hat das Kind Stuhlgang, ist dieser weich, hart, viel, wenig…

Weiterführende Untersuchungen sind nur sinnvoll, wenn bei dieser Basisuntersuchung irgendwelche Auffälligkeiten bemerkt werden.

Therapie

Falls zusätzlich zu einer monosymptomatischen Enuresis auch Tagessymptome auftreten wie z.B. Drangsymtome oder Inkontinenz, so sollten diese Symptome zuerst behandelt werden.

Liegt aber eine monosymptomatische primäre Enuresis vor, stehen je nach Ursache der Enuresis neben der Urotherapie laut den aktuellen internationalen Therapieleitlinien der European Association of Urology [EAU] und der European Society for Paediatric Urology [ESPU] die

  • medikamentöse Therapie und die
  • Alarmtherapie

zur Verfügung und eine Kombination aus diesen oben genannten.

Urotherapie

Die Urotherapie besteht aus verschiedenen verhaltenstherapeutischen Methoden zur Behandlung von Stuhl- und Harninkontinenz sowie zur Therapie der Enuresis, wenn diese ursächlich mit einem falschen Trink- und Toilettenverhalten einhergeht.

Den Kindern und den Eltern werden in einem Gespräch die Abläufe im Körper erläutert, wie, was, wann und wieviel getrunken werden sollte und auch, wie und wie häufig das Kind auf die Toilette gehen sollte. Außerdem wird die Bedeutung des Blasentagebuches erklärt und wie dieses richtig geführt werden kann.

Medikamentöse Behandlung

Liegt eine monosymtomatische primäre Enuresis vor, war das Kind also noch nie länger als sechs Monate trocken und liegen keine anderen Blasenerkrankungen oder Tagessymptome vor, und wenn das Kind nachts zuviel Urin ausscheidet, die Enuresis in der Familie gehäuft auftritt oder wenn keine weiteren Symptome gefunden werden, dann empfehlen die internationalen Therapieleitlinien die Therapie mit Desmopressin.

Der pharmakologische Wirkstoff Desmopressin ist dem körpereigenen Vasopressin nachgebildet. Vasopressin sorgt in der Niere dafür, dass wir nachts weniger Urin bilden.

Das Medikament wird als Tablette oder als Schmelztablette über den Zeitraum von etwa drei Monaten gegeben. Längerfristiges Ziel einer Desmopressintherapie ist es, die körpereigene Produktion des Vasopressins anzukurbeln.

Der Erfolg der Desmopressintherapie ist davon abhängig, ob und wie das Medikament ausgeschlichen wird. Nach einer dreimonatigen Einnahme beginnt man mit dem strukturierten Ausschleichen, indem die Einnahmeintervalle langsam verlängert werden. Nach diesem Einnahmeschema bleiben mehr als 84% Kinder langfristig trocken.

Da Desmopressin die Wasserausscheidung reduziert, darf nach der Einnahme des Medikamentes am Abend nichts mehr getrunken werden. Wenn sich das Kind nicht an die Flüssigkeitsrestriktion hält, besteht die Gefahr der Überwässerung.

Alarmtherapie

Das Prinzip der so genannten Alarmtherapie beruht auf einem lerntheoretischen Konzept, um eine Verhaltensänderung anzustreben.

Für die Alarmtherapie benötigt man ein Weckgerät, bestehend aus einem Feuchtigkeitssensor, der in einer Unterhose, Windeleinlage oder Matratzenauflage befestigt ist und beim ersten Tropfen Urin einen Alarm auslöst. Durch diesen Alarm soll das Kind geweckt und der Miktionsreflex unterbrochen werden. Die restliche Blasenentleerung soll dann auf der Toilette stattfinden.

Für eine Alarmtherapie ist in hohem Maße die Compliance von Kind und Eltern notwendig. Viele Kindern wachen von dem Alarm nicht von allein auf. Sie müssen dann sofort, nachdem der Alarm ertönt, von den Eltern vollständig geweckt und zur Toilette begleitet werden. Die Alarmtherapie hat, wenn sie richtig eingesetzt und von der Familie richtig angewendet wird, Erfolgsraten von 40 bis 80%.

Eine Alarmtherapie ist nicht sinnvoll, wenn die nächtliche Ausscheidungsmenge des Kindes die Blasenkapazität überschreitet.

Zusammenfassung

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass viel mehr auch ältere Kinder vom Bettnässen betroffen sind, als die meisten Menschen glauben. In den seltensten Fällen sind seelische Probleme die Ursache des nächtlichen Einnässens; allerdings können seelische Probleme durchaus die Folge einer länger andauernden und unbehandelten Enuresis sein.

Es gibt erfolgreiche und sinnvolle Therapien, die umso wirksamer und einfacher sind, je früher das Kind behandelt wird (aber nicht vor dem vollendeten fünften Lebensjahr).

Eine Therapieempfehlung kann der Arzt nur individuell nach einer ausführlichen Diagnostik aussprechen. Für eine gute Diagnostik ist die Auswertung eines Blasentagebuches absolut notwendig.

Autorin

Gabriele Grünebaum
Initiative Trockene Nacht e.V.
Hahnenbach 1
51570 Windeck

Telefon 0700-ENURESIS (0700-36873747)

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Erstellt am 28. November 2011, zuletzt geändert am 28. November 2011

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