Wie gelingen die Erziehungsziele: Blasen- und Darmkontrolle? - Wie werden Kinder ausscheidungsautonom?

Dr. rer. nat. habil. Gabriele Haug-Schnabel
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Seit Generationen war "Sauberkeitserziehung" die gängige Bezeichung für den Erwerb der kontrollierten Stuhl- und Harnabgabe der Kinder. Dieser Beitrag erläutert, warum die neue Bezeichnung "Ausscheidungsautomie" diesen Prozess viel treffender beschreibt und informiert ausführlich über diese wichtigen Entwicklungsschritte. Darüber hinaus werden die vielfältigen Fragen zur sensiblen und verständnisvollen Begleitung der Kinder durch die Eltern aufgegriffen, sowie die hohe Bedeutung einer vertrauensvollen Zusammenarbeit dazu zwischen Familie und Kita bzw. Tagespflege dargelegt.

Wichtiges vorab!

Der Forschungsboom in den Bereichen „Pädagogik der Kindheit“ oder „Kindheitspädagogik“ hat einen nötig gewordenen differenzierten Blick auf den Weg zur Ausscheidungsautonomie bewirkt.

Ein erster Erfolg war die wichtige Diskussion, den seit Generationen benutzten Begriff der „Sauberkeitserziehung“ kritisch zu hinterfragen und ihn durch eine Bezeichnung, die die aktive Rolle des Kindes im Geschehen sichtbar macht, zu ersetzen:

„Wie werden Kinder heute in ihren mindestens zwei Lebenswelten - Familie sowie Kita oder Tagespflege - durch eine professionell gestaltete individuelle Begleitung ausscheidungsautonom?“

Noch einiges mehr als nur die neue Bezeichnung „Ausscheidungsautonomie“ hat sich am Verständnis und dadurch auch an der Begleitung eines der großen Erziehungs- und Entwicklungsthemen der frühen Kindheit verändert.

  • Zu einer jetzt bewusst individuellen Unterstützung bei der Ausscheidungsautonomie kam es dank engagierter internationaler und interdisziplinärer Forschung im Großbereich Förderung von Lebenskompetenzen.
    Seine Ausscheidungen und deren hygienische Begleitvoraussetzungen selbst, eigeninitiativ und früh schon allein händeln zu können, ist eine gleichsam motivierende wie schützende Erfahrung auf dem Weg zur „Selbstversorgung“.
  • Aber auch der Zuwachs an genau für dieses Thema spezialisierten Beratungsstellen mit einem deutlich differenzierteren Blick auf das einzelne Kind und seine jeweilige Entwicklungsbegleitung in der Familie spielt eine förderliche Rolle.
  • Die pädagogischen Studiengänge steigern die Begleitkompetenz und erweitern die Fortbildungsmöglichkeiten in familienergänzenden Einrichtungen wie Krippe, Kita oder Tagespflege.

Trotz eines zunehmend professionalisierten Handlings in der Begleitung durch Kita und Tagespflege ist die Unterstützung der verschiedenen Schritte auf dem jeweils höchst individuellen Weg zum Erreichen der Ausscheidungsautonomie ein viele Eltern weiterhin stressendes Thema.

„Mein Kind stillen, mein Kind tragen, auch die Selbstverständlichkeit des Familienbettes, all das war bei uns nie ein Problem, noch nicht einmal der Rede wert, aber die Sauberkeitserziehung brachte uns zum Verzweifeln!“ (Zitat einer Mutter während einer Beratungssituation).

Es hat sich viel geändert

Beginnen wir mit dem Begriff „Ausscheidungsautonomie“, der darauf hinweisen soll, dass es sich für das Kind um einen sowohl kognitiv wie sozial und emotional als wichtig eingeschätzten Entwicklungsschritt handelt, nun seine Blase sowie den Darm möglichst bald selbstständig kontrollieren zu können. Auch die hierbei parallel notwendig werdenden Hygieneschritte zu beachten und diese eigenständig durchführen zu können - bald sogar settingsübergreifend und nicht nur auf der Familientoilette zuhause - , wird als hohe Anforderung, die einer guten Begleitung bedarf, gesehen. Es geht um eine Entwicklungsleistung des Kindes und parallel um eine als unerlässlich eingeschätzte erzieherische Kompetenz der Eltern zuhause sowie der Fachkräfte in Kitas und Tagespflege.

Noch eine Veränderung muss bedacht werden:
Die Fachwelt achtet inzwischen bewusst auf einen möglichst wertneutralen sprachlichen Umgang mit dem Thema. Die Bezeichnung „das noch nicht saubere Kind“ wurde weit zutreffender und weniger defizitorientiert durch die Benennung „ein Kind auf seinem Weg zur Ausscheidungsautonomie“ ersetzt. Eine klug gewählte Bezeichnung, da sie die vielen hierfür nötigen Schritte benennt und individuelle Eigenwege nicht nur akzeptiert sondern sehr wohl berücksichtigt.

Heute ist eine perfekte Blasen- und Darmkontrolle für Kinder unter 3 Jahren keineswegs mehr die Voraussetzung, einen Kindergartenplatz zu bekommen.

Im Gegenteil: es gibt Einrichtungen und Träger, die den Eltern beim Anmeldegespräch sogar raten, zuhause nicht kurz vor der Aufnahme in die außerhäusliche Zusatzbetreuung mit ersten Trainingsschritten Richtung Töpfchen oder Toilette zu beginnen.

Außerdem werden vielerorts Eltern bereits ausscheidungsautonomer Kleinkinder darauf aufmerksam gemacht, dass kurze Rückfallzeiten beim Kitastart keineswegs selten aber unproblematisch sind – vorausgesetzt die Kinder werden zuhause wie in der Kita dezent zugewandt und lösungsorientiert begleitet. Anfangs kann es wichtig sein, möglichst Irritationen in einem sich absehbar verändernden Tagesablauf zu vermeiden.

Es gibt Erleichterungen!

Eine für die Kinder in beiden Lebenswelten - Familie und Kita oder Tagespflege – ähnliche, da bewusst aufeinander abgestimmte Anregung und Begleitung bei diesem Lern- und Entwicklungsschritt, macht Vieles einfacher und verhindert auch unnötige Irritationen.

Durch die zunehmende Aufnahme von Kindern unter 3 Jahren in Krippen, Kitas und Tagespflege kam es zu einer deutlichen Entspannung und themenbezogenen Professionalisierung bei der Begleitung der Ausscheidungsautonomie. Die themenübergreifenden Weiterqualifizierungen der Fachkräfte in Sachen Entwicklungs-Diversität erleichtert es, Unterschiede zu akzeptieren und dadurch eine individuelle Begleitung der Kinder, jeweils abgestimmt auf ihren Entwicklungsstand zu garantieren.

Wie werden Kinder eigentlich ausscheidungsautonom?

Wichtig zu wissen: zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihres Entwicklungsverlaufs! Die allermeisten Kinder werden tatsächlich unproblematisch jedoch innerhalb eines relativ großen Zeitraums von ungefähr drei bis vier Jahren ausscheidungsautonom. Es geschieht auf recht individuellen Wegen und daher höchst unterschiedlich.

Überraschend viele Eltern suchen bereits sehr früh wegen noch nicht perfekter Blasen- und/oder Darmkontrolle eine der inzwischen vielen Beratungsstellen auf – teils schon vor dem 2. Geburtstag ihres Kindes – aus Angst, etwas zu versäumen oder „gar bei dieser ersten „Erziehungsleistung“ zu scheitern, was sie „als beschämend“ für sich selbst benennen und erleben. Immer wieder werden auch Kommentare aus der Verwandtschaft oder Nachbarschaft in den in Beratungssituationen wiedergegeben, die nicht nur als Einmischung sondern auch als Abwertung ihrer elterlichen „Erziehungsmethoden“ und „fehlende Sorgfalt“ interpretiert werden.

Übrigens fürchten auch pädagogische Fachkräfte Misserfolge bei der Begleitung der Ausscheidungsautonomie mehr als Probleme beim Mittagsschlaf oder bei Mahlzeiten. Vielleicht liegt es daran, dass die Ausscheidungsautonomie tatsächlich eine „Aufgabe für mindestens zwei“ ist. Nämlich eine Entwicklungsaufgabe seitens des Kindes und eine erzieherische Herausforderung seitens der Erwachsenen, die Achtsamkeit und Sensibilität verlangt.

Bei der Begleitung der Ausscheidungsautonomie kann man vieles richtig, aber auch einiges falsch machen!

Die Einflussnahme der erziehenden und begleitenden Umgebung kann unterstützend, durchaus aber auch belastend sein und nimmt somit neben den physiologischen und entwicklungspsychologischen Voraussetzungen für den Entwicklungsprozess der Ausscheidungsautonomie eine gewichtige Rolle ein.

Ein gutes physiologisches Wissen über die Abläufe der Reifungs- und Lernprozesse im Zusammenhang mit einer vom Kind immer mehr selbstständig kontrollierbaren Harn- und Kotabgabe erleichtert eine verständnisvoll zugewandte und gleichzeitig effektive Begleitung des Kindes.

Eine zeitnah bevorstehende Entleerung von Blase und/oder Darm findet allen Beobachtungen nach am Lebensanfang noch weitgehend unbewusst für das Kind statt, obwohl es auch hierbei individuelle Unterschiede gibt, die auf einer genetischen Basis beruhen können. Startet eine mit kleinen Kontraktionen einhergehende Harn- oder Kotabgabe, kann je nach Situation und Aufmerksamkeit bereits kurz vorher „von außen“ beobachtet werden, dass es Babys gibt, die genau dann im Spiel innehalten, kurz abwesend wirken und sich auf das, was in ihnen vorgeht, zu konzentrieren scheinen. Manche Kinder beenden unerwartet ihr engagiertes Manipulieren eines Spielgegenstandes, andere verlangsamen oder stoppen gerade noch aktiv ausgeführte Bewegungsabläufe für kurze Zeit.

Diese Beobachtungen deuten darauf hin, dass Babys schon früh am Harnröhrenausgang oder an den Schleimhäuten des Afters sowohl den Abgang des körperwarmen Urins wie auch die beginnende Kotabgabe in noch unspezifischer Form wahrnehmen und relativ oft mit minimalen, jedoch spezifischen Körperbewegungen darauf reagieren. Aus diesem Grund ist ein Entleerungsstart in bestimmten Situationen für hierauf speziell achtende Eltern auch bald beobachtbar und das „Windelfrei-Konzept“ im familiären Rahmen umsetzbar.

Manche Kleinstkinder grimassieren direkt vor oder während der Entleerung, einige geben einen speziellen und bald eindeutig erkennbaren Laut von sich, zeigen ein kurzes Körperzittern oder bewegen sich - individuell unterschiedlich - aber für ihre Entleerungssituation typisch. Eltern aber auch Fachkräfte können, wenn sie auf diese für das Kind individuelle Botschaft achten wollen, zeitnah reagieren. Jetzt bietet es sich an, das Kind auf die gerade ablaufenden Vorgänge in seinem Körper sprachlich hinzuweisen. Was gerade im Körper passiert, kann auf einfachste Art rückgemeldet werden: Dass nun die Abfälle des Essens aus dem Körper wollen, damit ein feines Frühstück oder leckeres Mittagessen wieder mehr Platz hat, versteht und überzeugt jedes Kind.

Parallel zu dieser Erkenntnis kann es zu einer vermehrten Aufmerksamkeit für Vieles, was im Körper vor sich geht, kommen. In Elterngesprächen gibt es immer wieder Hinweise darauf, dass in der Zeit, in der die Ausscheidungsautonomie ein „Thema“ für das Kind wird, es offensichtlich auch auf hungrig werden, Durst haben, es zu kalt finden oder schwitzen achtet und nach Verbesserung seines Wohlgefühls sucht.

Die Lebensumwelt beeinflusst den Ablauf der Ausscheidungsautonomie

Mütter aus so genannten traditionalen Gesellschaften, vor allem aus den warmen bis heißen Klimazonen Südamerikas, Afrikas oder Asiens tragen ihre Kinder häufig unbekleidet mit sich. So merken sie zeitnah an speziellen Bewegungsänderungen, an Kontraktionen oder Entspannung des Kindes, dass eine Entleerung zeitnah ansteht. Indem sie ihr Kind sofort „umlagern“, d.h. es etwas von ihrem eigenen Körper entfernt halten, um bei dessen Harn- oder Kotabgang nicht selbst beschmutzt zu werden, scheinen sie den Reifungsprozess der Eigenwahrnehmung einer anstehenden Abgabe unterstützend beeinflussen zu können. Diese blitzschnelle und daher gut zuordnenbare Reaktion auf die aktuelle interne Befindlichkeit des Kindes kann den kindlichen Lernprozess frühzeitig unterstützen. Der häufige (immer unbekleidete) Körperkontakt, die frühen Reaktionen auf erste Körpersignale und die vielfältig anregenden motorischen Stimulationen der Säuglinge beim Getragenwerden am bewegten Körper der Mutter im Alltagsgeschehen werden als Grund dafür gesehen, weshalb es z. B. afrikanischen Kindern aus traditionalen Kulturen gelingt, relativ bald - deutlich früher als in Europa - ihre Blase und ihren Darm kontrollieren zu können.

Spannend: Theoretisch ist es durchaus denkbar, dass durch diese frühe körpernahe Abhalt-Routine, das Kind die regelmäßig wiederkehrende Aktion der Mutter bereits mit ersten diffusen Gefühlen über seine Blasenfüllung oder zunehmenden Darmbewegungen verbinden kann. Genau das sind die Lernvoraussetzungen für ein bereits frühes Eigenerkennen der Signale einer zeitnah anstehenden Harn- oder Kotabgabe.

In unserer Lebenswelt muss dann noch der gut terminierte - also rechtzeitige - Gang zur Toilette und das passende Handling vor Ort gelernt werden (Gutknecht & Haug-Schnabel 2019)!

Bei einem kulturellen Entwicklungsvergleich zwischen modernen städtischen und eher ländlichen, traditionalen Kulturen muss jedoch noch eine weitere Besonderheit des Aufwachsen berücksichtigt werden, die neben erheblichen Bekleidungsunterschieden einen weiteren Einfluss auf die Ausscheidungsautonomie nehmen wird: Kinder aus eher traditionalen Kulturen können in ihrer Lebenswelt mit wenigen Ausnahmen nahezu überall – also ohne Verzögerung und ohne die Notwendigkeit prophylaktische Maßnahmen zu bedenken - ihren Urin oder Kot an vielen selbstgewählten Stellen absetzen, was z.B. für ein europäisches oder amerikanisches Großstadtkind, das beim Stadtgang mit den Eltern zuerst im Einkaufszentrum die Toilette im fünften Stockwerk aufsuchen muss, keineswegs so problemlos möglich ist.

Von allein wird kein Kind ausscheidungsautonom

Nach dem Ausreifen der neurophysiologischen Voraussetzungen spielen auch das Modell der Erwachsenen und die Möglichkeit, deren Verhalten und Alltagshandling nachzuahmen zu können, eine große Rolle, um in die jeweils kulturkreisüblichen Toilettengewohnheiten Einblick zu bekommen und diese Schritt für Schritt übernehmen zu können.

Spürt man ein erstes Interesse des Kindes am Großthema Ausscheidungsautonomie, wie z.B. den Wunsch, Vater und Mutter zuhause oder in Krippe oder Tagespflege andere Kinder auf die Toilette zu begleiten, scheint dies ein besonders günstiger Zeitpunkt zu sein, mit einer behutsamen „Ausscheidungsbegleitung“ zu beginnen.

An dieser Stelle ist anzumerken, dass eindeutige Risikofaktoren auf dem Weg zur Ausscheidungsautonomie seit Jahren in der interdisziplinären Forschung erkannt worden sind. Wer keine altersgemäße sowie ressourcenorientierte Unterstützung bekommt, hat es schwer.

Dieser Mangel kann sich z.B. in Form einer zu frühen und das Kind beim Toiletten-Handling noch überfordernden Vorgehensweise zeigen. Kommen womöglich noch bestrafend-strenge Erziehungsvorstellungen hinzu, wenn sich z.B. bis zum 6. Lebensjahr vereinzelt noch völlig normale Einnäss- oder Einkot-Zwischenfällen ergeben, kann dieses unangebrachte Vorgehen vielfältige Folgen im psychischen Bereich nach sich ziehen.

Aber genauso ungünstig und problematisch ist die Situation, wenn nicht orientiert an den zunehmend verbesserten Handlings- und Reinigungsfähigkeiten des Kindes die elterliche Unterstützung zurückgeht und in eine Form zugewandt-dezenter Begleitung wechselt, die bald überhaupt nicht mehr nötig sein wird. Ein vom Kind vielfältig signalisiertes Interesse, allein zur Toilette zu gehen und die nachfolgende Reinigung selbst zu übernehmen, sollte von den Erwachsenen nicht ignoriert werden. Die Toilettenausstattung heutiger Kitas mit vielfältigem Waschbereich (auch für sinnliche und naturwissenschaftliche Experimente geeignet) sind kindgemäße Erfahrungswelten geworden.

Nochmals zurück zu frühen Selbstversorgungs- und Selbstreinigungswünschen der Kinder – auch im Toilettenbereich: Eine unempathische und unprofessionelle Nichtbeachtung bereits gezeigten Interesses an der eigenen Versorgung und Reinigung, kann tatsächlich zu einem Rückfall in Einnäss- und Einkot-Zeiten führen, wie bei einem Kind, das durch eine inkonsequente Begleitung oder unbeherrschte Reaktion verunsichert oder gar durch Strafen verängstigt und unter Druck gesetzt wird.

Typische Abläufe: Oder was ist normal auf dem Weg der Ausscheidungsautonomie?

Ausscheidungsautonom wird ein Kind höchst individuell, wobei die genetische Komponente der Eltern eine Rolle spielen kann.

Dennoch gibt es einige Übereinstimmungen:

  • Die meisten Kinder können zuerst ihren Darm kontrollieren, dann folgt meist die Blase am Tag und zuletzt wird die Blase in der Nacht kontrollierbar.
  • In Europa und Nordamerika wird die Mehrzahl der Kinder im dritten/vierten Lebensjahr trocken, einige aber auch schon um ihren zweiten Geburtstag und einige mit 6 Jahren – und zwar von heute auf morgen.
  • Eine leichte Vorverlegung des Zeitpunkts des Trockenwerdens ist bei einer guten außerfamiliären Betreuung zu beobachten, da hier die anderen Kinder als Modelle auf ähnlichem Niveau gesehen werden, die zur Begleitung auf die Toilette und dann zur Nachahmung anregen.
  • Völlig normal sind vereinzelte, mitunter auch länger anhaltende Rückfälle in Phasen nicht perfekter Blasen- oder Darmkontrolle, was oft mit Entwicklungsschüben in anderen Bereichen einhergeht. Häufig kann dies beim Umzug in eine neue Wohnung, ins neue Haus passieren – worauf sich alle Familienmitglieder gefreut haben.
  • Es gibt eindeutig erkannte Stressoren, die die Blasen- und Darmkontrolle stören können, wie alterstypische Ängste oder einschneidende Veränderungen in der Familienstruktur. Immer wieder werden speziell diese Veränderungen wie auch Betreuungswechsel als vermutete Ursache für Rückschläge genannt.
  • Die Geburt eines Geschwisterchens oder die Trennung der Eltern können sich auf die Ausscheidungsautonomie auswirken, oft anfangs negativ, mitunter aber auch positiv.
  • Wenn die neue Wohnung ein eigenes Zimmer mit sich bringt, kann dies das Einnässen beenden, aber ebenso auch das Einnässen starten, weil das Familienbett aufgegeben wurde oder Schwester oder Bruder nun woanders schlafen.
  • Aber auch kurz vor Ausbruch einer bevorstehenden Infektionskrankheit kann es plötzlich zu nassen Nächten kommen, obwohl ansonsten die nächtliche Blasenkontrolle schon sehr gut funktionierte.
  • Und natürlich der Krippen- oder Kitastart, was viele Eltern massiv irritiert und eine gute Begleitung für Kind und Eltern seitens der Einrichtungen nötig macht.

Erfolgsschritte auf dem Weg zur Ausscheidungsautonomie erkennen und unterstützen

Trotz individueller Unterschiede ist eine Abfolge von Erfolgsschritten Richtung selbstständiger Blasen- und Darmkontrolle zu benennen

Was Eltern und Fachkräften meist zuerst auffällt, ist, dass ein Kind irgendwann beginnt, auf die Signale seiner Blase und seines Darmes aufmerksam zu werden, was man am „In-Sich-Hineinhören“ (abwesender Blick, kurzes ruhiges Verharren in Handlungen) recht gut festmachen kann.

Jetzt braucht es nicht mehr lange Zeit, bis das Kind - typischerweise  im Nachhinein - eine erfolgte Harn- oder Kotabgabe meldet. „Hab´ Pipi, hab´ Kaka gemacht!“ Das ist ein wichtiger Schritt, der durch den Satz: „Hättest Du das nicht vorher sagen können?“ entwertet wird und zu Rückschritten führen kann.

Die das weitere Geschehen ankündigenden Signale muss das Kind erst kennenlernen und die zeitliche Abfolge zwischen Harndrang und nachfolgender Urinabgabe begreifen. Anfangs reagiert es ausschließlich auf den Urinabgang, bald kann es dann bereits das erste Signal, den Harndrang benennen und mehr oder weniger rechtzeitig melden. Viele Kinder versuchen auf den Harndrang zu reagieren, indem sie ihn durch kleine motorische Bewegungen wie Trippeln oder Tänzeln zu unterdrücken versuchen, was längerfristig nicht klappen kann. Doch diese Einsicht muss das Kind durch Erfahrung erst bekommen.

Der nächste Schritt ist extrem wichtig: Das Kind meldet eine bevorstehende Abgabe jetzt so rechtzeitig, dass es den Weg zur Toilette noch trocken schafft – auch wenn es die Hürden einer Latzhose zu bewältigen gilt - Latzhosen sind erst für bereits ausscheidungsautonome Kinder geeignet!

Der nächste Erfolgsschritt ist besonders spannend: das Kind kann nun auch willentlich Harn lassen, selbst wenn die Blase noch nicht drückt, d.h. prophylaktisch z. B. vor dem Besuch des Schwimmbads. Hierfür ist Übung ist nötig, denn jetzt muss das Kind, ohne Harndrang zu verspüren, also ohne Abgabedrang, den Schließmuskel auch für kleine Urinmengen öffnen.

Ganz schwierig ist das Hinauszögern einer anstehenden Harnabgabe, wenn keine Toilette in der Nähe ist. Viele Kinder nehmen diese Hürde erst mit 4/5 Jahren.

Am längsten dauert es, bis Kinder nachts ohne Harnabgabe durchschlafen können oder trotz hoher Flüssigkeitsaufnahme am Abend dennoch rechtzeitig aus dem Schlaf erwachen und zur Toilette gehen oder gebracht werden können. Der Grund hierfür sind anfangs noch komplizierte, oft genetisch bedingte Hormonkonstellationen (zu wenig antidiuretisches Hormon steht nachts zur Verfügung), die durch eine kinderärztliche Begleitung entspannt werden können.

Das Körpersignal Kotdrang entwickelt sich vergleichbar, ist jedoch wegen seiner größeren Eindeutigkeit meist früher (schneller) und störungsfreier durch rechtzeitig erreichte Toilettengänge lösbar.

Beziehungsvolle Pflege: Die Chance für wichtige 1:1-Kontakte

Die Bedeutung bewusst gestalteter Beziehungsintensität bei alltäglichen Interaktionen wie Wickeln, Waschen, Anziehen und Füttern wurde seit den anregenden Arbeiten von Emmi Pikler im Laufe der Zeit immer deutlicher. Die so genannten beziehungsvollen Pflegesituationen werden als Höhepunkte gemeinsamer Aufmerksamkeit (joint attention) von Kind und Fachkraft/Pflegeperson gesehen.

Hier hat die Aufnahme von Kindern unter 3 in Kindergartengruppen und die nötig gewordene Nachqualifizierung dazu beigetragen, den Fokus weg von einer möglichst effektiven hygienischen Pflichtübung hin zu einer ganz bewusst gestalteten Beziehungszeit zu legen.

Dennoch zeigen unsere Beobachtungsdaten in Kitas, dass man durch diese besonders zugewandten Wickelzeiten nicht automatisch den Zeitpunkt der Ausscheidungsautonomie in den Krippen vorverlegen kann, was manche Eltern und auch pädagogische Fachkräfte immer wieder zu hoffen scheinen.

Verschiedene Punkte können hierfür verantwortlich sein. Ein Windelkind (mit seinen 2 bis maximal 3 Wickelzeiten am Tag) macht angesichts einer immer noch vielerorts unzureichenden Fachkraft-Kind-Relation zwar mehr Arbeit als ein bereits trockenes Kind, aber eindeutig weniger Mühe als ein Kind, das „auf dem Weg zur Ausscheidungsautonomie“ zumindest anfangs deutlich häufiger zur Toilette begleitet werden muss, weil doch nichts kam (zu früh!), jedoch kurze Zeit später (zu spät!) das Kind wie gewohnt gereinigt und neu angezogen werden muss. Speziell unter Krippenbedingungen sind Wickelkinder leichter zu handhaben als „Toilettenstarter“.

Ein weiterer Punkt, der vor allem aus Kindersicht bedeutsam ist, ist folgender: es muss sich in den Augen eines Kindes lohnen, ausscheidungsautonom zu werden. Es ist für ein Kind wichtig, dass es dadurch, dass es jetzt „von allein und rechtzeitig“ zur Toilette gehen kann, keinen Zuwendungsverlust seitens der Bezugserzieher*innen erleidet.

Das bedeutet für die Fachkräfte ganz konkret, dass sie – trotz verringertem Pflegeaufwand - dennoch weiterhin intensive 1:1-Kontakte - in einem anderen Kontext mit ihren Bezugskindern möglich machen müssen. Hier wird z.B. in einzelnen Einrichtungen besonders darauf geachtet, dass die Kinder anfangs weiterhin zur Toilette begleitet werden, dass mit der Klotür dazwischen Gespräche geführt werden oder das beliebteste Wickellied nochmals gesungen wird.

Und dann muss die Ausscheidungsautonomie auch noch das Trotzalter bewältigen!

Die Ausscheidungsautonomie, vor allem die letzten Schritte der individuellen Verantwortungsübernahme, passieren bei vielen Kindern zeitgleich mit dem Trotzalter, so dass dieser Entwicklungsschritt auch unter dem Aspekt eingeschränkter Compliance und zunehmender Autonomiesuche sowie steigender Eigenkontrolle gesehen werden muss. Ist ein Kind ausscheidungsautonom geworden, so stärkt dieser Entwicklungsschritt oft deutlich spürbar das kindliche Selbstvertrauen.

Recht bald erlebt sich das Kind in unterschiedlichen Situationen, die weit über den Ausscheidungsbereich hinausgehen, als selbstwirksam. Mit der Konsequenz, dass es immer mehr bereichsübergreifende Eigenkontrolle über seine Aktivitäten einfordert. Hier wird noch einmal deutlich, dass die gesamte Kindheit sich zwischen den Polen Abhängigkeit und Autonomie abspielt, was bedeutet, dass die Autonomie im Sinne einer über die Jahre zunehmenden Selbstbestimmung sowie Eigenkontrolle mit einer parallel dazu abnehmenden Fremdbestimmung einhergeht.

Mit Einsetzen des Ich-Bewusstseins zwischen 15 und 22 Monaten bestehen viele Kinder darauf, einzelne Bereiche ihrer Versorgung und Pflege selbst zu übernehmen, d.h. aber auch, dass die Erwachsenen schrittweise immer mehr dieser Aufgaben in ihre Verantwortung übergeben müssen. Bei Beobachtungen in Einrichtungen stellen wir immer wieder fest, dass besonders die Windelkinder, die aktiv am Wickeln teilnehmen, die sich auch frühzeitig am An- und Ausziehen, am Schöpfen beim Essen oder beim Geschirr abtragen beteiligen, auch dafür interessieren, ausscheidungsautonom zu werden. Damit Kinder diese aktiven Schritte der hygienischen Selbstversorgung machen können, muss sich der Erwachsene bewusst zurücknehmen, mehr noch: professionell zurückhalten. Denn eigentlich erwartet der Erwachsene (Eltern wie Fachkräfte) anfangs nur, dass das Kind sich rechtzeitig meldet, damit es unterstützt werden kann und nichts in die Hose geht. Den Rest der Toilettenaufgaben würden Eltern und Fachkräfte gerne noch eine Weile übernehmen, schon allein, um die Kontrolle zu behalten.

Eltern und pädagogische Fachkräfte müssen sich vor Augen führen, dass ein Leben ohne Windel für ein Kleinkind nicht so viel bedeutet, wie für sie. Das Kind kennt diese Situation noch nicht. Erst das wirkliche Selbstständigwerden, auf der Toilette, allein agieren zu dürfen, ist für das Kind ein erstrebenswertes Ziel.

Das macht ein Kleinkind stolz:

  • allein auf die Toilette gehen dürfen
  • dort „eigenwillig“ und „selbstkontrolliert“ handeln
  • allein, ohne Hilfe klar kommen
  • sich selbst reinigen
  • nicht mehr kontrolliert werden
  • nur ausnahmsweise oder auf eigenen Wunsch zur Toilette begleitet werden.

Die zunehmende Ausscheidungsautonomie geht mit einem bereichsübergreifenden Selbstbewusstseinsschub einher

Ein „sauberes“ Kind zeigt zunehmende Selbstständigkeitstendenzen. Es will sich nun auch selbst waschen, sich allein anziehen und vor allem bei Tisch allein auftun und essen. Es gibt Hinweise, dass Eltern und pädagogische Fachkräfte bereits ausscheidungsautonomen Kindern auch tatsächlich mehr zutrauen als gleichaltrigen Noch-Windelträgern und ihnen auch anspruchsvollere Aufgaben in Eigenverantwortung übergeben.

Achtung, noch ein Aspekt wird wichtig: Zeitgleich mit dem Ich-Bewusstsein beginnt auch die kindliche Scham, d.h., das Kind achtet sehr darauf, wer es in bestimmten Situationen begleitet und wer bei Pflegesituationen zuschauen darf oder eben nicht zuschauen darf, wenn es zur Toilette gebracht, gereinigt und gewickelt wird.

Dieses Verhalten, die beginnende Scham ist wichtig, denn sie unterstützt in Startzeiten des Ich-Bewusstseins die vom Kind auch bei vertrauten Menschen erst neu zu erlernende Nähe- und Distanzregulation, die ihm guttut. Scham ist eine Chance zur Abgrenzung und zum eigenen Schutz. Wenn Scham nicht als Chance für das Kind gesehen wird, seine aufgezeigten Schamgrenzen nicht respektiert und entsprechend achtsam beantwortet wird, kann ein Kind kein Zutrauen in seine eigene soziale Regulationsfähigkeit aufbauen, was lebenslang belastende Konsequenzen haben kann.

Es wird auch die Herausforderungen der Blasen- und Darmkontrolle erst verspätet in Angriff nehmen. Um der damit einhergehenden Scham zu entgehen, muss es alle hiermit zusammenhängenden Körpersignale „ausblenden“, sogar den „souveränen“ Eindruck erwecken, dass es gar nicht merkt, dass es mit völlig nasser Hose vor uns steht. Das ist ein Eigen-Täuschungsmanöver: Das Kind kann es sich nicht „leisten“, sich bewusst zu machen, dass alles nass ist und dass es sich – vor aller Augen - in eine besonders schamvolle Situation gebracht hat. Es ist völlig egal, in welchem Alter bei einem Kind Anzeichen beginnender Scham beobachtet werden, sie müssen als eindeutiges Entwicklungssignal verstanden werden und konsequent noch mehr Schutz des Kindes vor „Verletzungen“ nach sich ziehen.

Dass gerade der Ausscheidungsbereich recht früh mit Scham belegt wird, hat einen guten Grund. Nur so ist es möglich, bezüglich individueller Intimität besonders stabile Schutz- und Selbstständigkeitstendenzen zu entwickeln und auch gegen Übergriffe verteidigen zu können.

Im Familien- und Kitaalltag häufig zu beobachtende entwürdigende, meist wortlose „Hosenchecks“ sind abzulehnen. Würden die Erwachsenen beim Prüfgriff an oder in die Hose, nicht nur die befürchtete Feuchtigkeit im Blick haben, sondern vor allem auf das Gesicht und die sich blitzschnell verändernde Körperhaltung der betroffenen Kindes achten, würden sie feststellen, wie entwürdigend ein derartiger Hosencheck – besonders in einer öffentlichen Gruppensituation – von einem Kind empfunden wird. Es handelt sich um eine wortlose öffentliche Bloßstellung.

„Felix, musst Du zur Toilette?“ ist anfangs nicht die erfolgversprechende Frage

Diese Frage wird meist gestellt, wenn beobachtet wird, dass ein Kind trippelnd oder tänzelnd eine offensichtlich dringend anstehende Harnabgabe zu vermeiden oder wenigstens hinauszuzögern versucht. Sobald bei einem Kind Anzeichen einer anstehenden Entleerung sichtbar werden, nützt es nichts zu fragen, ob es Pipi muss, sondern ganz klar zu vermitteln: „Ich sehe, Du musst Pipi. Merkst Du es auch? Komm, wir gehen schnell ins Bad, dann geht das Pipi in die Toilette und nicht in die Hose.“

Es ist wichtig, gemeinsam mit dem Kind einen ersten Erfolg zu erleben. Selbst wenn es am Anfang nur die letzten Tropfen sind, die ins Töpfchen oder in die Toilette gelangen, spürt das Kind seine Beteiligung und steigende Einflussnahme auf das Geschehen. Freuen Sie sich mit dem Kind und teilen Sie seine Begeisterung.

Weiterführende Literatur

  • Bensel, J., Haug-Schnabel, G. & Kremers, J. (2020) Kinderängste verstehen und achtsam begleiten. Kindergarten heute – wissen kompakt. Herder, Freiburg.
  • Gutknecht, D. Haug-Schnabel, G. (2019) Windel adé. Kinder in Krippe und Kita achtsam begleiten. Herder, Freiburg.
  • Haug-Schnabel, G. (2014, 9. Aufl.) Wie Kinder sauber werden können – Was Sie als Eltern wissen müssen, damit das Sauberwerden klappt. ObersteBrink, München.
  • Haug-Schnabel, G. (2020) Umgang mit aggressivem Verhalten von Kindern. Herder, Freiburg
  • Haug-Schnabel, G., Bensel, J. (2016, 12. überarb. Aufl.) Kinder unter 3 – Bildung, Erziehung und Betreuung von Kleinstkindern. Kindergarten heute - wissen kompakt. Herder, Freiburg.
  • Haug-Schnabel, G., Bensel, J. (2017, 12. vollständig überarb. und deutliche erweiterte Aufl.) Grundlagen der Entwicklungspsychologie. Die ersten 10 Lebensjahre. Herder, Freiburg.
  • Haug-Schnabel, G., Bensel, J. (2019, völlig überarbeitete Neuausgabe) Vom Säugling zum Schulkind - Entwicklungspsychologische Grundlagen. Kindergarten heute - wissen kompakt. Herder, Freiburg.
  • Haug-Schnabel, G., Schmid-Steinbrunner, B. (2015, 4. Aufl.). Stark von Anfang an – Kinder auf dem Weg zur Resilienz begleiten. Aktualisierte Neuauflage. Oberstebrink, München.

Weitere Beiträge der Autorin hier in unserem Familienhandbuch

Autorin

Dr. rer. nat. habil. Gabriele Haug-Schnabel, Mutter zweier Kinder, Biologie- und Ethnologiestudium in Freiburg, Spezialisierung zur Verhaltensbiologin, Promotion, nach interdisziplinärer Habilitation (Biologie, Medizin, Psychologie) bis 2011 Lehrbeauftragte an der Wirtschafts- und Verhaltenswissenschaftlichen Fakultät (Institut für Psychologie) der Universität Freiburg, seit 2011 Lehrauftrag an der Evang. Hochschule Freiburg im Studienfach Pädagogik der Kindheit und seit 2015 Lehrauftrag an der Universität Salzburg (Early Childhood Education). Beteiligung an mehreren interdisziplinären Forschungsprojekten zum kindlichen Verhalten und internationalen Arbeitskreisen zur Verhaltensbeobachtung und –analyse.

Leiterin und Mitinhaberin der 1993 gegründeten Forschungsgruppe Verhaltensbiologie des Menschen (FVM, GdbR).

Kontakt

Dr. rer. nat. habil. Gabriele Haug-Schnabel
Forschungsgruppe Verhaltensbiologie des Menschen (FVM)
Obere Dorfstr. 7
79400 Kandern

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eingestellt am 10.09.2020