Bildung – ist das schon für mein Baby wichtig?
Prof. Dr. Astrid Kaiser
Bildung ist nicht nur eine Aufgabe für höhere Bildungsstufen, sondern kann bereits mit der Geburt beginnen. Gerade in den sensiblen Phasen der intensiven Gehirnentwicklung sind Entwicklungsanregungen besonders produktiv. Dies sollte allerdings nicht in kursartigem Stress erfolgen, sondern anknüpfend an die vom Baby gerade herausgebildeten Handlungstendenzen. Bildung von Säuglingen sollte spielerisch erfolgen und sich auf alle Persönlichkeitsbereiche erstrecken, also auch motorisch, emotional, sozial und wahrnehmungsförderlich ausgerichtet sein.
Im Alltag verbinden wir mit Bildung die Vermittlung klassischer Bildungsgüter in Gymnasien oder die wissenschaftliche Durchdringung schwer verständlicher Inhalte in Universitäten. Wir wissen, dass Bildung lebenslang ist und nie aufhört. Aber kaum jemand hat darüber nachgedacht, wann Bildung anfängt.
Es irritiert zunächst, wenn wir Bildung in Zusammenhang mit Babys sehen. Doch Bildung bedeutet eigentlich nur, den Menschen zu befähigen, sich in seiner Welt zu orientieren und sich selber diese Welt zu erschließen. So gesehen beginnt der lebenslange Bildungsprozess schon mit dem Eintritt in die Welt.
Bildung ist für alle Menschen wichtig. Bildung ist die in den Menschen liegende Kraft, das eigene Leben zu gestalten und sich in der Welt kompetent zu orientieren.
Früher glaubte man, nur höhere geistige Denkweisen machen Bildung aus. Doch mittlerweile wird Bildung generell als Allgemeinbildung verstanden, bei der es um das Wissen und Können fürs Leben geht. Ohne Bildung kann sich niemand in der komplexer werdenden Welt orientieren. Bildung ist die Stärkung der menschlichen Kräfte, um mit sich und der umgebenden Welt besser klar zu kommen. So gesehen beginnt Bildung schon sehr früh. Es kommt darauf an, wie den Säuglingen der Blick in die Welt eröffnet wird.
Es ist bekannt: Je jünger ein Kind ist, umso mehr lernt es. Deshalb ist es wichtig, gerade in diesen sensiblen frühen Jahren eine breite Anregung zur Weiterentwicklung anzubieten. So gesehen wäre es falsch, das Säuglingsalter aus dem Bildungsdenken auszuklammern. Es ist mittlerweile auch wissenschaftlich erwiesen, dass frühes Lernen besonders wichtig ist. In den ersten zwei Lebensjahren werden im Gehirn die meisten Verbindungen aufgebaut. Von daher bietet es sich an, gerade in diesen Jahren die Förderung ernst zu nehmen. Denn das Gehirn braucht immer auch von außen Anregungen, um weitere Verbindungen aufzubauen. Von daher sind gezielte Anregungen von hohem Wert für die weitere Entwicklung.
Manche Eltern neigen allerdings dazu, dies zu übertreiben und sich und das Baby unter Druck zu setzen, indem vielfältige Kurse zum frühen Musikerleben, Frühschwimmen oder Frühenglisch besucht werden. Bildung ist aber nicht Verschulung des Lebens, sondern muss aus den inneren Kräften eines Menschen heraus erwachsen. Es gibt den Begriff „Zone der nächsten Entwicklung“ in einer sehr bekannten Lerntheorie. Danach kommt es darauf an, dass die Erziehenden merken, wohin das Kind sich selber gerade entwickeln will, um darauf bezogen gezielte Anregungen zu gestalten. Ganz wichtig ist, dass das Baby in seiner Eigenaktivität angesprochen wird und nicht von außen unter Druck gesetzt wird.
Von daher sollte Bildung von Babys vor allem aus dem Alltagsleben heraus entwickelt werden und an den alltäglichen Handlungen und Handlungswünschen des Säuglings anknüpfen. Denn Bildung ist mehr als Lernen, Bildung ist auch Selbstbildung des Menschen. So verstanden bedeutet die Bildung im Säuglingsalter nicht, dass dem Baby ein Lernfortschritt aufgesetzt wird, sondern dass es diese Schritte auch selber vollzieht. Damit verlangt Babybildung kein schulisches Organisieren, sondern vor allem die Beobachtung durch die Eltern, was ein Säugling schon kann und was es gerade versucht zu können. Babybildung entwickelt sich also im Zusammensein mit den das Baby begleitenden Erwachsenen. Dabei kommt es vor allem darauf an, die inneren Motive des eigenen Babys zu erkennen.
Frühe Bildung ist immer individuelle Bildung, die für das Baby einen Sinn macht. Nur was das Kind selbst will und versucht, kann in fruchtbare Bildung münden. Wir erkennen das, wenn das Kind den Körper wendet, die Augen auf etwas richtet, bei zu großen Reizen weint oder die Hände auf etwa zu bewegen will. Das Kind geht auf die Welt zu, nimmt dabei Erfahrungen in sich auf und trägt diese wieder in sich. Daraus erwachsen wieder neue Zugriffe auf die Welt, die den Erfahrungsraum wieder erweitern. Ohne das Tun des Babys gibt es keine Bildung. Dabei ist es besonders wichtig, dass die Bewegung des Kindes mit Körper, Beinen und Armen in seiner Bedeutung für Bildung geschätzt wird. Durch Bewegung wird die Wahrnehmung entwickelt. Bewegung ist der Weg zur Welt und zum Begreifen der Dinge in der Welt.
Wenn wir Babybildung ernst nehmen, müssen Eltern in den verschiedenen Entwicklungsbereichen des Säuglings fördernd ansetzen. Wichtig ist aber, dass dies immer zusammen mit den Aktivitäten des Kindes im Alltag erfolgt. Dafür ist es wichtig, dass eine anregungsreiche Umgebung fürs Baby geschaffen wird, die aber auch keine Reizüberflutung darstellt, so dass das Baby gar nicht gezielt Interessantes wahrnehmen kann.
Das Spiel des Kindes ist die Basis für seine ersten Bildungsprozesse. Aus dem Spielen kommen Erfahrungen, aus den Erfahrungen erwächst das Denken. Von daher braucht jedes Kind viel Spielzeit, um zu lernen. Babybildung ist spielerische Bildung. Sobald Druck und Stress kommt, wird der Selbstbildungsdrang des Kindes beeinträchtigt. Wir können aber Anregungen geben, dass das Spiel vielfältige Wahrnehmungen ermöglicht.
Die Bildungsbereiche für die Babybildung sind vielfältig. An zentraler Stelle steht die motorische Entwicklung. Diese wird aus der Entwicklung der verschiedenen Sinne gefördert. Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten sind die ersten Bildungsbereiche, aus denen die weiteren aufgebaut werden. Eine enge emotionale Beziehung zu den Eltern ist eine wichtige Voraussetzung, um Vertrauen in die Welt zu haben und sich diese Welt auch Schritt für Schritt bzw. anfangs Blick für Blick zu erobern. Bloße Spielsachen zum Alleinspielen sind nicht ausreichend für Bildung, dazu gehört auch die soziale Beziehung zu Menschen der Umgebung.
Natürlich machen die meisten Eltern spontan sehr viel richtig und sprechen mit ihrem Neugeborenen, blicken es an und nehmen es so schrittweise in die Welt auf.
Das wichtigste Bildungsziel ist eine allseitig entwickelte Persönlichkeit. Das Baby soll nicht nur im Denken und seiner Intelligenz gefördert werden, sondern auch in seinem Körper, also durch Bewegungsfähigkeit und in seinem Herzen, also in seiner emotionalen Intelligenz. Die einzelnen Bildungsschritte dürfen aber ein Baby nie überfordern, sondern sollten da ansetzen, wo das Baby gerade steht.
Nur so betrachtet sind die vier Hauptlernbereiche der Babybildung zu verstehen:
- Emotionale Stabilität (z.B. Vertrauen, Motivation zu entdecken)
- Soziale Kompetenz (intensive Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen, „Zwiesprache“ aufbauen)
- Motorische Kompetenz (z.B. Greifen, sich um die eigene Achse rollen)
- Wahrnehmungsfähigkeit (verschiedene Oberflächen tasten, auf akustische Signale wie Glöckchen reagieren)
Wichtig ist und bleibt, dass dieser Plan nicht wie ein schulischer Lehrplan als Pflichtpensum verstanden wird, sondern aus dem Alltag heraus erfolgt und an die Ansätze von Aktivitäten der Babys anknüpft.
Babys sollen in erster Linie frei und lustvoll spielen und mit den Erwachsenen in ihrer Lebensumgebung zusammen leben. Wesentlich ist, dass die Erwachsenen schauen, wo das Kind gerade steht, was es beschäftigt und was es gerade erprobt. Wer sein Baby genau beobachtet, erkennt auch, was es gerade lernen will und kann.
Quelle: Kaiser, Astrid (2010): Das erste Babyjahr. Wie Säuglinge fürs Leben lernen. Alle wichtigen Entwicklungsschritte. Mit vielen wertvollen Tipps. Hannover.
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Autorin
Dr. phil. Astrid Kaiser, Professorin für Didaktik des Sachunterrichts an der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg. Studium in Hannover und an der Universität Marburg, langjährig Lehrerin in Hessen und Bielefeld, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bielefeld; Vertretungsprofessorin für Grundschulpädagogik in Kassel; Leitung des niedersächsischen Schulversuchs “Soziale Integration in einer jungen- und mädchengerechten Grundschule” , Mitglied des niedersächsischen Bildungsrates 1999-2002, Leitung von Projekten zur ökologischen und naturwissenschaftlichen Bildung im Sachunterricht.
Kontakt
Prof. Dr. Astrid Kaiser
Universität Oldenburg
Postfach 2503
26111 Oldenburg