Kinder und Jugendliche in der Verwöhnungsfalle? – oder: wie Eltern und andere Erziehungskräfte sie davor schützen können

Dr. Albert Wunsch
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Gepampert „vom Kreißsaal bis zum Hörsaal“, wächst hier die Generation Weichei heran? fragte die Sendung „Hart aber fair“. So kann keinesfalls die überall geforderte Adaptions-Fähigkeit bzw. Frustrations-Toleranz oder ein Bedürfnis-Aufschub entwickelt werden. Um im Leben zurechtzukommen, müssen Kinder daher möglichst früh lernen, Hürden zu meistern. Werden zuviele Unannehmlichkeiten von ihnen ferngehalten, befinden sie sich mitten in der Verwöhnungsfalle. Dann haben sie kaum die Chance, eine aktive und eigenverantwortliche Persönlichkeit zu werden. Aber seit Jahren ist festzustellen, dass sich die Probleme zwischen Inkonsequenz und Überbehütung kräftig verstärkten. ‚Helicopter Parents’ werden diese dauernd über ihren Kindern kreisende – sich ständig sorgende – Mütter und Väter in den USA genannt. Sie spannen einen aus Unterforderung und Ängstlichkeit zusammen gewebten Rettungs-Schirm über den Nachwuchs, welcher diesen von der Lebenswirklichkeit ausgrenzt. So kann sich keinesfalls Zufriedenheit und Lebenserfolg entwickeln.

Wenn dieser Beitrag nur zum Ziel hätte, die in der Überschrift zum Ausdruck gebrachte Frage zu beantworten, könnte er mit einem ‚eindeutigen Ja’ an dieser Stelle schon als abgeschlossen betrachtet werden. Diese Einschätzung basiert jedenfalls auf den Befunden der verschiedensten Untersuchungen der zurückliegenden Jahre. So glauben 75 Prozent der Deutschen, dass wir auf dem Weg in eine Gesellschaft von Egoisten sind und dies vor allem dadurch, dass Eltern ihre Kinder verwöhnen. So das Ergebnis einer Umfrage des Magazins “Familie & Co”. Dabei birgt der Begriff “Verwöhnen” sehr viele Facetten, die auch zu Verwirrung und Missverständnissen führen können. Häufig kommt er in der Werbung zum Einsatz. “Lassen Sie sich verwöhnen”, ob durch Wellness-Angebote, zarte Wäsche, einen speziellen Drink oder ein Kaffee-Aroma. An der Effektivität der Wirkung dieser Werbestrategien wird offenbar: Es muss ein tiefes Bedürfnis existieren, nicht ständig aktiv bzw. initiativ sein und funktionieren zu müssen, sondern einfach, ja, verwöhnt zu werden – wunderbar!??

Unabhängig von solchen Gedanken: Die Aufgabe von Eltern und anderen Erziehungskräften in Kindergarten, Schule und Berufsausbildung ist, Kinder so zu fördern, dass sie mit Handlungskompetenz, Selbstbewusstsein und Verantwortung ihr eigenes Leben in Beruf, Partnerschaft, Familie und Gesellschaft meistern können. Dazu ist Hinwendung und nicht Verwöhnung notwendig. Wachsen Kinder jedoch in einem zu behüteten Umfeld auf, fehlt es an altersgemäßen Herausforderungen. Der Entwicklung von Selbstwirksamkeit – ein Schlüsselbegriff der Resilienzforschung – fehlt somit die Basis. Denn ein Aufwachsen im Schongang, führt nicht zu Durchhaltekraft, Stabilität, Selbstbewusstsein und Eigenverantwortung.

Helikopter-Eltern im Einsatz! – Überbehütung und Unterforderung als Folge

Auch wenn der israelischen Psychologe Haim Ginott den Begriff der helicopter parents schon im Jahre 1969 verwendet hatte, populär wurde er vor ca. 10 Jahren durch die amerikanische Familientherapeutin Wendy Mogel. In den USA wird schon zwischen elterlichen „Rettungs-, Kampf- und Transport-Hubschraubern“ unterschieden. Wer die Vergleiche mit diesem fast überall starten und landen könnenden Fluggerät nicht mag, sollte trotzdem sein eigenes Verhalten kritisch überprüfen. Denn dass Eltern ihren Nachwuchs in unangemessener Weise vor alltäglichen Gefahren schützen wollen, anstelle ihrer Kinder – ob am Sandkasten, in der Schule oder beim Nachwuchs-Fußballclub – in die Kampf-Arena steigen oder ihre Töchter und Söhne ständig herumchauffieren, ist zur ‚Normalität’ geworden. Der dänische Familientherapeut Jesper Juul, der als Verfechter einer entspannten Erziehung gilt, beschreibt in einem Spiegel-Interview die Folgen von Überbehütung noch drastischer: ‚Verwahrlosung, Ignoranz und Desinteresse’, so argumentiert er, ‚richteten gar weniger Schaden in Kinderseelen an als jener Narzissmus, der den Nachwuchs glücklich und erfolgreich sehen will, um sich selbst als kompetent zu erleben’. „In Dänemark nennen wir sie Curling-Eltern, weil sie wie beim Eisstockschießen alle Hindernisse vor ihrem Kind aus dem Weg räumen“, sagt Juul. „Sie ersparen ihren Söhnen und Töchtern sogar den Anblick eigener Trauer, etwa beim Tod der Großeltern. Solche Kinder wissen nichts über andere Menschen und nichts über sich selbst. Sie wissen nicht, was es heißt, traurig oder frustriert zu sein, sie kennen deshalb kein Mitgefühl.“

Da die Verwöhnung beginnt, wo die Herausforderung ausbleibt, ist stattdessen folgender Grundsatz neu in den Blick zu nehmen: Wachstum entsteht durch Anstrengung, durch das eigenständige Meistern von Aufgaben oder Problemen. Im Bereich des Sports ist dies offensichtlich. Dann, wenn es fast nicht mehr geht, wenn es anfängt weh zu tun, erweitert sich unser Können, werden Leistungsgrenzen überschritten. Auch für die Aneignung von Wissen, technischen Fertigkeiten, geistiger Fitness trifft zu, dass nur ein ‘Dranbleiben’ die Kondition erweitert oder wenigstens hält. Und für das Entwickeln von sozialer Kompetenz ist dies keinesfalls anders. Hier sind dann ‘seelische Muskeln’ zu trainieren, um fit zu werden bzw. zu bleiben. Fehlt ein solches Training, werden Hürden als angeborene Grenzen oder als störende Akte der Umwelt erlebt. Denn immer geht es darum:

  • vom noch Nicht-Können zum Immer-umfangreicher-Können
  • vom Verharren vor Hürden zum: „Wie kann es trotzdem gehen!“

zu gelangen. Somit verhindert Verwöhnung kontinuierlich: Interesse und Neugier, Auseinandersetzungsbereitschaft, Kraft und Ausdauer, Eigeninitiative, Zielstrebigkeit, angemessene Rückmeldungen, Anerkennung (wer keine Anerkennung findet, erkennt auch nichts Anderes an!), Grenzerfahrungen, selbstgeschaffenen Erfolg, ein realistisches Selbstbild, Selbstvertrauen (wer sich nicht traut, traut auch keinem Anderen), Zufriedenheit und Selbstwert (wer sich selbst nicht als Wert erfährt, achtet auch keine anderen Werte), Lebensmut, Toleranz und Rücksicht, Eigenständigkeit, Verantwortung, soziale Kompetenz, kurz: Verwöhnung verhindert ein erfolgreiches Leben.

Sucht nach dem leichten Sein! – Verwöhnung als Volks-Droge

„Wir wissen, dass wir unsere Kinder verwöhnen, aber wir wollen keine Belehrung!“ Dies war die Spontanbotschaft einiger aufgebrachter Mütter im Vorfeld eines Seminarabends zum Thema: „Die Verwöhnungsfalle.“ Die Leiterin der Kindertagesstätte als Veranstalterin, welche diesen Satz etwas sorgenvoll dem Referenten als ‘Vorwarnung’ mitgeteilt hatte, schob sofort nach, dass die Erzieherinnen natürlich mit den Kindern aus diesen Familien die meisten Probleme haben. Auch wenn die Abwehrhaltung deutlich war, der betreffende Personenkreis kam trotzdem. Vielleicht wirkte ja das medienwirksame Kurz-Statement von Madonna und ihre Warnung vor den Gefahren für Kinder beim Aufwachsen im Wohlstands-Milieu: „Das Letzte was ich will, ist eine überhebliche Göre!“

Unabhängig davon, dass verwöhnende Eltern sich nicht gerne den Spiegel vorhalten lassen und Madonna ihre Tochter auf keine Fall verwöhnen will: Werden Kinder nicht in einer wohldosierten Mischung aus Zutrauen und Herausforderung auf das Leben vorbereitet, ist Versagen vorprogrammiert. Menschen sind darauf angelegt, etwas leisten zu wollen um sich selbst auch etwas leisten zu können. Wer Kinder und Jugendliche auf ein Leben in Selbständigkeit und Eigenverantwortung vorbereiten will, kann nicht für sie Handeln! Fehlendes Gefordert-Sein macht letztlich ohnmächtig und krank. Jede Über-Behütung führt auf Dauer zur Sucht nach dem leichten Sein.

Aufwachsen im Kindheits-Schonraum! – Das Leben ist hart genug

Auch wenn die wenigsten Eltern ihre Kinder bewusst verwöhnen wollen, der leicht über die Lippen gehende Satz: „Ich mach das schon für Dich!“ führt mitten ins Kerngeschehen. Je häufiger diese Haltung deutlich wird, je umfangreicher wird Eigeninitiative und Selbsttätigkeit verhindert. So nachvollziehbar die Gründe im Einzelfall auch sein mögen: Kinder können nur dann eigenständig ihr Leben meistern, wenn sie für die verschiedensten Ereignisse, Handlungsfelder, Wirrnisse, Krisen oder gar Stürme des Lebens stark gemacht werden. Eltern, Kindergärten Schulen und Einrichtungen der beruflichen Ausbildung haben demnach ein Umfeld zu schaffen, in welchem gelernt wird, Chancen zu erkennen und aufzugreifen.

„Diese Mühe habe ich ihr erspart, ich tat es gerne!“ – „Damit es nicht noch länger dauert, mir geht es wirklich leicht von der Hand!“ „Lass es, wenn du es nicht möchtest!“ – Was steckt hinter solchen Sätzen? Drücken sie nicht einfach Zuvorkommen und Hilfsbereitschaft aus? Sind sie nicht die mutige Gegenoffensive zum egoistischen ‘In-sich-selbst-Stehen’? Solch nette Gesten beleben doch erst das menschliche Miteinander, reduzieren die häufig feststellbare Kälte. Schließlich bereitet Helfen ja Freude. – Auch wenn all diese Motive nachvollziehbar und lauter wirken, um Klarheit zu erhalten müssen wir den Blick auf die Beweggründe der Verwöhner und die Folgen der Verwöhnung richten. Denn immer wird – unabhängig vom jeweiligen Anlass – ein Gegenüber mühelos sein Ziel erreichen. Je häufiger dies geschieht, je umfangreicher wird die Bereitschaft und Fähigkeit reduziert, selbst die entsprechenden Handlungen vorzunehmen. So führt jede leicht gemachte Annehmlichkeit immer auch Schrittweise in eine immer größere Abhängigkeit von Menschen, die es für ‘Entwöhnte’ richten sollen. Damit wird eine Anspruchshaltung in junge Menschen eingepflanzt, welche sich wie ein roter Faden durch das weitere Leben in Freundschaft, Partnerschaft, Beruf und Gesellschaft hindurch ziehen wird. Die Devise wird sein: ‚Weshalb sollte ich mich anstrengen, wenn es sich auch so gut Leben lässt! – Die Anderen sollen es richten’. Wenn dann aber im Leben wirklich eine eigenständige Leistung ansteht, ob innerhalb von Prüfungen, persönlichen Konflikten oder beruflichen Spannungs-Situationen, dann ist Versagen und Misslingen vorprogrammiert.

Zum Wesen der Verwöhnung! – Eine wichtige Differenzierung

„Kaum etwas bereitet Eltern solches Kopfzerbrechen wie die Frage, ob sie ihre Kinder verwöhnen. Niemand weiß genau, wann aus Zuwendung Verhätschelung wird“. Soweit eine Textpassage aus dem SPIEGEL zu den „verwöhnten Kleinen“, die alles haben-wollen, aber nichts eingeben. Diese Erfahrung machen Eltern immer wieder neu, wenn sie sich mit diesem Thema ernsthaft beschäftigen. Hier die häufigsten Antworten auf die Seminar-Frage: Was verstehen sie unter Verwöhnung:

  • Aufgaben abnehmen, die alleine zu bewältigen wären
  • jemand einen Gefallen tun
  • Konflikte und Auseinandersetzung vermeiden
  • liebevolle Zuwendung, einfach jemand gut sein
  • sofort springen, wenn Sohn oder Tochter was will
  • inkonsequent sein, ‚Drei’ eine gerade Zahl sein lassen
  • in Ausnahmesituationen was Schönes arrangieren
  • wenn ich den Sohn, wenn er verschlafen hat, zur Schule fahre
  • Weg des geringsten Widerstandes
  • mir von meinen Kindern auf der Nase herum tanzen lassen
  • wenn ich meinem Mann alles hinterher räume
  • Nackenmassage nach einem schweren Alltag
  • wenn ich für meine Kinder Dinge erledige, die sie übernommen haben
  • bei Krankheit der Kinder Dinge zulasse, die sonst nicht üblich sind
  • mir mal was gönne, was sonst zu teuer oder aufwendig ist

Vielleicht wurde schon erkannt: Dies Antworten pendeln zwischen okay und höchst problematisch. Bewertungsmaßstab ist, in welchem Umfang Menschen dazu gebracht werden, die Verantwortung und Fähigkeiten für das eigene Leben zu minimieren. Dabei erhalten Häufigkeit und Art der entsprechenden Verwöhn-Sequenzen eine prägende Bedeutung. Werden beispielsweise oft Aufgaben abgenommen, welche alleine zu bewältigen wären, wirken die negativen Folgen natürlich umso prägender. Dagegen sind die ‘ab-und-zu-Beispiele’ wie: ‘Sich oder anderen mal was besonderes zukommen lassen’ unproblematisch bis sinnvoll. Differenzierter ist jedoch der Blick auf Aussagen wie ’liebevolle Zuwendung ‘zu richten. Wirkt ein solcher Vorgang auf den ersten Blick gut und lobenswert, erschließt ein differenziertes Hinsehen die Brisanz. Was wird denn konkret unter liebevolle Zuwendung verstanden? Wer prüft, ab welchem Punkt diese Haltung schädigend wirkt? Von wem wird in den Blick genommen, welche Langzeitdefizite entstehen, wenn häufig etwas für ein Kind getan wird?

Nach dieser Erstbewertung des alltagssprachlichen Verständnisses von Verwöhnung ist es klärend, die unterschiedlichen Nennungen nach drei Aspekten zu differenzieren: Dabei bietet sich folgende Sprachregelung an:

1. Verwöhnung als häufiger Zustand. Bewertung: eindeutig negativ

  • Wunscherfüllung sofort, ob Essen, Trinken, Zuwendung, Freizeitinteressen
  • Grenzenlosigkeit bei Geschenken, Süßigkeiten oder Geldzuwendungen, Konsumgütern, Fernseh- und Internet-Nutzung, Ausgehzeiten, Umgangsregeln, kurz im ganzen Lebensalltag
  • in Watte packen bei kleinstem Unwohlsein oder vor anstehenden Herausforderungen in Schule oder Ausbildung
  • Aufgaben für Kinder lösen, welche in Eigenständigkeit zu Erlernen wären: vom Anziehen, Spielsachen wegräumen übers Brote schmieren bis zum Schulranzen packen und nachtragen
  • Konflikte im Umfeld der Kinder für diese lösen, Nachgeben, wo Standhalten angesagt ist, faule Kompromisse eingehen, die Inkonsequenz leben

2. Situationsbezogene Sonderzuwendung. Bewertung: angemessen bzw. förderlich

  • wenn besondere Anlässe oder Festtage anstehen, – im Urlaub
  • bei vorübergehenden Krankheiten > Achtung: wenn diese vorbei sind, steht der Schwenk auf Normal an.
  • wenn weit entfernt wohnende Großeltern oder andere wichtige Bezugspersonen zu Besuch kommen
  • wenn besondere Leistungen erbracht wurden

3. die Ermöglichung von Wohlfühlsituationen. Bewertung: wichtig und positiv

  • ein schöner Wochenendausflug, ein besonderes Abendessen in der Familie
  • eine spezielle Aufmerksamkeit als Dank oder zur Aufmunterung
  • ein Restaurant-, Kino-, Theater- oder Konzertbesuch
  • schöne Rahmenbedingungen für die Zweisamkeit
  • kurz: sich Oasen des Wohlbefindens schaffen (Achtung: Eine Oase setzt die Wüste voraus!)

Diese Aufteilung in Verbindung mit den entsprechenden Konkretisierungen verdeutlicht, Ausnahmen geben dem Alltag Kontur und Flair. Davon abgegrenzt springt die Brisanz aller verwöhnenden Umgangsformen, insbesondere wegen deren Langzeitwirkung ins Blickfeld. Daher ist der Verwöhnung der Kampf anzusagen. Immer werden wichtige Entwicklungsschritte oder Lernfelder be- oder verhindert. Letztlich mündet die Verwöhnung in der Entmutigung. So werden grundlegende Fähigkeiten entweder nicht entwickelt oder zugeschüttet. Ein solches Antrainieren von Unvermögen fördert die Isolation des Betroffenen und führt letztlich in die Abhängigkeit. Wer jedoch mit gutem Selbstwertgefühl Ziele verwirklichen möchte, muss früh lernen, sich anzustrengen. Das Leben ist oft eine harte Nuss und lässt sich nicht von Waschlappen knacken.

Zum Sprachverständnis des Begriffs Verwöhnung! – Eine Definition

Eine These zum Start: ‚Jedes Kind hat ein Recht, vor verwöhnenden Menschen geschützt zu werden’. Denn wer verwöhnt, verstößt gegen das Gesetz. Denn hier ist formuliert: ‘Alle Erziehungsmaßnahmen sind zum Wohle des Kindes durchzuführen’ (Grundgesetzt Artikel 6 sowie BGB §§ 1626 u. 1627 sowie die Präambel des SGB 8 bzw. des KJHG).

Wird der Begriff Verwöhnung im Zusammenhang mit Kinderverhalten oder Erziehung verwendet, ist er eindeutig negativ besetzt, denn ein verwöhntes Kind ist ein Gräuel. Sprachgeschichtlich kommt das Wort „Verwöhnen“ vom mittelalterlichen „verwenen“. Dies bedeutet, an etwas in übler Weise gewöhnen. Bezogen auf Kinder werden auch Begriffe wie verziehen, betüddeln, verzärteln und verweichlichen gebraucht. Eine Kurzbefragung von Studenten der Uni-Düsseldorf erbrachte folgendes Ergebnis:

  • „Verwöhnung bedeutet, jemanden über ein reelles Maß hinaus etwas Gutes tun, wobei die verwöhnte Person im gewissen Maße den Sinn für die Realität verlieren kann“ (Altenpflegerin, 49 Jahre, 2 Kinder).
  • „Verwöhnen heißt, für eine Person zu viel tun, Aufgaben abnehmen, die sie alleine bewältigen könnte, um Liebe zu beweisen. Hierbei können Hintergedanken eine Rolle spielen. Man verwöhnt oft Kinder, obwohl es klar sein sollte, dass das Kind dadurch verdorben wird“ (Industriekauffrau, 23 Jahre).
  • „Verwöhnt sind all jene Gören, denen man es nicht recht machen kann. Hier ist es zu viel dort viel zu wenig. Dauernd wollen sie bespaßt und unterhalten werden, quengeln bei kleinsten Anforderungen und giften in ihrer Unzufriedenheit die jeweilige Umgebung an. (Erzieher in einem Kindergarten, 26 Jahre)
  • „Jemanden etwas zukommen lassen, dass dieser nicht unbedingt braucht. Das Verwöhnen kann manchmal aus Eigennutz den Zweck haben, jemanden unmündig zu halten“ (Student für Erdkunde und Geschichte, 22 Jahre).
  • „Verwöhnen ist das ‘unnötige Erledigen’ von Arbeiten für einen Anderen, zur Erhaltung bzw. Erlangung seines eigenen Wohlbefindens“ (Schornsteinfeger, 25 Jahre).

Demnach bezeichnet Verwöhnung den Vorgang und das Ergebnis all jener Verhaltensweisen, welche die Entwicklung von Eigenständigkeit und Selbstverantwortung be- bzw. verhindern. Sie äußert sich entweder in einem emotionalen bzw. materiellen Zuviel oder in einem Zuwenig an Zutrauen. Mal wird sie durch übervorsichtiges Bremsen, mal durch unverantwortliches Gewähren lassen deutlich. Verwöhnung beginnt immer, wo die Herausforderung ausbleibt. Positives erhält keine angemessene Verstärkung und Negatives keine Begrenzung. Das Produkt der Verwöhnung ist somit der ent-mutigte Mensch.

Weshalb wird verwöhnt? – Die Frage der inneren Finalität

„Ich verwöhne gerne, was soll daran schlimm sein!“ So outen sich häufig Vollblut-Mütter in Seminarveranstaltungen. Nicht selten wird schnell nachgeschoben: „Auch wenn sie es nicht glauben, ich mache dies ganz selbstlos!“ An dieser Stelle zu verdeutlichen, dass manche Menschen sich in dieses ‘selbst-lose’ Tun so hineinsteigern, dass sie bald als „hilflose Helfer“ – so ein Buchtitel – ihr ‘Rest-Selbst’ wirklich los sind, würde mit größter Wahrscheinlichkeit auf schroffe Abwehr stoßen. Daher soll eine gedankliche Annäherung in der Weise erfolgen, dass erst einmal nach den Gründen für verwöhnendes Verhalten gefragt wird. Hier die häufigsten Nennungen innerhalb von Seminar-Arbeitsgruppen:

  • weil es mir Freude macht
  • weil es schneller geht, aus Bequemlichkeit
  • weil ich Konflikte vermeiden möchte
  • aus Angst, sonst nicht geliebt zu werden
  • um mit Anderen mitzuhalten, z.B. Kleidung und Konsum
  • als Belohnung für Leistung
  • weil ich selbst verwöhnt wurde
  • aus schlechtem Gewissen, z.B. zu wenig Zeit
  • als Reaktion, weil mir mein Partner etwas Gutes tat
  • um Gunst und Zuwendung zu erhalten
  • weil ich gebraucht werden möchte
  • um Abhängigkeit zu erzeugen, – als Machtausübung
  • weil ich so mehr Ruhe habe
  • um sich selbst eine Freude zu machen
  • weil ich meine groß gewordenen Kinder nicht loslassen kann
  • um nicht auf alles reagieren zu müssen, sehe ich häufig weg
  • um wenigsten kurz strahlende Kinderaugen zu sehen
  • ich verwöhne manchmal, um meinem getrennt leben Ex-Ehepartner eins Auszuwischen
  • weil ich eigentlich selbst verwöhnt werden möchte
  • manch verwöhnende Verlockung reduziert wenigsten zeitweise meinen tristen Alltag
  • um Stress abzubauen oder ihn nicht entstehen zu lassen

Abgesehen von den zwei Aussage, wo als Grund der Verwöhnung der Ausgleich einer ‘Vorleistung’ angegeben wurde, stand immer der eigene Vorteil im Zentrum. Geht es hier um den Erhalt der eigenen Ruhe, das gewinnen bzw. erhalten Wollen von Sympathie oder die Vermeidung von Konflikten, wird dort versucht, durch die Gewährung scheinbarer ‘Großzügigkeit und Freiheit’ emotionale Abhängigkeit bzw. ewige Dankbarkeit zu erzeugen. Das stille Kalkül ist, dadurch zur ‘Stabilisierung’ des eigenen Personseins beizutragen. So wird der fehlende eigene Lebensmut zum Gradmesser für eine Disposition zum Verwöhner. Dass solche Aktivitäten letztlich nicht tragen, wird schnell spürbar. Denn stabile Menschen brauchen keine Abhängigen, um ihnen am Abgrund der eigenen Angst beizustehen. Sie tragen zur Erstarkung der ihnen Anvertrauen bei. So wird auch manche aufopfernd wirken sollende Grundhaltung als Eigennutz enttarnt.

Um etwaige Abwehrreaktionen von Eltern oder anderen Erziehungskräften im Sinne, ‘dies macht doch kein vernünftiger Mensch’ in ihrer Wirksamkeit zu begrenzen: Je stärker Menschen sich an der Maxime ‘Ich umsorge, also bin ich!’ orientieren und je ausgeprägter ein zu großes Harmoniebedürfnis Konflikte zu vermeiden sucht, je umfangreicher ist eine Disposition zur Verwöhnung vorhanden. Denn wer möchte schon durch ein Aufgeben des eingeschlagenen Weges auf der Suche nach Existenzberechtigung eine Lebenskrise auslösen. Auch eine Reduktion der eigenen Harmoniesucht wird meist vehement vermieden werden. Hier ein Schnelltest zur Selbsteinschätzung: Je intensiver der Selbstwert aus der Mutter- oder Vaterrolle zu ziehen gesucht wird, je umfangreicher werden Kinder zum Objekt von Sinnsuche und Besitzbestrebungen. Oft ist dies die Reaktion darauf, dass es innerhalb der Partnerschaft an Wertschätzung mangelt. Um das Verkümmern dieser emotionalen Grundbedürfnisse zu begrenzen, sind solche Eltern daher permanent auf der Suche nach Bestätigung im Umgang mit dem Nachwuchs. Manche Flucht aus der Erziehungsverantwortung ist in diesem Zusammenhang ein nachvollziehbarer Notschrei in Richtung Partner, doch endlich einen Ausweg aus Begrenzung, Entwertung und Vereinsamung finden zu wollen.

Jedes verwöhnende Handeln spiegelt immer die Grundhaltung des ‘Dauernd-für-Andere-da-sein-Wollens’ wider. Damit wird die eigentliche Brisanz deutlich. Denn wenn Väter und Mütter per Verwöhnung ihre Wichtigkeit oder Funktion unter Beweis zu stellen suchen, frei nach der Devise: ‘Schau mal, wie lieb ich dich hab’ oder ‘Ich kann das besser’, wird Kindern jede Chance entzogen, in die Eigenverantwortung wachsen zu können. Die Versuchung, mal wieder die eigene ‘Gutheit’ oder ‘Wichtigkeit’ unter Beweis stellen zu können, ist übergroß und allgegenwärtig. Alle Vernebelungsmechanismen werden eingesetzt, um die negativen Folgen des eigenen Tuns für kleine oder größere Kinder auszublenden.

Verwöhnung als Vollzug! – Ein systematischer Killer von Lebenserfolg

„In der Situation schafft es mir Luft, dann leide ich darunter!“ – so das seufzende Eingeständnis einer Mutter von 3 Kindern. „Immer häufiger tanzen sie mir auf Kopf oder Nerven herum und ich merke es immer zu spät.“ – Natürlich reduziert es momentanen Stress, wenn dem schreienden Verlangen „Ich will jetzt sofort ….“ des sich vor der Supermarktkasse auf dem Boden werfenden Kindes nachgegeben wird. Aber kurze Zeit später steht die nächste – vielleicht noch wirkungsvoller in Szene gesetzte – Forderung im Raum. Was anfänglich aus Eigennutz vom Verwöhner/ der Verwöhnerin eingeleitet wurde, wirkt bald als Fluch für alle Beteiligten. Anstelle der erhofften Selbstbestätigung oder kurzfristige Vorteil für den Verwöhner / die Verwöhnerin dreht sich längerfristig die Forderungsschraube immer schneller und der Verwöhnte wird von Tag zu Tag unselbständiger und anspruchsvoller.

Zur Verdeutlichung der Zusammenhänge hier die Verwöhn-Formel 3 = 3

– falsches Helfen > Eltern übernehmen die vom Kind selbst zu erlernende Funktionen

– fehlende Begrenzung > Eltern kapitulieren vor den Aktionen der Kinder – ausbleibende Herausforderung > Eltern verhindern eine mutmachende Entwicklung

führen immer zu: Nichtkönnen > Abhängigkeit > Anspruchshaltung

Verwöhnung ist somit der Todfeind einer auf Eigenständigkeit und Selbstverantwortung gerichteten Erziehung, denn sie verhindert kontinuierlich die Entwicklung von Interesse und Neugier, Auseinandersetzungsbereitschaft, Kraft und Ausdauer, Eigeninitiative, Zielstrebigkeit, angemessene Rückmeldungen, Grenzerfahrungen und selbstgeschaffenen Erfolg. So können weder ein realistisches Selbstbild und damit Selbstvertrauen, noch Eigenständigkeit, soziale Kompetenz, Zufriedenheit, Selbstwert und Lebensmut wachsen. In der Folge werden Toleranz, Rücksicht und Selbst-Verantwortung auf der Strecke bleiben. Kurz, wer Jemand per Verwöhnung vor vermeintlich unangenehmen Lebenserfahrungen zu schützen sucht, verhindert ein erfolgreiches Leben.

Dies führt zu einer stetig größer werdenden Trägheit, Unfähigkeit und Verfallenheit, sowohl körperlich wie auch geistig! Hier einige Konkretisierungen:

  • große Defizite im Sprach- und Sprechvermögen: 25% der 3 – 4jährigen sind sprachlich zurückgeblieben, Ende der 1970ziger Jahre lag die Quote bei 4%. So der Direktor der Klinik für Kommunikationsstörungen an der Uni Mainz.
  • ein ständig zunehmendes Übergewicht: 20 % – 25% der Einschulungskinder bringen erheblich zuviel Pfunde aus die Waage. Neben allen anderen körperlichen Folgen springt ins Auge, dass diese Kinder in der Regel auch weniger Freunde haben.
  • starke Störungen bzw. Entwicklungsdefizite im Bereich der Grob- und Feinmotorik. Einschulungsuntersuchungen in einer Großstadt ergaben, dass 30 % der Jungen und 13% der Mädchen einen nicht altersgemäß entwickelten Gleichgewichtssinn hatten.
  • ca. 10% der Einschulungskinder bringen in der Schultüte gleich die Schulangst mit, weil sie als Prinzen bzw. Prinzessinnen mit hohen Ansprüchen aufwuchsen und kaum belastbar sind.
  • rapides Abnehmen von Antriebsstärke bzw. Anstrengungsbereitschaft (PISA lässt grüßen).

Damit wachsen Kinder und Jugendliche in die Unfähigkeit. Sie können auf diese Weise weder Eigenständigkeit noch ein angemessenes Selbstvertrauen entwickeln. Somit wird durch die Verwöhnung kontinuierlich die Entwicklung von Lebensmut verhindert, mit der Folge, für sich und andere keine Verantwortung zu übernehmen. Ist ein Mensch erst einmal auf diesen leicht erreichbaren Vorteils- oder Lustgewinn eingestellt, wird er alles daransetzen, möglichst oft in diesen Zustand zu gelangen. Verwöhnung äußert sich letztlich in dem bis zur Sucht gesteigerten Verlangen nach dem leichten Sein, natürlich zu Lasten Anderer.

Wer ein Leben auf ‘die leicht gemachte Annehmlichkeit’, das Prinzip ‚Jetzt und sofort’ oder ‘Bedürfnisbefriedigung ohne Eigenleistung’ aufbaut, blockiert systematisch die Entwicklung von Kraft und Mut sowie den Fähigkeiten, selbst für den eigenen Lebenserfolg zuständig sein zu können. Aber:

  • ohne Kraft und Mut keine Tat,
  • ohne fähiges Handeln kein Erfolg,
  • ohne Erfolg keine Anerkennung und Zufriedenheit!

Um jedoch – wenn auch ohne eigenes Tun – trotzdem überleben zu können, üben Verwöhnte von Kindesbeinen ein, Ansprüche zu formulieren und dafür zu sorgen, dass sie möglichst ‘Jetzt und sofort’ von Anderen umgesetzt werden. Wer aber dauernd mehr haben will, als er/sie selbst einzugeben bereit ist, wird für das Umfeld zu Dauerbelastung, ob in der Familie oder innerhalb der Gesellschaft. Nicht nur deshalb, weil dauernd Forderungen zu erfüllen sind, sondern weil trotz allem der klassisch Verwöhnte nie zufrieden ist. Denn ein positiver Selbstwert ist das Ergebnis eigenständig erbrachter Anstrengung und Leistung. Wer jedoch mit einer solch negativen Beitragsbilanz lebt, muss dauernd auf der Hut sein, dass die eigene Hohlheit und Unfähigkeit nicht entdeckt wird. Ein Leben in Unsicherheit und Unzufriedenheit ist vorprogrammiert.

Die leichte gemachte Annehmlichkeit! – Ein trügerischer Traum

Die Märchen von dienenden Feen, nützlichen Zwergen oder Zauberkobolden sind den meisten Menschen bekannt. Immer ranken sich diese Geschichten um den tief sitzenden Wunsch, ohne Anstrengung zu Ansehen, Glück, Macht oder/und Reichtum gelangen zu können. Ein Leben wie im Schlaraffenland wird angestrebt. Moderne Menschen hoffen aus den gleichen Gründen auf einen Lotterie-Gewinn. In diese Denkvorgänge passt die verwöhnende Lebensmaxime der leichte gemachten Annehmlichkeit. Alles was Haus und Küche bieten, wird jederzeit angedient. Die Eltern – in der Realität meist die Mütter – erklären sich für den ‘Tischlein-deck-Dich-Effekt’ zuständig. Wer jedoch in einer ‚all-Inclusive-Atmosphäre’ aufwächst, wird weder Eigenständigkeit noch Selbstverantwortung erlernen können und später – nach erfolgter Abhängigkeit – auch nicht mehr wollen. Auf einer solchen Basis jedoch die Zukunft der uns anvertrauten Kinder aufzubauen, ist nicht nur ein trügerischer Traum, es wäre verwerflich!

Auch wenn diese Ursache-Wirkungs-Verkettung in beträchtlichem Umfang Verwöhnverhalten erklärt, leitet dies nicht automatisch die Notwendigkeit der Reduzierung ein. Natürlich ist es nachvollziehbar, Kindern bestimmte Erleichterungen verschaffen zu wollen. Aber der Preis eines solchen Agierens gipfelt allzu häufig darin, sinnvolle oder notwendige Lebensvorbereitungen zu verhindern. Immer führen falsches Helfen, fehlende Begrenzung und ausbleibende Herausforderung dazu, dass wichtige Entwicklungsschritte bei Kindern und Jugendlichen be- oder verhindert werden. Da im Leben außerhalb von Verwöhn-Systemen andere ‚Gesetzmäßigkeiten’ existieren, wachsen Verwöhnte immer intensiver in eine Scheinwelt hinein. Denn Überbehütung und fehlende Grenzerfahrungen haben noch nie zu stabilen Erwachsenen sondern immer zu einer Reduzierung von Selbsttätigkeit, Eigenverantwortung und sozialer Kompetenz geführt.

‚Verwöhnung macht asozial, lebensuntüchtig und einsam!’ Eltern und andere Erziehungskräfte haben den Auftrag, Kinder und Jugendliche in ein eigenständiges Leben zu führen und das ist nicht im Schongang erlernbar. Der Satz: ,Stehlt den Kindern die Probleme nicht!, bringt die Zusammenhänge gut auf den Punkt. Denn dadurch werden sie zu unselbstständigen Menschen, die alles wollen aber nichts geben und später in der ersten eigenständigen Wohnung erschrocken feststellen, dass der Mülleimer nicht von alleine leer und der Kühlschrank nicht von alleine voll wird. Kinder brauchen Herausforderungen, um stark zu werden’.

Verwöhnte Teenies! – Sie fliegen aus der Lehrstelle oder brechen das Studium ab

Das erzieherische Unvermögen im Umgang mit unseren Kindern ist extrem steigerungsfähig. Hier zwei aktuelle Belege zu verwöhnten Kindern aus der Schweiz: „Mami, gib mir Geld oder ich schlage dich. – Das neuste Smartphone, die teuerste Tasche: Bekommen Kinder und Jugendliche nicht, was sie wollen, ticken sie aus.“ – Ein Kinderpsychologe: „Verwöhnte Teenies kriegen keine Lehrstelle. – Kritikunfähig, zart besaitet, zu wenig ehrgeizig: Viele Junge müssen ihre Lehre abbrechen, weil sie zu verwöhnt sind“, sagt Psychologe Henri Guttmann (beides Beiträge der Zeitung „20 Minuten“ vom 11.3.2015). Dazu titelt „DIE WELT“: „Die Schule geschafft, aber der Arbeitswelt nicht gewachsen. – Seit Jahren sollen ‚unnötige Härten’ vermieden werden: keine Grundregeln beim Schreiben, keine schriftlichen Prüfungen, kein Sitzenbleiben. Mit der wahren Arbeitswelt sind Jugendliche so überfordert“ (vom 26.03.15). Und wenn dann die exklusiv im Auftrag des Stern durchgeführte tiefenpsychologische Kinderstudie als Resultat formuliert: “Eltern, erzieht uns endlich wieder!” (vom 28.1.2015) und folgert: „Nicht Leistungsdruck überfordert unseren Nachwuchs, sondern Eltern, die ihren Job nicht richtig machen“, dann ist adäquates Handeln angesagt.

Dies ist jedoch leichter formuliert als umgesetzt. Denn eingefahrene Verhaltensmuster, eine zu starke Identifikation mit dem eigenen Nachwuchs, permanent Zeitdruck zu empfinden, selbst keine Spannung oder Anstrengung aushalten und sich nicht wirklich auf das eigene Kind mit seinen jeweiligen Bedürfnissen einlassen zu wollen bzw. zu können, werden vielfältige Abwehrmechanismen aktivieren. ‚Schließlich geht es um meine Kinder, da hat sich niemand einzumischen’, ist der häufigste Verteidigungs-Versuch. Aber ein tiefer gehender Blick macht deutlich, dass es meist nicht um die Kinder, sondern ums eigene Wollen und Wohlbefinden geht. Um die notwendigen Veränderungsschritte einzuleiten, ist eine kräftige Portion Selbst-Kritik und Umorientierungs-Bereitschaft notwendig.

Wer also Kinder in Watte packt, Lernen nur bei Spaß bejaht und wegen einer möglichen Trübung strahlender Kinderaugen nicht nein sagen oder die einsetzenden Folgen eines unguten Verhaltens nicht zulassen kann, potenziert Unvermögen Dies wird auf jeden Fall in einem durch Wettbewerb und Leistung geprägten Leben hart für die Betroffenen werden. Denn: „Kinder bekommen zu wenig von dem, was sie brauchen, wenn sie zuviel von dem bekommen, was sie wollen“ so Jugendforscher Prof. Klaus Hurrelmann.

Ermutigende Herausforderungen! – Der Übungsraum für starke Kinder

Sicherheit wächst, wenn von Kindesbeinen erlernt wurde, den Anforderungen des Lebens gewappnet gegenüber treten zu können. Das hat nicht nur die Bindungs-, sondern auch die Resilienz-Forschung herausgestellt. Nur wer möglichst vielfältige Strategien im Umgang mit Problemen oder Konflikten erlernte, kann auf die unterschiedlichsten Herausforderungen angemessen reagieren. Denn nur die Erfahrung, Chancen aufgreifen und Ziele verwirklichen zu können, führt zu einem durch Gelassenheit und Zuversicht geprägten Wachstum. So wird Unsicherheit reduziert und Stärke potenziert, ob für Schule, Ausbildung und Beruf oder das Zusammenleben in Freundschaft und Familie. Nicht die Verweigerung, nur das eigene Leistungs-Vermögen macht unabhängig! So entpuppen sich ins Unermessliche wuchernde Anspruchshaltungen in Elternhaus, Kindergarten und Schule, Partnerschaft und im Berufsleben immer deutlicher zum Kern-Problem des Miteinanders in Konsumgesellschaften.

Aber was kennzeichnet ein Kind mit breit angelegten sozial-emotionalen Kompetenzen? Es lässt sich nicht vom ersten Gegenwind umpusten, sieht sich nicht als den Mittelpunkt der Welt, bringt sich förderlich in die Gemeinschaft ein, lernt mit Spannungen und Konflikten umzugehen, kann nachgeben ohne aufzugeben, erkennt mit dem Älterwerden immer deutlicher, dass Eltern nicht das Attribut der Vollkommenheit besitzen und demnach nicht immer alles richtig machen. Das hat zur Folge, auch mit eigenen Begrenztheiten besser umgehen zu können. So entwickelt sich eine stabile Selbstwirksamkeit in Verbindung mit einem gediegenen Mut-Pegel. Beides äußert sich in der Fähigkeit, schwierige Herausforderungs-Situationen mit Herz und Verstand sowie Kraft und Ideenreichtum einer Lösung zuführen zu können. Auf diese Weise erhalten Kinder die besten Voraussetzungen, sich zu liebenswürdigen Erwachsenen mit einem stabilen sozial orientieren ICH entwickeln zu können. Es geht also um die Vermittlung eines ‚ich pack das Leben mutig an Faktors’.

Weiterführende Literatur

  • Ashner, Laurie u. Meyerson, Mitch (1991): Wenn Eltern zu sehr Lieben. Reinbek.
  • Prekop, Jirina (1995): Der kleine Tyrann, Welchen Halt brauchen Kinder? München.
  • Winterhoff, Michael: Weshalb unsere Kinder zu Tyrannen werden?
  • Wunsch, Albert (2013): Die Verwöhnungsfalle. Für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit, 14. restlos überarbeitete und wesentlich ergänzte Neuauflage, München.
  • Wunsch, Albert (2007): Abschied von der Spaßpädagogik. Für einen Kurswechsel in der Erziehung. München 2003, 4. Auflage München.
  • Wunsch, Albert (2015): Mit mehr Selbst zu m stabilen ICH. Resilienz als Basis der Persönlichkeitsbildung. Heidelberg 2013, 2. Auflage.
  • Wunsch, Albert: Helikopter-Eltern auf dem Vormarsch In: The European

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Dr. Albert Wunsch ist Psychologe, Diplom Sozialpädagoge, Diplom Pädagoge und promovierter Erziehungswissenschaftler. Bevor er 2004 eine Lehrtätigkeit an der Katholischen Hochschule NRW in Köln (Bereich Sozialwesen) begann, leitete er ca. 25 Jahre das Katholische Jugendamt in Neuss. Im Jahre 2013 begann er eine hauptamtliche Lehrtätigkeit an der Hochschule für Ökonomie und Management (FOM) in Essen / Neuss. Außerdem hat er seit vielen Jahren einen Lehrauftrag an der Philosophischen Fakultät der Uni Düsseldorf und arbeitet in eigener Praxis als Paar-, Erziehungs-, Lebens- und Konflikt-Berater sowie als Supervisor und Konflikt-Coach (DGSv). Er ist Vater von 2 Söhnen und Großvater von 3 Enkeltöchtern.

Kontakt

Dr. Albert Wunsch, Im Hawisch 17, 41470 Neuss

Website

Erstellt am 17. Januar 2005, zuletzt geändert am 10. Juni 2015

Staatsinstitut für Frühpädagogik und Medienkompetenz
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