Wie bereite ich mein Kind auf die Zukunft vor?

Dr. Matthias Herzog
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Was braucht Ihr Kind, um sich in einer laufend verändernden Welt zu Recht zu finden? Es geht darum, Kinder viele Dinge ausprobieren zu lassen, um psychologische Kraft zu sammeln. Selbsttätigkeit, Selbsteinbettung, Grenzmanagement werden als wirkungsvolle Erziehungskonzepte vorgestellt.

Wie wird die Welt von morgen?

Der Lebenslauf wird sich beschleunigen, an Vielfalt gewinnen und man wird weniger einschätzen können, was in seinem Leben so alles passieren wird. Man wird in der Früh einen Café trinken, um seinen Tag zu planen und am Abend drauf kommen, dass nur ein Teil geklappt hat. Unterbrechungen, Unvorhersehbares und Enttäuschungen sind alltäglich. Die Wahrscheinlichkeit, viele Jahre denselben Job zu machen, sinkt. Flexibilität wird noch mehr gefragt sein, aber auch ein Bewältigen von Stillstand, etwa bedingt durch Arbeitslosigkeit. Ähnliches gilt für Beziehungen. Das Phänomen Lebensabschnittspartner wird sich weiter ausbreiten. Man wird in seinem Leben mehr Beziehungen und Freundschaften eingehen und wieder auflösen. Unmut und Glück im Zusammenhang mit Mitmenschen und Beruf wird sich vermehren, so die Prognose.

Wie bereite ich meinen Sprössling auf eine „flüssige“ Welt vor?

Ja, Sie haben richtig gehört. Als ich das erste Mal „flüssige Welt“ hörte, dachte ich: Müssen wir zurück ins Meer? Natürlich ist etwas anderes gemeint, nämlich dass gesellschaftliche Vorgaben (Berufswahl, Beziehungsart, Werte) an Festigkeit verlieren und sich verflüssigen. Gesellschaftliche Vorgaben, die uns unbewusst beeinflussen und mitsteuern, werden weniger intensiv und nur diffus erkennbar. Es wird wichtig, selbst das Licht einzuschalten bzw. „selbst tätig zu werden“. Das ist auch der erste Tipp: Fördern Sie bei Ihrem Kind die Selbsttätigkeit. Selbsttätigkeit ist nicht zu verwechseln mit Selbstständigkeit oder Selbstbewusstsein. Die Wörter haben zwar Gemeinsamkeiten, aber der Schwerpunkt bei Selbsttätigkeit liegt auf dem Selber-Tun! Abzuraten ist von Entscheidungen, die so verlaufen: Unser Sprössling stieg schulisch (beruflich) in die Fußstapfen seiner Elter. Er wusste zwar nicht, ob es ihm passte, aber machte es trotzdem irgendwie.

Es werden Phasen des Ausprobierens, des Selber-Tuns empfohlen. Lieber abbrechen und neu beginnen, als bei einer unbefriedigenden Tätigkeit hängen bleiben und lernen durchzuhalten. Auch wenn ihr Sprössling einmal bei der Ausbildung auf das falsche Pferd gesetzt hat, kann es sich um wichtige Lebenserfahrungen handeln. Alles, was Ihr Kind selber macht, versteht es besonders gut. Es gewinnt an Zuversicht und wird stabiler, nicht schlecht, wenn es darum geht, sich in einer flüssigen Welt zu behaupten. Diejenigen die schon früh gelernt haben, sich an eigenen Entscheidungen zu orientieren, haben später auf vielen Gebieten einen Vorsprung.

Wichtige Dinge in seinem Leben muss man selbst entscheiden. So kann psychologische Kraft gesammelt werden. Die einen wollen eine Familie gründen, für die anderen ist der Gedanke einengend, sie glauben an das Glück im Beruf. Kurz gesagt: Die Zukunft besteht aus viel mehr Formen des menschlichen Zusammenlebens und Strebens, als wir es uns heute ausmalen können. Das war in der Vergangenheit anders. In den 50er Jahren übernahmen wir hauptsächlich die vorgelebten Lebenskonzepte. Psychologen sprechen dabei von Außenorientierung. Übrigens war es eine Blütezeit des schlechten Gewissens. In den 80er Jahren kam die Innenorientierung in Mode, denken Sie nur an Selbstfindung und Selbstverwirklichung. Die Zukunft gehört dem Schöpfen aus sich selbst und seinem Freundeskreis, einem Pendeln zwischen Außen- und Innenorientierung.

Warum muss mehr aus sich selbst geschöpft werden?

Wie schon gesagt, egal ob man auf die Berufs- oder auf die Beziehungswelt schaut, die Wahrscheinlichkeit, immer wieder zurück an den Start zu müssen, steigt. >Zurück an den Start< heißt, dass man immer wieder aufs Neue Kraft und gute Nerven brauchen wird, schließlich geht es darum, Gewohnheiten über Bord zu werfen und Unbekanntes an Bord zu holen. Einerseits ist es richtig, dass man mehr aus sich selber schöpfen wird, anderseits kann und soll man in seinem Leben nicht alles alleine schaffen, sondern Freunde miteinbeziehen. D.h. auch soziale Beziehungen werden vielfältig gefordert und neue Aufgaben erhalten. Soziale Kompetenz ist wichtig, um sich in der Welt von morgen wohl zu fühlen, gesellschaftlichen Druck auszugleichen und nicht unter Einsamkeit zu leiden. Die beschriebene gesellschaftliche Verflüssigung birgt nämlich die Gefahr, sozial abzutreiben. Hat ihr Kind genügend Freunde? Falls Sie den Eindruck haben, dass Ihr Kind ängstlich ist und deswegen zu wenige Freundschaften hat, suchen Sie Rat bei einem klinischen Psychologen. Es gibt Testverfahren, um Angst zu diagnostizieren. Ängste werden übrigens häufig von den Eltern auf die Kinder übertragen. So gesehen sollte man sich bei diesem Thema auch selbst an der Nase nehmen: Haben Sie genügend Freunde? Meist hilft es, wenn man sich solche persönliche Fragen in einer ruhigen Minute stellt und sie möglichst ehrlich beantwortet, um herauszufinden, wie es um seine Selbsteinbettung steht. Selbsteinbettungsprofis haben meist schon früh in ihrem Leben gelernt, neue Kontakte zu knüpfen und sich für andere Menschen zu interessieren.

Wie wird zwischen Innen- und Außenspiegel gependelt?

Auf der Fahrt in die Welt von morgen ist der auf einen selbst gerichtete Innenspiegel genauso wichtig, wie der Außenspiegel für die Beobachtung der Umgebung. Wir selbst stellen dabei die Spiegel ein. Wir entscheiden über unsere Orientierungshilfen. Um mehr aus uns selbst zu schöpfen ist es notwendig, sich als aktiven Menschen wahrnehmen zu lernen und viel zu wissen bzw. Spaß am Lernen zu haben. Vermitteln Sie Ihrem Kind, dass es seinen Alltag aktiv beeinflussen kann. Es geht darum, dass Ihr Kind merkt, dass es sich auszahlt, selber zu überlegen, weil dann auch etwas Tolles passiert. Es wird Ihrem Kind viel Spaß bereiten, aus sich selbst zu schöpfen, seine Talente kennen zu lernen, Neues selber ausprobieren zu dürfen, ohne dass dem Kind davor alles erklärt wird. Passen Sie bitte darauf auf, Ihrem Sprössling nicht zu viel zuzumuten. Die diesbezügliche Richtschnur ist, bis zum 10. Lebensjahr wichtige Entscheidungen für Ihr Kind zu treffen, da es sonst überfordert wird (d.h. welches Essen, Höhe des Taschengeldes, welche Spiele, wie viel Zeit mit Medien, Aufenthalt des Kindes, …).

Sollten wir Kindern strenge Grenzen setzen?

Der psychologische Zukunftstipp für den Umgang mit der verflüssigten Welt fokussiert auch das Thema Grenzen, Stichwort: Grenzmanagement. Grenzen zu managen meint, dass Grenzziehungen immer wieder geprüft werden. Es geht um Management und nicht um Strenge. In einem Lebensbereich kann es plötzlich notwendig werden zu bremsen bzw. sich abzugrenzen, in einem anderen sich zu öffnen. Wir besitzen verschiedene Modelle, uns zu verhalten bzw. Beziehungen einzugehen. Probieren Sie einfach immer wieder neue Verhaltensmöglichkeiten aus. Vielleicht wollen Sie sich in der Arbeit anders präsentieren, als mit ihren Freunden oder Ihrem Kind. So managen Sie Ihre Grenzen, da Sie die Arbeitsbeziehung von privaten bzw. einer erziehenden Beziehung unterscheiden und immer wieder auf Veränderungen anpassen. Fordern Sie auch nicht von Ihrem Kind ein, sich bei den Großeltern oder mit befreundeten Kindern genauso zu verhalten, wie mit Ihnen.

Ob Selbsttätigkeit, Selbsteinbettung oder Grenzmanagement, stets geht es darum, dass wir vermehrt aktiv auftreten. Kinder lernen das meiste durch Beobachtung ihrer Eltern. Je früher Sie ein >aktives durch die Welt gehen< vorleben, desto besser. Entscheiden Sie immer wieder aufs Neue, was Ihr Kind schon selbst bewältigen kann. Eine spannende Aufgabe, über die man am besten auch mit anderen Eltern plaudert, um seine Entscheidungen fein abzustimmen.

Autor

Dr. Matthias Herzog lebt und arbeitet in Wien. Er hat eine psychotherapeutische Praxis und erstellt Gutachten für das Familiengericht und die Jugendwohlfahrt. Lehraufträge an der Universität Wien und für den Berufsverband der PsychologInnen.

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Erstellt am 29. Juni 2005, zuletzt geändert am 17. Juni 2013