Zufriedene Kinder, entspannte Eltern –

Kennzeichen einer hilfreichen Eltern-Kind-Beziehung (Teil 2)

Kerstin Brausewetter
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So ziemlich alle Eltern wünschen sich zufriedene Kinder. Sind die Kinder zufrieden, sind die Eltern entspannt. Doch was ist, wenn die Kinder unzufrieden sind?

Im zweiten Teil des Beitrages geht es darum, wie wir hilfreich reagieren können, wenn unser Kind ein Problem hat, weil seine Bedürfnisse nicht ausreichend befriedigt werden.

Zürcher Fit-Konzept (nach Largo 2002)

Das Zürcher Fit-Konzept (Abb. 1) strebt „eine möglichst gute Übereinstimmung zwischen den individuellen Bedürfnissen und Entwicklungseinheiten des Kindes und seiner Umwelt“ (Largo 2002, 248) an.

 Fitsilhouette Largo Kinderjahre S248 Erg _nzt

Abbildung 1: Zürcher Fit-Konzept (angelehnt an Largo 2002, 248)

Ziel ist es, dass sich das Kind wohl fühlt und aktiv ist. Die Umwelt trägt zu diesem Wohlbefinden bei, indem die Bezugspersonen die Grundbedürfnisse des Kindes befriedigen und ihm Zuwendung und soziale Anerkennung ermöglichen. Bei älteren Kindern spielen hierfür auch Gleichaltrige eine wichtige Rolle. Die Umwelt ermöglicht darüber hinaus Entwicklung und Lernen, in der Schule und in der Freizeit. Eine solche, möglichst perfekte Übereinstimmung zwischen Kind und Umwelt ist nur vorübergehend erreichbar. „Schwerwiegende Verhaltensauffälligkeiten und Entwicklungsstörungen“ (Largo 2002, 248) können allerdings auftreten, wenn „die individuellen Bedürfnisse eines Kindes ungenügend befriedigt werden“ (Largo 2002, 302). Gerade Kinder (und ihre Eltern), die aus unterschiedlichen Gründen anders als die Norm sind, erleben immer wieder eine mangelnde Passung zwischen sich und ihrer Umwelt.

Misfit (nach Largo 2002)

So eine mangelnde Passung, auch Misfit (Largo 2002) genannt, äußert sich in zeitlich gestaffelter Abfolge:

1. Im ersten Schritt führt die mangelnde Passung zu einer Beeinträchtigung des Wohlbefindens und Selbstwertgefühls des Kindes: es ist unglücklich, quengelig und lustlos und wenig an seiner Umwelt interessiert. Dieses Stadium wird leicht von den Mitmenschen übersehen und oft nur von den Eltern wahrgenommen.

2. Das Kind versucht seine Bedürfnisse zu befriedigen und zu bekommen, was ihm fehlt. Wenn die Eltern nur ablehnend auf das kindliche Verhalten reagieren und sich nicht auch vermehrt dem Kind zuwenden, wird das kindliche Verhalten oft stärker.

3. Wenn der Misfit anhält und somit zu einer chronischen Belastung wird, reagiert das Kind je nach seiner Veranlagung auf unterschiedliche Art und Weise: Das eine Kind zeigt auffälliges Verhalten, indem es z.B. aggressiv wird. Ein anderes Kind entwickelt psychosomatische Symptome, wie z.B. Einnässen, und bei einem dritten Kind treten Entwicklungsverzögerungen auf.

4. Wenn die Erfahrung der mangelnden Passung lange anhält, können die „Kräfte und (…) Gegenwehr“ (Largo 2002, 304) des Kindes nachlassen, das „Kind wird antriebslos und entwickelt sich nur noch langsam“ (ebd.). Ein solcher Zusammenbruch ist glücklicherweise selten.

Wir haben nun die Folgen mangelnder Passung zwischen Kind und Umwelt kennen gelernt. Als Eltern wollen wir mit Sicherheit nicht, dass sich diese Folgen einstellen. Woran können wir erkennen, dass unser Kind ein Problem hat?

Signale dafür, dass ein Kind ein Problem besitzt

Der im vorigen Abschnitt dargestellte Misfit liefert uns Anhaltspunkte für Signale unseres Kindes, die darauf hinweisen, dass es ein Problem hat. Dabei lassen sich grob zwei Verhaltensweisen unterscheiden:

a) Das Kind äußert sich verbal: z.B. „Immer diese doofe Schule!“ oder „Keiner mag mich!“.

b) Das Kind sendet nonverbale Hinweise wie:

  • Weinen
  • Schmollen
  • Auffällig Stillsein
  • Schlagen
  • Beißen
  • Nicht essen
  • Schlaflosigkeit
  • Lustlosigkeit
  • Traurigkeit
  • Angst
  • Unsicherheit

Wichtig ist zu beachten, dass die genannten Verhaltensweisen ein Problem Ihres Kindes anzeigen können, aber nicht müssen! Ihr Kind ißt vielleicht nicht, weil es ein Problem hat, sondern weil es keinen Hunger hat.

Mein Kind hat ein Problem – wie kann ich reagieren?

Zunächst einmal geht es darum, aufzuzeigen, welche Verhaltensweisen des Erwachsenen nicht hilfreich sind:

Versetzen wir uns in unsere Teenagerzeit, als wir selbst ein Problem hatten, z.B. unglücklich verliebt waren und unsere Eltern uns nach dem Wer? Wo? Und Warum? ausfragten. Oder als wir auf unser Problem Kommentare erhielten wie „Mach Dir nichts draus, der war eh nicht gut für Dich.“ Oder „So hübsch wie Du bist, findest Du schnell ´nen Neuen.“. Solche Reaktionen haben uns wohl alle gestört. Hilfreich waren sie jedenfalls nicht!

Und doch erkennen wir uns wohl alle in einer der folgenden Antworten (Abb. 2) wieder, wenn unser Kind sich folgendermaßen zum Thema Schule äußert: „Scheiß Schule. Ich hab keine Lust mehr auf den ganzen Mist. Sobald ich kann, geh ich ab. Abi braucht sowieso kein Mensch!“

Kommuni-kationssperre

Typ

Antwort

1

befehlen, anordnen, auffordern

„Du machst gefälligst dein Abi! Das wäre ja noch schöner.“

2

warnen, drohen

„Dann sieh zu, wie du klarkommst. Von uns erhältst du kein Geld.”

3

moralisieren, predigen

„Aber Kind. Ich an Deiner Stelle wäre gerne länger zur Schule gegangen!“

4

Ratschläge erteilen, Lösungen vorgeben

„Naja, nun lass das erst mal alles sacken: und dann kannst du dich ja mal bei der Berufsberatung nach Alternativen erkundigen.“

5

Vorträge halten, belehren, Fakten liefern

„Mit dem Abi steht dir die Welt offen: du kannst dir die Lehrstelle aussuchen oder auch studieren!“

6

Urteile fällen, Vorwürfe machen, kritisieren

„Das sagst du jetzt nur so aus einer Laune heraus.“

7

loben, schmeicheln

„Ach Mensch, wer, wenn nicht du, sollte das denn schaffen?“

8

beschimpfen, lächerlich machen

„Du redest wie ein Volltrottel.“

9

interpretieren, diagnostizieren, analysieren

„Du willst aufhören, weil du Schwierigkeiten in Englisch hast.“

10

trösten, Sympathie bekunden

„Das kann ich nachempfinden: damals wollte ich auch die Schule schmeißen,
aber heute bin ich froh, dass ich´s nicht getan hab.“

11

forschen, fragen, verhören

„Aha, und wie soll´s dann weitergehen?“

12

zurückziehen, ablenken, ausweichen

„Okay, okay, lass uns später drüber reden. – Wie geht´s eigentlich deiner Freundin?“

Abbildung 2: Kommunikationssperren (zusammengefasst und verändert nach Gordon 2002 und Gordon & Burch 2002)

Die Reaktionen unseres Kindes darauf zeigen uns, dass diese Verhaltensweisen nicht hilfreich sind. Gordon nennt sie „Kommunikationssperren“ (Gordon & Burch 2002, 68), denn sie enthalten versteckte Botschaften wie (ebd., 69):

  • „Weil du zu dumm bist, sage ich es dir.“
  • „Mit dir stimmt was nicht.“
  • „Ich will davon nichts wissen.

Allerdings hemmen die „Kommunikationssperren“ (ebd., 68) nur dann die Kommunikation, wenn Ihr Kind ein Problem hat. In entspannten Momenten können und sollen Sie durchaus Ihr Verhaltensrepertoire so ausweiten, dass Sie Ihr Kind zum Beispiel trösten oder ihm Ratschläge erteilen.

Hilfreiche Verhaltensweisen

Aber welche Reaktionen der Eltern sind dann hilfreich? Gordon nennt „fünf Werkzeuge“ des erfolgreichen Zuhörens (Gordon & Burch 2002):

  1. Stilles Zuhören
  2. Zugewandte Haltung
  3. „Aufmerksamkeitsreaktionen“ (Gordon 2002, 58)
  4. „Türöffner“ (ebd.)
  5. „Aktives Zuhören“ (ebd., 59).

Grundvoraussetzung für ihre Anwendung ist allerdings, dass wir

  • überhaupt gewillt sind, in Ruhe zuzuhören;
  • das Kind mit seinem Problem so annehmen, wie es ist;
  • Zeit haben.

Stilles Zuhören

Hören Sie einfach still zu, was Ihr Kind über sein Problem zu sagen hat. Das ist für die meisten von uns eine ganz neue Haltung und eine Angewohnheit, an die wir uns erst gewöhnen müssen. Manchmal fällt es uns auch schwer, das, was wir aus dem Munde unseres Kindes hören, zu akzeptieren. Das kann so weit gehen, dass wir nicht mehr gewillt sind, unserem Kind zuzuhören. Damit ist eine der Grundvoraussetzungen dafür, dass diese Verhaltensweise hilfreich und der Situation angemessen ist, nicht mehr gegeben. Vielmehr haben wir jetzt ein Problem und darauf ist die angemessene Reaktion eine Ich-Botschaft, die wir in einer der kommenden Folgen genauer besprechen werden.

Zugewandte Haltung (nach Gordon & Burch 2002)

Den beim stillen Zuhören erzielten positiven Effekt verstärken Sie durch eine Ihrem Kind zugewandte Haltung: wenden Sie Ihren Körper Ihrem Kind zu und nehmen Sie dabei eine offene Körperhaltung ein. Schauen Sie Ihr Kind an, aber bleiben Sie außerhalb seines persönlichen Raumes, rücken Sie ihm also nicht „auf die Pelle“. Dieser persönliche Raum kann von Person zu Person sehr unterschiedlich sein. Dieser Abstand beträgt bei vielen Menschen etwa ein bis zwei Meter. Dass Sie diesen Abstand überschritten haben, merken Sie daran, dass sich Ihr Gegenüber zurücklehnt. Dann sollten Sie auf jeden Fall ein Stück, mindestens dreißig Zentimeter, zurückweichen.

Aufmerksamkeit (nach Gordon & Burch 2002)

Das stille Zuhören mit der zugewandten Körperhaltung ist für Ihr Kind bereits sehr positiv. Da es aber nicht weiß, ob Sie ihm aufmerksam zuhören, ist es gut, wenn sie ab und an bestätigende Lautäußerungen von sich geben, wie „Ah.“, „Ach so.“, „Echt.“ Zur Untermalung können Sie noch mit dem Kopf nicken oder ein anderes bestätigendes Mienenspiel zeigen. Dies zeigt Ihr aufmerksames Zuhören an.

Keineswegs sollten Sie daraus ein kleines Schauspiel ableiten, bei dem sie verkrampft dasitzen und nach jedem zweiten Satz Ihres Kindes „Echt.“ rufen. Das wird wahrscheinlich als ziemlich nervig wahrgenommen!

„Türöffner“ (Gordon 2002, 58)

Wenn Ihr Kind mit seinem Verhalten oder seinen Worten deutlich macht, dass es ein Problem hat, können Sie es unterstützen, darüber zu reden: Sie laden Ihr Kind mit einer Äußerung wie „Komm, erzähl mir, was los ist.“ oder „Du scheinst traurig zu sein. Möchtest du darüber reden?“ dazu ein, sich zu öffnen. Diese Verhaltensweise wird deshalb auch „Türöffner“ (ebd.) genannt.

Im Gegensatz zu den oben genannten Kommunikationssperren enthalten diese Fragen und Aussagen keine Beurteilungen oder Einschätzungen und Ihr Kind kann selbst entscheiden, was es Ihnen mitteilen möchte.

„Aktives Zuhören“ (Gordon 2002, 59)

Beim „aktiven Zuhören“ (ebd.) melden Sie Ihrem Gegenüber, im Gegensatz zum stillen Zuhören, zurück, was Sie inhaltlich gehört und wahrgenommen haben. Sie spiegeln also mit Ihren eigenen Worten die Botschaft, die Sie dem Gesagten entnommen haben.

Ein Beispiel soll das verdeutlichen:

Ihr Kind ist gefallen und hat sich das Knie aufgeschlagen.

Es sagt: „Mama, schau mal! Wie das blutet.“

Sie vermuten, dass es sich vor dem Blut fürchtet. Also antworten Sie: „Du hast dich ganz schön erschreckt bei dem vielen Blut.“

Ob Sie richtig liegen, zeigt sich in der Antwort Ihres Kindes.

Lautet sie „Total.“, liegen Sie richtig.

Antwortet es „Mach das Blut weg. Ich kann es nicht sehen.“, haben Sie seine Botschaft falsch oder ungenau entschlüsselt.

Also melden Sie Ihre Vermutung, dass Ihr Kind ein Pflaster braucht, mit den Worten „Sollen wir ein Pflaster draufmachen?“ zurück.

Und aus der Antwort Ihres Kindes können Sie dann wiederum ablesen, ob Sie seine Botschaft richtig entschlüsselt haben oder nicht.

Mit dieser Verhaltensweise geben Sie Ihrem Kind wieder Sicherheit, denn die Angst vor all dem Blut hat es stark verunsichert.

Fazit

An dem Verhalten oder den verbalen Äußerungen Ihres Kindes können Sie erkennen, ob es ein Problem hat, weil seine Bedürfnisse aktuell nicht befriedigt werden. Wenn Sie darauf mit einer der zwölf Kommunikationssperren reagieren, hemmt dies die Kommunikation. Mit den fünf hilfreichen Verhaltensweisen erfahren Sie dagegen etwas über die Gefühle und die dahinterliegenden unbefriedigten Bedürfnisse Ihres Kindes. Mit Ihrem Verhalten drücken Sie die Annahme Ihres Kindes und seines Problems aus. Damit helfen Sie, insbesondere durch das aktive Zuhören, Ihrem Kind, über sein Problem zu sprechen und so eine Lösung zur Befriedigung seines Problems zu finden.

Literatur

  • Gordon, Th. (2002). Familienkonferenz in der Praxis: Wie Konflikte mit Kindern gelöst werden. 16. Auflage. München: Heyne.
  • Gordon, Th. & Burch, N. (2002). Die neue Beziehungskonferenz: Effektive Konfliktbewältigung in Familie und Beruf. München: Heyne.
  • Largo, R. H. (2002). Kinderjahre – Die Individualität des Kindes als erzieherische Herausforderung. Aktualisierte Neuausgabe. München Zürich: Piper, 6. Auflage.

Weitere Beitträge der Autorin hier in unserem Familienhandbuch

Autorin

Kerstin Brausewetter

  • Lernen mit Brausewetter
  • Lehrer- und Elternbildung

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Tel.: 0511/5390611

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Erstellt am 19. Dezember 2014, zuletzt geändert am 19. Dezember 2014

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