Angemessene Konsequenzen – Anforderung von Selbststeuerung statt ohnmächtiger Erziehungswut

Dr. Hermann Liebenow
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Das moderne Leben ist sehr komplex und indirekt; der Karies bspw. schmerzt erst Wochen nach dem unterlassenen Zähneputzen. Deshalb denkt man sprachlich darüber nach, vereinbart vernünftige Vorsätze, und verhält sich demgemäß. Das trainiert Vernunft, Kommunikation und Willenskraft.

Kinder brauchen dafür noch Anleitung und förderliche Erfahrungen, – deshalb erziehen wir mit Erklärungen und Konsequenzen (Kon-Sequenz = Mit-Folge). Manche Kinder brauchen mehr Erklärungen, andere klarere Konsequenzen oder viele Wiederholungen, – und der jeweiligen Entwicklungsaufgabe angemessen.

Anders gesagt: Erzieherische Konsequenzen vermitteln angemessene Lernerfahrungen zu vernünftigen Worten, – und trainieren damit die vorsätzliche Willenskraft.

Auf-merksam mit-einander

Für manche Kinder sollte genau bedacht werden, welche Konsequenzen wann angemessen sind. Den meisten Familien aber hilft zunächst das Prinzip:

  • eindringlich ansprechen und Rückmeldung erwirken.

Man be-achtet einander, man ignoriert sich nicht. Man muß nicht zustimmen, aber man gibt Rückmeldung. Das gilt auch für Partner: „Schatz, denkst Du auch an den Einkauf?“ „Oh je, muß ich auf morgen verschieben.“ „Ich verlaß mich drauf!“

Und Kinder kann man, wenn keine Antwort kommt, fragen: „Was habe ich gerade gerufen?“ Meist wirkt schon dieses Nachhaken und Wiederholen lassen.

Natürlich hoffen Eltern, dass die Kinder ´endlich mal vernünftig werden müssten´, – aber oft zweifeln sie daran und verhalten sich daher uneinheitlich, – mal bittend, mal fordernd, mal anweisend, mal drohend, mal fragend. Dann achten Kinder eher auf die Tonlage, als auf die Worte, – und so eskalieren die unergiebigen Streitereien. Aber man kann ja mit Blickkontakt eindringlich ansprechen und bei günstiger Gelegenheit nachfragen: „Was habe ich Dich vorhin gebeten? Bitte sag erst mal, was Du verstanden hast.“ … „Also, und nun? ….“

Auf-merksamere Kommunikation belohnt die ganze Familie mit mehr Respekt füreinander und viel, viel leichteren Alltagsabläufen.

Angemessene Konsequenzen

Mit-einander auf-merksam umzugehen, ist eher eine Motivations- und Stilfrage. Wenn es damit hapert, sollten erst mal die Beziehungen bedacht werden, – üblicherweise in einer Erziehungsberatungsstelle.

Aber wenn es auch an der notwendigen Selbstkontrolle fehlt, sollten vielleicht auch angemessene Konsequenzen die Willenskraft trainieren, – auch das sollten Familien erst mal mit ihren ErziehungsberaterInnen durchsprechen.

Mit dem Alter entwickeln sich auch das Konsequenzverständnis und die Selbststeuerung des Kindes weiter. Sind die früheren Fähigkeiten ausreichend verinnerlicht, können kompliziertere Fähigkeiten die bisherigen ergänzen und überlagern. Deshalb schreibe ich die folgende Tabelle ‚entwicklungslogisch’ von unten her:

ENTWICKLUNGS-ALTER

ERZIEHUNGS-MITTEL

KONSEQUENZ

 

ethische VERANTWORTUNG zeigt

Sinn / Schuld

JugendlicheR

freundschaftliche KRITIK bewirkt

Stolz / Scham

Schulkind

vernünftige KLÄRUNGEN ermöglichen

Vor-/ Nachteil

EinschülerIn

vor-sätzlichen REGELN folgen

Lohn / Strafe

KiGa-Kind

einfühlsame HINWEISE motivieren

Lob / Tadel

Kleinkind

auferlegte WEISUNGEN bewirken

Lust / Frust

Baby

fürsorgliche EINGRIFFE vertiefen

Bindung

Fürsorgliche Eingriffe, etwa das Aufnehmen eines davon krabbelnden Babys, sind eigentlich keine erzieherischen Konsequenzen, aber eine beidseitige Vorerfahrung dafür: den Rufen ”Stopp, stopp“ vor dem Treppenabsatz z.B. folgt eben das eingreifende Zurückholen des allzu neugierigen Kleinkindes.

Hat sich ein Kleinkind daran gewöhnt, dem elterlichen ”Komm, komm, ja, es gibt ein Stückchen Banane bei mir in der Küche“ zu folgen, weil es dann sicher zur erfreulichen Lust des Süßen kommt, wird es viel wahrscheinlicher im Kindergartenalter auch den frustrierenden Tadel beachten, leider seine Bananenschalen vom Vesper nicht weggeräumt zu haben. Und ist ein Kindergartenkind gewöhnt, durch gutes Verhalten viele empathische Lobe einzuheimsen, wird es im Einschulungsalter viel leichter vereinbarte Regeln und eigene Vor-Sätze verlässlich umsetzen können. Mit diesen Fähigkeiten zur Selbststeuerung werden bald auch vernünftige Klärungen und eigensinnige Überlegungen verhaltensbestimmend, – und in der Pubertät ver-antwortliche Diskussionen möglich.

Besonders schwierig wird es für Schulkinder, die zwar kluge Gedanken formulieren, aber nicht über die zur Umsetzung notwendige Selbststeuerung verfügen: das Drama des begabten Kindes. Auch impulsive und gewaltbereite Jugendliche haben selten ausreichende Willenskraft ausgebildet, so daß sie statt vernünftigen Vorsätzen eher faszinierenden Ereignissen folgen.

Im Einzelfall muß man auf der Entwicklungsebene anknüpfen, die noch gut funktioniert, – um dann allmählich die weiteren Fähigkeiten zu üben. Dieses ‚Nachtrainieren’ geschieht häufig in gut strukturierenden Vereinen, beim Tischtennis etwa oder im Kampfsport, beim Instrument-Lernen oder Flugmodellbau.

Einstellungsarbeit

Erzieherische Konsequenz erfordert gute Gründe, gelassene Achtsamkeit und aufmerksames Durchhalten. Insofern fällt der Konsequenzbedarf auf die Konsequenten selbst zurück.

Vorbilder und Ziele motivieren, aber ersetzen das Einüben nicht. Belohnung kann unterstützen, muß aber wahrscheinlich erlangt werden können.

Die Seilbahn zum Gipfel mag Spaß bereiten, Stolz aber gibt nur die Klettertour. Insoweit überlagert Willenskraft das kindliche Lustprinzip mit dem jugendlichen Stolz-Prinzip. Später kann dann auch noch die Zufriedenheit aus dem Sinn-Prinzip hinzukommen.

Literatur

  • Liebenow, H. (2004): Konsequenz: Eltern lernen, was Kinder brauchen. München: Ernst-Reinhardt-Verlag. (2., erweiterte und überarbeitete Auflage).
  • in türkisch: Egitimde Istikrar. Ebeveynler Cocuklarin Gereksinimlerini Ögreniyorlar. Izmir: Ilya Izmir Yayinevi Matbaasi (Bestellung via liebenow@familienschule.de).
  • in polnisch: Konsekwencja W Wychowaniu Dzieci -poradnik dla rodzicow. Krakow: Wydawnictwo WAM (Bestellung via liebenow@familienschule.de).
  • in Blindenschrift: in Vorbereitung.

Weitere Beiträge des Autors hier in unserem Familienhandbuch

Autor

Dr. Hermann Liebenow, geb. 1951, Dipl. Psych., Psychologischer Psychotherapeut, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut. Fachautor. Seit 1980 Leiter der kommunalen Erziehungsberatungsstelle in Münsingen. Vorträge und Weiteres hier.

Kontakt

Dr. Hermann Liebenow
Im Spitzbubenhäule 33
72813 St. Johann

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Erstellt am 13. Februar 2012, zuletzt geändert am 13. Februar 2012