Wie trage ich mein Baby richtig?

Dr. Ines Brock

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Der Mensch ist ein Tragling und viele Eltern nutzen die Möglichkeit sich durch Tragehilfen zu erleichtern ihr Baby längere Zeit zu tragen. Im Beitrag wird zunächst kurz beschrieben, woraus sich das Bedürfnis des Säuglings nach Getragen-werden ableitet, was dafür spricht Tragehilfen zu nutzen und was man dabei beachten sollte. Damit können Unsicherheiten abgebaut werden und es wird vor ungünstigen Tragevarianten gewarnt.

Zur Geschichte

Noch vor 20 Jahren war es in Deutschland eine fast vergessene Tradition, dass Babys ein Bedürfnis nach körperlicher Nähe und Rhythmus haben und es ihnen gut tut, getragen zu werden. In der Menschheitsgeschichte hat die Erfindung des Kinderwagens nur eine kurze Geschichte. Erst um 1850 herum kam es zu dieser Transportweise für kleine Kinder. In der DDR gab es dann Ende der 1980er Jahre das Dyade-Tuch mit dem ein Tragen von Säuglingen auf der Hüfte erleichtert wurde. Im Westen Deutschland setzte sich in einem postmateriellen Milieu der Hang zur Natürlichkeit durch, der die Wiederentdeckung von Tragehilfen voran brachte. Das bekannteste davon war und ist das Didymos-Tuch. Daneben gab es auch fest vernähte Tragehilfen und Stützkonstruktionen, um Babys vor dem Bauch oder auch auf dem Rücken zu tragen. In bergigen Gegenden Deutschlands war das Tragen mit einer Tragehilfe nie ganz verschwunden. Seit der Wende haben sich in der Bundesrepublik viele verschiedene Tücher mit vielfältigen Bindevarianten etabliert. War es vor 20 Jahren noch wichtig, überhaupt für das Tragen von Säuglingen zu werben und allgemeine Akzeptanz auch in der Großelterngeneration zu erreichen, ist es heute nahezu selbstverständlich, dass Mütter und zunehmend auch Väter Hilfsmittel aus Stoff benutzen, um ihre kleinen Kinder längere Zeit am Körper tragen zu können. Die Vorteile für die Säuglinge liegen auf der Hand: intensiver Körperkontakt, erlebbare Nähe, fühlbare Wärme, wiegender Rhythmus und der enge Kontakt zur Bezugsperson. Damit werden dem Säugling wichtige Entwicklungsanreize gegeben. Das Gleichgewichtssystem wird geübt und die elterliche Präsenz und Spürbarkeit gibt Sicherheit und Geborgenheit.

physiologisch richtige Haltung für das Kind

Abbildung 1: physiologisch richtige Haltung für das Kind

Die menschlichen Nachkommen gelten als physiologische Frühgeburt. Babys kommen unreif zur Welt, weil das weibliche Becken so schmal sein muss, damit wir aufrecht laufen können, der kindliche Kopf aber wegen unserer Intelligenzentwicklung so groß ist. Also gebären wir nach 40 Wochen Tragzeit Säuglinge, die symbiotisch mit der Mutter verbunden bleiben, bis mit einem Jahr die Selbständigkeit beginnt. In dieser Zeit gilt der Mensch als Tragling, ohne eigenes Vermögen, sich an der Bezugsperson festzuhalten. Diese extrauterine Tragezeit wird seit Hunderttausenden von Jahren durch Tragehilfen ermöglicht.

Tragen von Babys bringt Entwicklungsvorteile

Tragen hat viele Vorteile. Es fördert die gesunde Entwicklung von Säuglingen und kleinen Kindern. Deshalb verdient jede Mutter, jeder Vater Anerkennung und Wertschätzung dafür. Gerade für Neugeborene entsteht eine wohlige Erinnerung an das Eingebundensein und die Begrenztheit im Uterus. Das Pucken in manchen Kulturen orientiert sich ebenfalls an diesem Bedürfnis des Säuglings Grenzen leiblich zu spüren.

Außerdem sind die Kleinen in größerer Höhe als im Kinderwagen, was in den Städten die Schadstoffkonzentration der Atemluft verringert und durch die Augenhöhe zu anderen Menschen jede Form der Kommunikation erleichtert. Der Träger kann sich flexibler bewegen als mit einem Kinderwagen z.B. beim Reisen oder auf unebenen Wegen. Der Grundsatz lieber die Räder unter die Sachen als unters Kind kann dabei gelten. Die Säuglinge sind im Allgemeinen ausgeglichener und durch den spürbaren Kontakt zwischen beiden werden Wohlfühlhormone bei Kind und Träger ausgeschüttet, die die Bindung stärken. Das sensitive Verständnis der Eltern für die Signale des Kindes steigt und elterliche Feinfühligkeit entsteht auf einer ganz basalen bedürfnisorientierten Ebene.

Was spricht für das Tragen?

  • das Baby erlebt seine Lebenswelt auch nach der Geburt als von körperlicher und seelischer Bindung geprägt – in dem Sinne: “Ich bin deine Mutter/dein Vater, ich halte dich in Liebe, auch wenn es dir nicht immer gut geht”
  • die Wahrnehmung wird gefördert (Gleichgewichtsorgane, taktile Sensibilität, Gesichtskreiserweiterung)
  • die Entwicklung des Skeletts und des Bewegungsapparates wird durch Muskelstimulation und adäquate Haltung unterstützt – zur gesunden Entwicklung des Hüftgelenkes und der Wirbelsäule, deren Doppel-S sich durch Kräftigung der Hals- und Lendenbereiche im ersten Lebensjahr herausbildet
  • die gesunde Entwicklung der Frustrationstoleranz wird gefördert, denn Umweltreize werden genutzt bzw. ausgeblendet, je nach den momentanen Bedürfnissen des Kindes
  • die durch das Tragen gewonnene Flexibilität und Mobilität ermöglichen der Trägerin/dem Träger die beinahe ungestörte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (z.B. Unabhängigkeit von der üblicherweise benötigten Hilfe bei Kinderwagentransport im öffentlichen Nahraum).
  • Tragekinder entwickeln sich schneller, sind ruhiger und zufriedener – dürfen sich aber auch unzufrieden zeigen, ohne die Angst, abgelehnt zu werden

Was muss beachtet werden?

Ein Tragetuch ist die beste Wahl:

(1) Es passt sich stufenlos dem wachsenden Baby an, kann also von der 1. Woche bis zu 3 Jahren genutzt werden!

(2) Es kann durch verschiedene Bindevarianten unterschiedliche Bedürfnisse des Babys und der Trägerin/des Trägers berücksichtigen.

(3) Die empfohlenen Bindevarianten kommen der Anatomie des Babys zugute (z.B.: breit im Hüftbereich, Blickkontakt mit dem Träger oder Schlafsicherheit durch einfaches “Zuziehen” des Tuches).

(4) Man kann das Stoffteil nach der Tragezeit anderweitig verwenden.

  • Andere Tragehilfen, z.B. Säcke, Gestelle oder Tragesitze, haben diese Vorteile nicht. Einige Ausführungen sind weder für Träger/in noch Kind angenehm. Auch Tragefehler passieren leichter.
  • Das Tragetuch sollte immer fest gebunden sein. Durch die besondere Webtechnik dehnt sich das Tuch nur wenig – und wenn, dann nach allen Richtungen gleichmäßig.
  • Die Tragezeit sollte zusammenhängend 4 Stunden nicht überschreiten und nicht mehr als die Hälfte des Tages dauern, wegen der körperlichen Belastung für die Trägerin/den Träger. Also abwechseln! Väter, Geschwister, Freunde und Verwandte einbeziehen!
  • Schwerere Kinder sollten lieber auf dem Rücken getragen werden, denn einen Rucksack hängt man sich auch nicht vor den Bauch. Außerdem erleichtert das Tragen auf dem Rücken die Verfügbarkeit der Arme des Trägers. (ab 2. Lebenswoche eines reifen Neugeborenen möglich)
  • Gesunder Wechsel zwischen Abstand und Nähe: nicht tragen um des Tragens willen (!) und eigene Belastungsgrenzen beachten.
  • Bei Tragebeginn Ausdauer zeigen und innerlich sicher sein, das Richtige zu tun, auch wenn es dem Baby zunächst ungewohnt erscheint. (In der Dritten Welt haben die Babys auch keine Wahl, ob sie getragen werden wollen!).
  • Das Baby braucht im Tragetuch unter der Jacke des Trägers/ der Trägerin keine “Sachen für Draußen”, außer an Füßen und Kopf. Wird es auf dem Rücken getragen, sollte jedoch auf angemessene Kleidung geachtet werden. Die Kinder sind an keinem anderen Ort so warm aufgehoben wie am Körper.

Abbildung: Verschiedene Trageformen (aus: Brock 2000, S. 17)

Brock Bild Trageformen
 

Wann Tragen von Babys schadet

So gut und wichtig das Tragen für Babys ist und so vehement für diese Transportvariante aus den verschiedensten Gründen geworben werden sollte, umso absurder ist es, die Kleinen in unbequeme Tragehilfen zu stecken, die ihrem Körper und ihrer seelischen Entwicklung schaden. Wenn Erwachsene oder auch ältere Kinder das Bedürfnis haben in den Arm genommen zu werden, Trost und Wohlbefinden zu suchen, dann lehnen sie sich an die Zuwendung gebende Person an und umarmen sich Herz an Herz, Brust an Brust.

In letzter Zeit ist jedoch vermehrt zu beobachten, dass manche Eltern ihre Babys in einer falschen und auch schädlichen Position tragen: mit dem Blick nach vorn, der Rücken des Kindes am Körper des Trägers. Für die körperliche und auch psychische Entwicklung der Kleinkinder ist das nicht nur ungünstig sondern auch gefährdend. Das was allgemein für das Tragen des Kindes spricht wird hierbei konterkariert – verkehrt herum getragen zu werden ist verkehrt!

Auf der einen Seite ist eine körperliche Fehlhaltung zu beobachten, denn für eine gesunde Entwicklung der unreifen Hüftgelenke und für die natürliche Entwicklung der Wirbelsäule muss das Baby eine anatomisch natürliche Haltung erleben. Die Hüftgelenke benötigen eine Spreizhaltung, um die gesunde Reifung der Gelenkpfannen zu ermöglichen. Diese ist nur gegeben, wenn die Beine nach den Seiten hin abgespreizt werden. Die Wirbelsäule ist bei Neugeborenen noch halbrund. Das Doppel-S der ausgereiften Wirbelsäule entsteht aus eigener Kraft und Bewegung zunächst durch das Halten des Kopfes und beim Sitzen und später in der motorischen Entwicklung durch Krabbeln und Laufen. Dadurch entsteht die abfedernde Doppel-Brock Bild Abb2S-Form. Säuglinge haben eher noch das Bedürfnis sich nach vorne zusammenzurollen. In der Abb. 2 kann erkannt werden, wie die Beine beim Tragen natürlicherweise gehalten werden. Abb. 1 zeigt wie der runde Rücken durch den Halt des Tuches gestützt wird und das Kind sich an den Träger anschmiegen kann.

 

Abbildung 2: anatomisch korrekte Haltung des Kindes

 

Aber nicht nur für die gesunde orthopädische Reifung ist es verkehrt, das Kind verkehrt herum zu tragen auch für die psychische Entwicklung ergeben sich Risiken, die beim Vis-á-vis-Tragen nicht vorkommen. Die Babys haben keinen Blickkontakt zu Mutter oder Vater und können somit nicht erkennen, was das Elternteil für mimische und nonverbale Rückmeldungen gibt. Säuglinge können gerade in einem Abstand von ca. 20-30cm am schärfesten sehen. Ihnen fehlt somit eine wichtige primäre Kommunikationsgrundlage. Ohne face-en-face-Kontakt können Säuglinge nicht lernen Gefühle zu identifizieren und Sprache zu erkennen. Das ist aber gerade in der aufregend neuen Welt außerhalb der Wohnung eine wesentliche Entwicklungsressource.

Außerdem sind die mit dem Gesicht nach vorne getragenen Babys den Sinneseindrücken aus der Umgebung schutzlos ausgeliefert, was zu Reizüberflutung führen kann. Erwachsene und ältere Kinder haben gelernt zu selektieren, auszublenden und sich zu konzentrieren, das können Säuglinge im ersten halben Jahr noch nicht. Ihnen wird in dieser aussetzenden Position auch jede Chance genommen, sich selbst zurückzuziehen, indem sie sich einfach mit dem Gesicht an die Brust des Trägers kuscheln. Nur so können sie sich entspannt – in der Sicherheit gebenden Präsenz der Eltern – in den Schlaf verabschieden. Das können sie selbst dann, wenn sie auf dem Rücken getragen werden, auch wenn dort ebenfalls der Blickkontakt fehlt. Die Rückentrageposition ist aber für das Kind orthopädisch korrekt und für den Tragenden physiologisch angemessener. Denn beim Tragen schwererer Lasten und/oder über längere Strecken sind Rücksäcke bequemer und schaden dem Rücken nicht, weil sich zum Gewichtsausgleich nach vorne gebeugt werden kann. Verkehrt herum angebunden zu sein sollte dem Tandemsprung beim Fallschirmspringen vorbehalten bleiben!

Tragen von Babys ist eine gesunde, entwicklungsfördernde und wichtige Ressource im Eltern-Kind-Kontakt. Aber bitte so wie es uns Menschen entspricht – zugewandt.

Literatur

  • Brock, I.: Ein Jahr zu früh geboren. Ein Wegweiser zum Tragen von Babys. Halle/Saale: IRIS e.V. für Frauen und Familie, 2. Aufl. 2000
  • IRIS e.V. für Frauen und Familie (Hrsg.): Familie im neuen Jahrtausend. 5. Rundbrief. Halle o.J., S. 40-41
  • Kirkilionis, E.: Der menschliche Säugling als Tragling. Dissertation, 1989
  • Kirkilionis, E.: Ein Baby will getragen sein. Alles über geeignete Tragehilfen und die Vorteile des Tragens. München: Kösel 1999

Weitere Beiträge der Autorin hier in unserem Familienhandbuch

Autorin

Dr. Inés Brock ist appr. Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, anerkannte Geburtsvorbereiterin der GfG, Systemische Familientherapeutin und Mitbegründerin des IRIS-Regenbogenzentrums in Halle. Sie arbeitet u.a. als Ausbildungsleiterin für die Bundesarbeitsgemeinschaft Familienbildung und Beratung e.V. sie ist selbständig als Dozentin und Lehrtherapeutin tätig. Frau Brock hat vier erwachsene Kinder.

Kontakt

Nathusius-Institut für Psychologie, Bildung und Beratung

Ankerstr. 3c

06108 Halle (Saale)

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Erstellt am 21. Januar 2002, zuletzt geändert am 15. Juli 2013

 

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