Ein Kind – zwei Eltern? Vielfalt von Elternschaft

Dr. Bernd Eggen
Eggen Foto

In unserer Gesellschaft ist eine Vielfalt von Elternschaft zu beobachten. Sie ist Ausdruck eines familialen und technischen Wandels. Elternschaft ist damit auch zu einem Problem der Zugehörigkeit im „Wir“ einer Familie geworden: Wer gehört zur Familie, wer nicht? Der Beitrag beschäftigt sich mit der Entstehung heutiger Elternschaft und äußert sich zu der möglichen Anzahl von Eltern eines Kindes. Unterschieden wird hier, anders als in der Familienforschung üblich, zwischen biologischer, psychischer und sozialer Elternschaft, darüber hinaus: bei biologischer Elternschaft: zwischen genetischer und nicht genetischer und bei sozialer Elternschaft: zwischen familialer und rechtlicher. Abschließend liefert der Beitrag Statistiken über die Verbreitung verschiedener Formen von multipler Elternschaft.

1. Elternschaft im Wandel: Drei Entwicklungen

Schon seit den 1970er Jahren ist ein kultureller Wandel familialer Wirklichkeiten zu beobachten. Wohl häufiger denn je entstehen neben der biologischen und sozialen Einheit von Mutter, Vater und Kind andere Strukturen von Elternschaft. Drei Entwicklungen der Elternschaft sind hervorzuheben.

Erstens: Eine simultane und sequenzielle Pluralisierung der Elternschaft verändert das soziale Verhältnis von Mutter-Vater-Kind. Die verschieden geschlechtliche Elternschaft wird simultan erweitert durch die gleich geschlechtliche Elternschaft und durch Elternschaft, die sich nicht auf zwei Personen begrenzt. Infolge von Trennungen, Scheidungen und Wiederverheiratung gehört für die Beteiligten die temporäre, sequenzielle Elternschaft in Stief- und Patchworkfamilien zur Normalität.

Zweitens: Die Anwendung der Reproduktionsmedizin führt zu einer Auflösung der biologischen Reproduktionstriade, bestehend aus zwei verschieden geschlechtlichen Paarungspartnern und deren Nachwuchs. Ein Kind kann jetzt mehr als zwei biologische Eltern haben.

Drittens: Die biologische Reproduktionstriade und die Eltern-Kindschaftsbeziehung als ein soziales Verhältnis driften auseinander. Durch die Anwendung neuer Optionen der Reproduktionsmedizin in ihren verschiedenen Varianten einer Zeugung und Fortpflanzung ohne Sexualität sind Eizellenspenderinnen, Samenspender und Leihmutterschaft die biologischen Eltern ohne Verpflichtung und Verantwortung der späteren sozialen Elternschaft.

Der Wandel familialer Lebenswirklichkeiten enthält „Potenziale existenzieller Irritationen“ kultureller Gewohnheiten. Kulturell bedeutsamer als die sequenzielle Pluralisierung der Elternschaft in der Biografie der beteiligten Erwachsenen und Kinder oder das offene wie selbstverständliche Zusammenleben gleich geschlechtlicher Eltern mit ihren Kindern dürfte das willentliche Auseinanderdriften von biologischer und sozialer Elternschaft bei gleichzeitig gesteigerten Variationen biologischer Elternschaft sein. Politik und Recht reagieren auf die sich wandelnden familialen Lebenswirklichkeiten. Ihre Entscheidungen tragen dazu bei, den Raum dessen neu zu vermessen, was als Elternschaft gesellschaftlich akzeptabel gilt. Eine Grundlage für ihre Entscheidungen sind zum einen präzise Unterscheidungen und Begriffe von Elternschaft und zum anderen ein Wissen über die empirische Häufigkeit der verschiedenen Formen der Elternschaft.

2. Formen der Elternschaft: Wie entsteht Elternschaft und wieviel Eltern sind möglich?

Elternschaft ist immer auch ein Problem der Zugehörigkeit im „Wir“ einer Familie: Wer gehört zur Familie, wer nicht? Unterschieden wird im Folgenden, anders als in der Familienforschung üblich, zwischen biologischer, psychischer und sozialer Elternschaft, darüber hinaus: bei biologischer Elternschaft zwischen genetischer und nicht genetischer und bei sozialer Elternschaft zwischen familialer und rechtlicher.

Elternschaft Eggen _1_

Biologische Elternschaft: Genetisch – nicht genetisch

Biologische Elternschaft bezeichnet ein biologisches Abstammungsverhältnis. Bei der Frau kann zudem zwischen genetischer und nicht genetischer Elternschaft unterschieden werden. Die biologische Elternschaft kommt durch Zeugung und Geburt zustande. Bei genetischer Elternschaft besteht eine Blutsverwandtschaft. Der Mann, der den Samen zur Zeugung liefert, ist der genetische Vater. Die Frau, die die Eizelle oder Teile dieser Eizelle liefert, ist die genetische Mutter, ungeachtet dessen, ob sie das Kind austrägt und gebärt. Eine Frau, die das Kind nicht gezeugt, aber ausgetragen und geboren hat, ist zwar die biologische, aber nicht die genetische Mutter. Es besteht keine Blutsverwandtschaft zum Kind.

Im Unterschied beispielsweise zu Vaskovics (2011) und Lauterbach (2011) werden hier biologische und genetische Elternschaft nicht als Gegensatz begriffen. Die genetische Elternschaft ist keine „Entbiologisierung“ der Elternschaft, sondern die biologische Elternschaft ist die Einheit der Unterscheidung von genetischer und nicht genetischer Elternschaft. Wie anders als biologisch ist beispielsweise die Zeugung zu verstehen, nachdem die Pipette in das unbefruchtete Ei eindrang und das Spermium injizierte. Bei der Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) sind zwei ausgewählte Zellen mit ihren genetischen Eigenschaften durch einen Akt der Einspritzung zusammengeführt worden. Der Embryo entsteht außerhalb des weiblichen Körpers und kann nach wenigen Tagen in die Gebärmutter einer Frau transferiert werden. Er kann der genetischen Mutter übertragen werden oder einer anderen Frau. Im ersten Fall hätte das Kind zwei biologische Eltern, die zugleich auch die genetischen Eltern sind. Im zweiten Fall hätte das Kind drei biologische Eltern, von denen zwei die genetischen Eltern und eine der nicht genetische Elternteil ist. Mittlerweile kann ein Kind drei genetische Eltern haben, ungeachtet dessen, welche Frau das Kind austrägt.1 Darüber hinaus ist die Vorstellung in der Welt, dass kurz über lang die Anzahl der genetischen Eltern grundsätzlich auch unbegrenzt sein kann.2 Demgegenüber dürfte die nicht genetisch begründete, biologische Elternschaft auf eine Gebärmutter beschränkt bleiben.

Psychische Elternschaft: Eine Black Box

Psychische Elternschaft entsteht durch Gedanken und Gefühle. Gefühle können als psychische Beobachtungen und Beschreibungen physischer Zustände begriffen werden. In Abhängigkeit seines Körpers, seiner hormonellen Ausstattung, seines Empfindens und seiner Biografie, einschließlich der eigenen kindlichen Sozialisation, bildet der Einzelne seine psychische Elternschaft heraus. Eine Frau, die eine Schwangerschaft durchläuft, entwickelt vor der Geburt zuallererst im Bewusstsein eine psychische Beziehung zum Kind. Ihre Gefühle dürften sich grundsätzlich von jenen der genetischen Mutter unterscheiden, die eine Eizelle zur Zeugung geliefert hat. Die Gefühle bilden dabei keinen Gegensatz zur Rationalität. Das Denken, Fühlen und Bewerten gehören zusammen. Für einen Außenstehenden bleibt das individuelle Bewusstsein jedoch eine Black-Box. Sie ist für ihn nicht einsehbar und interpretierbar. Was zu sehen ist, ist allein die Interaktion von Eltern und Kindern, also die familiale Kommunikation unter Anwesenden. Grundsätzlich ist bei mehr als zwei Elternteilen eine psychische Elternschaft möglich.

Soziale Elternschaft: Familial – rechtlich

Soziale Elternschaft bezeichnet eine soziale Rolle. Sie bedeutet zum einen die Übernahme bestimmter Aufgaben bei der Erziehung des Kindes, zum anderen die Verantwortung als Erwartung, diese Aufgaben auch erfolgreich zu erfüllen. In der Gesellschaft übernehmen primär die Eltern als Personen, aber auch der Staat mit seinen rechtlichen Normierungen Aufgaben und Verantwortung bei der Erziehung des Kindes. Es ist deshalb zwischen familialer und rechtlicher Elternschaft zu unterscheiden. Demgegenüber ist die gängige Unterscheidung von sozialer und rechtlicher Elternschaft unpräzise. Sie geht von einem Begriff „sozial“ aus, der am Alltag orientiert ist und Vorstellungen wie „Wärme“, „Nähe“ oder „Zuneigung“ mit sich führt. Die real möglichen Beziehungen in der Familie reichen jedoch von Wärme bis Kälte, von Nähe bis Ferne, von Zuneigung bis Abneigung; und nur äußerst selten ist dieses breite soziale Spektrum juristisch relevant. Zugleich siedelt sie juristische Erwartungen und Entscheidungen außerhalb des „Sozialen“ an. Diese Unterscheidung ist nicht vereinbar mit einem wissenschaftlichen Verständnis von Gesellschaft. Als sozialer Sachverhalt unterscheidet sich Gesellschaft von Bewusstsein mit psychischen Referenzen und organischen Körpern mit physischen Referenzen. Danach sind Familie und Recht, aber auch Politik, Wirtschaft, Religion und Wissenschaft soziale Sachverhalte, die nur innerhalb der Gesellschaft und nicht im Gegensatz zur Gesellschaft möglich sind. Kurzum: Was in Familie und Recht geschieht, ist zugleich Vollzug von Gesellschaft.

Familiale Elternschaft entsteht dadurch, dass eine Person durch Selbstverpflichtung die Elternverantwortung für ein Kind faktisch übernimmt. Als Entscheidung ist familiale Elternschaft nie beliebig, sondern stets semantisch spezifiziert. Sie ist Ausdruck einer radikalen gesellschaftsstrukturellen Umstellung der Familie. Familie begründet sich seltener denn je als Institution mit ihren rechtlichen, politischen oder religiösen Referenzen, sondern vor allem durch Herstellung und Selbstbeschreibungen der beteiligten Personen. Diese Innenorientierung ist gegenüber biologischen Vorgaben neutral. So lässt sich zwar eine Präferenz empirisch beobachten, dass die Personen in der Paarbeziehung dieselben sind, welche die Elternschaft auch biologisch begründen. Doch jenseits von Zweigeschlechtlichkeit und Zweielternschaft ist familiale Elternschaft strukturell vielfältiger. Unter den Bedingungen einer gesteigerten Selbstbezüglichkeit und Innenorientierung der Familie in der modernen Gesellschaft sind es die beteiligten erwachsenen Personen, die über Elternschaft und Anzahl der Eltern entscheiden. Im Sinne der Verantwortlichkeit verpflichten sie sich selbst, die Verantwortung für die Erziehung eines Kindes oder mehrerer Kinder zu tragen. Familiale Elternschaft reicht dann von der alleinerziehenden Person über die Paarbeziehung bis hin zu einer Trio-, Quattro- und X-Beziehung. So etwa bei der multiplen Elternschaft in sogenannten Queer Families, wo mehr als zwei Personen die familiale Elternschaft übernehmen. Vergleichsweise häufig ist multiple Elternschaft auch in den vielfältigen Konstellationen der Stief- und Patchworkfamilien, weil Elternpaare sich trennen und mit neuen Partnern und Partnerinnen verbinden. Die Personen der jeweils beteiligten Intimbeziehungen können zudem teilweise oder gar vollständig andere sein als jene, die die Elternschaft bilden. Grundsätzlich ist jede strukturelle Variation familialer Elternschaft möglich jenseits der statistisch häufig erfassten Konstellationen. Familiale Elternschaft ist ein Ausdruck der strukturellen Offenheit sozialer Elternschaft. Zugleich ist die jeweilige Konstellation nur eine im Moment. Eine familiale Elternschaft kann in ihrer aktualisierten Konstellation dauerhaft oder temporär, kontinuierlich oder diskontinuierlich wahrgenommen werden. Die familiale Elternschaft kann sich in der Biografie der Eltern und Kinder verändern durch Ausschluss bisheriger Eltern und Einschluss anderer Personen als Eltern. Gleichzeitig ist familiale Elternschaft nicht beliebig. Entscheidend sind die Sinnzusammenhänge, in denen sich heute Elternschaft kulturell begründet. Sie sind zu beobachten, wenn Eltern sich um ihre Kinder kümmern, wie sie ihre Verantwortung und Befugnisse bei der Erziehung handhaben und sich dadurch von einer Erziehung durch die soziale Umwelt semantisch unterscheiden. Die Verantwortung ist umfassend und beinhaltet die Zumutung, dass verantwortliche Personen, hier die Eltern als Verantwortungsträger, in der Lage sein sollten, Probleme der Erziehung zu entfalten, die andere nicht zu entfalten vermögen. Das schließt selbstverständlich ein Misslingen familialer Elternschaft, ein „dysfunctional parenting“ ein.

Rechtliche Elternschaft entsteht durch rechtliche Zuordnung eines Kindes zu einer Person. Aus dieser Zuordnung ergeben sich generell wie spezifisch gehaltene Pflichten und Rechte der Person gegenüber dem Kind. Sie ist weniger umfassend als die familiale Elternschaft, und sie ist gegenüber den Inhalten der familialen Erziehung unscharf. Bezeichnend für die rechtliche Elternschaft ist, dass sie in der Familie nur dann zum Thema wird, wenn extreme Krisen oder Konflikte den Alltag der Familie irritieren. Geregelt wird dann die rechtliche Elternschaft aber nicht in der Familie, sondern nur innerhalb des Rechtsystems, zwischen Anwälten und vor Gerichten. In Deutschland ist die Anzahl rechtlicher Eltern bislang auf maximal zwei Personen begrenzt. Von dieser sogenannten „Vollrechtselternschaft“ ist eine „subsidiäre Elternschaft“ zu unterscheiden, wenn weiteren Personen einzelne Rechte und Pflichten etwa im Sorge- und Umgangsrecht zugeordnet werden.

Neben den Eltern kann ein Kind auch zu anderen Personen enge Beziehungen haben. Vaskovics (2016) schlägt in diesen Fällen vor, sie als „sozial-familiäre Beziehungen“ zu bezeichnen. Solche persönlichen Beziehungen ähneln semantisch und strukturell in vielem der familialen Elternschaft. Doch sind solche Beziehungen etwa zu Verwandten, Freunden, Bekannten, Nachbarn oder professionellen Erziehern weniger strukturell als semantisch zu begreifen. Verglichen mit familialer Elternschaft sind sie seltener exklusiv und nah, seltener kontinuierlich und dauerhaft, weniger umfassend. Sie sind in einem starken Maße beliebig, selektiv, informell und uneindeutig bei normativen Verpflichtungen und Leistungen.

3. Empirische Vielfalt von Elternschaft – Fehlende Daten

Multiple Elternschaft entsteht durch das Auseinanderfallen biologischer, familialer und rechtlicher Elternschaft, zum einen durch Entkopplung von einander, zum anderen durch Aufspaltung der jeweiligen Elternschaft. Multiple Elternschaft ist historisch kein neues Phänomen. Sie dürfte heute aber offener und selbstverständlicher und damit sichtbarer und häufiger gelebt werden. Die empirischen Beobachtungen zu multipler Elternschaft beschränken sich auf die soziale Elternschaft. Sie liefern nur ungenaue Angaben über die tatsächliche Verbreitung von familialer und rechtlicher Elternschaft und lassen nur anzunehmende Rückschlüsse auf eine biologische Elternschaft zu. Empirische Informationen über Eltern und Kinder, liefert in Deutschland vor allem der Mikrozensus. Er enthält einen umfangreichen Merkmalskatalog über 800 000 minder- und volljährige Personen und ist damit europaweit die größte repräsentative Bevölkerungsstichprobe. Sie wird jedes Jahr durchgeführt. Seit 1996 liegen auch Daten zu gleich geschlechtlichen Paaren und mit ihnen zusammenlebenden Kindern vor. Seit 2006 informiert der Mikrozensus zudem über eingetragene Partnerschaften mit Kindern.

Zunächst betrachten wir die Eltern, die gemeinsam mit minderjährigen Kindern wohnen. In Deutschland wohnten 2016 rund 14,8 Millionen Eltern. Davon lebten knapp 89 % in einer verschieden geschlechtlichen Paargemeinschaft, etwa 0,1 % lebten in einer gleich geschlechtlichen Paargemeinschaft. Weitere 11 % wohnten allein mit ihren Kindern zusammen. In den meisten Fällen dürfte es sich um eine familiale Elternschaft handeln, deren Anzahl ergänzt werden müsste um die Eltern, die getrennt von ihren minderjährigen Kindern leben und dennoch faktisch die Elternschaft ausüben. Zum möglichen rechtlichen Status der Elternschaft: 77% der Eltern leben verheiratet zusammen, weitere 10 % sind ledig und 2 % sind verheiratet getrennt, geschieden oder verwitwet und leben in einer Paargemeinschaft. Die meisten der verheiratetet zusammenlebenden Eltern dürften auch die rechtliche Elternschaft besitzen. Diese dürfte jedoch nicht in diesem Maße für jene Eltern gelten, die nicht verheiratet eine Paargemeinschaft bilden. Darauf deutet auch folgende Beobachtung hin: Leben zwei Eltern zusammen, bedeutet das nicht immer, dass die bei ihnen wohnenden Kinder auch die gemeinsamen Kinder sind. Als Folge von Trennung, Scheidung, aber auch Tod und Wiederverheiratung können Stieffamilien entstehen. Es sind Familien, in denen Kinder, die aus früheren Partnerschaften stammen, im gegenwärtigen Haushalt leben. In diesem Haushalt leben also Kinder nur von einem Partner neben möglichen gemeinsamen Kindern. Der Anteil nicht gemeinsamer Kinder beträgt bei verheirateten Eltern 1 %, bei ledigen Eltern 14 % und bei verheiratet getrennten, geschiedenen oder verwitweten Eltern 45%. Es ist davon auszugehen, dass bei nicht verheiratet zusammenlebenden Eltern familiale und rechtliche Elternschaft am ehesten auseinanderfallen.

Fasst man die Eltern mit nicht gemeinsamen Kindern zusammen, dann dürften mindestens 4 % der in Paargemeinschaft lebenden Eltern nicht die biologischen Eltern von mit ihnen zusammenwohnenden Kindern sein. Andere Studien kommen zum Ergebnis, dass etwa 7 % bis 13 % der Familien in Deutschland Stieffamilien sind. Der jeweilige Anteil nicht biologischer Elternschaft dürfte jedoch immer nur eine Untergrenze bilden, da hier die Information fehlt, wie viele von den gemeinsamen, aber auch von den nicht gemeinsamen Kindern adoptiert oder in Pflege genommen sind. Setzt man die Anzahl der Adoptionen von Minderjährigen und die Lebendgeborenen eines Jahres in ein Verhältnis zueinander, dann sind 0,5 % (2015) der minderjährigen Kinder adoptiert. Außerdem sind rund 2,7 % (2014) der Geburten Folge einer künstlichen Zeugung in Deutschland. Die Anteile sind vergleichsweise gering, aber in absoluten Zahlen sind das 3 812 adoptierte minderjährige Kinder und 19 030 Kinder, die künstlich befruchtet wurden. Zudem fehlen die Lebendgeborenen, die außerhalb von Deutschland nach einer künstlichen Zeugung geboren wurden.

Zur multiplen Elternschaft gehören gleich geschlechtliche Eltern. Laut Mikrozensus 2016 gibt es in Deutschland mindestens 10 300 Familien, in denen zwei gleich geschlechtlich orientierte Eltern mit ihren minder- oder volljährigen Kindern zusammenwohnen. Somit lebt jedes neunte homosexuelle Paar mit Kindern zusammen. Zum Vergleich: Bei heterosexuellen Paaren kommt es häufiger vor, dass Kinder im gemeinsamen Haushalt wohnen. Etwa 33 % der nicht ehelichen und 45 % der ehelichen Paare haben Kinder im Haushalt. Rund 61 % der gleich geschlechtlichen Eltern bilden eine eingetragene Partnerschaft. Aus der Sicht der Kinder bedeutet das: Von den 14 500 Kindern sind rund 8 000 Kinder mit Eltern in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Die Zahl der Kinder mit zusammenlebenden gleich geschlechtlichen Eltern ist in den letzten Jahren regelmäßig gestiegen.

Fußnoten

[1] Bei diesem neuen Verfahren der künstlichen Zeugung wird aus einer Eizelle mit fehlerhaften Mitochondrien der gereifte, aber noch unbefruchtete Kern mit dem entscheidenden Teil des Erbguts entfernt. Dieser wird dann in eine entkernte zweite Eizelle mit gesunden Mitochondrien eingesetzt., siehe Zhang, J., Liu, H., Luo, S., Chavez-Badiola, A., Liu, Z., Yang, M., Munne, S., Konstantinidis, M., Wells, D. & Huang, T. (2016). First live birth using human oocytes reconstituted by spindle nuclear transfer for mitochondrial DNA mutation causing Leigh syndrome. Fertility and Sterility, 106, e375–e376.

[2] Zu möglichen genetischen Modifikationen der Keimzellen vor der Zeugung und des Embryos in vitro siehe Reardon, S. (2017). US science advisers outline path to genetically modified babies. Nature, 17.2.2017.

Literatur

  • Lauterbach, W. (2011). Bedeutung der Abstammung für die Familien- und Verwandtschaftszugehörigkeit. In D. Schwab & L. A. Vaskovics (Hrsg.), Pluralisierung von Elternschaft und Kindschaft. (S. 191-210). Leverkusen: Barbara Budrich.
  • Vaskovics, L. A. (2011). Segmentierung und Multiplikation von Elternschaft. Konzept zur Analyse von Elternschafts- und Elternkonstellationen. In D. Schwab & L. A. Vaskovics (Hrsg.). Pluralisierung von Elternschaft und Kindschaft. (11-40). Leverkusen: Barbara Budrich.
  • Vaskovics, L. A. (2016). Segmentierung und Multiplikation der Elternschaft und Kindschaft: ein Dilemma für die Rechtsregelung? Recht der Jugend und des Bildungswesens, 64, 194-209.

Quelle

Aus: Eggen, B (2018). Multiple Elternschaft – Zur neuen Normalität von Elternschaft. RPsych Rechtspsychologie, 4, S. 181-207; gekürzt und ergänzt.

Autor

Bernd Eggen, Dr. rer. pol., Diplom Soziologe (Univ.) und Diplom Sozialpädagoge (FH), arbeitet seit 1990 an der FamilienForschung Baden-Württemberg des Statistischen Landesamtes. Die derzeitigen Forschungsschwerpunkte sind: Familie und ihr Verhältnis zur sozialen und nicht sozialen Umwelt, Familienpolitik: logischer, ideologischer und zeitlicher Bezugsrahmen, Familienberichterstattung als angewandte Familienforschung. Zur Methode: Die Anwendung der Systemtheorie (Niklas Luhmann) als allgemeine soziologische Theorie auf die drei Sachverhalte Familie, Familienpolitik und Familienberichterstattung. Eine Übersicht der Veröffentlichungen findet sich auf der Homepage der FamilienForschung Baden-Württemberg des Statistischen Landesamtes.

Adresse

Dr. Bernd Eggen 

Statistisches Landesamt Baden-Württemberg
Familienwissenschaftliche Forschungsstelle,          
Sozialwissenschaftliche Analysen   
Postfach 106033       

70049 Stuttgart

Telefon: 0711-6412953

E-Mail

Website

eingestellt am 14.08.2018

Staatsinstitut für Frühpädagogik und Medienkompetenz
Logo: Staatsinstitut für Frühpädagogik und Medienkompetenz