Der Umgang mit dem anderen Elternteil

Elisabeth Wöran
Ewoeran

In sämtlicher Fachliteratur wird erwähnt, wie wichtig der getrennt lebende Elternteil – im Großteil der Fälle ist dies der Vater – für Kinder ist. Für die psychische, soziale und persönliche Reifung, für die Identifikation und Selbstfindung der Kinder ist der Kontakt zum Vater, ein guter, persönlicher Umgang, eine tragbare väterliche Beziehung notwendig. Fachleute richten an die Eltern die Aufforderung, dass sie trotz Scheidung oder Trennung weiterhin als Eltern kooperieren und für ihre Kinder zur Verfügung stehen sollen.

Sagt mir, wo die Väter sind

Allerdings ist ebenfalls in der Fachliteratur, aber auch immer wieder in Wochenmagazinen nachzulesen, dass rund in der Hälfte der Fälle Kinder nach der Scheidung oder Trennung keinen oder keinen regelmäßigen Kontakt mehr zu ihrem Vater haben. 1998 brachen noch 40% der geschiedenen Väter früher oder später die Beziehung zu ihren Kindern ab; heute haben noch immer 23,8% der Väter (trotz heftiger Aufklärungsarbeit und verstärkter Medienpräsenz der Vätervereinigungen) keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern (Profil 10/2004).

Eine Studie über Alleinerzieherinnen in Wien aus dem Jahr 2001 sagt aus, dass das Verhältnis zum Kindesvater von vielen Alleinerzieherinnen als negativ eingeschätzt wird. Nur 7,7% der Frauen beschreiben den Kontakt als sehr gut, 23,7% hingegen als sehr schlecht. Entsprechend eingeschränkt gestaltet sich auch der Kontakt zwischen Vätern und Kindern: Nur 37,2% der Väter sehen ihre Kinder zumindest einmal in der Woche.

Warum ziehen sich Väter zurück?

Väter haben Angst vor der Ablehnung der Kinder; es ist ihnen unangenehm, mit ihrer Ex-Frau zu sprechen; es fällt ihnen schwer, in die eheliche Wohnung zu kommen; sie verstehen nicht, warum es bei der Übergabe der Kinder immer zu so einem “Theater” kommt u.v.a.m.

Viele Väter ziehen sich im Laufe der Zeit vor allem dann zurück, wenn die Familie vor der Trennung schon konfliktreich war, wenn die Besuchregelung bald nach der Trennung nicht befriedigend gelöst werden konnte und wenn sie sich vor der Trennung nicht stark an der Kindererziehung beteiligten. Oft sind es Angst, Unsicherheit und Kränkung, die dieses Verhalten auslösen.

Die Sicht der Mütter

Vorgenannte Aussagen spiegeln die Beratungssituation wider. Die Anfragen von allein erziehenden Müttern richten sich dahingehend, dass Kinder nicht zu den Vätern gehen wollen, dass es bei der Rückkehr der Kinder schwierige, spannungsgeladene Situationen gibt und/oder dass die Kinder einige Zeit lang verstört sind, weinen, sich anklammern etc.

Mütter haben Angst, dass der Vater zu wenig auf das Kind achtet, dass er es an Orte mitnimmt, die sie ablehnen (Beisl, Fußballplatz), dass das Kind über das Wochenende “nur” von den Großeltern betreut wird oder dass der Vater das Kind zu sehr verwöhnt (zu lange auflässt, es jeden Film sehen lässt etc.). Eine besonders schwierige Situation entsteht, wenn der Vater eine neue Beziehung eingeht und das Kind bei den Besuchen mit seiner neuen Freundin oder Frau zusammenkommt.

Dies alles belastet den Alltag von Müttern und Kindern enorm. Die Mütter wollen daher diesen Situationen ausweichen, den Kindern die Aufregung ersparen und sie ruhiger aufwachsen lassen.

Kränken macht krank

Hinter diesen Situationen stehen oft große Kränkungen von allein erziehenden Frauen, die im täglichen Leben stark gefordert bis überfordert sind, für alles zuständig und verantwortlich sind sowie den Eindruck haben, der Vater könne beim Besuchswochenende Freizeit mit dem Kind verbringen und habe damit eine viel einfachere Situation. Umgekehrt klagen viele Väter, dass durch die fehlende Alltagsgestaltung mit ihren Kindern die Entfremdung voranschreitet, wodurch wiederum eine Kränkung ausgelöst wird. Viele Menschen (Frauen und Männer) reagieren nicht nur psychisch, sondern auch psychosomatisch auf diese Situation.

Klare Regeln in stürmischen Zeiten

Eine Scheidung/Trennung bringt Turbulenzen mit sich. Die damit zusammenhängenden Veränderungen passieren oft so rasch, dass die Beteiligten emotional nicht mithalten können. Die Konflikte gehen weiter; es wird dem anderen Elternteil nicht zugetraut, die Mutter- oder der Vaterrolle “richtig und gut” für das Kind ausfüllen und leben zu können.

Je schwieriger sich jedoch diese Zeit gestaltet und je mehr der Machtkampf um die Kinder tobt, desto wichtiger ist es, klare Regelungen für die Besuchszeiten – die für Eltern und Kinder transparent und nachvollziehbar sind – festzusetzen und einzuhalten. Da jedoch Besuchsregelungen, die über das Gericht vereinbart werden, weitaus höheren Spannungen unterliegen als Regelungen, an denen die Hauptverantwortlichen mitgewirkt haben, empfiehlt es sich, Beratung oder Mediation in Anspruch nehmen. Die tatsächliche Besuchssituation kann ebenfalls neutralisiert werden, z.B. mit Besuchsbegleitung oder wenn die Treffen mit dem Vater in einem Besuchscafé durchgeführt werden.

Trauerarbeit – wozu?

Durch die Auflösung der häuslichen Gemeinschaft kann eine entspanntere Situation eintreten: Im täglichen Leben sind vorerst einige Probleme und Konfliktpotentiale gelöst. Andere kommen jedoch neu hinzu. In einem länger dauernden Prozess müssen sich alle beteiligten Familienmitglieder auf die neue Lebenssituation und die damit einhergehenden Veränderungen einstellen. Das Abschiednehmen von einem gemeinsamen Lebensplan braucht Zeit und erfordert Trauerarbeit. Es ist ein schmerzvoller Prozess für den verlassenen Elternteil, aber auch für den Elternteil, der die Trennung gewollt hat, sich den Gefühlen des Abschieds zu stellen, die Trennung und die Veränderungen zu realisieren und zu akzeptieren. Aber es ist notwendig. Nur dadurch kommt man zu neuen Sichtweisen, die sich positiv auf die gesamte Situation auswirken können.

Begleitung, Beratung und Selbsthilfegruppen können hier ganz wesentlich unterstützend wirken. Es kommt nicht auf das Ereignis an, das nachhaltige Folgen zeigen kann, sondern immer auf den Umgang mit ihm.

Kinder – Ausdruck beider Elternteile

Bin ich bereit, die Kränkungen und Verletzungen, die im Zuge der Trennung passiert sind, aufzuarbeiten, dann kann ich als allein erziehende Mutter auch die positiven Anteile in meinem Expartner wieder finden – die Anteile, die mir ursprünglich das Eingehen einer Beziehung mit ihm ermöglicht haben. Die Anteile, die ich schätzte und liebte und die mich dazu brachten, ihn als Vater meiner Kinder zu wählen.

Das Ausgraben dieser “Schätze” ist erforderlich, denn diese Seiten werde ich auch in meinen Kindern wieder finden. Die gemeinsamen Kinder sind immer Ausdruck von beiden Elternteilen. Wenn ich in den Verletzungen, die zum Hass führen können, stecken bleibe, so schade ich langfristig meinen Kindern, weil ich den zweiten Menschen, der zu ihrem Leben beigetragen hat, ablehne bzw. indem ich nur seine Schwächen hervorkehre. Möglicherweise werde ich auch Verhaltensweisen meines Ex-Partners in meinen Kindern wieder finden, die ich nicht mag und die ich ablehne. Doch wenn ich ehrlich bin, haben meine Kinder auch Verhaltensweisen von mir übernommen, die nicht gerade vorteilhaft sind.

Über die Auseinandersetzung mit meinen Gefühlen zum anderen Elternteil

Wenn Sie den Wunsch haben, den anderen Elternteil mehr einzubinden, so nehmen Sie sich etwas Zeit und überlegen Sie sich bitte ehrlich Antworten auf folgende Fragen:

  • Wieweit habe ich mich von meinem ehemaligen Partner verabschiedet?
  • Wieweit habe ich mich von meinem Lebenstraum verabschiedet, mit diesem Mann gemeinsam zu leben und unsere Kinder großzuziehen?
  • Wie viel Wut und Kränkung über das Scheitern der Beziehung ist noch in mir?
  • Wie kann ich diese loslassen bzw. verarbeiten?
  • Wieweit kann ich mich mit meinen Anteilen aussöhnen, die zum Scheitern unserer Beziehung beigetragen haben?
  • Welche Stärken und verschütteten Talente in mir konnte ich durch die Trennung spüren, erfahren und entfalten?
  • Welche Fähigkeiten von mir ermöglichen mir einen positiven Umgang mit dem anderen Elternteil?
  • Welche drei positiven Eigenschaften an dem Vater meiner Kinder fallen mir ein? (Es waren ja seine positiven Eigenschaften, die mich ihn zum Partner wählen ließen).

Es ist auch möglich, diese Fragen in einer Selbsthilfegruppe für Alleinerziehende oder Geschiedene zu überlegen und zu besprechen. Die Sichtweisen werden sich dadurch verändern, und manchmal ist diese Veränderung der erste kleine Schritt, der viele weitere in Richtung der Einbindung des anderen Elternteils ermöglicht.

Die Beziehung des Kindes zum Vater fördern

Wenn Sie den anderen Elternteil wirklich einbinden möchten, so ist es weiter notwendig, die Beziehung Ihres Kindes zu ihm zu fördern. Wie gelingt das?

  • Der andere Elternteil darf nicht schlecht gemacht und negativ dargestellt werden. Auch wenn ich mich über ihn geärgert habe, ist es vorteilhaft, einen gewissen Respekt zu zeigen. Nur so respektiere ich auch die Anteile in meinem Kind, die es von seinem Vater hat.
  • Lassen Sie Ihr Kind unter der Woche Zeit mit seinem Vater verbringen, binden Sie ihn auch in den Alltag ein. So erlebt das Kind nicht nur einen “Sonntagspapa” , sondern einen greifbaren Vater im Alltag.
  • Kinder sollen wissen, dass sie (auch nach einer Trennung/ Scheidung) beide Elternteile lieb haben dürfen und von beiden geliebt werden. Das heißt, ich muss als Mutter zulassen und aushalten können, dass mein Kind seinen Vater liebt (auch mit all den schlechten Eigenschaften, die ich an ihm sehe) und gerne Zeit mit ihm verbringt. Diese Zeit kann ich positiv für mich nutzen.

Wenn der Vater den Kontakt zum Kind abgebrochen hat, so sprechen Sie mit Ihrem Kind darüber. Sie dürfen auch Ihre Enttäuschung zeigen, jedoch sprechen Sie nicht schlecht über den Vater. Erklären Sie Ihrem Kind, dass es nicht an dieser Situation schuld ist.

Sich von dem/der Expartner/in emotional zu lösen und ihn/sie gleichzeitig als Vater/ Mutter des gemeinsamen Kindes zu akzeptieren und zu schätzen ist in den ersten Monaten nach der Trennung wohl eine sehr schwierige Sache. Die Aussöhnung mit der eigenen Lebensgeschichte bedeutet ebenfalls viel Auseinandersetzung mit sich selbst und den eigenen Gefühlen. Wenn jedoch beides gelingt und der Blick auf die Bedürfnisse des Kindes gerichtet bleibt, so ist die gemeinsame Elternschaft in greifbare Nähe gerückt. Dass dies vielen ehemaligen Paaren gelingt, zeigt sich daran, dass sich die Besuchkontakte in vielen Fällen etwa zwei Jahre nach der Trennung gut einpendeln.

Literatur

  • Figdor, H. (2003): Scheidungskinder. Wege der Hilfe. Gießen: Psychosozial-Verlag, 4. Aufl.
  • Amesberger, Dimitz, Finder, Schiffbänker, Wetzel (2001): Alleinerzieherinnen in Wien. Studie der Arbeiterkammer Wien

Autorin

Elisabeth Wöran, Diplomsozialarbeiterin, war Leiterin der Kontaktstelle für Alleinerziehende in der Erzdiözese Wien und langjährige Rainbows-Gruppenleiterin in der Beratung und Begleitung von Alleinerziehenden. Die Kontaktstelle für Alleinerziehende ist eine Beratungs-, Bildungs-, Service- und Vernetzungsstelle für Alleinerziehende und ihr Kinder. Rainbows für Kinder in stürmischen Zeiten ist ein gruppenpädagogisches Angebot für Kinder nach Trennung/ Scheidung und Tod eines Angehörigen.

Kontakt

Elisabeth Wöran
Kontaktstelle für Alleinerziehende in der Erzdiözese Wien
Stephansplatz 6, 5. Stock
1010 Wien

Tel.: 01/51552/3343

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Erstellt am 3. November 2004, zuletzt geändert am 11. Februar 2010

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