Wenn die Kinder aus dem Haus gehen: Über das Verhältnis zu erwachsenen Kindern und Schwiegerkindern
Helga Gürtler
Einen Sohn, eine Tochter in die Erwachsenen-Selbständigkeit entlassen, ist oft gar nicht so einfach: Gehen Sie nicht manchmal noch mit dem Dreißigjährigen um wie mit einem dummen Jungen? Benimmt sich nicht manchmal auch der Sohn, als habe er weiter einen Anspruch darauf, von Ihnen bemuttert zu werden? Wie kommen Sie mit dem Partner, der Partnerin von Tochter oder Sohn zurecht? Wie viel Ballast aus alten Zeiten beeinflusst das Verhältnis zu den jungen Leuten? Wie kann man diesen Ballast abwerfen, das Verhältnis verbessern?
Ganz anders als zu Ihrer Zeit?
Wie fühlten Sie sich, als Sie achtzehn oder einundzwanzig und endlich volljährig waren? Reif und erwachsen, nehme ich mal an. Kein Grund mehr, sich von den Eltern bevormunden zu lassen. Eher schienen die Eltern manchmal nicht ganz auf der Höhe der Zeit zu sein, oder?
Und heute? Ist das junge Volk nun im gleichen Alter viel unreifer, unernster, lebensuntüchtiger als wir damals? Oder bilden wir Alten uns das bloß ein? Es muss uns zu denken geben, dass Elterngenerationen zu allen Zeiten – bis zurück zu den alten Römern – der Überzeugung waren, die “heutige Jugend” tauge nichts mehr, würde in keiner Weise den eigenen Standards entsprechen.
Ihr Kind ist kein Kind mehr
Schon in der Pubertät der Kinder muss das Erziehen immer mehr hinter dem Begleiten zurückstehen. Erziehen heißt als Bild: Der Erwachsene geht vor, zieht das Kind nach, das Kind folgt. Begleiten heißt: Da gehen zwei nebeneinander, der eine lehnt sich nur noch ein bisschen an den anderen an.
Wenn die Kinder erwachsen sind, muss das Verhältnis ein freundschaftliches Nebeneinander gleichberechtigter Partner sein – mit Nehmen und Geben von beiden Seiten. Die Kinder erwarten diesen Zeitpunkt sehnsüchtig – endlich erwachsen! Auch für die Eltern hat er Vorteile: Sie müssen nicht mehr stark und überlegen, müssen nicht mehr Vorbild sein. Sie dürfen sich den herangewachsenen Kindern mitsamt ihren Schwächen zumuten. Sich eher mal gehen lassen, eher mal aus der Rolle fallen.
Auch die Kinder müssen damit aufhören, einseitige Ansprüche zu stellen. Mama weiter die Wäsche überlassen und mit regelmäßigen Mahlzeiten rechnen? Nur, wenn Sohn oder Tochter dafür z.B. andere Teile der Haushaltspflichten, die Einkäufe und einen Teil des Küchendienstes übernimmt. Spätestens beim Zusammenleben unter Erwachsenen müssen Ansprüche und Pflichten gleichmäßig verteilt werden.
Eltern müssen sich auch für das Wohlergehen ihrer erwachsenen Kinder nicht mehr verantwortlich fühlen. Diese Verantwortung müssen die Kinder jetzt selbst tragen. Glauben Sie, das kann nicht gut gehen? Ohne Ihre Einmischung würde der Sohn oder die Tochter hoffnungslos scheitern? Da verhalten Sie sich wie die kluge Else. Erinnern Sie sich an das Grimm’sche Märchen? Die Else geht eines Tages in den Keller, um Bier zu zapfen. Da findet sie über dem Schemel in der Mauer eine Hacke stecken, die Handwerker dort vergessen haben. Und nun sitzt sie da und jammert, weil das Kind, das sie einmal haben wird, womöglich eines Tages, wenn es auch hier sitzt, um Bier zu zapfen, von dieser Hacke erschlagen werden könnte. Und alle, die – einer nach dem anderen – nach ihr sehen kommen, hören sich ihren Kummer an und jammern mit.
Vielleicht gibt Ihr Sohn sich nur deshalb so unselbständig, weil er Sie auf diese Weise dazu kriegt, weiter so manches für ihn zu tun, was selber zu machen ganz schön unbequem ist. Wenn erwachsene Kinder den Eltern wichtige Entscheidungen überlassen, können sie sie auch für die Konsequenzen verantwortlich machen. Auch das ist ganz bequem. Wenn Sie Ihren Sohn weiter so übermäßig “betutteln”, weil Sie ihn für zu unselbständig halten, dann wird er eines Tages auf Dauer so unselbständig sein, wie Sie ihn jetzt einschätzen. Ihre Haltung trägt dazu bei, dass er so wird!
Trauen Sie Ihrem Sohn oder Ihrer Tochter doch mal etwas zu! Jeder Mensch wächst an seinen Aufgaben. Sicher wird in Zukunft nicht alles schnurgerade so laufen, wie Sie sich das vorstellen. Kann es auch nicht. Es ist nicht Ihr Leben, sondern seins oder ihres. Er/ sie muss es gestalten, mit den persönlichen Eigenheiten und Möglichkeiten, nicht Sie!
Nichts spricht dagegen, dass Sie weiterhin raten, wenn Sie um Rat gebeten werden, aber entscheiden und verantworten müssen die jungen Leute jetzt allein (Es sei denn, sie sind wirklich extrem unreif und noch nicht volljährig).
Wenn der Sohn (oder die Tochter) eine eigene Wohnung hat, ist das nicht mehr automatisch auch Ihr Bereich, in den Sie ungehemmt hineinwirken dürfen. Sie müssen Grenzen respektieren. Nicht unangemeldet kommen und plötzlich in der Wohnung stehen. Nicht ungefragt die Küche putzen, das Zimmer aufräumen oder die Türen streichen. Sonst sind Sie eines Tages sehr gekränkt über sein “undankbares” Benehmen. Nicht nur, dass er sich für Ihre Hilfeleistung nicht bedankt – womöglich behauptet er sogar, sich in seiner alten Unordnung wohler gefühlt zu haben, oder macht Sie dafür verantwortlich, dass ein Schriftstück, das wohl sortiert unter dem Sessel lag, nicht mehr auffindbar ist.
Kritik tut manchmal weh
Für einen jungen Menschen ist es wichtig, sich über die Einflüsse, die den eigenen Charakter geformt haben, Gedanken zu machen. Erst recht, wenn er selbst Kinder bekommt und praktische Konsequenzen aus diesen Einsichten ziehen will.
Für Eltern ist es schwer, kritische Äußerungen der erwachsenen Kinder zu akzeptieren. “Du hast ja nie Zeit gehabt, wenn ich etwas brauchte”, oder auch: “Nie hast du mich etwas allein machen lassen, immer hast du dich in alles eingemischt”. Solche Sätze tun weh. Und so allgemein formuliert sind sie bestimmt auch nicht richtig. Aber ohne Groll genauer und konkreter betrachtet, enthalten sie wahrscheinlich eine Portion Wahrheit.
Die Kritik von Sohn oder Tochter am eigenen Erziehungsverhalten erscheint den Eltern wie blanker Undank. Was hat man alles durchgestanden und in Kauf genommen der Kinder wegen! Die vielen gestörten Nächte, immer knapp bei Geld, kaum Zeit für sich allein… Und jetzt soll man es auch noch falsch gemacht haben, soll an allem Möglichen schuld sein!
Zweifellos haben Sie sich nach Kräften bemüht, das vermeintlich Beste für Ihre Kinder zu tun. Was das Beste, was gut oder schlecht für sie war, merkt man aber oft erst hinterher, an den mehr oder weniger deutlichen Folgen. Oder man kann es auch nur vermuten, so oder anders sehen, denn was geworden wäre, wenn…, kann doch gar keiner wissen.
Und perfekt ist niemand. Niemand kann eine so vielschichtige Aufgabe wie das Aufziehen eines Kindes erfüllen, ohne dabei auch Dinge zu tun, von denen man hinterher glaubt, anders wäre es besser gewesen. Warum also sich dieser nachträglichen Einsicht verschließen? Ist es nicht schön, wenn vielleicht die Enkelkinder davon profitieren können?
Wenn man es fertig bringt, über solche unterschiedlichen Sichtweisen zu reden, ohne sich gegenseitig Schuld zuzuschieben, kann das für beide Seiten ein Gewinn sein. Das Verhältnis kann von altem Ballast befreit werden – von Kränkungen vielleicht, die bisher nie ausgesprochen wurden.
Alten Ballast abwerfen
Herangewachsene Kinder glauben oft, sie dürften die eigenen Vorbehalte oder Vorwürfe nicht offen aussprechen, um die Eltern nicht zu kränken. Denn dass diese sich nach Kräften bemüht haben, sehen auch sie. Aber die Eltern spüren diese versteckten Konflikte – in Gereiztheiten, im Streit um Kleinigkeiten. Auch sie möchten oftmals lieber nicht hören, was da schwelt, denn dann müssten sie sich damit auseinandersetzen – und das kann wehtun.
Es fordert erst einmal Mut, Dinge auszusprechen, die vielleicht jahrzehntelang unter der Decke gehalten wurden. Der erste Impuls ist wahrscheinlich, sich gegen geäußerte Vorwürfe aggressiv, vielleicht mit Gegenvorwürfen, zur Wehr zu setzen. Aber das führt nicht weiter. Es geht nicht darum festzustellen, wer Schuld an etwas hat, das nicht mehr zu ändern ist.
Wenn eine Tochter ihrem Vater erklärt, sie habe unter seinen oft zu hohen Ansprüchen gelitten, dann ist das so. Es ändert sich auch nicht, wenn der Vater ihr zu beweisen versucht, dass seine Ansprüche nicht überhöht waren. Das eine ist seine Sicht der Dinge, das andere ihre. Aber er kann ihr von seiner Enttäuschung berichten, dass sie – aus seiner Sicht – so wenig Interesse an Dingen zeigte, die ihm sehr wichtig waren. Und von seiner Überzeugung, sie brauche seinen ständigen Ansporn, um ihre Möglichkeiten voll entfalten zu können.
Auf diese Weise kann einer die Reaktionen des anderen im Nachhinein besser verstehen. Jeder kann bedauern, dass sein Verhalten beim anderen Wirkungen hatte, die er so nicht wollte. Das kann für beide letztendlich sehr entlastend sein, kann dazu führen, dass beide auf einer neuen Ebene als Erwachsene ein besseres Verständnis für einander finden.
Manchmal mögen sich Erlebnisse aus längst vergangener Zeit im Gedächtnis festgesetzt haben, die so läppisch erscheinen, dass man sie dem anderen kaum mitzuteilen wagt. Aber dass sie so lange haften geblieben sind, zeigt, dass mehr hinter ihnen steckt. Wahrscheinlich sind sie symbolisch für das, was die eigentliche Kränkung ausmachte.
Ich erinnere mich an den Bericht einer jungen Frau, die es ihrer Mutter noch heute verübelt, dass sie ihr als Kind die fest versprochenen rosa Pantoffeln mit den großen Bommeln dann doch nicht geschenkt hat. Für die Mutter war das unbedeutend, für die Tochter Symbol für mangelndes Verständnis und Zurücksetzung gegenüber den Geschwistern. Es ist durchaus keine Kleinigkeitskrämerei, unter diesen Bedingungen heute noch einmal über die rosa Pantoffeln zu sprechen.
Eine Trennung auf Zeit ist keine Katastrophe
Mitten in der Pubertät macht sich das Kind oft schon an die selbständige Gestaltung des eigenen Lebensweges, schlägt dabei fast alle elterlichen Ratschläge in den Wind, richtet sich nur noch nach dem eigenen Kopf. Muss es auch! In den meisten Familien ist dies eine Zeit der Beunruhigung, der mehr oder weniger heftigen Auseinandersetzungen. In den Augen der besorgten Eltern passiert eine Katastrophe nach der anderen, die sie zu verhindern versuchen. Die Kinder hingegen wehren sich gegen die aus ihrer Sicht unzumutbare Bevormundung.
Viele junge Leute ziehen deshalb so schnell wie möglich aus dem Haus – eine eigene Bude muss her, in der man endlich sein eigener Herr ist. Oder es sind die Eltern, die die ewige Streiterei satt haben und Sohn oder Tochter mehr oder weniger unsanft vor die Tür setzen. Das ist überhaupt keine Katastrophe. Eine solche Trennung, eine zeitweise Entfremdung kann allen helfen, zu sich selbst zu finden, sich darüber klar zu werden, was sie wollen und was nicht. Oft bessert sich das Verhältnis bald wieder, wenn alle nicht mehr so dicht aufeinander “hocken”, sich nur hin und wieder sehen.
Manchmal aber brechen Kinder oder Eltern den Kontakt für einige Jahre ganz ab. Es scheint sogar, als seien es manchmal die besonders umsorgten Kinder, die sich mit einem weiten Sprung aus der engen Beziehung loslösen und erst mal ganz allein zurechtkommen wollen. Selbst wenn dies ein Bruch im Zorn war, muss er keineswegs von Dauer sein. Vielleicht ist die Geburt eines Enkelkindes ein willkommener Anlass, es unter neuen Bedingungen wieder miteinander zu versuchen…
Die Partner der Kinder sind meistens die falschen
Der Partner, den sich das eigene Kind aussucht, ist in den Augen der Eltern selten ganz der oder die richtige. Meistens haben sie sich das anders vorgestellt. Jeder, der ein Kind großzieht, macht sich für dessen Zukunft kühne Hoffnungen: Glück, Zufriedenheit, Harmonie, ein gutes Auskommen, einen angesehenen Beruf. Das Kind soll es einmal besser haben. Vielleicht soll es auch noch einige der Träume verwirklichen, die bei den Eltern auf der Strecke geblieben sind.
Wenn nun dieses Kind, inzwischen erwachsen, jemanden ohne Zutun der Eltern auswählt, mit dem es die nächsten Jahre zusammen leben möchte, fühlen sich die Eltern um einen Teil ihrer Bemühungen und ihrer kühnen Hoffnungen betrogen, obwohl es den Traumpartner, den sie sich vorstellen, wahrscheinlich gar nicht gibt. “Was, so eine verhuschte Maus für mein Prachtstück von Sohn? Ob die ihm intellektuell überhaupt gewachsen ist?” “Ausgerechnet ein Bauschlosser? Wenn er wenigstens Ingenieur wäre!” “Was, ein Künstler? Und wovon wollt ihr leben?”
Zwischen Vätern und Töchtern, Müttern und Söhnen kommt noch eine gehörige Portion Eifersucht dazu. Für viele Töchter ist der Vater zunächst das Wunschbild von einem Mann. Sie himmelt ihn an, und er zeigt sich ihr gegenüber von seiner besten Seite. Oder er bildet sich das zumindest ein. Und plötzlich macht ihm ein “Hänfling mit Pubertätspickeln” Konkurrenz! Das jedenfalls ist seine Sicht. Dass dieser junge Mann klug, feinfühlig und liebevoll ist, nimmt er vielleicht – gerade weil er so eifersüchtig ist – gar nicht zur Kenntnis. Wenn ein junger Mensch spürt, dass er bei seinem Gegenüber auf Vorbehalte stößt, benimmt er sich dann oft provozierend oder ungeschickt.
Und wer ist schuld daran, dass da eine offenbar ganz unpassende Liaison zustande gekommen ist? Natürlich der oder die andere! Hat dem eigenen Kind den Kopf verdreht, sie herumgekriegt, ihm etwas vorgemacht. Versucht, sich in das gemachte Nest zu setzen… Wenn es wegen der Partnerwahl zu Streit zwischen Eltern und Kind kommt oder wenn die jungen Leute einen ganz anderen Lebensstil entwickeln, als die Eltern sich das vorgestellt haben, dann war es bestimmt der oder die andere, der/die versucht, das eigene Kind negativ zu beeinflussen und den Eltern zu entfremden. Es muss ja der/die andere, das eigene Kind kann es ja gar nicht sein. Wie hat Ringelnatz das so schön formuliert? “Also schloss er messerscharf, dass nicht sein kann, was nicht sein darf”.
So haben es angehende Schwiegertöchter und Schwiegersöhne schwer: Sie müssen eine Prüfung ablegen und haben von Anfang an schlechte Chancen, sie zu bestehen. Aber da heute kaum noch jemand erwartet, dass dies der Partner für das ganze weitere Leben sein wird, ist der Druck wohl nicht mehr so groß wie zu unserer Zeit. Erinnern Sie sich noch an Ihre ersten Besuche bei den Schwiegereltern?
Die meisten jungen Leute prüfen heute lange, wiederholt und gründlich, bevor sie sich fester an jemanden binden. Und viele Eltern sind nicht geneigt, jede neue “Flamme” mehr als oberflächlich kennen lernen zu wollen – schon, um sich die vorgenannten gefühlsmäßigen “Schleudertouren” zu ersparen. Erst mal abwarten… Wenn allerdings ein Kind kommt, wird es ernst.
Die Geburt eines Enkelkindes ist für die meisten ein Anlass, näher auf einander zuzugehen, sich als Angehörige der gleichen Familie zu akzeptieren. Doch die Vorbehalte, die Eifersucht, die Vorurteile und Missverständnisse sind damit nicht vom Tisch. Sie können um des lieben Friedens willen vorübergehend unter den Teppich gekehrt werden, aber da bleiben sie wahrscheinlich unverändert liegen und bilden hässliche Beulen. Und über die werden Sie beim Umgang mit dem Enkelkind immer wieder stolpern…
Sie glauben vielleicht, es gäbe nur einfach Meinungsverschiedenheiten darüber, ob der Zweijährige auf den Topf gesetzt werden sollte oder wann er ins Bett gehört. In Wirklichkeit speisen sich all diese Meinungsverschiedenheiten aus einem grundsätzlichen Misstrauen zwischen Ihnen und Ihrer Schwiegertochter. Wenn sie eine bestimmte Meinung äußert, juckt es Sie einfach, das Gegenteil für richtig zu halten. Und ihr geht es mit Ihren Ansichten genau so. Das kann ewig so weitergehen, wenn Sie nicht versuchen, ihr Verhältnis zu “sanieren”. Sie müssen sich ja nicht gleich furchtbar lieb haben. Diesen Anspruch sollten Sie weder an sich noch an Schwiegertochter oder Schwiegersohn stellen. So etwas muss wachsen (und manchmal wächst es vielleicht auch nicht).
Aber achten, akzeptieren, tolerieren müssen Sie einander! Schauen Sie nicht immer nur auf die Fehler, die das neue Familienmitglied in Ihren Augen hat. Achten Sie vielmehr auf liebenswerte Eigenheiten. Die hat jeder – die muss auch dieser Mensch haben, sonst hätte sich Ihr eigenes Kind nicht mit ihm eingelassen. Im Übrigen sollen nicht Sie mit ihm glücklich sein, sondern Ihr Sohn bzw. Ihre Tochter. Das ist nicht das Gleiche! Reden Sie mit einander. Sagen Sie es offen, wenn Sie etwas freut, aber auch, wenn Sie etwas ärgert oder beunruhigt. Nur so kann einer den anderen besser kennen lernen.
Der Partner spielt jetzt die erste Geige
Wenn das eigene Kind sich mit einem Partner, einer Partnerin zusammentut, werden dessen oder deren Maßstäbe für die gemeinsame Lebensführung wichtiger als die der Eltern. Auf einmal entwickeln Sohn oder Tochter andere Vorlieben, andere Gewohnheiten. Die Tochter geht vielleicht mit ihrem Mann zum Tanzkurs, was sie bisher als “superspießig” abgelehnt hat. Der Sohn kommt sonntags nicht mehr zum Kaffee, weil er um die Zeit neuerdings Tennis spielt. Auch der Umgangston kann auf einmal ein anderer werden. Sie können dann leicht den Eindruck gewinnen, dass der oder die Neue Ihnen Ihr Kind entfremdet, weil es auf einmal Verhaltensweisen an den Tag legt, die es sonst nie hatte.
Aber wer sich auf einen neuen Partner einstellt, muss diesem auch immer ein Stück in den Verhaltensweisen und Vorlieben entgegen gehen. Wie soll da sonst etwas Gemeinsames entstehen? Der innige Umgang mit einem anderen Menschen, der Einstieg in neue Freundeskreise und Interessengebiete hat deshalb auch immer charakterliche Veränderungen zur Folge. Neues wird wichtig, vorher Wesentliches tritt in den Hintergrund. Das muss durchaus kein Nachteil sein, auch wenn es Ihnen vielleicht so erscheint. Ihr Kind soll in diesen neuen Verhältnissen leben, nicht Sie! Wichtig ist vor allem, dass Ihr Sohn, Ihre Tochter sich dabei wohl fühlt. Und das muss er oder sie selbst ausprobieren.
Vom Sinn der Hochzeitsreise
Wenn ein junges Paar sich gefunden hat, geht es nach alter Sitte zunächst für eine nicht zu kurze Zeit auf eine Reise. Das heißt, es reißt sich los aus allen bisherigen Bindungen und Gewohnheiten. Es lässt hinter sich, was bisher sein Leben bestimmte, konzentriert sich ganz darauf, etwas Neues, Gemeinsames aufzubauen.
Betrachten Sie ruhig auch die ersten Jahre einer solchen Beziehung als eine fortdauernde Hochzeitsreise – bestimmt nicht so unbeschwert und vergnüglich, aber möglichst unbelastet von alten Verbindlichkeiten. Sie ersparen Ihrem Kind seelische Konflikte, wenn Sie nicht darauf bestehen, dass zwischen Ihnen alles so bleibt, wie es bisher war. Wenn Sie ohne Vorwurf in den Hintergrund treten und Sohn oder Tochter nicht in einen Konkurrenzkampf hineinmanövrieren nach dem Motto: “An wem liegt dir mehr, an dieser Frau oder an uns?” Sie können dabei nur verlieren!
Je gelassener Sie auf eine vorübergehende Entfremdung reagieren, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass später – wenn sich die Beziehung der beiden konsolidiert hat – auch das Verhältnis zu Ihnen wieder ein engeres, vertrauteres wird. Lasten Sie die Verantwortung für die Entfremdung nicht einseitig dem dazugekommenen Partner nach dem Motto an: “Wir hatten so ein gutes Verhältnis zu unserer Tochter, aber seit sie diesen Mann kennt, ist sie wie verwandelt. Der hat einen schlechten Einfluss auf sie.”
Es ist auch unfair, mit Sohn oder Tochter über die Schattenseiten des Partners diskutieren zu wollen. Wenn die beiden es ernst miteinander meinen, müssen sie in wichtigen Dingen einander Dritten gegenüber verteidigen. Und Eltern sind in diesem Falle nun mal Dritte! Es mag ja sein, dass der neue Schwiegersohn viel lockerer mit dem Geld umgeht, als das bei Ihnen üblich ist. Aber vielleicht findet Ihre Tochter das ganz reizvoll, nachdem sie bisher immer gelernt hat, dass man jeden Groschen dreimal umdrehen muss, bevor man ihn ausgibt. Selbst wenn sie im Grunde der gleichen Meinung ist wie Sie – das im Gespräch mit Ihnen zu äußern, erschiene ihr als Verrat. Also wird sie seine Art verteidigen und sich damit eher seiner Sicht der Dinge annähern, als wenn die Eltern nichts dazu gesagt hätten.
Je mehr Eltern also unternehmen, um in der Konkurrenz mit Schwiegersohn oder Schwiegertochter gut dazustehen, desto eher tragen sie dazu bei, dass sich das eigene Kind noch mehr von ihnen entfernt. Denken Sie daran, wenn Sie wieder einmal das Gefühl haben, mit der Gründung einer neuen Familie habe sich Ihr Kind unerträglich weit von Ihnen entfernt – die jungen Leute sind wohl innerlich noch immer auf der Hochzeitsreise. Haben Sie Geduld!
Aus Ihrem Kind ist ein Vater oder eine Mutter geworden
Dieses bis in die Verästelungen des Unterbewussten zu akzeptieren, ist manchmal gar nicht so einfach. Da äußert Ihr Sohn oder Ihre Tochter auf einmal eigene Ansichten über Kindererziehung, obwohl Sie davon ja wohl mehr verstehen, schließlich haben Sie selbst eins oder mehrere Kinder großgezogen. Das reizt schon manchmal zu einer gewissen Überheblichkeit. Oder zu der Sorge, was wohl aus dem armen Kind werden wird, wenn es zwei solchen “Grünschnäbeln” überlassen bleibt. Aber so ein Grünschnabel waren Sie auch, als Sie Ihr erstes Kind bekamen! Und reagierten Sie damals nicht auch gereizt, wenn Eltern oder Schwiegereltern Sie im Umgang mit dem Baby nicht für voll nahmen?
Es ist nun einmal so: Mit der Geburt eines Kindes übernehmen dessen Eltern die Verantwortung für seine Pflege und Erziehung. Sie spielen bei allem, was es zu entscheiden gibt, die erste Geige. Das haben Großeltern zu akzeptieren. Selbst wenn sie einiges ganz anders machen, als Eltern oder Schwiegereltern das richtig finden – wer kann eigentlich sagen, was richtig oder falsch ist? Die jungen Eltern schleppen vielleicht das Baby unentwegt mit sich herum, während die Großeltern meinen, es müsste mehr Ruhe haben. Sie bringen dem Zweijährigen mehrmals in der Nacht eine Trinkflasche oder gewöhnen ihm an, nur auf dem Arm getragen einschlafen zu können. Aber je mehr Großeltern sich besserwisserisch einmischen, desto eher werden die jungen Leute sich dies schon aus Trotz verbitten, und noch so berechtigte Kritik wird auf taube Ohren stoßen. Je mehr sich die jungen Eltern hingegen in ihrer neuen Rolle anerkannt fühlen, desto freier sind sie, über gute Ratschläge nachzudenken.
Altes Stück auf neuer Bühne
So mancher Konflikt, der zwischen jungen Eltern und einer Großmutter bzw. einem Großvater aufbricht, ist im Grunde die Fortsetzung eines alten Konfliktes aus Kinderzeiten. Junge Menschen, die die Pubertät hinter sich haben, bekommen mit zunehmender Reife eine differenziertere, abgewogene Sicht von den eigenen Eltern. Sie halten sie nicht mehr für die Größten, wie die meiste Zeit in ihrer Kindheit, aber auch nicht mehr für “das Letzte”, wie in den oft heftigen Auseinandersetzungen der Pubertät. Sie sehen klarer, was die Eltern gut gemacht haben, aber auch, was schlecht war, was verantwortlich ist für manche Eigenheit, die sie nicht mehr los werden, auch für so manche Wunde, die immer noch weh tut.
Wenn z.B. eine Mutter als Kind und Jugendliche immer darunter gelitten hat, von ihren Eltern zu sehr “unter der Fuchtel” gehalten worden zu sein, dann werden ihr die eigenen Kinder jetzt ein sehr willkommener Anlass sein, endlich mal durchzusetzen, dass sie jetzt bestimmt, wo es langgeht, und nicht mehr ihre Eltern. Und so gibt es ständig Reibereien um Kleinigkeiten – ob das Kind eine Mütze aufsetzen muss oder nicht, ob es genug gegessen hat, ob es jetzt auf den Spielplatz gehen soll oder nicht.
Großeltern tun sich oft schwer damit anzuerkennen, dass jetzt ihre Kinder bei der Erziehung der Enkel das Sagen haben. Sie leisten heimlich Widerstand, indem sie Wünsche nicht ernst nehmen oder erzieherische Maßnahmen einfach unterlaufen, sich jedenfalls mehr nach ihrem eigenen Kopf richten. Wenn sie dem Kleinen kurz vor dem Essen ein Schokoladenei zuschieben, obwohl sie genau wissen, dass Mama das missbilligt, dann richtet sich Mamas Zorn nicht nur gegen den Beitrag zu einer unvernünftigen Ernährung, sondern mehr noch gegen die Geringschätzung und Missachtung, die sie dabei spürt. Sie fühlt sich selbst wieder behandelt wie das Kind, das nicht ganz ernst genommen wird.
Eltern und Großeltern buhlen oft um die größere Zuneigung der Kinder – wenn es sein muss auch mit Bestechung -, um sich gegenseitig zu beweisen, wer der Liebenswertere, der pädagogisch Fähigere ist. Und so überbringt manche zur Unzeit oder im Übermaß gewährte Schleckerei auch noch die Botschaft: “Bin ich nicht besonders lieb zu dir?”
Die jungen Eltern möchten den Großeltern beweisen, dass sie mit ihren Erziehungsmethoden mehr Erfolg haben, dem Kind eher gerecht werden als die Großeltern. Schlagen sich die Kinder dann mal auf die Seite der Großeltern, erleben die Eltern das als Verrat, werden gereizt und ungerecht.
Eltern müssen manchmal zähneknirschend klein beigeben, weil sie auf die Unterstützung durch die Großeltern nicht verzichten können. Großeltern erleben das als Triumph und spielen diesen Trumpf aus: “Ach ja, aber zum Kinderhüten sind wir dann wieder gut!”
So ist manche Auseinandersetzung um Verwöhnung oder schlechte Manieren der Kinder eher ein Machtkampf unter den Erwachsenen als eine Meinungsverschiedenheit über Erziehungsmethoden. Die Kinder sind sozusagen nur das Medium, über das Eltern und Großeltern ihre Konflikte austragen. Solche Zusammenhänge zu durchschauen ist der erste Schritt dazu, das Problem da anzupacken, wo es wirklich besteht.
Schwiegermutter, Schwiegertochter
Wie war das bei Ihnen, als Sie im Alltag das erste Mal längere Zeit mit Ihren Schwiegereltern zusammen waren? Sicher sind Sie bald auf Gewohnheiten gestoßen, die dort anders waren als bei Ihnen zu Hause. Nichtigkeiten vielleicht – die Bettwäsche kam auf links gedreht auf die Leine und in den Schrank, bei Ihnen aber wurde sie wieder auf rechts gedreht, bevor sie verstaut wurde. Die Bouletten hießen vielleicht Frikadellen, wurden klein und rund geformt – nicht wie bei Ihnen größer und flach.
Alles unwichtig, keine Auseinandersetzung wert. Aber hat es diesbezügliche Konflikte nicht trotzdem gegeben? Verteidigten Sie mit Ihren häuslichen Gewohnheiten nicht auch Ihre Verbundenheit mit Ihrer Familie, wehrten sich dagegen, von der neuen Familie vereinnahmt zu werden? War die Gereiztheit um Namen und Größe der Bouletten nicht auch eine Konkurrenz um Anerkennung und Autorität? Verglichen Sie nicht die Schwiegermutter mit Ihrer Mutter, den Schwiegervater mit dem Vater und wollten, dass die eigenen Eltern dabei besser abschnitten?
Oder war es bei Ihnen noch anders? Gingen Sie mit offenen Armen auf die Schwiegereltern zu, vielleicht weil Sie mit den eigenen Eltern nicht sehr glücklich waren? Und erwarten Sie von Ihrer Schwiegertochter jetzt das gleiche?
Jedenfalls lohnt es sich, nach solchen Hintergründen zu suchen, wenn einem der Anlass für eine Gereiztheit, einen heftigen Wortwechsel gar zu läppisch erscheint. Was steckt eigentlich dahinter? Worum rangeln Sie heute mit Ihrer Schwiegertochter? Um das optimale Einräumen der Spülmaschine, um das Abschließen der Garage oder das geeignete Schulbrot für die Kinder? Geht es wirklich nur um diese Fragen oder um mehr?
Wie haben Sie Ihre Schwiegereltern angeredet? Mutti, Vati, Mama, Papa, Fritz, Grete? Genauso wie Ihre Eltern oder anders? Junge Menschen, die eine liebevolle Beziehung zu den eigenen Eltern haben, tun sich oft schwer damit, zunächst ziemlich fremde Menschen genauso anzureden. Lieber vermeiden sie über lange Zeit möglichst jede direkte Anrede. Das aber wirkt unfreundlich und irgendwann kränkend. Viel besser ist es, bald nach dem Kennenlernen offen darüber zu reden und eine neue, noch nicht “besetzte” Anredeform zu verabreden. Je länger Sie damit warten, desto schwieriger wird es.
Andere Familie, andere Sitten
Es geht Sie nichts mehr an, wie die jungen Leute ihr Leben und ihre Wohnung einrichten, ihr Geld einteilen, ihre Freizeit gestalten. Erwartet Ihre Schwiegertochter, dass Ihr Sohn die Fenster putzt und seine Hemden selber bügelt? Oder trägt er, seit er verheiratet ist, nur noch ungebügelte Hemden? Ehe Sie anfangen, den armen Jungen zu bedauern, seine Hemden wieder selbst zu bügeln oder böse Bemerkungen über die pflichtvergessene Schwiegertochter zu machen: Hätten Sie nicht auch gern einen Mann gehabt, der Fenster putzt und Hemden bügelt? Haben Sie sich nicht oft genug darüber beklagt, dass sich Männer vor unangenehmen Notwendigkeiten so gern drücken, dass Sie als Frau das schlechtere Los gezogen haben? Ist es nicht ein Grund zum Freuen, wenn sich da langsam etwas ändert? Wenn Ihr Sohn damit einverstanden ist, was betrifft es Sie dann überhaupt? Und wenn er es nicht ist, wenn er sich beklagt – kann das nicht auch daran liegen, dass Sie ihn zu sehr verwöhnt haben? Ist es dann nicht höchste Zeit, dass Sie Ihre Schwiegertochter unterstützen, damit er seine Gewohnheiten ändert?
Die Arten, wie sich Menschen ihr Leben einrichten, sind heute sehr vielgestaltig. Die einen nehmen hohe Kredite auf, um sich erst einmal eine schicke Wohnung einzurichten, die anderen leben in einem besetzten Haus und schlafen auf dem Fußboden. Die einen heiraten erst und kriegen dann Kinder, die anderen kriegen erst Kinder und heiraten überhaupt nicht. Unterschiede der Religion, der Kultur, der sozialen Herkunft spielen für viele kaum noch eine Rolle. Die Wahrscheinlichkeit, dass Ihr Sohn oder Ihre Tochter sich das Leben genau so einrichtet, wie Sie das für richtig halten, ist jedenfalls sehr gering.
Erinnern Sie sich noch an Ihre Reaktion, als Ihr Schwiegervater sich abschätzig über Ihre Essgewohnheiten ausließ, Ihre Schwiegermutter sich über mangelnde Ordnung oder schlechte Erziehung der Kinder mokierte? Wie fanden Sie das? Waren Sie nicht ziemlich sauer? Waren Sie nicht auch der Meinung, dass sie das gar nichts anging? Bitte denken Sie daran, wenn Sie das nächste Mal finden, dass es bei Ihren Kindern und Schwiegerkindern “unmöglich” zugeht. Das ist immer eine Frage der Perspektive!
Besonders die Verbindung mit einem Menschen anderer Nationalität und Kultur kann auch für die Eltern voller interessanter Erfahrungen sein. Sie bekommen an persönlichen Beispielen einen viel lebendigeren Einblick in eine andere Kultur, eine andere Religion, in Essgewohnheiten und Lebensstil, Musik und Tanz, als sie das je auf einer Urlaubsreise bekämen. Da haben sie auf einmal Verwandte in der Türkei, in Portugal oder Indien, die sie sonst nie kennen gelernt hätten.
Sicher, bei den beiden wird zu Hause einiges recht ungewohnt sein – halb ihre Kultur, halb seine. Bei der nötigen Aufgeschlossenheit von allen Seiten eine sehr interessante Mischung: Vielleicht schmeckt Ihnen ja das fremdländische Essen, und Sie lassen sich anregen, auch mal Ingwer, Zimt oder Minze an das Fleisch zu tun. Falls Ihnen aber die deutsche Küche über alles geht, ist es besser, Sie bleiben bei Ihren Gewohnheiten. Hauptsache, Sie behaupten nicht, das sei die einzig vernünftige Küche – das komische Zeug, das Schwiegersohn oder Schwiegertochter da kochen, sei nicht genießbar. Geschmäcker sind, das wissen Sie ja, recht verschieden.
“Die Eltern meiner Schwiegertochter”
Wenn Sohn oder Tochter eine eigene Familie gründen, bekommen Sie es noch mit einem weiteren “Familienzuwachs” zu tun: nämlich dem anderen Elternpaar. Das wird bei uns so wenig wichtig genommen, dass es gar keine eigene Bezeichnung für diese Form der Verwandtschaft gibt. In anderen Kulturen ist das oft anders.
Sie haben im Grunde mit diesen Menschen so vieles gemeinsam. All die Besorgnisse und fürsorglichen Bemühungen um das junge Paar gibt es auch auf deren Seite. Trotzdem ist das Verhältnis zwischen Ihnen und dem anderen Elternpaar oft eher durch heftige Konkurrenz gekennzeichnet. Leben Sohn und Schwiegertochter ganz anders, als das bei Ihnen zu Hause üblich war, dann muss dieser Einfluss, den Sie wahrscheinlich für negativ halten, aus dem anderen Elternhaus kommen. Aber denken Sie bitte daran: Die anderen Eltern wollen ebenso das Beste für ihr Kind. Sie halten nun wieder für richtig und normal, was bei ihnen zu Hause üblich war, begegnen Ihnen womöglich mit den gleichen Vorbehalten wie Sie denen. Wenn Sie glauben, den Haushalt oder die Gewohnheiten der jungen Leute in Ihrem Sinne umkrempeln zu müssen, können die anderen Eltern das mit dem gleichen Recht versuchen. Ist es da nicht besser, wenn beide Elternpaare sich möglichst heraushalten und die jungen Leute einen eigenen, dritten Weg finden lassen?
Eifersucht regt sich oft, wenn Kinder und Enkelkinder mit zwei Großelternpaaren umgehen. Warum besuchen sie schon wieder die anderen Großeltern, warum mich oder uns seltener? Mögen die Enkelkinder die andere Oma etwa lieber? Wahrscheinlich lässt sie ihnen alles durchgehen oder besticht sie mit Geschenken. Meinen Sie das im Ernst?
Je weniger die Großelternpaare sich kennen, desto leichter entstehen solche Vorurteile. Sollten Sie sich vielleicht etwas häufiger treffen, auch einmal ohne die Kinder und außerhalb großer Familienfeiern?
Es kann allerdings auch sein, dass Sie trotz guten Willens mit diesen Menschen einfach nicht auskommen. Dann müssen Sie sie eben meiden, aber sich möglichst auch verletzender Kritik enthalten. Denn es belastet zwangsläufig die Beziehung des jungen Paares, wenn sie ständig zwischen den Eifersüchteleien der Eltern und Schwiegereltern jonglieren müssen. Und selbst die Enkel müssen womöglich lernen, was sie bei welchen Großeltern über die anderen nicht sagen dürfen, damit diese nicht sauer sind. Das ist doch schade.
Die optimale Distanz finden
Es gibt Kulturen, da leben die Generationen einer Familie sehr eng zusammen. In unserer Kultur ist eher das Gegenteil die Regel. Gerade junge Paare sind oft wild entschlossen, erst einmal sich selbst und anderen zu beweisen, dass sie auch gut allein zurechtkommen.
Wenn man ein eigenes Häuschen mit ausbaufähigem Dachgeschoss besitzt, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass die jungen Leute dort wohnen bleiben, als wenn man in einer Mietwohnung lebt. Wer auf dem Land keinen Job findet, zieht vielleicht in die Großstadt. Die Studentin zieht in die Nähe der Universität, an der sie einen Studienplatz bekommt, und findet dort ihren Lebenspartner. Junge Eltern ziehen der Kinder wegen auf das Land. Diese und einige andere Bedingungen bestimmen oft darüber, wie eng beieinander bzw. wie weit voneinander entfernt Großeltern und Enkelkinder leben.
Darüber hinaus spielen aber auch persönliche Eigenheiten eine Rolle dafür, wie eng die Generationen ihr Leben miteinander verknüpfen. Die einen nehmen Oma selbstverständlich mit in den Familienurlaub, andere möchten das auf keinen Fall tun. Die eine Oma fährt gern mit, die andere besteht darauf, besonders im Urlaub ihre Kinderlosigkeit zu genießen. Die einen finden es ideal, wenn alt und jung im gleichen Haus wohnen; andere haben lieber ein paar Straßen, ein paar Orte Abstand zwischen sich. Die einen möchten sich täglich sehen, andere wöchentlich und noch andere finden, dass einmal im Monat reicht. Wenn diese Sichtweisen bei alt und jung gleich sind, können sich beide (hoffentlich) ihr Leben entsprechend einrichten:
- Haben Sie hinsichtlich Distanz und Nähe die gleichen Vorstellungen wie Ihre Kinder? Haben Sie darüber überhaupt schon nachgedacht?
- Sucht der eine mehr Nähe als dem anderen recht ist?
- Wie viel Anteilnahme ist von beiden Seiten erwünscht, was wird als Einmischung erlebt?
Es ist durchaus nicht immer so, dass die ältere Generation mehr Nähe sucht als die jüngere. Manchmal meinen auch die Jüngeren, sich mehr um die Älteren kümmern zu müssen, als denen lieb ist. Versuchen Sie, die optimale Nähe zwischen einander auszuloten und einzuhalten, dann geht es allen am besten. Patentrezepte gibt es dafür nicht. Was für andere optimal ist, muss es für Sie noch lange nicht sein.
Sie sind keine schlechtere Großmutter, kein schlechterer Großvater, wenn es Ihnen genügt, Ihre Enkel einmal im Monat oder noch seltener zu sehen. Nicht die sind die besten, die unentwegt beieinander hocken, obwohl sie sich dabei gar nicht wohl fühlen. Sagen Sie nicht: “Kommt doch morgen wieder”, wenn Sie es nicht so meinen. Laden Sie lieber seltener ein, dann aber von Herzen. Und erbitten Sie das gleiche von den jungen Leuten. Dann dürfen Sie allerdings über ein ehrliches Wort – “Morgen passt es mir nicht so gut, komm lieber nächste Woche” – auch nicht gekränkt sein!
Quelle
Helga Gürtler (2000): Kinder lieben Großeltern, Kösel Verlag, München
Weitere Beiträge der Autorin hier in unserem Familienhandbuch
- Mein Körper, das bin ich: Über eine körperfreundliche Erziehung
- Mit Jugendlichen reden, ohne dass sie "dicht machen"
- Elternabend im Kindergarten - Vorschläge für die Diskussionsleitung
- Ich will doch nur dein Bestes
- Wie viel Ordnung brauchen Kinder?
- Kinder brauchen Kinder
- Gesponnen oder gelogen?
- Wenn aus Eltern Großeltern werden
- Umgang mit Lehrerinnen und Lehrern
- Mit dem zweiten Kind wird alles anders
Autorin
Helga Gürtler ist Diplom-Psychologin. Sie schreibt Bücher und Zeitschriften-Artikel zu Erziehungsthemen, hält Vorträge, arbeitet mit Elterngruppen und in der Fortbildung von Erzieherinnen.
Kontakt
Helga Gürtler
Stubenrauchstr. 4
12203 Berlin
Telefon: 030 / 833 67 10
Erstellt am 17. Juli 2003, zuletzt geändert am 9. September 2013