Partnerschaft und Familiengründung in Deutschland
Ergebnisse des dritten Familiensurveys

Deutsches Jugendinstitut (DJI)

Die Publikation “Partnerschaft und Familiengründung” des Deutschen Jugendinstituts (DJI) behandelt die unterschiedliche Verbreitung und Entwicklung einzelner Familienformen in West- und Ostdeutschland. Sie basiert auf einer wissenschaftlichen Auswertung der dritten Welle des “Familiensurvey” , einer Befragung von über 8.000 Personen in Ost- und Westdeutschland im Jahr 2000. Seit 1988 dient der “Familiensurvey”, gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, als Instrument der Sozialberichterstattung und bietet eine kontinuierliche Beobachtung von Familien, deren Entwicklung und Lebenslagen. Er ist die größte repräsentative Datenquelle in Deutschland zum Wandel der familialen Lebensformen.

A. Familiengründung und -erweiterung

Mehr Familien in Deutschland

Die Bevölkerung in Deutschland hat trotz der dauerhaft niedrigen Geburtenrate in den letzten zehn Jahren zugenommen, zwischen 1991 und 2000 stieg sie von 80,7 Millionen auf 82,3 Millionen. Die Zahl der Familien erhöhte sich in dieser Zeit von 22,0 auf 22,4 Millionen. Beides ist ein Ergebnis der Zuwanderung. Ehepaare mit Kindern bilden zahlenmäßig nach wie vor die größte Gruppe von Familien. Frauen bekommen ihr erstes Kind später: Das Erstgebäralter stieg auf über 29 Jahre. Eine spätere Partnerschaftsbildung ist die Hauptursache für das spätere Erstgeburtsalter. Ein höheres Erstgeburtsalter bewirkt nicht notwendig eine geringere Kinderzahl.

Der Übergang zum zweiten Kind – Große Unterschiede zwischen Ost und West

Fast 80 Prozent aller Mütter in den alten Bundesländern haben zwei Kinder, 50 Prozent dieser Frauen bekommen ihr zweites Kind, bevor das erste Kind fünf Jahre alt ist. In Ostdeutschland ist dies nur bei 25 Prozent der Frauen mit einem Kind der Fall. Hier beträgt der durchschnittliche Abstand zum zweiten Kind 6 Jahre. Nur etwa ein Drittel der Mütter mit zwei Kindern bekommt noch ein drittes Kind. Da in Ostdeutschland 88 Prozent der Frauen mindestens ein Kind haben, in Westdeutschland nur 70 Prozent, bezieht sich die so genannte “Fertilitätskrise” im Osten weniger auf das erste Kind, sondern auf das zweite Kind.

Nichteheliche Elternschaft – auch ein Kosten-Nutzen-Kalkül ?

Nichteheliche Elternschaft hängt von sehr unterschiedlichen Faktoren und Rahmenbedingungen ab – mit deutlichen Unterschieden zwischen Ost- und Westdeutschland. Grund hierfür sind die unterschiedliche Versorgung mit Betreuungsplätzen für Kleinkinder, aber auch voneinander abweichende tradierte Orientierungen bezüglich der Ehe. Die Lebensform “nichtehelich” basiert u. a. auch auf einer instrumentellen Orientierung an sozialstaatlichen Leistungen nach dem Muster eines Kosten-Nutzen-Kalküls.

Im Westen sind ein Jahr nach der Geburt rund drei Viertel aller Frauen verheiratet, während sich der Anteil der nichtehelichen Lebensgemeinschaften und der sonstigen Lebensformen von rund 50 Prozent auf 25 Prozent halbiert hat. Anders in Ostdeutschland: Dort sind ein Jahr nach der Geburt nur 41 Prozent aller Frauen verheiratet, und 36 Prozent leben in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Der Anteil der allein lebenden Frauen ist zwar geringer als bei Beginn der Schwangerschaft, aber er bleibt mit 23 Prozent deutlich höher als im Westen (13 Prozent).

Warum bleiben Partnerschaften kinderlos ?

Entscheidungen für oder gegen ein Kind stehen in Zusammenhang mit Einstellungen zur Ausbildung, zum Beruf, zur Karriere, zum “richtigen” Lebenspartner, zur Rollenverteilung als Eltern und zur finanziellen Sicherheit beider Partner. In den Fällen, in denen die Einstellungen zu diesen Fragen nicht in Einklang zu bringen sind, verzichten viele auf Kinder.

Kinderlosigkeit ist für viele erwerbsorientierte Frauen, die eine Doppelorientierung Beruf und Familie für nicht realisierbar halten, eine Konfliktlösungsstrategie: Der Kinderwunsch wird bis hinter die biologischen Grenzen verschoben und damit letztlich der Berufsorientierung geopfert. Momentan liegt die Kinderlosigkeit bei den über 45-jährigen Frauen im Westen bei 30 Prozent, im Osten bei 12 Prozent.

B. Die Entwicklung der Lebensformen

Gibt es eine Pluralisierung der Lebensformen ?

In der Familiensoziologie spricht man viel von einer Pluralisierung der Lebensläufe. Zwar ist das Muster “ledig-verheiratet-zwei Kinder-verwitwet” durch andere ergänzt worden, insbesondere durch Phasen nichtehelichen Zusammenlebens. Doch ist empirisch nie geprüft worden, ob und in welchem Ausmaß die Lebensläufe tatsächlich vielfältiger geworden sind. Dies geschieht hier erstmals mit den Daten des Familiensurveys 2000.

Es wird nachgewiesen, dass es insbesondere in westdeutschen Großstädten – im Gegensatz zu ländlichen Regionen – inzwischen eine breitere Streuung bei den Lebensformen (z.B. nichteheliche Partnerschaften) und eine Zunahme der Partnerlosigkeit gibt: Mit 30 Jahren leben von den in den 50er Jahren Geborenen 22,3 Prozent ohne Partner oder Partnerin, von den in den 60er Jahren Geborenen 27,7 Prozent und von den in den 70er Jahren Geborenen schon 34,3 Prozent – ein Anstieg um 12 Prozentpunkte.

Der Wandel ist bedingt durch (häufigere) Wechsel zwischen verschiedenen Lebensformen bzw. Partnerschaften: Während die zwischen 1944 und 1949 Geborenen im Mittel nur 1,3 Lebensformwechsel hatten, steigt das Mittel in den jüngeren Jahrgängen bis auf 1,7. Immer häufiger tritt ein nichteheliches Zusammenleben vor die Heirat: Der Anteil an Ehen mit vorangehendem Zusammenleben der Partner vergrößert sich von 20 Prozent bei den Ältern auf 50 Prozent bei den Jüngeren.

Insgesamt sind die Partnerschaftsverläufe zwar wechselvoller und die Lebensmuster vielfältiger geworden, doch hat die “Pluralisierung” ihre Grenzen. Es hat vielmehr eine Neuanordnung der Familien- und Partnerschaftsbiographien stattgefunden.

Veränderte Lebensverhältnisse der Kinder

In den 80er Jahren dominierte noch das Normalitätsmodell, d.h. das Aufwachsen mit den leiblichen, verheirateten Eltern. Während der 80er und 90er Jahre nahm die Nichtehelichkeit zu, und um die Jahrtausendwende vergrößerte sich insbesondere die Zahl der Einelternfamilien. Dennoch wächst die große Mehrheit der Kinder in Deutschland nach wie vor bei ihren leiblichen Eltern in einer ehelichen Familie auf. Dies gilt für über 80 Prozent der Kinder im Westen und über 70 Prozent der Kinder im Osten.

15 Prozent der Kinder aus den alten Bundesländern und 19 Prozent im Osten leben als 16- bis 17-Jährige mit einem allein erziehenden Elternteil. Dauerhaft war dies im Jahr 2000 bei ca. 10 Prozent der Kinder im Westen und 20 Prozent im Osten der Fall. Lebten 1988 ca. 5 Prozent der Kinder in den alten Bundesländern in dieser Lebensform, waren es 2000 bereits 10 Prozent. Im Osten erhöhte sich der Anteil im gleichen Zeitraum von 7 Prozent auf 20 Prozent. Ähnliches gilt für Kinder mit Eltern in nichtehelicher Lebensgemeinschaft. Der Anteil dieser Lebensform ist seit 1988 im Westen von 2 Prozent auf 5 Prozent gestiegen, im Osten von 5 Prozent auf 18 Prozent.

C. Balance von Familie und Arbeitswelt

Wie Frauen und Männer ihren Kinderwunsch mit der Arbeitswelt vereinbaren können, hängt von ihren materiellen Ressourcen ab sowie von ihren Einstellungen zur elterlichen Arbeitsteilung und zu ihren weiteren Lebensperspektiven. Zu den materiellen Voraussetzungen zählen nicht nur Einkommen und Vermögen, sondern auch Einrichtungen der Kinderbetreuung und familienpolitische Leistungen wie z.B. die Elternzeit.

Wie vereinbaren Frauen Familie und Beruf ?

Das traditionelle Hausfrauenmodell ist in den Einstellungen ost- und westdeutscher Frauen nicht mehr dominant. Vielfach leben die Familien jedoch noch nach traditionellem Muster, weil es nach wie vor zu wenig Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf gibt.

Bei westdeutschen Frauen ist die Elternzeit der dominante Status nach der Geburt eines ersten Kindes. Beinahe 50 Prozent der erstgebärenden westdeutschen Frauen nehmen dieses Angebot in Anspruch. Nach 48 Monaten sind noch mehr als 40 Prozent der Frauen nicht (wieder) erwerbstätig. Danach nehmen die Frauen vorwiegend eine Teilzeiterwerbstätigkeit auf, während der Anteil der Vollzeit erwerbstätigen Frauen weitgehend konstant bei etwa 20 Prozent bleibt.

Ein anderes Bild bietet Ostdeutschland. Bei ostdeutschen Frauen, die ihr erstes Kind vor 1991 geboren haben, liegt der Anteil der unterbrechenden Frauen bei 30 Prozent. Nach 18 Monaten ist der Anteil auf 10 Prozent gesunken. Zu diesem Zeitpunkt sind schon 75 Prozent der Frauen wieder erwerbstätig, nur ein geringer Anteil Teilzeit. Bei ostdeutschen Frauen, die ihr erstes Kind nach 1991 geboren haben, geht ein deutlich auf 45 Prozent erhöhter Anteil nach der ersten Geburt in die Elternzeit. Doch nimmt er danach rasch ab und liegt nach 48 Monaten bei lediglich 20 Prozent, der Hälfte des Anteils westdeutscher Frauen. Der Prozentsatz erwerbstätiger Frauen steigt innerhalb dieses Zeitraums von 18 Prozent auf 50 Prozent, wobei Vollzeit erwerbstätige Frauen mit knapp 40 Prozent deutlich häufiger sind als in Westdeutschland.

Beruf und Familiengründung bei Männern

Untersucht wurden die Faktoren Arbeitslosigkeit und Karriere in Bezug auf Vaterschaft. Mittlere Bildungsniveaus und stabile, stetige Karrieren erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer Familiengründung. Auch beeinflussen Erfahrungen in der Herkunftsfamilie den Zeitpunkt der Familiengründung. Im Einzelnen zeigt sich: 60 Prozent aller westdeutschen Männer haben im Alter von 35 Jahren mindestens ein leibliches Kind. In Ostdeutschland sind 67 Prozent dieser Altersgruppe Väter – dies ist ein Rückgang um 10 Prozent seit den 70er Jahren.

Erfahrungen, die sich aus dem sozialen Status und der Zusammensetzung der Herkunftsfamilie ergeben, sind noch im Erwachsenenleben folgenreich für das eigene Verhalten. Der Verlust eines Elternteils verhindert bzw. verzögert z.B. bei Männern die Gründung einer eigenen Familie. Mit Geschwistern aufgewachsen zu sein, befördert deutlich die Realisierung des eigenen Kinderwunsches.

Der “Familiensurvey”

Seit Ende der 80er Jahre haben drei Erhebungswellen des Familiensurveys stattgefunden. Aufgrund der politischen Rahmenbedingungen konnte die erste Welle in den alten und neuen Bundesländern nur zeitversetzt – 1988 in den alten, 1990/91 in den neuen Bundesländern – durchgeführt werden. Die zweite Welle von 1994 erfasste die alten und neuen Bundesländer zu gleicher Zeit (N = 11.000). Die dritte Welle des Familiensurveys, die im Jahr 2000 erhoben wurde, umfasst eine weitere Panelwelle mit 30- bis 67-jährigen Deutschen und eine Stichprobe, die wie die früheren Wellen 18- bis 55-Jährige befragte. Auf die alten Bundesländer entfielen 6.600, auf die neuen 1.400 Interviews. Diese Stichprobe wurde ergänzt um 300 Jugendliche im Alter von 16 und 17 Jahren aus den Haushalten der erwachsenen Surveyteilnehmerinnen und -teilnehmer. Im Gegensatz zu den früheren Wellen wurden in die Surveystichprobe der dritten Welle auch deutschsprachige Ausländer aufgenommen.

Der Band “Partnerschaft und Familiengründung” (Hrsg. Walter Bien, Jan H. Marbach) ist beim Verlag Leske + Budrich erschienen (ISBN 3-8100-3558-0). Eine ausführliche Zusammenfassung der Hauptresultate ist hier abrufbar.
 

Erstellt am 25. Juli 2003, zuletzt geändert am 2. März 2010

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