Geschwister – der aktuelle Stand der Forschung
Prof. Dr. Dr. Hartmut Kasten
Die Bedeutung von Geschwistern für die individuelle Entwicklung liegt auf der Hand und wird nicht bestritten. Dass Geschwisterbeziehungen in der Sozialisationsforschung trotzdem lange Jahrzehnte wenig Beachtung gefunden haben, ist verwunderlich: Anderen Sozialbeziehungen, wie Eltern-Kind-Beziehungen, (Ehe-) Partnerbeziehungen, Peers-Beziehungen oder hierarchischen Beziehungen (z.B. Vorgesetzter-Untergebene), wurde demgegenüber wesentlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet.
Sutton-Smith und Rosenberg fassten schon 1970 in ihrem Buch “The sibling” die Ergebnisse der traditionellen Geschwisterforschung zusammen, die sich – überwiegend ohne theoretisches Konzept – mit den Einflüssen von Geburtsrangplatz und -position auf die Persönlichkeit befasste. Zu Beginn der 80er Jahre konstatierte Lamb in seiner Monographie (vgl. Lamb & Sutton-Smith, 1982) eine gewisse Neuorientierung in der Geschwisterforschung: Zunehmend häufiger wären Untersuchungen zu registrieren, die nicht mehr “vordergründig” Effekte einfacher struktureller Variablen, wie Geburtsrangplatz oder Geschwisterzahl, untersuchen, sondern sich mit “dahinterliegenden” verursachenden Prozessen und Wechselwirkungen sowie intra- und interindividuellen Vergleichen – teilweise bereits in längsschnittlicher Perspektive und mit verbesserten Forschungsdesigns – beschäftigen. Die Zunahme monographisch orientierter Arbeiten in den späten 80er und frühen 90er Jahren untermauert Lambs Einschätzung nicht nur, sondern gibt ihr prognostische Validität. Lediglich Studien, in denen Ergebnisse interkultureller Vergleiche von Geschwisterbeziehungen vorgelegt werden, sind bis heute nur vereinzelt zu registrieren (vgl. Kasten 1994, S, 9ff.).
Im vorliegenden Beitrag wird auf eine Darstellung der Ergebnisse der traditionellen Geschwisterforschung verzichtet. Deren Theorieferne und geringe Validität aufgrund methodischer Unzulänglichkeiten wiesen Ernst & Angst (1983) auf der Basis umfassender kritischer Reanalysen überzeugend nach. In aller Kürze skizziert werden die wichtigsten Befunde interkultureller Vergleiche von Geschwisterbeziehungen. Ausgehend von begrifflichen Klärungen und der Charakterisierung grundlegender Dimensionen der Geschwisterbeziehung wird im Hauptteil des Beitrags die längsschnittliche Entwicklung von “Nähe” und “Rivalität” als zwei wesentlichen Bestimmungsstücken von Geschwisterschaft beschrieben. In einem abschließenden zusammenfassenden Absatz werden Desiderate für die zukünftige Forschung umrissen.
Hier finden Sie den vollständigen Fachbeitrag "Geschwister: der aktuelle Stand der Familienforschung" einschließlich Literaturangaben.
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Prof. Dr. Hartmut Kasten
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Erstellt am 27. November 2001, zuletzt geändert am 29. Februar 2012