Was macht einen guten Vater aus?
Wie Männer die Entwicklung ihrer Kinder bereichern
Interview mit Frau Prof. Dr. Dr. Lieselotte Ahnert
„Auf die Väter kommt es an“ ist der Titel eines neuen Buches der Entwicklungspsychologin Lieselotte Ahnert. Darin geht es um den bislang noch zu wenig in den Fokus genommenen Elternteil: den Vater. Die Autorin bringt in verständlicher Form wesentliche Erkenntnisse aus ihrer eigenen und der internationalen Väterforschung. Aus der Arbeit des Central European Network on Fatherhood (CENOF), das im Headquarter an der Universität Wien eine große Anzahl von Vätern in Österreich, Deutschland und der Schweiz unter die Lupe nahm, berichtet sie von interessanten Forschungsergebnissen. Die Zeitschrift Beziehungsweise hat mit der Autorin über ihr neuestes Buch gesprochen.
beziehungsweise: Sie beschäftigen sich seit geraumer Zeit mit Vätern. Wie sind Sie zum ersten Mal auf dieses Thema gekommen?
Lieselotte Ahnert: Schon in den 1980er Jahren habe ich als junge Wissenschaftlerin die Entwicklung von Kindern in ihren Familien untersucht und mich für Einflüsse interessiert, die ganz konkret von den Eltern ausgehen. Leider haben damals nur die Mütter mitgemacht. Den Vätern waren unsere Forschungsaktivitäten suspekt. Es war nicht daran zu denken, sie gemeinsam mit ihren Kindern beobachten zu können, Gespräche über ihre Vaterschaft waren auch kaum möglich. Wenn wir Fragebögen für sie zurückließen, wurden sie später fast ausschließlich von ihren Partnerinnen ausgefüllt. Erst Anfang der 2000er Jahre haben sich dann Väter in einem dieser Forschungsprojekte darüber beschwert, von uns angeblich ausgegrenzt worden zu sein. Für uns war damit klar: Die Zeit für eine fundierte Väterforschung war endlich reif, die wir dann mit CENOF umsetzen konnten!
Haben Sie bei CENOF herausfinden können, was den heutigen Vater ausmacht?
Keineswegs überraschend war es festzustellen, dass sich Vorstellungen vom Vatersein spürbar gewandelt haben. In der Vergangenheit war die Vaterfigur fast ausschließlich mit der Ernährerrolle verbunden und ihr Auftrag klar umrissen: Der Vater war hauptverantwortlich für die finanzielle Absicherung der Familie und für den sozialen Status, der mit Wohlstand, finanziellen Entlastungen und Wertschätzung verbunden ist. Während die Mutter mit der Kinderbetreuung und dem Haushalt einen direkten Familienauftrag hatte, drückte sich die Vaterschaft von daher kaum in der Familie, sondern vorrangig in ihrer Rolle für die Familie aus.
Wie hat sich dieses Vaterbild von damals verändert?
Die heutigen Väter entfernen sich immer mehr von der ausschließlichen Funktion des Familienernährers. Sie sind bereit, an den täglichen Herausforderungen des Familienalltags, der Familienarbeit und der Betreuung ihrer Kinder mitzuwirken. Das neue Vaterbild ist damit komplexer geworden, ohne dass es sich im Kern wesentlich geändert hätte. Denn für viele Männer ist es nach wie vor wichtig, die Familie gut zu versorgen. Sie wollen sich jedoch auch liebevoll um ihre Kinder kümmern. Im Grunde genommen werden damit einige herkömmliche Vatermerkmale weiterhin für selbstverständlich gehalten, wie genauso selbstverständlich die Umsetzung von neuen Merkmalen erwartet wird. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn sich junge Männer von den derzeitigen Ansprüchen überfordert fühlen: Sie sollen einen attraktiven Job in Vollzeit ausfüllen, gutes Geld nach Hause bringen, anregende und liebevolle Partner und Väter sein und sich aktiv in das Familienleben einbringen.
Was bedeutet es konkret, wenn sich Väter aktiv in das Familienleben einbringen?
Im Grunde genommen läuft dies auf eine gemeinsame Elternschaft hinaus, bei der eine Aufteilung der Zuständigkeiten erfolgt. Zumeist wird sie zwischen dem Paar im alltäglichen Miteinander konkretisiert und die Aufgaben werden danach verteilt, wer in welchem Bereich die größere Kompetenz hat. Dort, wo diese egalitären Rollenmodelle greifen, stehen Väter allerdings vor dem Dilemma, eine Balance zwischen ihrer beruflichen und ihrer familiären Rolle finden zu müssen, ebenso wie ihre Partnerin.
Was bedeutet es für Kinder, wenn sich ihre Väter gleich in den ersten Kindheitsjahren um sie kümmern?
Die ersten Lebensjahre markieren die intensivste Entwicklungszeit im Leben eines Menschen. Die Vielfalt der sozialen Begegnungen bringt dabei die frühe Entwicklung erst so richtig in Schwung. Entwicklungsfördernd ist vor allem das Zusammensein mit den Menschen, die sich um das Kind kümmern. Konkret sind es die Bindungen, die das Kind mit ihnen eingeht. Väter sind deshalb schon in dieser Zeit sehr wichtig.
Wenn es um die Bindung zum Kind geht, gibt es da Unterschiede zwischen Vater und Mutter?
Bindungen sind innige Beziehungen, die wir nur mit wenigen Menschen ausbilden. Diese Beziehungen bedeuten Schutz und Sicherheit. Wenn sie verlässlich hergestellt werden, bildet das Kind ein Vertrauen aus, das ihm später helfen wird, auch allein zurechtzukommen. Es gibt verschiedene Wege, eine sichere Bindung zu entwickeln: Mütter wurden immer wieder dabei beobachtet, wie sie das Kind in ängstigenden und frustrierenden Situationen trösten und ihm helfen, die negativen Emotionen zu regulieren. Unsere Forschung hat dagegen gezeigt, dass sich Väter ihr Vertrauen dadurch erarbeiten, indem sie die positiven Emotionen stärken, mit dem Kind auf Entdeckungsreise gehen, seine Neugier ermutigen und ihm gleichzeitig Rückendeckung geben. Neben den Müttern sind Väter damit gleichberechtigte Bindungspersonen, ihre Art der Vertrauensbildung ist jedoch verschieden.
Heißt das, dass Väter einspringen können, sollte es einer Mutter nicht gelingen, eine sichere Bindung zu ihrem Kind herzustellen?
Unbedingt. Haben sich Väter in der Kinderbetreuung engagiert, gelingt es ihnen auch zumeist, eine Beziehung zu entwickeln, die sich unabhängig von der Mutter-Kind-Bindung ausbildet. Stellen sich – aus welchen Gründen auch immer – die kindlichen Sicherheitsgefühle mit der Mutter nicht ein, können diese Väter die Bindungsfunktion zweifelsfrei erfüllen und sogar das Manko kompensieren.
Oft hat man den Eindruck, dass Mütter den Vätern im Umgang mit Kleinkindern nur wenig zutrauen.
Da kommen die alten Rollenbilder zum Vorschein. Noch bis in die 1990er Jahre war man der festen Überzeugung, ein Kleinkind sei schon von Natur aus besser bei der Mutter aufgehoben. Wenn Mütter von derartigen Vorstellungen nicht loslassen können, passiert es dann auch, dass sie ihre Partner kontrollieren und eingrenzen. Die Forschung nennt das Gatekeeping. Ein solches Verhalten unterwandert die gemeinsame Elternschaft. Denn Väter geben auf, wenn sie sich in ihrem Engagement geringgeschätzt und letztendlich blockiert sehen. Sie brauchen jedoch Gelegenheiten, um eine aktive Vaterschaft entfalten zu können, vor vor allem weil ihre Vaterrolle nach wie vor sehr unscharf definiert ist.
Gibt es besondere Wirkungen der Väter auf die Entwicklung ihrer Kinder?
Es ist das Verdienst der aktuellen Väterforschung, dies herausgefunden zu haben. Immerhin ist die Lebenswirklichkeit von Kindern hochgradig komplex, sodass die Aufgabe darin bestand, diejenigen Einflüsse herauszufiltern, die ausschließlich auf die Väter zurückgehen. Diese Einflüsse sind oft unbeabsichtigt, aber dennoch sehr wirkungsvoll: Nehmen wir die Sprachentwicklung des Kindes. Väter gelten eigentlich als die schwierigeren Gesprächspartner, sie haben Mühe, das Kauderwelsch der Sprachanfänger zu verstehen und fragen viel. Dadurch lernen die Kinder jedoch, sich zu erklären und nicht nur über Dinge und Ereignisse zu sprechen, sondern auch über ihre Gedanken und Vorstellungen. Von Vätern lernen Kinder auch eine gesunde Wettbewerbsmotivation, verstehen es, Erfolge zu erkämpfen aber auch Niederlagen zu akzeptieren und Enttäuschungen wegzustecken. In wilden Tobe-Spielen erfahren sie etwas über ihr Körpergefühl und wie sich extreme Emotionen regulieren lassen. Mit ihren Vätern werden auch Lernfreude und Anstrengungsbereitschaft gefördert und vieles mehr. Und für all diese und einige weitere Entwicklungsimpulse liefert das Buch überzeugende Nachweise.
Literatur
Ahnert, Lieselotte (2023): Auf die Väter kommt es an. Wie ihr Denken, Fühlen und Handeln unsere Kinder von Anfang an prägen. Berlin: Ullstein. ISBN 978-3-550-20209-4
Autorin
Univ.-Prof. Dr. Dr. Lieselotte Ahnert ist emeritierte Professorin für Entwicklungspsychologie an der Universität Wien und Gastprofessorin an der Freien Universität Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Eltern-Kind-Bindung, die frühkindliche Entwicklung, frühe Bildung und Kinderbetreuung in und außerhalb der Familie, Stress, soziale Beziehungen.
Kontakt
Quelle: Das Interview ist der Zeitschrift "beziehungsweise" - Informationsdienst des Österreichischen Instituts für Familienforschung, Mai 2023 entnommen und wird hier mit freundlicher Genehmigung übernommen.
eingestellt am 10.05.2023