Vom Zahlvater zur aktiven Vaterschaft – Die Vielfalt der neuen Männerrollen in der Familie – eine Typologie
Dr. Thomas Gesterkamp
Vaterrollen können ganz unterschiedlich definiert werden. In diesem Artikel werden folgende Typen unterschieden:
Einleitung
Engagierte Väter gehören heute vor allem in den Großstädten zu einem selbstverständlichen Bestandteil der Alltagskultur. Wenn ein Mann tagsüber mit seinem Baby unterwegs ist, fällt das nicht mehr so auf wie früher. Vielleicht arbeitet dieser Vater einfach zu anderen Zeiten, im nächtlichen Schichtdienst oder als Selbstständiger auf der Basis von Projekten; vielleicht ist er erwerbslos, oder er kümmert sich als “Hausmann” um die Kindererziehung und die Familienarbeit.
Die Arbeits- und Familienformen sind unübersichtlich, die persönlichen Lebensstile variabel geworden. Entsprechend existieren verschiedenste Entwürfe von Vatersein nebeneinander. Es gibt moderne und traditionelle Väter, ledige und verheiratete, harmonisch getrennt lebende und im Streit geschiedene, außerdem Stief-, Pflege- und Adoptivväter. Väter in Migrantenfamilien kommen häufig aus einem fremden Kulturkreis der Väterlichkeit. Es gibt Alleinverdiener und Haupternährer, Hausmänner oder Väter, die mit geteilter Elternschaft experimentieren. Jeder Mann füllt die Vaterrolle auf eigene Weise aus.
Immer mehr Väter interessieren sich für ein buntes, durch Kinder bereichertes Leben, das den Horizont erweitert, eine andere Sicht auf die Welt bietet. Männer, so formuliert es der Väterforscher Wassilios Fthenakis, seien “vom Ernährer zum Miterzieher” geworden. Eine Studie von Rainer Volz und Paul Zulehner im Auftrag der beiden großen christlichen Kirchen ordnet immerhin 20 Prozent der Befragten dem Milieu der “modernen” Männer zu.
Väter, die sich mit ihren Partnerinnen Erwerbs- und Erziehungsarbeit auf Augenhöhe teilen, bilden aber nicht die Mehrheit. Anderen Männern wird vorgehalten, dass sie geradezu in die Arbeitswelt fliehen, um sich dem heimischen Trubel nicht aussetzen zu müssen. Nach dieser Deutung drücken sie sich vor der privaten Verantwortung, sind zu Hause nur Zaungäste und Randfiguren. Doch sind beruflich stark engagierte Väter automatisch schlechtere Väter? Männer tun auf ganz verschiedene Art etwas für ihre Familien. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit folgt, leicht augenzwinkernd und nicht immer ganz ernst gemeint, eine kleine Typologie.
Der Abteilungsleiter
Der Abteilungsleiter bemüht sich, seinen Kindern die Verhaltensregeln des Arbeitslebens nahezubringen. Er strukturiert den Kontakt zu ihnen entlang jener Normen, die er am besten kennt. Er sorgt sich um ihre Durchsetzungsfähigkeit und Anpassungsbereitschaft, kümmert sich um sportliche Leistungen und Schulnoten, um den richtigen Umgang, kurz: um die Zukunft. Allerdings funktionieren Kinder anders als Arbeitnehmer – schon deshalb, weil man sie zwar abmahnen, aber nicht fristlos entlassen kann. Im Beruf haben Störungen, Befindlichkeiten und Krisen meist keinen Platz; man hat zu funktionieren und die vereinbarte Leistung zu erbringen. Die Orientierung an diesen Erfahrungen kann Männer verleiten, mit den Problemen ihrer Kinder zu fordernd umzugehen. Wenn Väter ständig Dienstanweisungen erteilen, gelten sie als streng, bleiben aber relativ einflusslos.
Der engagierte Vollzeitarbeiter
Auch Männer, die im Beruf eine volle Stelle haben, können gute Väter sein. Das klingt banal, geht in der weiblichen Schelte über die private “Alltagsvergessenheit” ihrer Partner aber oft unter. Zu dieser Gruppe gehören zum Beispiel Väter, die zu hundsgemeinen Zeiten aufstehen und zur Arbeit fahren, um am Nachmittag Zeit für ihre Kinder zu haben. Schichtarbeiter in der Industrie oder Angestellte im öffentlichen Dienst, die Gleitzeitangebote eigenwillig als Frühdienst interpretieren, nutzen die ihnen angebotenen Möglichkeiten. Ob es für den Arbeitgeber effektiv ist, wenn ein Finanzbeamter schon um sechs Uhr morgens am Schreibtisch sitzt, nach der Mittagspause aber nicht mehr erreichbar ist, sei dahingestellt. Für die Familie jedenfalls haben solche Freiräume bei der Zeitgestaltung große Vorteile. Papa kann Einkäufe erledigen, Fahrdienste übernehmen oder bei den Hausaufgaben helfen. Er bekommt einfach mehr mit, weil er früher als andere Väter präsent ist. Im Kontakt zu den Kindern nicht auf die mütterliche “Außenministerin der Kommunikation” angewiesen zu sein gibt Selbstbewusstsein – und ein Gefühl von Unabhängigkeit.
Der Heimwerker
Der Heimwerker mischt sich nicht mehr ein in die Belange von Frau und Kindern. Statt mit den anderen Familienmitgliedern zu besprechen, was ihnen nicht gefällt und was sie anders haben möchten, ziehen sich Väter zurück: in den Fußballverein, an den Stammtisch, in die Werkstatt. Ein passionierter Heimwerker, das wird häufig abgewertet oder übersehen, kann für die Familie äußerst nützlich sein. Mag seine Frau auch schimpfen, wenn er Brennholz hackt oder das Werkzeug im Keller sortiert, während sie den Wäscheberg abarbeitet: Häufig steckt hinter dem Rückzug des Mannes ein von beiden Seiten akzeptierter Versuch, unlösbar scheinenden Konflikten aus dem Weg zu gehen und so die Beziehung nicht zu gefährden.
Der Traditionelle
Das traditionelle Paar verzichtet auf jeden Anspruch von paritätischer Aufgabenteilung zwischen den Geschlechtern. Es hat durchaus Chancen, respektvoll miteinander umzugehen. Im günstigen Fall werden sowohl der Beitrag der Frau als auch der des Mannes gegenseitig geachtet. Der Vater weiß, dass die Mutter durch die Übernahme der Familienarbeit auf eigene berufliche Möglichkeiten verzichtet hat. Er ist bereit, zu Hause bestimmte Tätigkeiten verantwortlich zu übernehmen. Mä4nner sind dann oft für Finanzen, das Auto, den Garten, den Hausbau oder ausgewählte Bereiche der Erziehung zuständig. Kommunikationsfähigkeit und Geduld eines solchen Paares müssen hoch entwickelt sein. Sie muss seinen Mangel an lebendigen Familieneindrücken ausgleichen. Er muss ihren Vorsprung an alltäglicher Kompetenz aushalten – und ihre Informationsdefizite akzeptieren, wenn es um die Zumutungen des beruflichen Alltags geht.
Der Pragmatiker
Unter jüngeren Männern ist er ein typischer Vertreter des “neuen Vaters”. Ohne dass große Überredungskünste nötig waren, hat er selbstverständlich die Elternzeit genutzt, arbeitet weniger seit der Geburt seines Kindes. Er teilt sich die Haus- und Erziehungsarbeit mit seiner Partnerin – die er vor der Familiengründung nicht unbedingt geheiratet hat. Ihn treibt weniger das emanzipatorische Bemühen um “Geschlechterdemokratie” als ein monetärer Pragmatismus. Seine Frau ist ebenso gut ausgebildet wie er selbst. Am Arbeitsplatz hat sie ähnliche, vielleicht sogar bessere Karrierechancen. In manchen Fällen hat nur sie eine feste Stelle, während er sich eher prekär als Freiberufler durchschlägt. Warum sollte er ihr beruflich nicht den Vortritt lassen? Das rechnet sich doch auch finanziell! Und kränkt ihn keineswegs in seiner männlichen Identität. Wenn sie mehr verdient als er, ist das doch bestens – für sie als Paar und für die Familie.
Der arbeitslose Vater
Männer ohne Job sind viel zu Hause und haben häufig mehr Zeit, als ihnen lieb ist. Wenn die Erwerbslosigkeit schon länger andauert, kratzt das gewaltig an ihrem Wunschbild, ein zuverlässiger Familienernährer zu sein. Die Spendierhosen können sie für ihre Kinder schon deshalb nicht anziehen, weil dafür schlicht das Geld fehlt. Die umfangreiche Tagesfreizeit, über die der arbeitslose Vater verfügt, bietet eigentlich gute Chancen, einen engen Kontakt zu den Kindern herzustellen. Doch viele Männer “auf Hartz IV” schämen sich für ihr berufliches Versagen. Sie sind abgespannt, nervös und voller Wut – keine guten Voraussetzungen für eine gelungene Väterlichkeit.
Der Sonntagsvater
Der Sonntagsvater organisiert für seine Kinder möglichst oft besondere Erlebnisse: den Traumurlaub, das teure Hobby, den besonders ausgeflippten Nachmittag. Er ist nachgiebiger und großzügiger als die Mutter. Mit ihm zusammen kann man das ganze Badezimmer nass spritzen, den Spätfilm im Fernsehen gucken oder vier Hamburger hintereinander essen. Dem spendablen und animationsfreudigen Wochenend-Spaßvogel wird von weiblicher Seite vorgeworfen, dass er sich aus den anfallenden Aufgaben die Rosinen herauspicke. Mit seiner Rolle als fröhlicher Spielkamerad kommt er deshalb so prima zurecht, weil seine Frau alle versorgenden, planenden und behütenden, also die erwachsenen Anteile der Elternrolle übernimmt. Ihm gehört der Sonntag und ihr der Alltag. Sie ist für die mühsame Durchsetzung von Regeln, er für den lustvollen Regelverstoß zuständig. Bei ihr gibt es Gemüse, bei ihm Pommes rot-weiß.
Der Trennungsvater
Trennungsväter sind mit vielen Vorurteilen konfrontiert: Sie kümmern sich angeblich zu wenig um ihren Nachwuchs, sie übernehmen keine Verantwortung, sie zahlen kaum Unterhalt. “Familie ist, wo Kinder sind” oder “Familie ist, wo aus einem Kühlschrank gegessen wird”: Mit solch griffigen Formeln haben sich Politiker um zeitgemäße Definitionen bemüht, die auch Formen des Zusammenlebens jenseits der Ehe einbeziehen. Dass auch Alleinerziehende oder nichtverheiratete Eltern heute als gleichwertige Familien anerkannt werden, ist gut gemeint, ignoriert aber die Gruppe der getrennt lebenden Väter: Auch jene Männer, die nach einer Scheidung vielleicht nicht mehr täglich mit ihren Kindern essen (können), betrachten sich weiterhin als Teil eines gemeinsamen Familiensystems. Selbst wenn sie verbittert in einem überteuerten Apartment sitzen und sich zu reinen Zahlvätern degradiert fühlen: Sie haben sich diese Rolle nicht gewünscht – und fühlen sich mehr als Väter als jemals zuvor.
Quelle
Der Text ist ein überarbeiteter Auszug aus dem Buch von Thomas Gesterkamp: “Die neuen Väter zwischen Kind und Karriere” (Verlag Barbara Budrich, Opladen 2010).
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Autor
Dr. Thomas Gesterkamp ist Vater einer Tochter und arbeitet als Journalist, Buchautor. Vortragsredner und Moderator. Er ist Mitbegründer des Väter-Experten-Netz Deutschland.
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Erstellt am 28. Oktober 2013, zuletzt geändert am 29. Oktober 2013