"Mama und Papa kommen später heim" - Alltagstipps für Schlüsselkinder und ihre Eltern

Christina Zehetner
Foto Zehetner Ifp

Wenn Kinder stundenweise alleine zuhause sind, weil ihre Eltern arbeiten, muss das nicht nur Nachteile mit sich bringen, sondern kann auch ein Gewinn für alle Beteiligten sein. Nachfolgender Artikel räumt mit den Vorteilen rund um sogenannte „Schlüsselkinder“ auf und gibt Alltagstipps für betroffene Kinder und deren Eltern.

1. Was bedeutet der Begriff „Schlüsselkinder“?

Der Münchner Pädagoge und Psychologe Otto Speck prägte den Begriff der Schlüsselkinder Mitte der 1950er Jahre.  Das Wort bezeichnete  Kinder, die einige Stunden am Tag alleine zuhause waren während beide Elternteile arbeiteten. Um nach der Schule in die Wohnung zu gelangen, hatten die Kinder den Haustürschlüssel an einer sogenannten Schlüsselkette befestigt, manchmal mit einer Schnur am Hals baumelnd.

Der Begriff der Schlüsselkinder war zur damaligen Zeit eher negativ besetzt. Das Idealbild der traditionellen Familie sah vor, dass Mütter als alleinige Versorgerinnen von Kindern und Haushalt zuhause bleiben während die Väter arbeiten gingen (1).

Mittlerweile hat sich diese traditionelle Struktur doch sehr geändert. Mütter sind in Teil- oder Vollzeit berufstätig, Väter nehmen Elternzeit. Manche Eltern teilen sich die Zeit der Berufstätigkeit und Kinderbetreuung auch zu gleichen Teilen auf. Kinder besuchen Betreuungseinrichtungen und so hat auch der Begriff der Schlüsselkinder hat einen Wandel erfahren.

Traditionelle Schlüsselkinder, die der Definition der Fünfziger Jahre gerecht werden, gibt es nur noch selten. Kinder haben heutzutage auch dank moderner Türöffnungsmechanismen - wie Fingerprint oder Zahlencodeschlössern - keine Schlüsselketten mehr sondern höchstens noch ihren eigenen Schlüsselbund in der Schultasche.  Aus unterschiedlichen familiären Gründen bleiben aber einige Kinder nach wie vor alleine zuhause. Dies betrifft laut einer Forschungsstudie vor allem die Altersgruppe der 10 – 14 jährigen Kinder (2).

2. Ab wann können Eltern ihre Kinder alleine zuhause lassen?

Direkte gesetzliche Vorgaben, ab wann Eltern ihre Kinder alleine zuhause lassen können, gibt es nicht. Das Modell der Schlüsselkinder macht aber frühestens ab dem Grundschulalter, und hier erst ab einem Alter von ca. acht Jahren, Sinn. Kinder sollten auf jeden Fall gewisse Alltagsfertigkeiten beherrschen und fähig sein, sich an elterliche Absprachen und Regeln zu halten (3). 

Eltern sollten daher nicht nur das biologische Alter ihrer Kinder, sondern vor allem ihren individuellen Entwicklungsstand berücksichtigen. Mütter und Väter dürfen ihren Kindern ruhig etwas zutrauen, sollten sie aber gleichzeitig mit dem Alleinsein nicht überfordern(4). Kindern, die von sich aus noch nicht bereit sind, alleine zuhause zu bleiben, sollte dies auch nicht zugemutet werden. Manche Kinder trauen sich eben früher und manche später. Dies sollten Eltern unbedingt respektieren, um keine unnötigen Ängste zu schüren.

3. Es gibt doch so viele Betreuungsmöglichkeiten. Warum sind manche Kinder trotzdem alleine zuhause?

Das Angebot an Betreuungsmöglichkeiten für Kinder wurde im Laufe der letzten Jahre stark ausgebaut. Dies liegt vor allem an der steigenden Berufstätigkeit und wachsenden Vereinbarkeitsmodellen von und für Mütter.

Durch Kindertageseinrichtungen und Horte, sowie Mittags- und Nachmittagsbetreuungen besteht mittlerweile ein großflächiges Angebot, welche Eltern mit flexiblen Betreuungszeiten entgegen kommen. Auch Schulen bieten unterschiedliche Modelle an, wie zum Beispiel offene oder gebunde Ganztagesklassen. Ergänzt wird dieses Angebot noch durch Tagespflegeeltern und private bzw. verwandtschaftliche Betreuungsmöglichkeiten.

Gründe, warum Kinder heutzutage alleine zuhause sind gibt es trotzdem. Vor allem greifen sie, wenn beide Elternteile berufstägig sind, der betreuende Elternteil alleinerziehend ist, keine anderen Betreuungsoptionen zur Verfügung stehen oder Eltern und Kinder von diesem Modell überzeugt sind. Auch längere Arbeitszeiten und Schichtmodelle der Eltern kollidieren mit den üblichen Betreuungszeiten in Einrichtungen und verlangen nach alternativen Möglichkeiten. Zudem sind gerade ältere Kinder manchmal betreuungsmüde und genießen die freie Zeit zuhause. Mittlerweile  traut man Kindern ab dem  Grundschulalter auch mehr zu, als noch in früheren Jahren (5).

4. Wie sieht der Alltag von Schlüsselkindern aus?

Max ist 10 Jahre alt und lebt mit seiner Mutter in einer mittleren Kleinstadt. Da Max Mutter alleinerziehend ist und dreimal pro Woche die Frühschicht in einem großen Badebetrieb übernimmt, regelt Max an diesen Tagen seinen Alltag schon in der Früh selbstständig. Max Mutter verlässt das Haus um 5.30 Uhr, wenn Max noch schläft. Darum heißt an diesen Tagen für Max den Wecker zu stellen, rechtzeitig alleine aufstehen, Zähne zu putzen und sich anzuziehen. Das Frühstück richtet seine Mama schon am Abend her, genauso wie Max Brotzeit. Max muss sich manchmal sputen, damit er den Schulbus pünktlich erreicht. Aber an den meisten Tagen klappt das reibungslos. Im Notfall kann Max bei der Nachbarin klingeln oder seine Mutter in der Arbeit anrufen. Aber das passiert nur ganz selten.

Alena und Felix, beide 12 Jahre alt, leben mit ihren Eltern auf dem Land. Die Großeltern der beiden wohnen weiter entfernt. Sie sehen sich nur selten. Alena und Felix besuchen eine gebundene Ganztagesklasse und kommen mit dem Schulbus gegen 16.30 Uhr nach Hause. Ihre Eltern sind beide in einem Krankenhaus in der nahegelegenen Großstadt tätig. Manchmal kommt es vor, dass beide Eltern Spätschicht haben oder ihre Tagesschicht länger dauert als geplant. Dann meistern beide Kinder die Abendsituation alleine. Alena und Felix können mittlerweile kleinere Gerichte kochen, fragen sich gegenseitig Vokabeln ab und gehen pünktlich um 21.00 Uhr ins Bett. Nur manchmal, wenn etwas sehr interessantes im Fernsehen kommt oder Alenas Freundin noch einmal anruft wird es etwas später. An den meisten Tagen klappt aber alles gut.

5. Mögliche Vor- und Nachteile für Schlüsselkinder

Mittlerweile ist der Begriff der Schlüsselkinder nicht mehr negativ besetzt. Trotz einiger möglicher Schwierigkeiten kann es längerfristig auch durchaus Vorteile haben, wenn Kinder eine begrenzte Zeit zuhause alleine meistern. Nachfolgend einige Beispiele zum Für und Wider.  

(+) „Ich bin viel selbstständiger als andere Kinder in meinem Alter“

Kinder merken schnell, wenn Eltern ihnen und ihren Fähigkeiten vertrauen und ihre Selbständigkeit fördern. Kleinere Gerichte zu kochen, die Waschmaschine einzustellen oder morgens alleine aufzustehen und den Schulweg zu meistern, kann für die kindliche Entwicklung positiv sein und das Selbstbewusstsein von Kindern stärken.

(+) „Ich finde das cool, dass ich nachmittags meine Ruhe habe“

Manche Kinder genießen es sogar, einige Zeit alleine zuhause zu verbringen. Sie kommen nach einem stressigen Schulvormittag zuhause zur Ruhe und schätzen es, sich nicht an die Regeln und Strukturen einer Nachmittagsbetreuung anpassen zu müssen.

(-) „Wenn ich mal was nicht kann, ist keiner da zum Fragen“

In manchen Familien ist gerade die Hausaufgabensituation für die Kinder schwierig alleine zu meistern. Wen frage ich, wenn ich in Mathe eine Aufgabe nicht verstehe? Wer fragt mich Vokabeln ab? Wer hilft mir bei diesem kniffeligen Arbeitsblatt? In so einem Fall besteht möglicherweise die Gefahr, dass Hausaufgaben nur unvollständig erledigt werden und die schulischen Leistungen darunter leiden.

(-) „Ich kann mich gar nicht so oft mit Freunden treffen“

Wenn Kinder zuhause alleine sind, hilft es bestimmte Regeln einzuführen. Je nach Alter des Kindes müssen Eltern dann entscheiden, ob ihr Kind nachmittags alleine außer Haus gehen darf oder Freunde zu ihm kommen dürfen. Im Grundschulalter macht dies meist noch keinen Sinn, da Kinder einfach zu viele Ideen aushecken, über dem Spielen die Zeit vertrödeln oder vergessen, ihren Haustürschlüssel mitzunehmen und dann vor verschlossenen Türen stehen. Wenn Kinder nachmittags zu Freunden dürfen und dort das jeweilige Elternteil die Betreuung mit übernimmt, sieht das schon wieder anders aus. Auch hier sind individuelle Absprachen der Eltern wichtig.

6. Alltagstipps für Schlüsselkinder und ihre Eltern

Damit das Alleinsein für Kinder und Eltern gut klappt, ist einerseits gegenseitiges Vertrauen wichtig und andererseits möglichst konkrete Absprachen, die von beiden Seiten eingehalten werden (6).

Tagesplan, Struktur und Regeln

Auch wenn die Zeit zuhause nicht so eng getaktet ist, wie das Gruppenleben in einer Betreuungseinrichtung, kommen Eltern nicht umhin, einige wichtige Regeln festzulegen. Das gibt Kindern und Eltern gleichermaßen Orientierung und erleichtert das Einhalten gewünschter Tagesstrukturen. Hilfreich dazu sind auf jeden Fall visuelle Botschaften wie z. B. ein Wochenplan, der an der Wand hängt und die wichtigsten Informationen zu Essens-, Hausaufgaben- und Bettgehzeiten sowie wichtige Termine beinhaltet.

Manchmal unterstützen auch kleine „Helfer-Zettel“ an Kühlschränken, Garderoben oder Spiegeln die Kinder bei ihren Erledigungen. Die wichtigsten Regeln, die eingehalten werden sollen, können Eltern mit ihren Kindern zusammen besprechen und ebenfalls schriftlich festhalten. So kann man sich im Krisenfall immer wieder darauf beziehen. Inhalte darin könnten sein, dass besonders jüngere Kinder nicht an die Haustüre gehen, den Herd nicht einschalten oder den Hund nicht vor die Türe lassen.

Alltagsfertigkeiten trainieren

„Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen“. Dieser, doch schon etwas in die Jahre gekommene Spruch, passt in diesem Fall sehr gut. Denn auch das Alleinsein und das Einhalten von Regeln muss immer wieder nachbesprochen und trainiert werden. So sollten Eltern ihre Kinder Schritt für Schritt mit kleinen Alltagsfertigkeiten vertraut machen und diese zusammen einüben (6). Dies kann das Kochen von kleinen Gerichten genauso beinhalten, wie das eigenständige Lernen von Vokabeln oder das Einschalten der Waschmaschine. „Übung macht in diesem Falle wirklich den Meister“ und stärkt das Selbstbewusstsein und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.

Notfallnummern und Ansprechpartner

Wichtig für den Notfall sind auf jeden Fall Telefonnummern und Adressen von Ansprechpartnern für ihre Kinder. Wo gehe ich hin, wenn ich mir weh getan habe? Wen rufe ich an, wenn ich die Hausaufgaben nicht verstehe? Was mache ich, wenn ich plötzlich Angst bekomme und niemand da ist?

So sollten auch diese Informationen mit den Kindern besprochen werden und die Telefonnummern gut sichtbar in der Nähe des Telefons aufbewahrt werden. Kinder in den weiterführenden Schulen haben meist schon ein eigenes Handy zur Verfügung, in dem sie die Nummern zusätzlich speichern können. Es ist außerdem zu empfehlen, Nachbarn in das eigene Netzwerk einzubeziehen, so dass bei Bedarf schnell jemand bei den Kindern vor Ort sein kann. Auch das Hinterlegen eines Zweitschlüssels bei Bekannten oder in der Nachbarschaft ist sinnvoll (7).

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser?

Auch wenn Eltern einer anstrengenden und fordernden Berufstätigkeit nachgehen, ist in ihrer Abwesenheit der Kontakt zu den Kindern gerade am Anfang des Alleinseins wichtig. Eltern sollten sich daher gerade bei jüngeren Kindern und Teenies nicht scheuen, zuhause anzurufen um zu hören, ob wirklich alles in Ordnung ist. Dies beruhigt mit Sicherheit beide Seiten und gibt gerade jüngeren Kindern das Gefühl, dass sich Eltern trotz ihrer Abwesenheit um sie kümmern.

Ab einem bestimmten Alter werden die Anrufe der Eltern aber vielleicht eher als Kontrolle empfunden. Eltern sollten daher im guten Kontakt mit ihren Kindern bleiben. Gemeinsame Gespräche und Diskussionen helfen dabei, Regeln und Strukturen immer wieder altersgerecht anzupassen.

Literatur

(1) Wikipedia. Die Freie Enzyklopädie. Schlüsselkind: https://de.wikipedia.org/wiki/Schlüsselkind (abgerufen am 15.05.2019)

(2) Heidenreich, Ulrike. Die vergessene Generation der Lücke-Kinder. Süddeutsche Zeitung. Magazin. 14.04.2014: https://www.sueddeutsche.de/leben/probleme-in-der-vorpubertaet-die-vergessene-generation-der-luecke-kinder-1.1936858 (abgerufen am 07.08.2019)

(3) Urban, Dana (BKE). (Interview mit test.de). Kinder alleine lassen. Was ist wann erlaubt? (23.04.2016): https://www.test.de/Aufsichtspflicht-Kinder-allein-lassen-was-ist-wann-erlaubt-5005671-0/ (abgerufen am 15.05.209)

(4) Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Familie zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit. Perspektiven für eine lebenslaufbezogene Familienpolitik. Siebter Familienbericht. Mai 2006. https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/7--familienbericht/74010?view

(abgerufen am 20.05.2019)

(5) Ahrbeck, Bernd (Interview mit familie.de). Nach Schulschluss allein zuhause. Schlüsselkinder: https://www.familie.de/kind/nach-schulschluss-allein-zuhause-schluesselkinder-512069.html (abgerufen am 25.06.2019)

(6) Kita.de. Schlüsselkinder. Wenn das Kind allein zuhause ist.  https://www.kita.de/wissen/schluesselkinder/ (abgerufen am 24.07.2019)

(7) Willbrand-Donzelli Nicola. Nach der Schule allein zu Haus. 10 Tipps für Eltern von Schlüsselkindern (08.10.2015) https://www.t-online.de/leben/familie/schulkind-und-jugendliche/id_59975062/zehn-tipps-fuer-eltern-von-schluesselkindern.html (abgrufen am 24.07.2019)

Autorin

Christina Zehetner (geb. Kursawe) ist Erzieherin und Sozialpädagogin. Sie hat langjährige praktische Erfahrungen in der ambulanten und stationären Kinder- und Jugendhilfe und arbeitete mehrere Jahre im Jugendamt. Die Autorin ist aktuell als Freie Mitarbeiterin am Institut für Frühpädagogik in München tätig. Zudem hält sie als Beraterin humorvolle Seminare und Vorträge für Familien und Fachkräfte

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eingestellt am 13. August 2019

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